Protokoll der Sitzung vom 29.11.2005

Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 54. Vollsitzung des Bayerischen Landtages. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Sie ist wie immer erteilt.

(Allgemeine Unruhe)

Ist es möglich, dass wir uns auf eine Tagesordnung einigen?

(Margarete Bause (GRÜNE): Auf welche?)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Zustimmung zur Berufung von Mitgliedern der Staatsregierung nach Art. 45 der Bayerischen Verfassung

Ergänzend hierzu soll auf Wunsch der Staatsregierung außerdem beraten werden:

Bestätigung der vom Ministerpräsidenten geänderten Abgrenzung der Geschäftsbereiche nach Art. 49 der Bayerischen Verfassung

Die Fraktionen haben dem zugestimmt. Die Beratung erfolgt gemeinsam mit dem Tagesordnungspunkt 1. Hierzu erteile ich dem Ministerpräsidenten das Wort.

Ich bitte, insbesondere im Eingangsbereich die Gespräche einzustellen und sich auf die Plenarsitzung zu konzentrieren. Im Übrigen bitte ich die Kameraleute, dezent im Hintergrund zu bleiben, auch wenn es eine öffentliche Veranstaltung ist. Die Brennweiten machen sowieso alles möglich.

Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Ich glaube, wir alle stehen heute unter dem Eindruck der Meldungen aus dem Irak, die besagen, dass eine Archäologin aus Bayern und ihr Fahrer offensichtlich entführt worden sind. Wir alle sind entsetzt angesichts dieser schrecklichen Tat. In dieser Stunde sind unsere Gedanken auch bei den Angehörigen und Freunden der Entführten. Ich bin dankbar, dass die Bundesregierung unverzüglich einen Krisenstab eingerichtet hat und natürlich auch mit dem bayerischen Innenministerium in Verbindung steht.

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Nach 15 Jahren im Kabinett scheidet Staatsminister Dr. Otto Wiesheu auf seinen Wunsch aus dem Regierungsamt. Damit geht eine Ära zu Ende. Das ist ein Verlust für die Staatsregierung, das ist aber auch ein Verlust für die Wirtschaft, für den Mittelstand, für das Handwerk, für die Wirtschaftsverbände und auch für die Gewerkschaften. Dr. Otto Wiesheu wurde 1974 erstmals in dieses Hohe Haus gewählt. Er gehört ihm seit 31 Jahren an. 1990 wurde er Staatssekretär im Kultusministerium und 1993 Wirtschafts- und Verkehrsminister.

Ich kann hier nur einige Facetten seiner Tätigkeit gerade auch als Wirtschaftsminister hervorheben und würdigen und ich möchte das in der gebotenen Kürze tun.

Erstens. Die Offensiven „Zukunft Bayern I und II“ sowie die Hightech-Offensive tragen seine Handschrift. Mit dem Clusteransatz zur Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft hat Otto Wiesheu die Tür zur Zukunft geöffnet.

Zweitens. Sehr am Herzen lag Otto Wiesheu auch das Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land zu erreichen. Wichtige Schlüssel hierzu waren das 12Punkte-Programm für Nürnberg, die Oberfranken-Initiative und das Ertüchtigungsprogramm Ostbayern.

Drittens. Für die Menschen von ganz existenzieller Bedeutung waren die Erfolge des Wirtschaftsministers als Krisenmanager. Immer wenn ein bayerischer Betrieb Not litt und Arbeitsplätze gefährdet waren, war Otto Wiesheu sofort zur Stelle. Niemand hat gezählt, wie viele Betriebe und Arbeitsplätze Otto Wiesheu in den zwölf Jahren seiner Amtszeit gerettet hat.

(Dr. Heinz Kaiser (SPD): Bei Grundig!)

Ich bin sicher, viele Menschen, viele Familien werden seinen Einsatz nicht vergessen.

