Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Sibler.

(Anhaltende Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Einen Augenblick bitte, Herr Kollege Sibler. – Wenn wir wieder einigermaßen Ruhe haben, gebe ich Ihnen das Mikrophon frei. – Bitte, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Bilder von den Unruhen und den jungen Menschen in Frankreich haben uns alle sehr bewegt. Selbstverständlich müssen wir in Bayern alles daran setzen, dass uns und vor allem unseren Bürgerinnen und Bürgern solche Krawalle erspart bleiben, und dass wir letztlich auch die jungen Menschen, die diese Dinge begehen, vor Straftaten schützen. Diesen Aspekt sollten wir mit bedenken. Wir haben in der Tat auch schon in Bayern sehr viele Maßnahmen zur Integration auf den Weg gebracht,

auf die wir verweisen können. – Sehr geehrter Herr Dürr, wir stehen hier wahrlich nicht am Anfang und nicht am Nullpunkt.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Sie stehen bei minus 1!)

Sie haben einmal mehr ein völlig falsches Bild gezeichnet. Die SPD schreibt selber in der Begründung ihres Antrags, dass Bayern nicht unmittelbar mit Frankreich zu vergleichen ist. Thomas Kreuzer hat die koloniale Vergangenheit Frankreichs in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellt. Ich empfehle allen, den Artikel auf Seite 3 der „Süddeutschen Zeitung“ von gestern zu lesen, wo das sehr intensiv dargestellt worden ist. In der Tat haben wir in Bayern, auch wenn wir diesen Bereich nicht immer von Kürzungen ausnehmen konnten, zusammen mit den Kommunen eine Vielzahl von Aktivitäten entwickelt, die präventiv und integrierend wirken und schon lange vielfältige positive Ergebnisse zeigen. Da werden bayerische Verhältnisse allenfalls noch besser, Herr Dürr.

Lieber Herr Förster, diese Maßnahmen stehen halt nicht nur im Jugendprogramm der Staatsregierung, denn darauf beschränkt sich Ihr Antrag ja im Wesentlichen. Sie sind vielmehr an vielen Punkten im Haushalt zu fi nden. Integration kann zunächst nur über Sprache gelingen. Wer die Sprache eines Gastlandes nicht spricht, der kann nicht an der Kultur und an dem Leben eines Landes teilnehmen. Hier entstehen dann zwangsläufi g solche Parallelgesellschaften, die im Antrag der CSU auch sehr deutlich dargestellt sind.

Das Sozial- und das Kultusministerium haben dankenswerterweise dazu eine wichtige Aktivität gestartet, nämlich die Sprachförderung im Kindergarten, die verhindern soll, dass Kinder mit mangelhaften Deutschkenntnissen in die Grundschule eingeschult werden und dort – fast zwangsläufi g – scheitern. Dies wäre eine frühe und sicherlich sehr prägende Misserfolgserfahrung für diese Kinder. Das Projekt läuft in diesem Jahr noch auf freiwilliger Basis. Dennoch nehmen daran schon jetzt über 6500 Kinder in über 700 Kursen teil.

Wir haben 215 Sprachlernklassen mit über zweieinhalbtausend Schülerinnen und Schülern. Wir haben mehr als 150 Übergangs- und Einstiegsklassen mit mehr als 2200 Schülerinnen und Schülern. Förderunterricht, zweisprachige Klassen und ähnliche Projekte laufen bereits. Frau Kollegin Görlitz hat mich gerade darauf aufmerksam gemacht, dass diese Projekte im Landkreis Pfaffenhofen bereits fl ächendeckend laufen, was auch für das Projekt „Mama lernt Deutsch“ gilt. Mit diesem Projekt werden auch die Mütter herangezogen, um Deutsch zu lernen. Diese Mütter dürfen vielfach von ihren Familien aus nicht Deutsch lernen. Wir müssen deshalb diesen wichtigen Ansatz weiterverfolgen.

Die SPD ist mittlerweile beim Thema Sprachförderung vom Saulus zum Paulus geworden. Wurde früher in Ihren Reihen immer wieder einmal von der „Zwangsgermanisierung“ gesprochen, unterstützen Sie heute dankenswerterweise die Deutschförderung. Dieses Damaskus-Erlebnis sollten Sie häufi ger haben. Noch mehr würde ich mir das

für die GRÜNEN wünschen, die diese Maßnahmen als Rückschritt dargestellt haben. Ich sehe darin einen Rückschritt bei den GRÜNEN. Die grüne Multikulti-Ideologie hat bei der Sprachförderung nicht weitergeholfen. Die Multikulti-Gesellschaft ist gescheitert.

