Herr Ministerpräsident, wir sind politische Konkurrenten, und Sie werden deswegen meinen Rat nicht unbedingt benötigen.
Aber ich möchte Ihnen dennoch sagen: Seien Sie auf der Hut vor Ihren Freunden, die Sie jetzt wieder verteidigen wollen.
Ihre Schwäche nutzen jetzt einige besonders mutige Helden aus der CSU liebend gerne aus; das sind die, die schon länger eine offene Rechnung begleichen wollen, und das sind jene, die schon seit Monaten hinter vorgehaltener Hand heftige Kritik am Regierungsstil und an zentralen Entscheidungen der Regierungspolitik üben und sich das jetzt offen trauen. Das sind vor allem die Vielen, die noch vor wenigen Wochen auf Ihrem Schoß gesessen sind und jetzt so tun, als seien alle politischen Fehlentscheidungen der letzten Monate einzig und allein Ihre Fehlentscheidungen, und die vergessen machen wollen, dass es Fehlentscheidungen der gesamten CSU-Landtagsfraktion gewesen sind.
Diese Kabinettsumbildung ist nicht unter sachlichen und fachlichen Begründungen erfolgt, sondern war eine Notoperation, die die Krise der Staatsregierung nicht einmal im Ansatz löst, sondern lediglich notdürftig überdecken soll.
Die Wurzeln des Übels, nämlich die verfehlten landespolitischen Entscheidungen, wurden nicht beseitigt; es wurden lediglich Kompressen angelegt und Franzbranntwein auf den Dekubitus geträufelt.
Die Notoperation musste erfolgen, weil dem bayerischen Ministerpräsidenten wichtige Stützen seines Kabinetts abhanden kommen. Herr Wiesheu geht weg und verlässt das lecke Schiff zum richtigen Zeitpunkt. Sicher, Herr Wiesheu war seit einigen Jahren amtsmüde.
Aber dieser Abgang hinterlässt doch, das kann man Ihnen nicht ersparen, einen äußerst unangenehmen Beigeschmack.
Dass Herr Wiesheu bereits im September in engen Verbindungen mit der Deutschen Bahn steht und in seiner Tätigkeit als bayerischer Wirtschaftsminister und als Teilnehmer der Koalitionsverhandlungen in Berlin dennoch Belange der Bahn mitentscheidet, ist einfach nicht in Ordnung gewesen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Die CSU-Bundestagsabgeordnete, Ihre Kollegin Renate Blank, die mit Herrn Wiesheu bei den Koalitionsverhandlungen auf CSU-Seite in der Arbeitsgruppe „Verkehr“ zahlreiche Vereinbarungen für die Bahn ausgehandelt hat, sagte dazu – ich zitiere Ihre Kollegin wörtlich: „Jetzt wird mir klar, warum sich Otto Wiesheu so auffällig für die Belange der Bahn eingesetzt hat.“
Meine Damen und Herren, damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich bin sehr dafür, die Interessen der Bahn zu vertreten und die Bahn in unserem Land zu stärken.
und gerade auch für Bayern tun wird. Aber er hätte seine Gesprächspartner und Verhandlungspartner über diesen Sachverhalt niemals im Unklaren lassen und nicht sozusagen als U-Boot verhandeln dürfen. Das war nicht in Ordnung, und das war auch nicht gut.
Sein Abschied – das will ich ganz offen sagen – verbindet sich auch für uns mit einer Reihe von Erfolgen, die Herr Dr. Wiesheu ohne Zweifel für sich und für seine Arbeit verbuchen kann, aber auch mit einer Reihe von Pleiten und Pannen, die man ebenfalls nicht verschweigen kann. Das sind die Pleiten bei der Maxhütte, bei Grundig, bei Fairchild Dornier bis hin zu Schneider Technology. Das sind Fehlentscheidungen, wie der Ausbau der Donau mit Staustufen, zumindest aus unserer Sicht; und das ist der Umstand, dass sich die regionalen Unterschiede in Bayern nicht, wie Sie gesagt haben, Herr Ministerpräsident, verkleinert, sondern in der Regierungszeit von Herrn Dr. Wiesheu sogar vergrößert haben.
Herr Huber ergreift die erste Gelegenheit, um sich dem engen Zugriff von Herrn Stoiber zu entziehen.
Ich hoffe, dass er die bayerische Wirtschaftspolitik nicht so anpackt, wie er die Milliardenkredite für Leo Kirch eingefädelt hat, zum Beispiel für die Formel-1-Geschäfte,
unter der die Bayerische Landesbank bis zum heutigen Tag zu leiden hat. Wir erwarten eine Regional- und Strukturpolitik, die endlich in der Lage ist, die angesprochenen regionalen Unterschiede und Ungleichgewichte in Bayern zu beseitigen. Wir dürfen erhoffen und erwarten, dass Sie als neuer Wirtschaftsminister dazu bei nächster Gelegenheit Vorschläge präsentieren.
