Protokoll der Sitzung vom 29.06.2005

Herr Kollege Wahnschaffe hat sich nach § 111 Absatz 4 zu einer Zwischenintervention gemeldet. Dafür stehen zwei Minuten zur Verfügung.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Da Herr Kollege Sailer meine Frage nicht zugelassen hat, muss ich mich in dieser Form zu Wort melden. Herr Kollege Sailer hat nämlich hier behauptet, die Gemeinden entschieden, welcher örtliche Bedarf unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Eltern und ihrer Kinder und des Wahlrechts der Eltern bestünde. So steht das nicht im Gesetz. Im Gesetz steht im Artikel 7 Absatz 1: Die Gemeinden entscheiden, welchen örtlichen Bedarf sie unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Eltern und ihrer Kinder für eine kindgerechte Bildung, Erziehung, Betreuung usw.

Das bedeutet, es liegt allein in der Entscheidung der Kommunen, welchen objektiven Bedarf sie für gegeben erachten. Heute wurde schon darauf hingewiesen, dass dies eine politische Entscheidung ist. Eine reiche Gemeinde wird sagen, dass sie einen großen Bedarf habe, während eine arme Gemeinde nur einen sehr, sehr begrenzten Bedarf feststellen und dann ausweisen wird. Was Sie in dieses Gesetz hineininterpretieren, fi ndet im Gesetz keine Stütze. Das ist typisch für Ihre Argumentation. Das ist auch typisch für Ihre Resolution, auf die ich später noch einmal zurückkommen werde. Sie unterstellen etwas, was überhaupt nicht im Gesetz steht. Wohin sollen sich die Betroffenen wenden, wenn im Gesetz nichts von dem steht, was Sie ihnen suggerieren? –

Das Wort hat Frau Staatsministerin Stewens.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

mache es kurz. Herr Kollege Wahnschaffe, so geht es wirklich nicht! In Artikel 7 „Örtliche Bedarfsplanung“ steht: „Die Gemeinden entscheiden, welchen örtlichen Bedarf sie unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Eltern und ihrer Kinder für eine kindgerechte Bildung, Erziehung und Betreuung anerkennen.“

(Beifall bei der CSU)

Wenn Sie als Jurist nicht wissen, was es bedeutet, dass die Gemeinden unter Berücksichtigung der Bedürfnisse zu entscheiden haben, tun Sie mir wirklich Leid. Hier steckt das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern dahinter. Die Kommune kann sich nicht einfach über die Bedürfnisse der Eltern hinwegsetzen. Nehmen Sie das endlich einmal zur Kenntnis!

(Beifall bei der CSU)

Frau Kollegin Gote, möchten Sie ebenfalls eine Zwischenintervention nach § 111 Absatz 4 der Geschäftsordnung machen? – Bitte sehr.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Kollege Sailer, nur ganz kurz, weil Sie vorhin nicht zugehört haben, als ich von dem Modellprojekt gesprochen habe: Sie behaupten, das Modellprojekt wäre in Bayreuth von allen Gruppen positiv bewertet worden. Ich verweise auf folgende Meldungen: „Eltern und Erzieherinnen kritisieren das Kindergartenprojekt“, „Eltern und Erzieher lehnen Modellprojekt ab“, „Eltern machen ihrem Unmut Luft“, „Eltern und Erzieher lehnen Modellprojekt ab“ und „Geschönte Bilanz“. Außerdem gab es eine Bürgerinitiative gegen dieses Projekt. Hören Sie bitte auf zu behaupten, bei der Erprobung in Bayreuth hätte es keine Kritik gegeben. Diese Kritik ist niemals abgeschwächt und niemals zurückgenommen worden. Vielleicht ist diese Kritik bei Ihnen nicht angekommen. Ich weiß das, weil ich dort lebe und seit drei Jahren mit diesem Thema befasst bin, anders als Sie, die Sie noch von Tuten und Blasen keine Ahnung haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Sailer, nach der Geschäftsordnung haben Sie die Möglichkeit, auf diese Redebeiträge zu antworten. – Das wollen Sie nicht.

Ich fahre dann mit den Wortmeldungen fort. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Ritter.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dieses Gesetz hätte eine Chance sein können. Wir erkennen an, dass dadurch alle Betreuungsformen einbezogen sind. Es hätte aber auch eine Chance für die Ausrichtung an der Lebensrealität der Familien sein können, durch die Formulierung des politischen Ziels, den landesweiten Bedarf besser abzudecken, als das bisher geschehen ist und den Willen, die Versorgung dort sicherzustellen, wo die Kommunen über zu geringe fi nanzielle Leistungsfähigkeit verfügen.

