Protokoll der Sitzung vom 04.03.2005

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Drittens fordern wir die Verschlankung der Ministerialbürokratie. Die Zahl der ministeriellen Spitzenpositionen hat sich laut Rechnungshofbericht in den letzten Jahren immer mehr erhöht. Allein die Anzahl der Beamten der Besoldungsgruppe B 6 hat sich seit 1993 um über 14 % erhöht.

(Heidi Lück (SPD): Den Wasserkopf abbauen!)

Der ORH-Bericht von 2003 spricht eine noch deutlichere Sprache. Ich zitiere:

Die Verwaltungsreform bei der Staatskanzlei und bei den Staatsministern hat bislang den angestrebten Aufgaben- und Personalabbau noch nicht erbracht. 390 Stellen hätten bis 2003 eingespart werden müssen. 189 Stellen wurden dagegen nur abgebaut. Das Ziel, die Zahl der Abteilungen und Referate in den Ministerien zu reduzieren, wurde bei weitem nicht erreicht. Rund 70 % aller Referate haben weniger als 5 Mitarbeiter, ein Drittel sogar noch weniger als 3 Mitarbeiter im höheren und gehobenen Dienst.

Weiter heißt es im ORH-Bericht:

Auch ein Ländervergleich zeigt, dass in der bayerischen Staatsverwaltung noch erheblicher Gestaltungsspielraum zur Reduzierung von Aufgaben und Stellen bei den obersten Dienstbehörden besteht.

Nicht unten, Herr Huber, bei den kleinen Ämtern, die Dienst- und Serviceleistungen für die Bürger erbringen, sondern oben in den Spitzenbehörden, in den obersten Dienstbehörden der Staatsregierung besteht Handlungsspielraum.

(Beifall bei der SPD – Susann Biedefeld (SPD): Der Wasserkopf muss weg!)

Wir sagen, nur eine Radikalkur hilft. Bei den Staatsministerien und bei der Staatskanzlei hat folgende Regel zu gelten: Aus drei mach zwei. Legen Sie also Abteilungen zusammen. Wir haben es Ihnen genau vorgerechnet. Wenn man aus 15 B-9-Stellen 10 B-9-Stellen macht usw., würde man eine Einsparung von fast 14 Millionen Euro pro Jahr erzielen. Greifen Sie doch auch einmal unsere Vorschläge auf.

(Beifall bei der SPD)

Einig mit der SPD ist sich auch der Bayerische Städtetag. Der neue Städtetagschef ist überzeugt davon, dass die Verwaltungsreform nur gelingen kann, wenn zuerst die Regelungen reduziert bzw. vereinfacht werden und anschließend der Stellenabbau an der Spitze beginnt, Herr Huber. Ich zitiere aus der Zeitschrift des Städtetags vom Januar/Februar 2005, die uns in dieser Woche aktuell zugegangen ist.

Der Verbandsvorsitzende, Oberbürgermeister Schaidinger

Ihnen sehr gut bekannt aus Regensburg –

hat sowohl dem Ministerpräsidenten als auch „Reformminister“ Erwin Huber wiederholt geraten, mit der Deregulierung zu beginnen und Personal, und zwar von der Spitze her abzubauen. Der neue Städtetagschef ist überzeugt, dass mit der nachhaltigste Beitrag zur Lichtung des Regulierungsdickichts weniger Ministerialbeamte wären, die sich, so Schaidinger, auch weniger neue Vorschriften ausdenken könnten. Schaidinger bedauert, dass die Verwaltungsreform die Ministerialbürokratie bisher ausgespart hat.

Er bestätigt genau das, was die SPD sagt.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Respekt vor Herrn Schaidinger!)

Herr Huber, beim Bürokratieabbau müssen Sie schon das Antidiskriminierungsgesetz als Beispiel für Bürokratie bemühen. Ich könnte Ihnen viele Beispiele aus Bayern nennen, bei denen Sie unnötige Gesetze formuliert haben. Ich

denke nur an das Bayerische Beamtengesetz, über das wir erst vor zwei Wochen diskutiert haben und das wir gestern abschließend besprochen haben. Wären Sie bei der Frage der Beamten auf Zeit der SPD – wir haben damals schon verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet – und dem Bayerischen Beamtenbund gefolgt, dann hätten Sie das Beamtengesetz nicht wieder ändern müssen. Hätten Sie es so gemacht, wie wir es damals gesagt haben, hätten wir wesentlich weniger Bürokratie und wesentlich weniger Gesetzesänderungen gebraucht, als es jetzt der Fall war.

Ein weiteres Beispiel ist das Bayerische Kindertagesstättengesetz. Obwohl das Gesetz noch nicht einmal verabschiedet ist, mussten Sie schon 13 Newsletter hinausschicken, um den Leuten vor Ort zu erläutern, wie das Gesetz künftig umgesetzt werden könnte und wie das Gesetz, welches überhaupt noch nicht verabschiedet ist, zu verstehen sei. So viel zum Bürokratieabbau in Bayern, Herr Minister.

