Protokoll der Sitzung vom 04.03.2005

Jetzt geht es wieder rückwärts: Immer mehr Kompetenz wird auf die Länder zurückverlagert mit dem Ziel Sparen, Sparen, Sparen zulasten der Beschäftigten, obwohl man weiß, dass in Bayern die Funktionsfähigkeit des Staates in vielen Bereichen schon jetzt nicht mehr gewährleistet ist. Schon jetzt fehlen Tausende von Beschäftigten in der Finanzverwaltung – wir könnten wesentlich mehr Betriebsprüfer brauchen, damit wieder mehr Gelder in den Staatshaushalt fl ießen. Bei der Polizei fehlen die Beschäftigten. Zwischen Soll und Ist klafft oft eine Lücke von 10 bis 20 %. In der Justiz fehlen Stellen und vor allem in den Schulen. Jeden Tag erreichen uns gerade aus diesem Bereich Horrormeldungen von nicht gehaltenen Unterrichtsstunden, von fehlenden Lehrern. Es klingt geradezu zynisch, Herr Huber, wenn Sie davon sprechen, Sie investierten in die Zukunftsaufgaben „Kinderbetreuung“ und „beste Schule“. Ich habe zu Beginn meiner Rede nicht umsonst von „Realitätsferne“ gesprochen. Ich möchte sogar von „Realitätsverlust“ sprechen angesichts dieser Aussagen.

(Beifall bei der SPD)

Sie sagen immer, bei uns fehlten keine Lehrer. Demgegenüber muss ich ein Schreiben des Staatsministeriums der Finanzen zur Kenntnis nehmen, demzufolge der Ministerrat beschlossen hat, dass insgesamt 300 Beschäftigte aus den Reformbereichen der bayerischen Vermessungsverwaltung künftig in den Schulbereich wechseln sollen. Vorrangig sollen Lehrkräfte gewonnen werden. Das muss man sich einmal überlegen: Jetzt sollen Förster und Vermessungsbeamte unterrichten! Das ist doch die Bestätigung dessen, was wir seit Jahren fordern.

(Dr. Christian Magerl (GRÜNE): Ziemlich vermessen das Ganze!)

Wir brauchen mehr Lehrer, und zwar wirklich Lehrer, die die entsprechende Ausbildung haben. Mit diesem Schreiben geben Sie doch zu, dass Sie im Grunde genommen auf der einen Seite Personal durch die Verwaltungsreform freistellen, aber auf der anderen Seite nicht wissen, wohin mit dem Personal. Das Personal, von dem man nicht weiß, wohin damit, steckt man in die Schulen, wo dringender Bedarf ist. Soweit die Zahl 300 nicht durch wechselwillige künftige Lehrkräfte erreicht wird, soll sie durch Sekretariatskräfte aufgefüllt werden. Genaue Bedarfszahlen für die Sekretariatskräfte ergeben sich jedoch erst, wenn die wechselwilligen Interessenten für den Lehrerberuf feststehen. – Wenn man so mit den Menschen in der Verwaltung umgeht, ist das schon schlimm.

(Beifall bei der SPD)

Sie wollen Personal abbauen und Menschen früher in den Ruhestand schicken. Das ist eine Verschiebung von Personalkosten hin zu den Pensionslasten. Der Staatshaushalt wird erst dann entlastet, wenn all die Menschen weggestorben sind. Im Moment ist diese Maßnahme ein reiner Verschiebebahnhof. Durch Ihre Verwaltungsreform sollen – Sie haben es gerade angeführt – weitere 6000 Planstellen abgebaut werden. Durch die Arbeitszeitverlängerung fallen zusätzliche 5000 Planstellen weg. Hinzu kommen noch – vergessen Sie das nicht – 12 700 Stellen, die durch das 20-Punkte-Programm bis 2007 hätten wegfallen sollen. Sie sind aber bisher noch nicht weggefallen, weil es Umschichtungen gegeben hat. All diese Zahlen zusammengeführt ergeben über 20 000 Arbeitsstellen, die hier kaputtgemacht werden. Das führt uns zu der Feststellung, dass der Freistaat Bayern als größter Arbeitgeber derzeit der größte Arbeitsplatzvernichter in Bayern ist.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist es eine Frechheit – das sage ich Ihnen ganz ehrlich –, wenn Ministerpräsident Stoiber derzeit versucht, unserem Bundeskanzler Gerhard Schröder die persönliche Schuld für das Erstarken der Neonazis aufgrund der hohen Arbeitslosenzahlen in die Schuhe zu schieben. Eine größere Frechheit kann es doch gar nicht mehr geben! Es ist nicht nur unanständig und instinktlos, vor allem ist es auch gefährlich, wie Sie die Probleme vereinfachen. Das ist ein Niveau, auf das ich mich nicht begeben möchte.