Wir müssen uns die Frage stellen, ob die Staatsregierung und die CSU diese Chance ergriffen haben. Wenn man dieses Gesetz durchliest, muss man feststellen, dass diese Chance nicht ergriffen wurde. Sowohl die Staatsregierung als auch die CSU haben diese Chance vergeigt. Kolleginnen und Kollegen, das vorliegende Gesetz nennt sich Bildungs- und Betreuungsgesetz. Sie wissen, dass die Bildung in der Verantwortung der Länder liegt. Nimmt das Land die Verantwortung, die ihm auf diesem Gebiet obliegt, tatsächlich wahr? – Ich möchte auf den Punkt eingehen, über den gerade Frau Staatsministerin Stewens und Herr Kollege Wahnschaffe diskutiert haben, nämlich die Bedarfsplanung. Die Bedarfsplanung ist die alleinige Aufgabe der Kommunen. Der Freistaat ist daran nicht mehr beteiligt. Wer schon einmal einen Betreuungsplatz für seine Kinder gesucht hat, weiß, welche Bedeutung ein ausreichendes Angebot hat. Der bewusste Verzicht auf die politischen Gestaltungsmöglichkeiten in diesem zentralen Punkt ist meines Erachtens eine echte Katastrophe.

Schauen Sie sich einmal an, wie diese Bedarfsplanung eigentlich gedacht ist. Man kann in das Gesetz und auch in die Begründung des Gesetzes blicken. Dort gibt es einen Punkt zur Bedarfsplanung, und da heißt es: Folgende Fallkonstellationen sind möglich. Bedarfsgerechte Versorgung – Beispiel: Eine Gemeinde hat 20 Kinder im Alter bis zu drei Jahren, die Eltern haben 15 Plätze nachgefragt. Für eine Krippe fehlt das Geld. Daher werden nur die fünf Plätze als bedarfsnotwendig anerkannt, die im Gemeindekindergarten bereitstehen. Das ist bedarfsgerechte Versorgung à la CSU. Im Gesetz kann so viel stehen wie mag – diese Regelungen sind möglich; ein solches Verfahren ist möglich. Das gleiche Beispiel ließe sich durchaus auch mit 10, mit 20, mit 50, mit 100 Nachfragen und nur einem Gastkinderplatz, der in der Nachbargemeinde anerkannt wird, durchspielen. Diese Bedarfsdeckung nach Art der CSU verhöhnt meines Erachtens jene Familien, die händeringend nach einem Betreuungsplatz für ihre Kinder suchen. Weiter!

Artikel 5 Absatz 1 ruft die Kommunen implizit dazu auf, eine Bedarfsplanung nach Kassenlage zu betreiben. Das eben genannte Zitat aus der Begründung liefert dann auch noch das Rechenbeispiel dafür, dass man dann behaupten kann: Was habt ihr denn alle? Wir haben doch eine 100-prozentige Bedarfsdeckung! Statt Verantwortung für die Sicherstellung der Versorgung in klammen Kommunen wahrzunehmen, wählt die Staatsregierung die Verantwortung ab. Die Aufforderung von Herrn Kollegen Unterländer in seiner Rede heute früh an die Kommunen, keine Plätze abzubauen, kann ich eigentlich nur noch rührend nennen – hilfreich ist sie aber nicht.

(Beifall bei der SPD)

Die Maßgaben der Bedarfsfeststellung werden zu einer Ausdünnung des Angebots gerade in strukturschwachen Gebieten führen. Wenn sich zukünftig Familien beklagen, dass in ihrer Gegend eine schlechte Versorgung mit Kindergartenplätzen herrscht, wird sich die Staatsregierung mit einem Fingerzeig auf dieses Gesetz aus der Verantwortung ziehen und den Kommunen den schwarzen Peter zuschieben. Wenn sich Kommunen politisch entscheiden, auch nur annähernd den tatsächlichen Bedarf erfüllen zu

wollen, aber nicht leistungsfähig sind, bietet ihnen die Staatsregierung keine Lösung an. Sie zieht sich aus der Verantwortung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, da stimmen schon die Grundlagen nicht. Der gesamte pädagogische Teil, der gesamte Teil zur Erziehung wird damit zu einem reinen Wortgeklingel. Stellen Sie sich einmal ein Schulgesetz vor, bei dem die Kommunen nach Kassenlage die Zahl der Schulplätze bestimmen könnten.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): So ist es!)

Auch das vorliegende Gesetz ist ein Bildungsgesetz und bedarf einer weitreichenden Planung, die nicht nur den Kommunen allein überlassen werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Die CSU gibt den politischen Gestaltungswillen dort auf, wo er dringendst nötig wäre. Aber: Wenn Plätze durch die Kommunen abgebaut werden, klingelt die Kasse bei Minister Faltlhauser. Die staatlichen Ausgaben sind nicht mehr Ergebnis einer politischen Entscheidung, sondern die staatlichen Zuschüsse richten sich nach den Bedarfsplänen der Kommunen.

Kolleginnen und Kollegen, dies ist kein Bildungs- und Betreuungsgesetz – dies ist ein Gesetz zur Abschiebung von Verantwortung. Die Verfasser sitzen im Finanzministerium; der oberste Pädagoge heißt Staatsminister Huber.

