Protokoll der Sitzung vom 29.11.2005

Das neue Kabinett ist das alte Kabinett und das alte Kabinett war schon alt, als es noch neu war.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damals schrieb der „Münchner Merkur“: „Ansturm auf das Austragshäusl. Das Durchschnittsalter bayerischer Würdenträger nähert sich dem Zenit eines kommunistischen Zentralkomitees.“ Leider, Herr Ministerpräsident, hat Ihr Kabinett unter Ihrer Führung in den letzten Jahren auch so agiert wie ein überaltertes Zentralkomitee.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist ein Kabinett mit Verfallsdatum. Sie selber haben bereits eine weitere Kabinettsumbildung angekündigt. Die Frage ist nur, ob Sie diese Kabinettsumbildung noch selber machen werden. Wenn man Ihre Parteifreunde hört, sind Sie selbst ein Ministerpräsident, dessen Verfallsdatum abläuft. Herr Ministerpräsident, Sie stehen heute vor dem Scherbenhaufen, den Sie selber angerichtet haben. Ihr Renommee ist weg, weil Sie nicht nur sich selbst lächerlich gemacht haben, sondern Sie haben Bayern blamiert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Darüber sind die Menschen zu Recht verärgert. Sie haben die Nase von Ihrer Politik des ständigen Besserwissens, der ständigen Ankündigungen und der ewigen europaweiten Einmaligkeit voll. Sie haben kein Vertrauen mehr in Sie, in Ihren unsozialen Sparkurs, in Ihre brachiale und überstürzte Reformitis und in Ihren undemokratischen Führungsstil. Sie haben den Rückhalt nicht nur in der CSU, sondern auch in der Bevölkerung verloren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie sind, sagt die „Augsburger Allgemeine Zeitung“, aus Berlin zurückgekehrt, als Figur, die man jenseits von Bayern nicht mehr ernst nimmt. Da fragen wir uns: Warum soll man Sie in Bayern noch ernst nehmen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Menschen erkennen, dass Ihre Regierungspolitik nicht die Lösung, sondern Teil der Probleme in Bayern ist.

Anstatt unser Land bürgerfreundlicher und demokratischer zu machen, haben Sie mit Ihrem Dirigismus und

Zentralismus die Bürokratie üppiger wuchern lassen als anderswo. Anstatt den Staatshaushalt sozial und ökologisch nachhaltig zu sanieren und an den Bedürfnissen der Menschen auszurichten, haben Sie vieles, was den Menschen das Leben leichter gemacht hätte, kaputtgespart. Anstatt für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, haben Sie durch Ihre Bildungs- und Haushaltspolitik die soziale Schiefl age in Bayern verschärft. Das kritisieren die Menschen, und sie kritisieren es zu Recht.

Wirklich deprimierend auf die Menschen wirkt aber das bayerische Bildungssystem. In Bayern wird nämlich nicht nur Reichtum und Armut vererbt, sondern auch die Bildungsarmut. Damit nehmen Sie nicht nur den Erwachsenen jede Chance, sich selbst zu helfen, sondern auch noch ihren Kindern. Wenn die CSU-Fraktion jetzt wieder behauptet, der bayerische Bildungsweg sei ein Erfolgsmodell für die Zukunft unserer Kinder, dann klingt das wie böser Hohn in den Ohren der Mehrheit der bayerischen Eltern;

(Beifall bei den GRÜNEN)

denn die Kinder der Mehrheit bekommen nicht die Chancen, die sie verdienen. Zu viele von diesen Kindern haben eben keine Zukunft. Warum? – Weil es in der vorschulischen Bildung genauso an individueller Förderung und Chancengerechtigkeit mangelt wie in der schulischen. Überall fehlen Mittel; überall herrscht Mangelwirtschaft: zu große Gruppen, zu große Klassen, zu viele Schüler ohne Schulabschluss, zu wenige Studierende. Die bayerische Bildungspolitik muss von Grund auf geändert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN – Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Walter Eykmann (CSU))

Kollege Eykmann, allmählich dämmert Ihnen das schon selbst. Die Ankündigung, dass es künftig zweierlei Gymnasien geben wird, ein Gymnasium für die Kinder von Bildungsbürgern und ein neues für den Rest der Bayern, betrachten wir als vorsichtige Selbstkritik.

