Protokoll der Sitzung vom 29.09.2005

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das sind die zentralen Zukunftsfaktoren, auf die die Landespolitik einen unmittelbaren Einfl uss hat und die sich ebenso unmittelbar auf die Lebensqualität der Menschen auswirken. Das umso mehr, als sich die Regionen ständig den wirtschaftlichen Aufschwung versprechen, der dann aber leider nicht kommt. Das ganze Gerede von der Wirtschaft im Aufschwung hat den Regionen wirtschaftlich überhaupt nichts gebracht. Nichts, aber auch gar nichts.

Alles, was den ländlichen Raum in Bayern in den letzten Jahren wirtschaftlich vorangebracht hat, haben wir GRÜNEN in Berlin und in Brüssel durchgesetzt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Sackmann, Sie sollten einmal hinausgehen. Fragen Sie die Leute. Wir haben viele Arbeitsplätze gesi

chert und geschaffen. Das ganze Land lebt von den erneuerbaren Energien, von den Umwelttechnologien und von der Förderung unserer Regionalvermarktung. Reden Sie einmal mit den Bauern. Hören Sie sich nicht nur das Geschwätz über die GRÜNEN an, sondern fragen Sie sie einmal nach den schwarzen Zahlen, die sie jetzt schreiben. Die können Ihnen wirklich etwas erzählen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wir haben gegen Sie die gentechnikfreie Produktion gesichert und damit Arbeitsplätze in der bayerischen Landwirtschaft und im Gewerbe gesichert. Wir GRÜNEN haben den ländlichen Raum dezentral und fl ächendeckend gestärkt. Ökologische Politik ist die beste Politik für den ländlichen Raum.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Herrmann – der leider nicht da ist – hat neulich Alfons Goppel mit einem schönen Satz zitiert, an den man in Bayern unter Stoiber leider wieder erinnern muss: „Im Mittelpunkt aller staatlichen Tätigkeit steht der Mensch.“ Wir plädieren dafür, diese Forderung wörtlich zu nehmen. Wir sagen, dass Direktinvestitionen am effektivsten sind. Statt die Landespolitik danach auszurichten, was vermeintlich „der Wirtschaft“ nützt und dem alle Politikfelder unterzuordnen, fordern wir Investitionen, die den Menschen unmittelbar nützen, nämlich Investitionen in Bildung, Soziales, Kultur und in das bürgerschaftliche Engagement.

Diese Investitionen helfen den Menschen sofort und steigern – wie wir aus zahlreichen Untersuchungen wissen – die Chancen wirtschaftlicher Entwicklung. Dann werden die ländlichen Räume wirklich Zukunft haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung für die CSU-Fraktion: Herr Kollege Sailer.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fragestellung, wie attraktiv die Bedingungen für junge Menschen und Familien außerhalb der städtischen Ballungszentren sind, umfasst eine Reihe von verschiedenen Kriterien. Neben Wohnqualität und Arbeitsmarktsituation ist vor allem die Schul- und Ausbildungssituation für junge Menschen sowie die Betreuungsmöglichkeit für Kinder ganz entscheidend. Betrachten wir uns einmal die momentane Situation.

In Bayern gibt es derzeit 6000 Kindergärten. Die Besuchsquote, also wie viele Kinder diese Einrichtungen besuchen, liegt bei fast 100 %. Somit ist auch im ländlichen Raum eine gute Versorgung gewährleistet, da in fast jeder Kommune mindestens eine Einrichtung für die Betreuung von Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren vorhanden ist.

Bei den Grundschulen kann Bayern mit über 2400 Einrichtungen ebenfalls auf eine gute Struktur zurückgreifen.

Sonderpädagogische Förderschulen sind hierbei noch nicht eingerechnet. Dies hat den besonderen Vorteil, dass die Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren heimatnah eine Schule besuchen können. Gleiches gilt für das Angebot an Hauptschulen, von denen es in Bayern fast 1600 Einrichtungen gibt. Flächendeckend befi nden sich in Bayern insgesamt 400 Gymnasien und 340 Realschulen.

Demzufolge gibt es in Bayern kaum einen Landkreis, der nicht mindestens eine Realschule oder ein Gymnasium hat.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das wäre ja noch schöner!)

Des Weiteren gibt es die Möglichkeit, eine gewünschte Schule in einem anderen Landkreis zu besuchen, wodurch ein heimatnaher Schulbesuch jederzeit problemlos möglich ist.

(Susann Biedefeld (SPD): Was ist denn für Sie heimatnah?)

Das erfolgreiche bayerische Schulsystem gewährleistet eine einheitliche und regional unabhängige Schulausbildung bis zur Hochschulreife und darüber hinaus, die mit der bestehenden Struktur gerade auch im ländlichen Raum umfassend und vollständig angeboten wird.