(Beifall bei der CSU)

Über den Bayerischen Jugendring hat Bayern zahlreiche Initiativen mitfi nanziert. Sicherlich wäre auch hier mehr Geld wünschenswert. Herr Kollege Dr. Förster, für die Sache ist es aber wirklich nicht förderlich, wenn der Teufel an die Wand gemalt wird, wie Sie das in Ihrer Presseerklärung vom 7. November getan haben. Sie zeichnen darin ein Bild von regelmäßiger Diskriminierung.

Herr Kollege Sibler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Ritter?

Herr Kollege Sibler, ich wollte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass die momentanen Probleme der Jugendlichen in Frankreich keine Sprachprobleme sind. Was haben diese Ausführungen, die Sie hier tätigen, mit der Situation in Frankreich zu tun?

Bitte, Herr Kollege Sibler.

Ich darf den Fragenden darauf aufmerksam machen, dass der SPD-Antrag auf die bayerischen Verhältnisse abhebt. Deshalb wollte ich die bayerischen Verhältnisse darstellen. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Tatsache, dass wir Sprachförderung betreiben.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von den GRÜNEN: Vorhin hat er etwas anderes erzählt!)

Herr Kollege Kreuzer hat zu Recht dargestellt, dass neben den Integrationsleistungen rechtsstaatliche Mittel wichtig sind, um in Bayern und Deutschland Sicherheit zu gewährleisten. Beides muss im Einklang stehen.

Ich möchte die Maßnahmen des Bayerischen Jugendrings nur kurz anreißen: Multi Action – aber wie!“ ist ein Projekt, das anläuft. Die Deutsche Jugend des Ostens, ein traditionelles und langjähriges Mitglied des Bayerischen Jugendrings, widmet sich vor allem den jugendlichen Aussiedlern. Die Projekte des Sozialministeriums sind angesprochen worden.

Für die Jugendsozialarbeit stehen 4,8 Millionen Euro aus dem Kinder- und Jugendprogramm und 700 000 Euro aus dem Sozialmarktfonds zur Verfügung. Der Freistaat Bayern schöpft 53,3 Millionen Euro aus dem ESF für diese Aufgabe ab. Wir haben bereits 88 Stellen für die Jugendsozialarbeit an Schulen. Das ist ein guter Anfang. Selbstverständlich müssen wir dabei weitergehen. 350 Stellen sind das Ziel.

Frau Staatsministerin Stewens, das Programm „Fit for Work“ ist außerordentlich wichtig. Der Bayerische Landtag

und die Bayerische Staatsregierung haben mit dazu beigetragen, dass die Jugendarbeitslosigkeit abgemildert wird. Gott sei Dank haben wir in Bayern Zahlen, die wir im Bundesvergleich herzeigen können.

Herr Kollege Dr. Förster, die Enquete-Kommission, die wir lange vor den Krawallen mit einer interfraktionellen Antragsinitiative auf den Weg gebracht haben, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls zu nennen. Dort diskutieren wir deutlich und tiefgehender, als das die Kollegen Dr. Förster und Dr. Dürr heute hier getan haben. Ihre Presseerklärung ist vor diesem Hintergrund nicht gelungen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang die aktive bayerische Vereinswelt hervorheben. Hier hat sich der Freistaat Bayern mit entsprechenden Fördermaßnahmen intensiv eingebracht und beteiligt. Ich nenne als Beispiele nur die Sportvereine und die Jugendgruppen. Die Menschen dort leisten über ihr gemeinsames Interesse hinaus einen wichtigen Beitrag zur Integration. Hier wurden niederschwellige Angebote geschaffen. Dass das in Bayern gut funktioniert, hat vor wenigen Jahren eine Studie des kriminologischen Instituts in Hannover nachgewiesen. Prof. Dr. Pfeiffer, der einmal SPD-Justizminister in Niedersachen war, hat diese Studie erarbeitet und dieses positive Ergebnis für Bayern vermerkt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen die Ereignisse in Frankreich sicher sehr ernst nehmen. Neben den vielfältigen Angeboten und Maßnahmen, die ich aufgezeigt und dargestellt habe, muss der Staat auch deutlich machen, dass er Gewalt und rechtsfreie Räume nicht akzeptiert. An die Regeln eines Gemeinwesens muss man sich schon halten. Deshalb unterstreicht der Antrag der CSU-Fraktion den bisherigen konsequenten Weg Bayerns, der ohne Zweifel richtig ist. Der Antrag der SPD bringt alte fi nanzielle Forderungen quasi durch die Hintertür wieder heran und wird der schwierigen Sachlage nicht gerecht. Der GRÜNEN-Antrag – mein Gott, was soll man dazu schon sagen? Sie bezeichnen die doppelte Staatsbürgerschaft als die Lösung. Sie nehmen die Ängste und Sorgen der einheimischen Bevölkerung nicht ernst und stellen sich damit ein Armutszeugnis aus.