Als Begründung für dieses Gesetz wurde hier öfter das Argument genannt, dass sich die demografi sche Entwicklung verändert. Kolleginnen und Kollegen, ein wirksames Gesetz muss der demografi schen Entwicklung entgegensteuern anstatt sie zu befördern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Man kann dies schon am Beispiel der Gastkinderregelung sehen. Man muss sich nur einmal das Theater vorstellen, das einem ins Haus steht, wenn man einen Platz suchen muss, der nicht im Bedarfsplan festgeschrieben ist, man diesen Platz in einer Nachbargemeinde aber aus berufl ichen Gründen braucht. Natürlich eröffnet das Gesetz Möglichkeiten, in Verhandlungen mit der Kommune zu treten. Der bürokratische Aufwand ist aber immens. Die Verwaltung auf staatlicher Ebene wird möglicherweise abgebaut – für die Eltern, aber auch für die Einrichtungen wird sie dafür größer.

Sehr geehrte Damen und Herren von der CSU, taufen Sie dieses Gesetz doch um in „Kinderbetreuungskosteneinspargesetz“.

(Beifall bei der SPD)

Das macht den Inhalt zwar nicht besser, aber es wäre zumindest ehrlicher.

Der Sparcharakter dieses Gesetzes wird weder in der Gesetzesbegründung noch von den Kolleginnen und Kollegen in den Ausschüssen bestritten. Ich selber habe an der Behandlung im Kommunal- und Verfassungsausschuss teilgenommen. Auch dort kam wieder die alte Leier: Natürlich werden damit auch Kosten reduziert, weil das im Interesse der kommenden Generationen ist. Die Kinder, die heute leben und die heute auf einen Betreuungsplatz angewiesen sind, sind Teil dieser kommenden Generationen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Solche Aussagen sind an Zynismus nicht mehr zu überbieten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir fordern Sie auf: Lehnen Sie dieses Gesetz mit uns ab. Wir brauchen ein Kinderbetreuungs- und -bildungsgesetz, das diesen Namen verdient, weil die Staatsregierung darin auch Verantwortung übertragen bekommt und diese dann wahrzunehmen hat. Wir brauchen ein Gesetz, das politische Handlungsspielräume eröffnet, ein Gesetz, das eine Finanzierung des tatsächlichen Bedarfs auch nur annähernd ermöglicht oder zumindest Wege in diese Richtung aufweist, aber kein Gesetz, das eine Bedarfsplanung nach Kassenlage festschreibt. Zu guter Letzt bräuchten wir dann noch eine Regierung, die auch bereit ist, diese Verantwortung zu übernehmen. Sie sind es nicht. Das ist aber eine andere Geschichte. Sie wird sich noch bis 2008 durch das Plenum ziehen.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Pfaffmann. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Anfang doch noch ein paar Sätze zu dem Umgang der Kolleginnen und Kollegen mit den demokratischen Grundrechten der Eltern und der Kinder sagen, die auf dem Marienplatz versammelt waren. Da stellt sich die Frau Kollegin Dodell hier hin, schimpft auf die Eltern, schimpft auf die Verbände, die sich zusammenschließen, um ihre Meinung zu diesem Gesetz öffentlich kundzutun. Da schreibt Kollege Sibler eine E-Mail an den BLLV; da beschwert er sich, dass der BLLV dieses Gesetz ablehnt; da schreibt er, was die SPD im Landtag veranstaltet, wäre eine Show. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine: Das ist schon bezeichnend für den Umgang der Regierungspartei mit den demokratischen Grundrechten, wenn es um die Verabschiedung eines wichtigen Gesetzes geht.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, mit welcher Kaltschnäuzigkeit von Ihrer Seite agiert wird, ist schon eine Unverschämtheit gegenüber den Kindern und gegenüber den Eltern, die sich nicht mehr anders zu helfen wissen, als auf den Marienplatz zu gehen und zu demonstrieren. Sie sollten das

mit Demut zur Kenntnis nehmen, anstatt sie zu beschimpfen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das geht nach dem Motto: Wer uns nicht unterstützt, wird beschimpft. Was Sie machen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist demokratiefeindlich und spricht eindeutig für einen schlechten Umgang mit Ihrer Zweidrittel-Mehrheit, was wir schon öfter kritisiert haben. Sie sollten mit Ihrer Zweidrittel-Mehrheit etwas verantwortungsbewusster umgehen und sie sich nicht so „heraushängen“ lassen. Das würde Ihnen besser anstehen.

Sie haben auch die Oppositionsparteien kritisiert, weil diese das Plenum heute nutzen, um das Gesetz ausführlich zu kommentieren. Liebe Frau Dodell, Sie sagten, dies wäre die „letzte Reserve“, die die Opposition mobilisiere.

(Bärbel Narnhammer (SPD): Unverschämtheit!)

Wir werden es uns nicht nehmen lassen, in diesem Hause die letzten Reservemöglichkeiten auszunutzen, um auf ein Problem hinzuweisen.

(Beifall bei der SPD)