(Beifall bei der CSU)

Viertens. Besondere Bedeutung hatten für Otto Wiesheu Mittelstand und Handwerk als Fundament unserer Wirtschaft. Deshalb hat sich Otto Wiesheu als Anwalt des Mittelstandes und auch als Ordnungspolitiker profi liert. Von ihm stammt das Grundsatzpapier „Soziale Marktwirtschaft für das 21. Jahrhundert“.

Fünftens. In der Außenwirtschaftspolitik hat Otto Wiesheu ein weltweites Netz von Repräsentanzen etabliert. Gerade für den Mittelstand war der Wirtschaftsminister auf vielen Reisen der Türöffner in schwierigen Märkten. In China und Russland ist er ein bekannter, hoch angesehener Botschafter Bayerns.

Standortmarketing und Werbung um Investoren für Bayern waren für ihn Herzensangelegenheiten. Ansiedlungserfolge für neue Arbeitsplätze gab es in großer Zahl, etwa die Errichtung des Europäischen Forschungszentrums von General Electric in Garching.

Sechstens. Für die Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen Wirtschaft ist eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung seit jeher eine Kardinalfrage. Wir haben dank Otto Wiesheu ein energiepolitisches Grundkonzept; er hat mit seinem unermüdlichen Einsatz für Unternehmen und Arbeitsplätze breite Anerkennung erfahren. Viele Unternehmer halten ihn für den besten Wirtschaftsminister Deutschlands.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Sein Verhältnis zu den Gewerkschaften – insbesondere auch zum DGB – war gut. Der DGB bezeichnete ihn einmal als „Lichtgestalt“ und verlieh dem Wirtschaftsminister die Hans-Böckler-Medaille. Diese für einen konser

vativen Politiker ungewöhnliche Ehrung zeigt seine Verdienste um den sozialen Frieden und ein gutes gesellschaftliches Klima.

Persönlich und namens der Staatsregierung spreche ich Herrn Kollegen Dr. Otto Wiesheu Dank und Anerkennung für 15 Jahre Dienst an Bayern, 15 Jahre Dienst für sozialen Wohlstand und für ein menschliches Gesicht in unserer Heimat sowie für 15 Jahre Dienst für die Menschen und ihre Familien aus.

(Beifall bei der CSU)

Dr. Otto Wiesheu übergibt ein wohlbestelltes Haus und ein reiches politisches Erbe. Er hat sich höchste Verdienste um Bayern erworben. Dafür gebührt ihm der Dank auch des Hohen Hauses. Und, lieber Otto, ich sage auch ganz persönlich herzlichen Dank für diese 15 Jahre, vor allen Dingen für diese zwölfeinhalb Jahre als Wirtschaftsminister in meinen Kabinetten. Herzlichen Dank für deine Loyalität und für die vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich wünsche dir für deine neue Aufgabe im Vorstand der Bahn AG von Herzen Glück und viel Erfolg.

Ich habe heute im Kabinett gesagt, ich gehe davon aus, dass du die Wünsche, die du als Wirtschafts- und Verkehrsminister immer an die Bahn AG gerichtet hast, jetzt von der anderen Seite her entsprechend erfüllen kannst. Ich wünsche dir alles Gute.

(Anhaltender Beifall und Bravo-Rufe bei der CSU – Franz Maget (SPD): Freuen die sich so, dass er nun weggeht?)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, aufgrund des Ausscheidens von Dr. Otto Wiesheu schlage ich dem Landtag folgende personelle Veränderungen in der Staatsregierung vor: die Berufung von Erwin Huber, Mitglied des Hohen Hauses, bisher Leiter der Staatskanzlei und Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Verwaltungsreform zum Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie;

die Berufung von Eberhard Sinner, Mitglied des Hohen Hauses, bisher Staatsminister für Europaangelegenheiten und regionale Beziehungen in der Staatskanzlei zum Leiter der Staatskanzlei;

die Berufung von Frau Emilia Müller, bisher Staatssekretärin im Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz zur Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten in der Staatskanzlei;

die Berufung von Dr. Otmar Bernhard, Mitglied des Hohen Hauses, zum Staatssekretär im Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz.