Wenn wir heute den Blick in die Zukunft werfen, müssen wir sehr zeitnah die Weichen für die Betreuung und die schulische Ausbildung unserer Kinder stellen; denn es wird in den nächsten Jahren Faktoren geben, die auf das bestehende System Einfl uss nehmen.

Wir bereits in den letzten Jahren wird es auch zukünftig Verschiebungen innerhalb der allgemeinen Schulausbildung geben. In der aktuellen Schüler- und Absolventenprognose wird davon ausgegangen, dass sich die Zahl der Gymnasialabsolventen leicht erhöhen wird. Dagegen wird die Zahl der Abschlüsse an den Hauptschulen bis zum Jahr 2020 einen leichten Rückgang erfahren. Bei den absoluten Schülerzahlen wird bereits heute mit einer Verlagerung, vorwiegend in berufl iche Schulen, sowie tendenziell von der Hauptschule zur Realschule gerechnet.

Ein weiterer Aspekt ist der demografi sche Wandel. Betrachtet man dabei die Entwicklung der Altersgruppe der Null- bis Neunzehnjährigen, reduziert sich in den nächsten 20 Jahren die Zahl der Menschen dieser Altersgruppe relativ um 13,3 %. In absoluten Zahlen bedeutet das, dass fast 330 000 Kinder und Jugendliche weniger in Bayern leben werden. Bedingt durch den demografi schen Faktor, die demografi sche Entwicklung in den einzelnen Regionen und die Binnenwanderung wird es Regionen geben, die bevölkerungsmäßig zunehmen. Es wird Regionen geben, die ihren Bevölkerungsstand halten können. Es wird aber auch einen Vielzahl von Landkreisen geben, die bis zum Jahr 2020 einen Rückgang der Bevölkerungsstruktur verkraften müssen. Diese Bevölkerungsverschiebung hat wiederum erhebliche Auswirkungen auf die einzelnen Regionen und wird Fragestellungen wie beispiels

weise nach der Familienförderung und der Kinderbetreuung aufwerfen.

In den stark vom Bevölkerungsrückgang betroffenen Regionen wird vermehrt die Frage aufkommen, welche Kindergarteneinrichtungen oder Schulen dauerhaft erhalten werden können. Gerade bei der hohen Anzahl von Kindergärten wird ein Rückgang von Kindern sehr schnell die eine oder andere Einrichtung unter die Wirtschaftlichkeitsgrenze bringen.

Mit dem Kindertagesstättengesetz wurde der richtige Weg eingeschlagen. Durch die Öffnung der Kinderkrippen für die Null- bis Dreijährigen und der Kinderhorte für die Sechs- bis Zehnjährigen können die heutigen Kindergärten die erforderliche Auslastung erzielen. Zugleich wird das Betreuungsangebot ausgeweitet, das vorwiegend jungen Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht. Dies ist ein wichtiger Standortfaktor.

Bei den Schulen ist eine Ausweitung der Altersstruktur nicht möglich. Dort muss aber über neue Konzepte nachgedacht werden, um beispielsweise die Hauptschulen noch attraktiver und praxisbezogener zu machen. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, die bestehende Schulinfrastruktur im ländlichen Raum nach Möglichkeit zu erhalten und die Qualität der Schulausbildung stetig zu verbessern. Der Politik kommt dabei eine sehr wichtige Aufgabe zu. Gerade in ländlichen Regionen müssen die Rahmenbedingungen für die schulische Aus- und Weiterbildung dauerhaft gesichert sein.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen: Der ländliche Raum hat wegen der demografi schen Entwicklung keineswegs die schlechteren Karten, sondern sehr gute Chancen, ein guter Standort für Familien zu sein, die Schulbildung zu verbessern, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten sowie weiterhin eine gute Wohn- und Lebensqualität zu bieten.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Lück.

Frau Präsidentin, werte Kollegen, werte Kolleginnen! Sie haben heute ein Thema aufgegriffen, das natürlich von herausragender Bedeutung ist und daher sehr viel Sorgfalt verlangt hätte. Dieses Thema hat es nicht verdient, im Rahmen einer Aktuellen Stunde abgehandelt zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Meinung sind im Übrigen auch viele Kollegen aus Ihrer Fraktion. Selbst Herr Minister Miller hat sich gestern darüber gewundert, wer wohl auf diese Idee gekommen ist. Das Aufgreifen dieses Themas erstaunt umso mehr, als Bayern auf diesem Feld nicht gerade ein Vorbild ist; denn Sie haben die Grundlagen für diese herausragenden Aufgaben massiv eingeschränkt. Frau Kollegin Biedefeld hat darauf bereits hingewiesen. Diese Einschränkung erfolgte sowohl in fi nanzieller Hinsicht als auch durch die überstürzt eingeführte und nicht hinreichend durchdachte

Verwaltungsreform, die bereits für die Land- und Forstwirtschaft negativ zu Buche schlägt.