(Unruhe bei der CSU)

Damit geben Sie endlich zu, dass zu wenige Schüler eine Chance haben und Bayern zu wenige Abiturientinnen und Abiturienten hat. Das geben Sie damit zu. Auch den erbärmlichen Zustand, in den Sie, Kollege Waschler, zusammen mit Ihren Kolleginnen und Kollegen der CSU die Hauptschulen versetzt haben, können Sie nicht länger ignorieren.

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU))

Dass Sie jetzt die Haupt- und Realschulen zusammenlegen wollen, ist uns nicht genug; denn dadurch gibt es noch lange keine Chancengerechtigkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Da sind andere längst weiter. Selbst das Ifo-Institut hat erkannt, „dass eine frühe Selektion der Schüler in ver

schiedene Schultypen nicht nur die Chancenungleichheit erhöht, sondern auch das gesamte Leistungsniveau sogar eher senkt als erhöht.“ Das bedeutet weniger Leistung. Das gegliederte Schulsystem ist nicht nur ungerecht, sondern auch höchst ineffi zient.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN – Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU))

Wir GRÜNE fordern ein Bildungssystem, in dem die Kinder im Mittelpunkt stehen, mit individueller Förderung und individuellen Lernzielen, einem Ausbau der vorschulischen Bildung, einer längeren gemeinsamen Schulzeit und einem gebührenfreien Erststudium. So verbessern wir die Chancen der Einzelnen, sichern die Lebensqualität, stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt und legen die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg.

Herr Ministerpräsident, Sie haben vor zwei Jahren bei der Bestellung Ihres Kabinetts erklärt

(Ulrike Gote (GRÜNE): Der hört nicht zu!)

Das macht nichts –: Deutschland und der Freistaat Bayern stehen vor den größten Herausforderungen und Reformaufgaben seit ihrer Gründung.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Heute stehen Sie tatsächlich vor einer Zäsur, die allerdings anders aussieht, als Sie sich das vorgestellt haben. Ab sofort müssen Sie Ihre Politik begründen. Sie können sie nicht mehr einfach nur mit dem Verweis auf Ihre bundespolitischen Ambitionen durchsetzen; denn es hat keinen Sinn mehr, in Bayern zeigen zu wollen, wie man es in Berlin hätte richtig machen sollen. Dem Rest der Bundesrepublik wird es künftig ziemlich Wurst sein, was in Bayern passiert. Künftig muss Ihre Politik allein durch das Wohlergehen der Menschen in Bayern begründet sein.

Wie aber defi nieren Sie Lebensqualität und Wohlergehen? Darauf haben Sie und Ihre Partei keine überzeugende Antwort. Sie haben bis heute nicht geklärt, wozu der Staat da ist, wozu ihn die Menschen brauchen und was seine Kernaufgaben sind. Welche Ziele aufgrund welcher Werte verfolgen Sie, und für wen machen Sie Politik? Wem dient Ihre Politik? Kolleginnen und Kollegen, Bayern braucht einen Neuanfang, eine Politik, die sich an den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet für mehr Lebensqualität, mehr soziale und ökologische Sicherheit und mit Chancen für alle, die in unserem Land leben.