(Beifall bei der CSU – Johanna Werner-Muggen- dorfer (SPD): Sie müssen sich selber an der Nase nehmen! Bei den Aussiedlern nehmt ihr die Probleme auch nicht ernst!)

Integration muss konsequent weitergeführt werden. Allerdings gibt es zwei Seiten von Integration. Die eine Seite betrifft diejenigen, die integrieren, und die andere Seite diejenigen, die integriert werden sollen. Diese zwei Seiten werden im Antrag der GRÜNEN völlig übersehen. Wir müssen hier konstruktive Wege gehen.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Volkmann ist bereits ans Rednerpult geeilt. Bitte schön, Herr Kollege.

(Dr. Linus Förster (SPD): Ihn treibt es! Er muss es rauslassen!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich kurz einer Legendenbildung vorbeugen: Herr Dr. Beckstein, Sie haben ein Verdienst beim Zustandekommen des Zuwanderungsgesetzes. Sie tun aber immer wieder so, als wäre die Forderung nach deutschen Sprachkenntnissen und nach Integrationskursen auf Ihrem Mist gewachsen. Das ist schlichtweg nicht wahr. Ich weise darauf hin, dass § 9 Absatz 2 Nummern 7 und 8 im ersten Entwurf genauso wie die Integrationskurse gestanden haben. Das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD – Staatsminister Dr. Günther Beckstein: Die Frage der Zwangsmaßnahmen nicht!)

Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass ich es für löblich halte, dass Sie Integrationskurse und Sprachkurse im Kindergarten und in der Schule anbieten. Sie haben sich auch auf das Projekt „Mama lernt Deutsch“ berufen. Vergessen Sie aber bitte nicht: Mit diesem Problem haben Sie unsere Gemeinden jahrelang, teilweise jahrzehntelang, allein gelassen. Wenn Sie diese Projekte jetzt durchführen, ist das ein Fortschritt. Tun Sie aber bitte nicht so, als wenn das auf Ihrem eigenen Mist gewachsen wäre.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, damit komme ich zu Ihrem Antrag. Zunächst möchte ich einmal sagen, dass in diesem Antrag einige erfreuliche Dinge enthalten sind, bei denen zwischen uns Konsens besteht. Ich möchte gerade bei diesem Thema versuchen, einen Konsens herzustellen. Das betrifft erstens die Feststellung, dass wir Integration fördern und fordern müssen. Das ist gar keine Frage. Die Sprachkompetenz ist wichtig und eine selbstverständliche Voraussetzung für die Integration. Darüber sollten wir uns nicht mehr streiten. Wir sollten uns auch nicht mehr darüber streiten, dass die Einhaltung und Anerkennung unserer zentralen Werte, nämlich das friedliche Zusammenleben und die Achtung der Menschen anderer Religionen, aus anderen Kulturen und anderer Herkunft wichtig sind. Das schreiben Sie auch in Ihrem Antrag.

Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass sich die Sozialdemokratische Partei schon im 19. Jahrhundert – vor weit mehr als 100 Jahren – für das Frauenwahlrecht und für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen eingesetzt hat. Deshalb brauchen wir uns bei diesem Thema überhaupt nichts vorhalten zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte jetzt zwei Punkte Ihres Antrags etwas sezieren, weil ich den Eindruck habe, dass sich in Ihrer Fraktion langsam, aber doch erkennbar, ein Wandel vollzieht. Jedenfalls ist das Ihrer Formulierung zu entnehmen. Sie sprechen in der zweiten Spalte Ihres Antrags von „Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund“. Diese Formulierung ist für mich neu. Sie ist aber nicht eindeutig. Entweder meinen Sie mit „Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund“ nur diejenigen, die einen deut

schen Pass haben, oder Sie meinen die Migranten mit einem gesicherten Bleiberecht. Das wäre auch eine Interpretation.

Wenn Sie nur die erste Alternative meinen, die Migrantinnen und Migranten mit deutscher Staatsangehörigkeit, wäre es geradezu peinlich, denn das würde bedeuten, dass Sie von 95 bis 98 % der Betroffenen etwas einfordern, was diese schon lange erbracht haben. Wir haben doch zahlreiche Zuwanderer, die bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und bei denen die Integration überhaupt keine Probleme macht. In Anbetracht der vielen Millionen, die hier eingewandert sind, haben wir diese Probleme nur bei relativ kleinen Gruppen.

Wenn dagegen die legal und dauerhaft hier Lebenden damit gemeint sind, wäre es ein echter Fortschritt. Falls Sie sich bei der Abfassung Ihres Antrags noch nicht über diese differenzierte Auffassung im Klaren waren, empfehle ich Ihnen, Ihren Antrag entsprechend der Zielsetzung der Integration von Migrantinnen und Migranten zu interpretieren.

Sie haben an einer weiteren Stelle etwas sehr Interessantes formuliert. Sie haben gesagt, die Bereitschaft zur Integration bedeute dabei nicht, dass die eigenen kulturellen oder religiösen Wurzeln verleugnet werden. In meinen Augen ist das auch neu. Es wäre erfreulich, wenn Sie das ernsthaft so meinen, denn Sie sprechen in diesem Antrag nicht mehr von Assimilation. Ich darf daran erinnern, Frau Stewens, dass bei dem am 1. Oktober 2004 von Ihnen imposant inszenierten Beginn des Bayerischen Integrationsforums in der Hanns-Seidel-Stiftung der Hauptredner ausdrücklich die Assimilation eingefordert hat. Ich bin erschrocken, als ich das gehört habe. Ich stelle aber mit Freude fest, dass die CSU das heute nicht mehr tut, und dass auch das Wort „Leitkultur“ nicht mehr gebraucht wird. Ich erlaube mir das so zu interpretieren, dass Sie den Zuwanderern, die hier legal leben, die gleiche Toleranz und Liberalität entgegenbringen wollen wie alle Einheimischen das auch von dieser Gesellschaft erwarten.

(Thomas Kreuzer (CSU): Dann können Sie auch zustimmen!)

Jetzt komme ich zu einigen Punkten, in denen Ihr Antrag ganz erheblich verbesserungsbedürftig und verbesserungsfähig wäre. Es ist zunächst einmal der Anlass. Dass der Anlass das ist, was jetzt passiert ist, ist bedauerlich. Bedauerlich ist auch, dass Sie in keiner Weise die Ursachen dafür erforschen, dass die Migrantenkinder bei uns so schlechte Chancen in Schule und Ausbildung haben. Bedauerlich ist auch, dass Sie law and order immer wieder in den Vordergrund stellen, um solche Maßnahmen durchführen zu können. Gelungene Integration kann eine Bereicherung für diese Gesellschaft sein. Wenn Sie das akzeptieren und bejahen würden, wären wir schon ein ganzes Stück weiter.

(Beifall bei der SPD)

Für die Staatsregierung hat Frau Staatsministerin Stewens ums Wort gebeten.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Volkmann, gelungene Integration ist eine Bereicherung für den Staat. Darin besteht überhaupt keine Frage. Das bejahen wir alle in diesem Hause. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie das infrage stellen können.

Dann zu Ihrem Hinweis, dass sich die SPD einmal für das Frauenwahlrecht eingesetzt hat. Entschuldigen Sie, dass Sie das herausziehen und gleichzeitig Toleranz gegenüber anderen Themen zeigen, halte ich für völlig verfehlt. Das möchte ich Ihnen hier sagen. Die Begründung, die Sie dafür herangezogen haben, habe ich überhaupt nicht verstanden.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das Gefühl habe ich auch!)