Damit bin ich bei den Erwartungen an die zukünftige Politik des Kabinetts und bei dem von mir angesprochenen Kurswechsel in der Landespolitik, den dieses Land braucht und den die Bürger erwarten. Die gegenwärtig schlechten Umfrageergebnisse für die CSU sind nicht nur auf die Fehler und den Ansehensverlust von Herrn Stoiber zurückzuführen. Sie liegen vielmehr an der Enttäuschung und Verärgerung von immer mehr Bürgerinnen und Bürgern über schwerwiegende Fehlentscheidungen. Ich nenne einige: den Stellenabbau, die Leistungskürzungen und die schlechten Zukunftsperspektiven für Bayerns Polizistinnen und Polizisten, die Belastungen der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in Bayern und eine Verwaltungsreform, die über die Köpfe der Betroffenen hinweg par ordre du mufti durchgezogen wurde. Wer lässt sich schon gerne als Frosch bezeichnen, wenn er nur seinen guten Rat vor dem Hintergrund seiner großen eigenen Erfahrungen beisteuern möchte?
Da ist der Abbau wichtiger sozialer Leistungen und Dienste, von der Familienberatung über die Schuldnerberatung bis hin zur Erwachsenenbildung. Noch mehr Frust hat die überstürzte Einführung des G 8 mit sich gebracht, die mittlerweile sogar von Ihnen selbst, die Sie es eingeführt haben, kritisiert wird. Mir geht es dabei weniger um die Kritik und die Belange des Bayerischen Philologenverbandes, sondern darum, dass die Politik auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird.
Zu nennen sind der massive Lehrermangel in Bayern und der massive Unterrichtsausfall. Ich stelle mit Freude fest, dass Sie jetzt wenigstens so weit sind, den Unterrichtsausfall, den Sie früher geleugnet haben, messen zu lassen. Man muss schon damit zufrieden sein. Da sind die Einführung des Büchergeldes und die drohende Einführung der Studiengebühren zu nennen. Das sind falsche Signale und das sind die eigentlichen Ursachen dafür, dass in unserem Lande die Unzufriedenheit mit Ihrer Politik wächst.
Ich bin der Auffassung, dass das die Politikfelder sind, bei denen wir in Bayern eine dringende Kurskorrektur benö
tigen und bei denen sich die Politik ändern muss. Ich bin auch der Auffassung, dass Sie dazu eine Chance haben und dass sie diese Chance ergreifen sollten. Ich glaube, dass wir zum ersten Mal in Bayern – das macht mich aus Sicht der Opposition zuversichtlich – eine Diskussion haben, dass auch in Bayern ein Regierungswechsel denkbar und möglich erscheint. Dies hat mit der Schwäche, die wir im Augenblick vorfi nden, zu tun.
Ich komme deshalb am Ende zur Bewertung vom Beginn meiner Rede zurück: Diese Regierungsumbildung ist nicht der Ausdruck von Handlungsfähigkeit und von Stärke des Bayerischen Ministerpräsidenten. Sie ist das Gegenteil. Hätte er stark und frei entscheiden können, hätte er andere Entscheidungen getroffen. Dass er das nicht konnte, zeigt, in welcher bedrohlichen Lage er sich befi ndet. Er wird von Kolleginnen und Kollegen in diese Lage gebracht, die ihm einst und bis zum heutigen Tag zugejubelt haben, die eigentlich wissen müssten, dass er ihnen den Erfolg gebracht hat, die aber jetzt die Kritik, die vorher kleinlaut erfolgt ist, lautstark von sich geben. Das ist auch eine Charakterfrage.
Ich würde mir wünschen, dass wir künftig, wenn schwierige Entscheidungen für dieses Land zu treffen sind, nicht nur einen anderen Regierungsstil vonseiten des Ministerpräsidenten vorfi nden sollten, sondern auch eine andere Diskussionskultur in diesem Hause.
Das, was Sie heute an Fehlentscheidungen kritisieren, haben Sie alles selber so entschieden – selbstherrlich und mit wenig Bereitschaft, auch die Argumente anderer zu hören. Ich hoffe, dass sich zumindest das im Bayerischen Landtag ändern wird.
Ich wünsche noch einmal Ihnen, Herr Sinner, Ihnen, Herr Huber, Ihnen, Herr Dr. Bernhard und Ihnen, Frau Müller, alles Gute und gute Entscheidungen. Ich darf Ihnen sagen, dass wir Ihre Politik wie in der Vergangenheit natürlich kritisch – Sie loben sich ja selbst, wir haben da eine andere Aufgabe – begleiten, aber so begleiten, dass für unser Land das Beste dabei herauskommen möge.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Bayern braucht einen Neuanfang, aber für einen Neuanfang, Herr Ministerpräsident, das zeigt Ihr künftiges Kabinett, fehlen Ihnen Konzepte und Köpfe. Ihnen selber aber fehlt die Kraft.
Das sagen inzwischen nicht nur wir von der Opposition, das sagen auch Ihre Parteifreunde und das kommt auch in der Diagnose der Presse zum Ausdruck. So hält Sie zum Beispiel die „Augsburger Allgemeine“ für zu schwach, um Zeichen für den Neuanfang in Bayern zu setzen. Die „Süd
deutsche Zeitung“ fasst Ihr Dilemma so zusammen: Mehr noch als der durcheinander gewirbelte Zeitplan belegt die Entscheidung selber Stoibers rapiden Autoritätsverlust in den eigenen Reihen, denn weder vom Umfang noch von den ausgewählten Personen her konnte der CSU-Chef seine ursprünglichen Vorstellungen durchsetzen. Das zeige, so folgert die „Augsburger Allgemeine“, wie sehr sich CSU schon mit der Zeit nach Stoiber beschäftigt. Das ist der Mann, der vor kurzem noch Deutschland retten wollte und jetzt nicht mal eine ordentliche Kabinettsumbildung hinbekommt.