Herr Ministerpräsident, Sie haben das Hohe Haus bei der Bestellung des Kabinetts vor zwei Jahren gebeten, die Arbeit der neuen Staatsregierung mit Ideen und Vorschlägen zum Wohle unseres Landes zu begleiten. Wir GRÜNE im Bayerischen Landtag haben es an Ideen und Vorschlägen zum Wohle unseres Landes wahrlich nicht fehlen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Denken Sie nur an unsere vielen Vorschläge zur Haushaltspolitik. Sie haben allen Grund, unsere Vorschläge zu übernehmen;

(Lachen bei der CSU – Zuruf von Staatsminister Prof. Dr. Kurt Faltlhauser)

denn wir haben in den letzten Jahren bewiesen – Herr Faltlhauser, auf Sie komme ich gleich noch zu sprechen, nur Geduld –, dass wir besser mit Geld umgehen können als Sie und die CSU.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hätten Sie rechtzeitig auf uns gehört, so wäre Bayern manches Ihrer wirtschaftlichen Debakel erspart geblieben. Das aktuelle WM-Chaos ist nur ein weiterer Baustein in Ihren Serien von Pleiten, Pfusch und Pannen. Mit Ihrer großspurigen und dilettantischen Politik, Herr Ministerpräsident, haben Sie schon bei der LWS, dem Deutschen Orden und bei den Kirch-Krediten Millionen- und Milliardenschäden angerichtet. Bayerns Landesbank wird ihre Formel-1-Anteile los – so hat der „Münchner Merkur“ letzte Woche fröhlich verkündet. Ich zitiere:

Fernsehsender, Flugzeuge, Formel 1 – die Bayern-LB mischt in Bereichen mit, die vom Geschäft einer Bank so weit entfernt sind wie Michael Schumacher vom Wirtschaftsnobelpreis. Das war Ausfl uss falscher Ambitionen.

Das waren Ihre falschen Ambitionen, Herr Ministerpräsident, die zu Milliardenverlusten geführt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie sind es, Herr Ministerpräsident, der vom Wirtschaftsnobelpreis mindestens so weit entfernt ist wie der Steuerfl üchtling im roten Auto.

Kolleginnen und Kollegen, wir GRÜNE drängen seit Jahren auf wirkliche Sparsamkeit. Wir wollen nicht öffentliche Leistungen abbauen. Wir wollen keinen kranken Staat, sondern wir fordern, dass endlich Schluss ist mit dem Verschwenden von Steuergeldern für großspurige Offensiven und CSU-Amigos. Sie, Herr Ministerpräsident, und die CSU reden beständig von einem schuldenfreien Haushalt, aber Sie machen heuer um 8,2 % mehr Schulden. So schnell hat kein anderes Bundesland die Neuverschuldung hochgetrieben – außer Bremen. Sie machen jede Menge verdeckter Schulden und schieben Kosten ab, zum Beispiel auf Kommunen und Eltern beim G 8 und beim Büchergeld. Sie verschieben Kosten auf die Zukunft beim Gebäudeunterhalt, beim Hochwasserschutz und dadurch, dass Sie auf dringend notwendige Bildungsinvestitionen verzichten. Wechseln Sie endlich den Kurs, sonst müssen wir alle für diese Versäumnisse später teuer zahlen!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat jüngst die von der neuen Bundesregierung geplanten Kürzungen beim öffentlichen Nahverkehr kritisiert. Ich zitiere:

Längst ist klar, dass der Klimawandel auch mit dem Schadstoffausstoß der Auspuffrohre der Autos zu tun hat. Länder wie Bayern, wo immer öfter Hochwasser in Keller und Wohnstuben schwappt, haben daher ein vitales Interesse an der Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene, das heißt auch am Ausbau des Nahverkehrs.

(Dr. Ludwig Spaenle (CSU): Lesen Sie den Kommentar im Wirtschaftsteil!)

Wir fordern Sie deswegen auf, sich gegen diese Kürzungen zur Wehr zu setzen. Wir fordern auch, dass Sie selbst endlich mehr für das Klima und für den Hochwasserschutz tun. Der erste Schritt wäre, endlich damit aufzuhören, Regionalisierungsmittel für andere Zwecke zu missbrauchen.

(Beifall bei den GRÜNEN)