(Beifall bei der SPD)

Angesichts dieses Stellenabbauprogramms der Bayerischen Staatsregierung – allein beim Freistaat Bayern sind es 20 000 Arbeitsplätze – ist dieser Vorwurf mehr als eine Frechheit. Statt gegen die Bundesregierung zu polemisieren, sollten Sie besser über einen eigenen Beitrag der Bayerischen Staatsregierung zu mehr Beschäftigung nachdenken. Herr Huber, Sie sagen: Sozial ist, was Arbeit schafft. Die Konsequenz aus dem, was ich gerade vorgetragen habe, ist: Sie sind unsozial, weil Sie Arbeitsplätze vernichten.

(Beifall bei der SPD)

Ich darf im Folgenden die Zahlen etwas untermauern; vielleicht merken Sie sie sich dann einmal. Im Jahr 2003 wurden noch 7308 Beamtinnen und Beamte eingestellt. Im Jahr 2004 waren es nur noch 4630, also 63 % des Vorjahres. Im Jahr 2003 gab es noch 10 562 neue Tarifbeschäftigte; im Jahr 2004 gab es nur noch 8827. Die Bayerische Staatsregierung kommt ihrer Ausbildungsverpfl ichtung bei weitem nicht mehr nach. Sie lässt Menschen, die für teures Geld ausgebildet wurden, auf der Straße stehen. Trotz enormem Bedarf an Lehrkräften stehen derzeit über 2500 teuer ausgebildete, hoch motivierte junge Lehrerinnen und Lehrer auf der Straße und werden nicht beschäftigt. Aber die Vermessungsbeamten dürfen künftig unterrichten!

(Beifall bei der SPD)

Mit hehren Worten wird da von der CSU-Fraktion beschlossen, dass Menschen mit Behinderungen nicht durch die Verwaltungsreform benachteiligt werden dürfen. Gleichzeitig lehnt die Mehrheitsfraktion hier im Bayerischen Landtag den SPD-Antrag ab, mit dem wir dafür Sorge tragen wollten, dass im Rahmen der Verwaltungsreform keine Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen und ihnen Gleichgestellte abgebaut werden dürfen. Das ist ein Widerspruch in Ihrer Politik. Auch unser Antrag, den Sozialplan aus dem Jahr 1973, abgestimmt auf die derzeitigen Verhältnisse und Bedürfnisse wieder in Kraft zu setzen, um die auf die Beschäftigten zukommenden Veränderungen aus der Verwaltungsreform sozial verträglich zu gestalten, wurde von der Zweidrittelmehrheit dieses Hauses abgelehnt.

Die Beschäftigten müssen sich nun mit Grundsätzen für personalrechtliche Maßnahmen zufrieden geben, mit Grundsätzen, die weit hinter dem Sozialplan aus dem Jahr 1973 zurückbleiben.

Nachdem Herr Huber gemerkt hat, dass der Beschäftigungsabbau, den er sich vorgenommen hat, nicht so schnell funktioniert, wie er sich das vorgestellt hat, muss nun das Altersteilzeitgesetz wieder verändert werden. Auch das ist ein Beispiel für Bürokratie. Herr Huber, Sie hätten das Altersteilzeitgesetz, das wir in diesem Hause beschlossen haben, so lassen können, wie es gewesen ist; denn es war zwar nicht so gut wie das Bundesgesetz, aber immer noch besser als das, was jetzt gilt. Nein, Sie mussten das Gesetz in den vergangenen zwei Jahren wieder und wieder verschlechtern. Nun haben Sie auf einmal gemerkt, Sie müssen das Personal loswerden, das man aber nicht loswird, weil man die Beschäftigten irgendwann eingestellt hat. Also wird das Eintrittsalter für die Altersteilzeit wieder auf 55 Jahre herabgesetzt, aber nur für diejenigen, die durch die Verwaltungsreform freigestellt werden sollen. Die anderen müssen nach wie vor 60 Jahre alt sein, wenn sie die Altersteilzeit in Anspruch nehmen. So viel zur Gleichbehandlung und zum Gleichklang bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, den Sie immer herstellen wollen, wenn es um die Arbeitszeit geht. Auch hier argumentieren Sie sehr widersprüchlich.

