Protokoll der Sitzung vom 29.09.2005

Auch die Landespolitik muss den ländlichen Raum auf der Tagesordnung haben. Die CSU hat das schon immer so gesehen. Dabei ist es wichtig, realistisch in die Zukunft zu blicken. Der Geburtenrückgang ist eine Tatsache, an der wir einfach nicht vorbeikommen. Wir werden in vielen Regionen einen Bevölkerungsrückgang verzeichnen, selbst wenn Menschen in diese Regionen ziehen.

Eine solche Entwicklung können wir aber abmildern. Ich denke zum Beispiel daran, dass attraktive Arbeitsplätze für gut qualifi zierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geschaffen werden müssen. Ich denke daran, dass es wichtig ist, preisgünstiges und attraktives Wohnen für Familien zu ermöglichen. Dies alles kann gerade im ländlichen Raum geschehen.

Sofern es uns nicht gelingt, den demografi sch bedingten Bevölkerungsrückgang durch Zuzug zu kompensieren, müssen aus den Regionen Konzepte entwickelt werden, um der verbleibenden Bevölkerung dennoch Zukunftsperspektiven zu bieten.

Positive Ansätze dazu sehe ich in der Landespolitik, und zwar in erster Linie in den Bereichen Wirtschaft und Beschäftigung. Wir können die erfolgreiche bayerische Cluster-Politik fortsetzen. Ich denke, Herr Staatsminister Miller, beispielsweise, an die Kabinettssitzung dieser Woche, wo es um den Cluster Holz ging. In diesem

Zusammenhang können gerade im ländlichen Bereich neue Aktivitäten ergriffen werden. Das gilt auch für kleine Betriebe. Denn es ist ein Bereich, der für uns ganz besonders wichtig ist.

Weiter denke ich an die Bildungspolitik. Ausbildung und Qualifi zierung der Menschen sollten möglichst vor Ort stattfi nden. Hochqualifi zierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im ländlichen Raum ein wichtiger Standortfaktor.

Darüber hinaus sollten wir uns überlegen, wie wir beispielsweise ein „Bayern regional“ oder wie es auch immer genannt werden möge, schaffen sollten. Bei diesem Konzept sollen alle Maßnahmen und Ideen vernetzt werden. Es muss nicht immer alles neu erfunden werden, sondern man kann sich gegenseitig unterstützen. Man muss darstellen, wo Initiativen erfolgreich ergriffen worden sind und wo man sie weiter umsetzen und Bewährtes nützen kann.

Perspektiven sehe ich vor allem auch im gesamten Bereich der öffentlichen Infrastruktur. Der Ausbau der Verkehrs- und der Kommunikationsinfrastruktur ist dabei für mich aber nur ein Schwerpunkt. Der ländliche Raum – das sollten wir immer wieder deutlich sagen – darf bei der Daseinsvorsorge, beim Wohnungsbau und bei den sozialen Einrichtungen nicht hintangestellt werden.

Einen positiven Akzent gab es in den letzten Wochen bei unserer Diskussion zum Kindergartengesetz. Auch in diesem Zusammenhang haben wir auf die Bedürfnisse der ländlichen Räume ein besonderes Augenmerk gelegt. Ansprechen möchte ich natürlich auch die medizinische Versorgung.

Angesichts der vor uns liegenden Aufgaben steht für uns ganz besonders der Mensch im Vordergrund. Die Zukunftsperspektiven unserer Kommunen und Regionen hängen immer stärker davon ab, ob wir den Menschen erfolgreich in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen. Denn nur dadurch können wir die Attraktivität der Regionen erhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eingangs erwähnt, dass die Menschen in Bayern nach dem Krieg trotz eines dramatischen Strukturwandels und einer schwierigen geopolitischen Lage ihre Chancen bestens genutzt haben. Heute haben wir wieder einen so schwierigen Strukturwandel und darüber hinaus die Herausforderung der Globalisierung zu meistern. Wenn wir unsere Chancen sehen wollen, dürfen wir nicht nur auf die Risiken schauen. Wenn wir die Möglichkeiten des ländlichen Raums nutzen und das Beste daraus machen, dann haben wir die richtigen Chancen. Wir von der CSU-Landtagsfraktion werden den ländlichen Raum ganz besonders in den Mittelpunkt stellen. Wir werden die bisherige Arbeit auf diesem Gebiet fortsetzen. Sie war und ist eine Erfolgsbilanz für Bayern.

(Anhaltender Beifall bei der CSU – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Wie viele Mittelpunkte habt ihr denn?)

Vielen Dank, Herr Kollege Sackmann.