Des Weiteren bitte ich den Landtag um Zustimmung zu Veränderungen im Geschäftsbereich der Staatsregierung. In Abweichung von der gegenwärtigen Abgrenzung der Geschäftsbereiche werden die Angelegenheiten der Ansiedlungspolitik und des Standortmarketings für die Medienwirtschaft von der Staatskanzlei auf das Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie verlagert. Diese Umressortierung zwischen den

Geschäftsbereichen begründe ich wie folgt: Das Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie unter der Leitung von Staatsminister Dr. Otto Wiesheu hat durch ein innovatives Standortmarketing und eine erfolgreiche Ansiedlungspolitik wesentlich dazu beigetragen, dass die bayerische Wirtschaft im Vergleich zu allen anderen Ländern die höchsten Wachstums- und Beschäftigungsraten in Deutschland zu verzeichnen hat. Für die Medienwirtschaft hat diese Aufgabe mit gleich großem Erfolg die Staatskanzlei unter der Leitung des Staatsministers Erwin Huber übernommen.

Mit dem Wechsel in der Leitung beider Ämter bietet es sich an, dass das Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie auch mit den Aufgaben der Medienwirtschaft betraut wird. Die kulturellen Belange des Films und der Printmedien einschließlich der entsprechenden Förderungen verbleiben im Geschäftsbereich der Staatskanzlei.

Herr Präsident, ich habe Ihnen die Veränderungen der Staatsregierung vorgetragen und bitte Sie, dazu die Entscheidung des Bayerischen Landtags herbeizuführen.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Ich eröffne damit die Aussprache. Die Fraktionen haben hierzu im Ältestenrat eine Redezeit von 30 Minuten vereinbart. Erste Wortmeldung: Herr Kollege Maget.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst gratuliere ich – ich denke im Namen des ganzen Hauses – zu den Berufungen. Ich wünsche Frau Müller, Herrn Huber, Herrn Sinner und Herrn Dr. Bernhard viel Glück und gute Entscheidungen im Interesse unseres Landes. Natürlich richten wir auch Wünsche, Erwartungen und Forderungen an Sie, was die Politik der kommenden Monate betrifft. Aus unserer Sicht geht es nämlich nicht lediglich um das Austauschen oder Umsetzen einiger weniger Personen, sondern aus unserer Sicht ist in der bayerischen Landespolitik in zentralen Themen ein echter Kurswechsel notwendig. Dazu etwas später.

(Beifall bei der SPD)

Zunächst aber meine ich, sind einige Anmerkungen zum Hintergrund der heutigen Kabinettsumbildung angebracht. Normalerweise sind Kabinettsumbildungen Ausdruck von Stärke und Handlungsfähigkeit des Regierungschefs. In diesem Fall ist es das pure Gegenteil. Die heutige Kabinettsumbildung ist einzig und allein Ergebnis der Schwäche und des dramatischen Machtverlustes des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN – Zurufe von der CSU)

Was uns Herr Dr. Stoiber eben vorgetragen hat, bestätigt dies eindrucksvoll. Herr Stoiber konnte weder den Zeitpunkt der Kabinettsumbildung selbst bestimmen – es sollte im Januar sein, dann hieß es: nein, lieber doch im Dezember, und dann doch jetzt – noch den Umfang der Kabinettsumbildung. Nicht einmal die Personen, die er

umsetzt oder neu beruft, kann er selbst bestimmen. All dies wird ihm von außen aufgedrängt. Der Bayerische Ministerpräsident agiert und regiert nicht, sondern laviert und reagiert.

(Beifall bei der SPD)

Das ist die unmittelbare Folge seiner Flucht aus Berlin und seiner Angst davor, im Bundeskabinett Verantwortung für schwierige Aufgaben zu übernehmen. Spätestens dieser Schritt hat sein Ansehen und seine Reputation zerstört, und der letzte Platz im „Politbarometer“ ist dafür der sichtbare Ausdruck.

(Unruhe bei der CSU)