Wir wollen Ihrem Ziel des Zerschlagens, Zerstörens und Zerstückelns von Strukturen das Deregulieren, Dezentralisieren und Delegieren entgegensetzen. Eine Reform muss das Ziel haben, Verwaltungsaufgaben bürgernah vor Ort zu erledigen und Verwaltungsstrukturen klar und kommunalfreundlich zu gestalten. Eine Zerschlagung von funktionierenden Strukturen und die Privatisierung von Leistungen sind dann abzulehnen, wenn sie zulasten unserer Bürgerinnen und Bürger, vor allem aber zulasten des ländlichen Raumes und zulasten der Sicherheit in unserem Land gehen. Das vergangene Jahr hat deshalb zu einer massiven Verunsicherung in der Bevölkerung und insbesondere zu einem tiefen Vertrauensverlust bei den Beschäftigten geführt.

(Beifall bei der SPD)

Die Bürgerinnen und Bürger, das Parlament und sogar die CSU-Fraktion erfuhren teilweise nur über die Medien oder durch Zufall aus internen Papieren, was die Staatsregie

rung plant, doch nicht macht, verwirft oder auf die Schnelle wieder beschließt. Ein durchdachtes Konzept, das auf nachvollziehbaren Kriterien beruht, zum Beispiel auf Kosten-Nutzen-Rechnungen – weil Sie immer die freie Wirtschaft ansprechen, dort würde nie so vorgegangen wie hier –, ist nach wie vor nicht vorhanden.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Landtagsfraktion hat deshalb schon im November 2003, also vor eineinviertel Jahren, in einem ZehnPunkte-Papier aufgezeigt, an welchen Kriterien eine Reform zu messen ist. Bei all diesen beabsichtigten Maßnahmen sollte vorab zu klären sein, welche Aufgaben künftig überhaupt noch vom Staat zu erledigen sind, wer künftig welche Aufgabe erledigt, welche Auswirkungen eventuelle Verlagerungen auf die angebotene Leistung, auf die Bürgerinnen und Bürger, auf die öffentliche Sicherheit und auf die Beschäftigten haben, wer die Kosten unter Beachtung des Konnexitätsprinzips zu tragen hat und wie hoch die jeweiligen Einsparungen für den Freistaat Bayern sind, wobei eine Kosten-Nutzen-Rechnung vorzulegen ist. Wir wollen, dass das Parlament frühzeitig und ausreichend informiert wird, damit wir mitreden können, damit die Reform nicht über die Köpfe der Beschäftigten hinweg erfolgt.

Fazit nach eineinviertel Jahren: Die Staatsregierung und die CSU hätten gut daran getan, die Forderungen der SPD aufzugreifen und die Mahnungen und Ratschläge der kommunalen Spitzenverbände zu berücksichtigen.

(Beifall bei der SPD)

Ich zitiere aus der „Bayerischen Staatszeitung“ vom 16. Januar 2004:

Bei der Reform von Verwaltungen fordern die kommunalen Spitzenverbände Fingerspitzengefühl und Augenmaß.

Fingerspitzengefühl, Herr Huber.

Der Freistaat soll die Instrumentarien nicht zerstören, die mit hohem Sachverstand, Einsatzbereitschaft und fachlicher Neutralität Garanten für die Erfüllung der wichtigsten Aufgaben des Gemeinwesens sind.

Also das, was den Staat ausmacht. In der Bayerischen Staatszeitung vom 12. November 2004 heißt es: „Die Landräte fühlen sich auf den Arm genommen.“ Ich zitiere Herrn Zellner:

Eine Verwaltungsreform sollte mehr sein als nur eine Behördenzusammenfassung. Statt einer grundlegenden Reform, die auf einer soliden Aufgabenkritik beruht,

auf die wir heute noch warten,

habe im Windhundverfahren ein Gerangel um die Zusammenfassung von Behörden eingesetzt.

Den Montgelas wollten wir eigentlich vergessen, doch nun erlebe der Zentralismus eine Wiederbelebung.

(Jürgen Dupper (SPD): Also eher Mon Chéri!)

Anstatt den Staat vom Kopf auf die Füße zu stellen, also vom Bürger aus zu denken, gehen die CSU und die Staatsregierung den umgekehrten Weg.