(Beifall bei der SPD)

Beim Antidiskriminierungsgesetz geht es Ihnen doch nicht um die Bürokratie, sondern um die Inhalte. Ihnen passt dieses Gesetz einfach nicht. Sie eiern hier genauso herum, wie Sie vor über zehn Jahren beim Bayerischen Gleichstellungsgesetz für Männer und Frauen herumgeeiert sind. Sie eiern hier genauso herum, wie Sie beim Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung herumgeeiert sind. Immer, wenn es Ihnen um die Gleichbehandlung von Menschen ging, sahen Sie auf einmal die großen Probleme. Das sind aber Probleme inhaltlicher Art und keine Probleme der Bürokratie.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen darf ich an Folgendes erinnern, Herr Staatsminister. In Berlin – das wurde mir auch von CSU-Abgeordneten so geschildert und das sehe ich positiv – verlässt kein Gesetz den Bundestag so, wie es in den Bundestag gekommen ist. Der Bundestag nutzt seine Möglichkeiten als Gesetzgeber, um an einem Gesetzentwurf Veränderungen herbeizuführen. Das würde ich mir auch einmal für Bayern wünschen.

(Beifall bei der SPD)

In Bayern geht jedes Gesetz so aus dem Landtag heraus, wie es hineingekommen ist, weil nur mehr die Aktionseinheit zwischen CSU und Staatsregierung besteht und das Parlament in seiner eigentlichen Form überhaupt nicht mehr funktioniert.

(Beifall bei der SPD)

Diese Verwaltungsreform dient nur dem Personalabbau. In seiner Vorlage an den Ministerrat vom 15. Juni 2004 stellt Staatskanzleichef Huber fest – ich zitiere –, dass die grundlegende Reform von Staat und Verwaltung der Schlüssel für eine dauerhafte, nachhaltige Konsolidierung sei. Die nachhaltige Senkung des Personalkostenanteils mittels Deregulierung, Organisations- und Aufgabenabbaumaßnahmen sei unverzichtbar. Es geht Ihnen also

nicht zuförderst um eine effektive, bürgernahe und kommunalfreundliche Verwaltung, sondern – das haben Sie auch ausgeführt – um Kürzen, Leistungsabbau, Rückzug des Staates, Zerstückeln von Strukturen, damit Sie Stoibers egoistisches und ehrgeiziges Ziel erreichen, die Staatsverschuldung bis zum Jahr 2006 auf Null zu bringen. Der Ehrgeizling Stoiber will wieder einmal der Beste, der Erste und der Größte sein. Dabei vergisst er sein ganzes Land.

(Dr. Otmar Bernhard (CSU): Er ist es auch, Frau Kollegin!)

Ich zitiere wieder jemand, der der gleichen Meinung ist wie die SPD, nämlich den Vorsitzenden des Bayerischen Städtetages, der die Staatsregierung nicht als einen verlässlichen Partner der Kommunen sieht, Herr Huber. Ich zitiere Herrn Schaidinger zu dieser Frage:

Was nützt es diesem Land, wenn der Staat mit seiner Nettoneuverschuldung von Null glänzt und zugleich die soziale und kulturelle Infrastruktur in den Städten kaputtgespart wird?

Genau das sagt auch die SPD. Sie sparen dieses Land kaputt.

(Beifall bei der SPD – Heidi Lück (SPD): Das ist ein CSUler!)

Herr Huber, ich stimme Ihnen in einem Punkt zu, denn wo Sie Recht haben, haben Sie Recht: Unsere bayerische Verwaltung hat nicht nur einen hervorragenden Ruf, sie arbeitet auch hervorragend. Wir haben gut ausgebildete und hoch motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverhältnis. Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank auch an diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aussprechen. Für sie war das vergangene Jahr mit Sicherheit nicht leicht, vor allem als sie sich mit den entlarvenden verbalen Ausfällen von Reformminister Huber auseinandersetzen mussten. Vor einiger Zeit sprach er von „Fröschen“, die man nicht fragt, wenn man den Teich austrocknen will. Später wertete er die eigenen Beschäftigten als „mittelmäßigen und unmotivierten Beamtenapparat“ ab. Eine unsägliche Entgleisung war das, die ich an dieser Stelle dem Parlament öffentlich gemacht hatte. Für diese unsägliche Entgleisung hat sich Herr Huber notgedrungen nachträglich entschuldigt. Ich meine aber, solche Entgleisungen, die zudem häufi ger auftreten, zeigen das wahre Gesicht. Sie zeigen, wie viel Ihnen die Beschäftigten der bayerischen Verwaltung wert sind.

Er knüpft mit solchen Äußerungen an die Äußerungen von Herrn Staatsminister Faltlhauser an. Ich denke da zum Beispiel an die Äußerung über die Mittagsschlafgewohnheiten der Hausmeister in der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung; sie waren genauso abwertend wie Ihre Äußerungen, Herr Huber.