(Beifall bei der SPD)

Gestern wurde der neue Präsident der Landesanstalt für Landwirtschaft in sein Amt eingeführt. Dabei wurde vieles beschworen, was wir immer wieder gefordert haben. Dazu gehört insbesondere, dass wir die Lehre und Forschung im Agrarbereich nicht vernachlässigen dürfen, sondern wenigstens auf dem Niveau halten müssen, das den guten Ruf von Weihenstephan begründet hat. Wir müssen beachten, was jeder Geschäftsmann und jeder vernünftige Mensch – insbesondere auch Politiker und Politikerinnen – für einen sinnvollen Ablauf, gerade bei Neu- und Umorganisationen für notwendig halten:

Erstens ein Ziel defi nieren, zweitens den Ist-Zustand zu analysieren, das heißt, alle Aufgaben, die die Betroffenen derzeit wahrnehmen, aufzulisten und dann zu analysieren, ob etwas gestrichen werden kann, ob es in einer anderen Konstellation schneller und kostengünstiger gemacht werden kann. Erst dann handelt man sinnvollerweise gezielt und schnell.

Sie haben dies nicht so gemacht, sondern gesagt: Wir reformieren; alles andere wird sich fi nden. Wir kennen nun die Auswirkungen. Wir haben jetzt die Situation, dass zum Beispiel die Landwirtschaft in den Bezirksregierungen nicht mehr vertreten ist, die die Lebensraumgestaltung im Blick haben. Jetzt muss man bitten, wie dies gestern geschah, dass die landwirtschaftlichen Belange nicht vergessen werden. Ländliche Entwicklung ohne die enge Einbeziehung unserer Bauern ist schlicht töricht und für meine Begriffe unmöglich.

(Beifall bei der SPD)

Das Schlagwort: „Bottom-up“ ist aus Ihrem Sprachgebrauch nahezu verschwunden. Genau das ist aber der Punkt, auch wenn wir dies auf Deutsch sagen können: nämlich Betroffene zu Beteiligten zu machen. Dies gilt in gleichem Maße auch für die Beamten in den Verwaltungen; denn nur dann, wenn sie einbezogen statt demotiviert werden, kann etwas gelingen, was wir alle wollen. Die massive Verringerung gerade der Landwirtschafts- und Waldwirtschaftsberatungs- und -ausbildungsangebote trägt dem Ziel der ländlichen Entwicklung, der Stärkung der ländlichen Räume nicht Rechnung. Das ist kontraproduktiv.

(Beifall bei der SPD)

Das haben wir mehrfach dargestellt. Ich muss schon sagen: Insbesondere ärgert mich, dass Sie immer das Hohe Lied der Landwirtschaft singen, den Bauern die Ohren vollsäuseln und ihnen dann, wenn es ums Geld geht, ordentlich ins verlängerte Kreuz treten.

(Beifall bei der SPD)

Für mich ist es Zynismus pur, wenn Sie die Entwicklung der ländlichen Räume als notwendig bezeichnen, gleich

zeitig aber alle fi nanziellen Hilfen, alle Programme, die positiv greifen müssten und könnten, teils extrem gekürzt haben: die Dorferneuerung – unbestritten wohl nach wie vor eine sehr wichtige Maßnahme für den gesamten ländlichen Raum – um ein Sechstel, das KULAP-A-Programm um über ein Drittel, das Agrarmarketing um rund ein Viertel, obgleich es gerade hier große Herausforderungen, vor allem aber auch Chancen für den ländlichen Raum insgesamt gibt, für Arbeitsplätze in den vor- und nachgelagerten Bereichen der Landwirtschaft, für den Export. Trotzdem haben Sie gekürzt. Das bedeutet das Aus für kleinere Messen und somit auch für manchen Export.

Wie also wollen Sie die ländlichen Räume stützen? Wie soll das so notwendige Agrarmarketing verstärkt werden? Beim Tourismus, der ebenfalls nicht wegzudenken ist, haben Sie um ein Viertel gekürzt. Sie sprechen von Förderung – Sie sollten lieber von Restchenförderung und Fleckerlteppich sprechen und davon, dass Ihre Politik für den ländlichen Raum von der Hoffnung getragen ist, dass Berlin und Brüssel die notwendigen Mittel stellen.

Ja, wir müssen für diesen Bereich eine grundsätzliche, grundlegende Debatte über Fragen und Ziele einer künftigen Agrar- und ländlichen Entwicklungspolitik führen, aber nicht Hoppla Hopp in einer Aktuellen Stunde, sondern ausführlich, umfassend und zielführend.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Pschierer. Bitte schön, Herr Kollege.