So Herr Zellner. Ich sage, diese Bewertung trifft den Nagel auf den Kopf. Dem ist von meiner Seite her nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD)

Anstatt so, wie es die SPD gefordert hat, auf Deregulierung, Dezentralisierung und Delegation, zu setzen, setzen Sie nach wie vor auf Zentralisierung, Zerstörung und Zerschlagung von Strukturen, nicht um die Verwaltung zu reformieren, sondern um einen massiven Personalabbau zu betreiben. Die Reformanstrengungen der CSU sind primär auf Einspareffekte in der Verwaltung durch Abbau von Personal, Zerschlagung von Strukturen und Privatisierung und nicht auf die Steigerung der Effektivität der Verwaltung sowie die Optimierung von Staat und Gesellschaft ausgerichtet. Wir bewerten dieses Vorgehen als anpassende Modernisierung und nicht als Verwaltungsreform im guten Sinne aktiver Politik. Diese Verwaltungsreform ist ein vom Finanzdiktat geprägtes reines Stellenabbauprogramm. Sie haben die 1000 Planstellen erwähnt, die bei den Regierungen abgebaut werden sollen. Ich würde gern von Ihnen erfahren: Wie sieht denn der Aufgabenabbau in diesem Zusammenhang aus? – Das möchten nämlich auch die Regierungen nach über einem Jahr langsam wissen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Huber, Sie kaufen sich doch auch keinen Anzug, der Ihnen erst passt, wenn Sie 20 Kilogramm abgenommen haben.

(Beifall bei der SPD)

Richtig wäre es, erst die künftigen staatlichen Aufgaben zu defi nieren und sich dann den Anzug zu bestellen, der Ihnen eventuell auch passt. Sie haben mit dieser Verwaltungsreform das Pferd von hinten aufgezäumt: Zuerst wurde beschlossen, dann wurde vielleicht ein wenig nachgedacht, auf jeden Fall wurde das Ganze nicht in der Reihenfolge gemacht, in der es gemacht hätte werden sollen. Sie sprechen von einem Dialog mit allen Beteiligten. Sie müssen Dialog irgendwie mit Monolog verwechseln; denn all diejenigen, die von der Sache betroffen sind, fühlen sich nicht beteiligt.

(Beifall bei der SPD)

Die Personalräte sprechen von einem Scherbenhaufen. Die Bayreuther CSU warnt vor einem Pendeltourismus. In der „Süddeutschen Zeitung“ vom 11. November heißt es:

„Herr Huber schafft einen Sündenfall.“ Auf jeden Fall nimmt die Öffentlichkeit den Sachverhalt ganz anders wahr als Sie, Herr Huber. Obwohl der Fraktionsvorsitzende der CSU – jetzt ist er gerade nicht da –

(Zurufe von der SPD: Der ist schon länger nicht mehr da!)

in der „Fränkischen Landeszeitung“ vom 08.10.2004 versprach, es werde jeder Einzelfall genau geprüft und Verlagerungen von Dienststellen sollten keine zusätzlichen Kosten verursachen, waren er und die gesamte CSUFraktion nicht bereit, Kriterien aufzuzeigen bzw. von der Staatsregierung einzufordern, nach denen die Ämterschließungen bewertet werden können. Wenn die CSU im Ausschuss sagt, die Kosten-Nutzen-Analyse bekommt der Arbeitskreis der CSU und der Rest des Parlaments, nämlich die Opposition, kann die Information in mündlichen und schriftlichen Anfragen abfragen, dann zeigt das Ihr parlamentarisches Verständnis.

Was ist das für ein Staatsverständnis? Was ist das für ein Demokratieverständnis? – Das ist eine grobe Missachtung des Parlaments, der Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, die Hand reichen. Was ist das für ein Staatsverständnis, wenn die CSU-Fraktion am 17. November beschließt, wo welche Behörden künftig hinkommen, und dies alles am Parlament vorbei durchgeführt wird? Die CSU ist lang noch nicht das Parlament, auch nicht mit Zweidrittelmehrheit.

(Beifall bei der SPD)

Im Mittelpunkt dieser Beschlüsse stand nicht eine sachgerechte Entscheidung, sondern die Frage, wer bekommt was. Dieses Behördendomino geht nicht nur zulasten der Beschäftigten, sondern auch zulasten der Bürgernähe und vor allem zulasten des fl achen Landes. Aber Sie stellen sich hin und sagen, diese Verwaltungsreform orientiert sich an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger. Sie sagen, die Verwaltung bleibt in der Fläche präsent. Das zeigt einen weiteren Realitätsverlust, weil die Bürgerinnen und Bürger draußen das ganz anders sehen.