(Beifall bei der SPD)

Die Dienstleister dieses Staates, also die Angestellten, Arbeiter und Beamtinnen und Beamten, werden nicht

mehr als Leistungsfaktor gesehen, sondern nur noch als Kostenfaktor betrachtet, der reduziert werden muss. Dabei benutzen CSU und Staatsregierung immer wieder die Personalkostenquote von 43 % als Totschlagargument, als Argument für den Stellenabbau. Sie sagen aber nicht, dass Bayern im Ländervergleich die drittgünstigste Relation der Personalausgaben in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt hat und mit 13,9 % die zweitniedrigste Staatsquote in Deutschland. Auch das gehört zur Ehrlichkeit, Herr Huber! Dann kann man nämlich vergleichen.

(Beifall bei der SPD)

Schieben Sie bitte den Beschäftigten nicht immer die Schuld in die Schuhe.

(Zuruf des Abgeordneten Markus Sackmann (CSU))

Er muss doch auch dazu sagen, wer die Beschäftigten eingestellt hat, die er jetzt alle wieder loswerden will. Der Freistaat Bayern hat über Jahre hinweg diese vielen Menschen eingestellt, weil die Arbeit auch da ist, die diese Beschäftigten zu leisten haben. Jetzt auf einmal will er 12 000 Arbeitsplätze abbauen, ohne zu sagen, wo der Aufgabenabbau stattfi nden soll.

(Beifall bei der SPD)

Anstatt die Beschäftigten für eine Modernisierung zu gewinnen, arbeitet man gegen sie. Ich habe Ihnen schon vor einem Jahr gesagt: So kann eine Verwaltungsreform niemals gelingen. Herr Huber, Sie sprechen davon, dass Sie den Beschäftigten viel abverlangen mit diesen harten Sparmaßnahmen. Sie erzählen uns tagtäglich, ob wir es hören wollen oder nicht: Bayern steht an der Spitze. Bayern hat die geringste Arbeitslosigkeit, Bayern hat die geringste Neuverschuldung und, und, und. Dem Freistaat Bayern geht es so gut, und trotzdem verlangen Sie den Beschäftigten hier in Bayern mehr ab als ihnen in allen anderen Bundesländern abverlangt wird. Andere Bundesländer, denen es schlechter geht, gehen besser mit ihren Beschäftigten um.

(Beifall bei der SPD)

Ich denke an das Urlaubsgeld, an die Arbeitszeit. Seit 1993 müssen unsere bayerischen Beamtinnen und Beamten mehr arbeiten als alle anderen Beamtinnen und Beamten in den anderen Bundesländern. Jetzt, nach der Verlängerung der Arbeitszeit auf 42 Stunden, ist Bayern wieder negative Spitze. So viel zum Umgang Bayerns mit seinen Beschäftigten.

(Beifall bei der SPD)

Sie sprechen die Tarifverhandlungen an und appellieren an die Vernunft. Wenn ich mir den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst ansehe, kann ich nicht feststellen, dass nur die Beschäftigten die Gewinner gewesen wären. Im Gegenteil: So viele Spielräume, wie durch den jetzt ausgehandelten Tarifvertrag auch für die Arbeitgeber frei werden, hatten die öffentlichen Arbeitgeber noch nie zuvor.

Deswegen würde ich Ihnen auch raten, die Reformbestrebungen auf Bundesebene, die Bundesinnenminister Schily mit dem Vorsitzenden des Beamtenbundes und mit verdi ausgehandelt hat, nämlich die Neuformulierung des Beamtenrechts, sorgfältiger zu prüfen. Denn auch im Beamtenrecht bekommen die Länder mehr Spielräume, als sie in den letzten dreißig Jahren gehabt haben, übrigens seit Ministerpräsident Strauß, damals allerdings in anderer Funktion, das einheitliche Dienstrecht auf Bundesebene veranlasst hat.

Jetzt geht es wieder rückwärts: Immer mehr Kompetenz wird auf die Länder zurückverlagert mit dem Ziel Sparen, Sparen, Sparen zulasten der Beschäftigten, obwohl man weiß, dass in Bayern die Funktionsfähigkeit des Staates in vielen Bereichen schon jetzt nicht mehr gewährleistet ist. Schon jetzt fehlen Tausende von Beschäftigten in der Finanzverwaltung – wir könnten wesentlich mehr Betriebsprüfer brauchen, damit wieder mehr Gelder in den Staatshaushalt fl ießen. Bei der Polizei fehlen die Beschäftigten. Zwischen Soll und Ist klafft oft eine Lücke von 10 bis 20 %. In der Justiz fehlen Stellen und vor allem in den Schulen. Jeden Tag erreichen uns gerade aus diesem Bereich Horrormeldungen von nicht gehaltenen Unterrichtsstunden, von fehlenden Lehrern. Es klingt geradezu zynisch, Herr Huber, wenn Sie davon sprechen, Sie investierten in die Zukunftsaufgaben „Kinderbetreuung“ und „beste Schule“. Ich habe zu Beginn meiner Rede nicht umsonst von „Realitätsferne“ gesprochen. Ich möchte sogar von „Realitätsverlust“ sprechen angesichts dieser Aussagen.