Für die SPD-Fraktion darf ich Frau Kollegin Biedefeld das Wort erteilen. Auch für Sie wurden zehn Minuten beantragt.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Landtagsfraktion begrüßt die Initiative der CSU-Fraktion, das Thema ländlicher Raum aufzugreifen und im Hohen Haus des Bayerischen Landtags zu behandeln. Aber ich sage Ihnen auch, Kolleginnen und Kollegen der Mehrheitsfraktion: Eine Aktuelle Stunde von circa 90 Minuten mit Wortbeiträgen von fünf bis zehn Minuten reicht nicht aus.

Auch Ankündigungen und Beschwichtigungen reichen nicht aus. Auch Schönreden nutzt nichts, wenn wir den ländlichen Raum wirklich stärken wollen, was unseres Erachtens unerlässlich ist.

Der ländliche Raum kann in der Tat zu einem „Raum mit Zukunft“ werden. Darin stimmen wir überein. Doch von nichts kommt nichts, auch das muss man klar herausstellen.

(Beifall bei der SPD)

Es reicht genauso wenig aus, hier große Reden zu schwingen oder hehre Grundsätze und Ziele zum Beispiel in einem „Landesentwicklungsprogramm Bayern“ festzuschreiben; Papier ist geduldig. All das reicht für den ländlichen Raum nicht, denn es bedarf auch der tatsächlichen Umsetzung dieser Worte oder zum Beispiel der Umsetzung eines „Landesentwicklungsprogramms Bayern“, in dem sehr viele gute und positive Ansätze stehen, um den ländlichen Raum wirklich zu entwickeln und zu stärken. Nur: Im Landesentwicklungsprogramm steht auch klar der Haushaltsvorbehalt, und das ist Ihr Problem – auch das der CSU-Fraktion. Das muss sich ändern.

Ich bleibe noch beim LEP, weil es wirkliche eine gute Grundlage dafür ist, über die Stärkung des ländlichen Raums zu reden. Der LEP wurde 1976 erstmals aufgestellt, seitdem dreimal, nämlich zunächst 1984 und 1994, und 2003 – nach drei Jahren Überarbeitungszeit – fortgeschrieben. Sie haben von 2000 bis zum 1. April 2003 drei Jahre gebraucht, um diese Fortschreibung hinzubringen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Respekt!)

Doch diese Fortschreibung gilt nicht, weil wir jetzt wieder einen Entwurf einer Gesamtfortschreibung des Landesentwicklungsplans vorliegen haben. Wir brauchen nach zwei Jahren keine Gesamtfortschreibung eines Landesentwicklungsplans, sondern – auch im Interesse des ländlichen Raums – die Umsetzung dieses Landesentwicklungsprogramms.

(Beifall bei der SPD)

Sowohl im alten LEP als auch im Entwurf für die Fortschreibung heißt es:

Es ist anzustreben, den ländlichen Raum als eigenständigen, gleichwertigen Lebens- und Arbeitsraum zu bewahren und im Sinne der nachhaltigen Raumentwicklung weiterzuentwickeln.

Das klingt wirklich gut, und genau das sollte die Zielsetzung sein. Aber von diesem Ziel und von dieser angeblichen Erfolgsgeschichte sind wir leider weit weg. Wir beobachten dies alle. Wenn wir ehrlich sind – auch Herr Kollege Sackmann hat dies schon angedeutet –, sind wir von diesem Ziel nicht nur weit weg, sondern entfernen wir uns von diesem Ziel zusehends, und das hat mehrere Gründe: Strukturwandel, Auswirkungen der EU-Osterweiterung, Globalisierung insgesamt, rapider Wandel in Wissenschaft und Technik, Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft, sowie die demografi sche Entwicklung als eine der größten Herausforderungen. All dies macht erst recht nicht vor dem ländlichen Raum halt. Aber diese Aspekte allein sind es nicht; denn es kommt ein wichtiger Punkt hinzu – Herr Kollege Sackmann, dazu haben Sie kein Wort gesagt –, nämlich dass die positive Entwicklung im ländlichen Raum absolut ins Stocken geraten ist und sogar ins Negative gerät. Das ist maßgeblich auf Ihre Haushaltspolitik und auf den Kürzungswahn der CSU-Staatsregierung zurückzuführen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CSU)

Da geht es um Stoibers persönliche Ambitionen: CSU nicht näher am Menschen, näher am Stoiber.

(Heiterkeit bei der SPD – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Herr Stoiber kommt jetzt gleich in einen besonderen Mittelpunkt!)

Da wird für Stoibers persönliche Ambitionen unter dem allein selig Diktat eines ausgeglichenen Haushalts 2006 auch der ländliche Raum entsprechend geopfert. Erst opfert Stoiber das Land und dann den ländlichen Raum mit Kürzungen und Kürzungen, die speziell auch unseren ländlichen Raum und unsere Regionen betreffen, Kürzungen zum Beispiel bei der Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, bei den Leistungen nach dem ÖPNVGesetz, bei den Zuwendungen für den kommunalen Straßenbau, beim Staatsstraßenbau, beim Ehrenamt, zum Beispiel bei der Förderung des Sportwesens, bei den Mitteln für die Kinderbetreuungseinrichtungen. Das Bayerische Kindertagesstättengesetz wirkt sich also auf den ländlichen Raum nicht positiv sondern negativ aus.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben ferner Kürzungen bei der Schülerbeförderung, bei der Jugendarbeit, bei den Museen, Theatern, Fachhochschulen und Universitäten. Ihre Haushaltspolitik ist eine radikale Streichpolitik auf dem Rücken des ländlichen Raums.

(Beifall bei der SPD)

In dem Informationsblatt „Daten, Fakten und Ziele“ des damals für das LEP zuständigen Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen“ im April 2003 heißt es unter der Überschrift „LEP“: Bilanz positiv. Darin steht:

So hat der ländliche Raum hinsichtlich der Lebensqualität gegenüber den Verdichtungsräumen weitestgehend aufgeholt. Teilweise übertrifft er diese sogar. Ersichtlich wird dies unter anderem in einer landesweit modernen und hochwertigen Infrastruktur und in einer relativ ausgewogenen Bevölkerungsentwicklung.

„Ausgewogene Bevölkerungsentwicklung“, darüber kann ich nur lachen. Schauen wir uns doch in Oberfranken einmal die Bevölkerungsentwicklung an. Ich kann nur sagen: Träumen Sie weiter. Rechnen Sie und reden Sie alles schön, so stärken Sie den ländlichen Raum nicht hin zu einem Raum mit Zukunft.

Ich komme weiterhin auf das LEP zu sprechen. Wir möchten den Landesentwicklungsplan wirklich nur umsetzen. Dort heißt es:

Die für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Infrastruktureinrichtungen sollen unter Beachtung der sich abzeichnenden Änderungen bei der Bevölkerungsentwicklung, Altersstruktur und Konsumverhalten insbesondere in den zentralen Orten vorgehalten und, so weit erforderlich, ausgebaut werden.

Tun Sie es doch. Es steht drinnen, Sie haben es doch selber aufgeschrieben, und es wurde hier im Bayerischen Landtag beschlossen. Tun Sie es doch. Mit Ihrer Kürzungsorgie erreichen Sie genau das Gegenteil, wenn es zum Beispiel um maßgebliche Infrastruktureinrichtungen im ländlichen Raum geht.

(Beifall bei der SPD)

Mit Blick auf die Wirtschaftsstruktur heißt es im LEP zum Beispiel:

Bei Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur, der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und des Arbeitsplatzangebotes soll darauf hingewirkt werden, dass vielseitige Arbeitsplätze auf sekundärem und tertiärem Sektor, insbesondere auch in den neuen Branchen der Informations- und Kommunikationstechnologie geschaffen werden. Die für die Festigung der klein- und mittelbetrieblichen Wirtschaftsstruktur erforderlichen Rahmenbedingungen sollen gesichert und verbessert werden.

Tun Sie es doch. Sie brauchen es nur umzusetzen. Sie haben es selbst aufgeschrieben, vorgegeben und im Landtag beschlossen. Tun Sie es doch endlich.

(Beifall bei der SPD)

Ein anderes Beispiel ist das Thema Erholung. Auch hier heißt es im LEP unter der Überschrift „Ländlicher Raum“:

Die wohnortnahen Einrichtungen für die Erholung der ortsansässigen Bevölkerung sollen gesichert und weiter ausgebaut werden.

Ich kann auch hier wiederum nur sagen: Tun Sie es doch. Mit Ihrer Kürzungsorgie erreichen Sie nachweislich genau das Gegenteil. Es gibt viele Kommunen, die Hallen- und Schwimmbäder schließen müssen, weil sie sie nicht weiter betreiben können. Es gibt viele Kommunen, die Museen und Büchereien nicht weiter betreiben können und daher schließen müssen. Im ländlichen Raum passiert nachweislich genau das Gegenteil von dem, was Sie hier sagen.

Ein weiteres Beispiel ist der öffentliche Personennahverkehr. Auch hier zitiere ich aus dem LEP:

Das Netz des öffentlichen Personennahverkehrs soll erhalten und unter Einsatz spezifi scher Angebotsformen als Alternative zum motorisierten Individualverkehr weiter ausgebaut werden.

Tun Sie es doch. Mit Ihrer Kürzungsorgie erreichen Sie nachweislich auch hier genau das Gegenteil. Wir haben viele Herausforderungen.

(Beifall bei der SPD)