Protokoll der Sitzung vom 30.11.2005

Herr Minister Dr. Schnappauf, Sie sind ein Meister des Aktionismus. Wenn es allerdings dann ans Konkrete geht, ist Sendepause. Ich würde Ihnen daher das Wort Ihres Kollegen auf der Bundesebene, des Herrn Seehofer, nahe

legen. Er sagt: Man muss zunächst die vorhandenen rechtlichen Vorschriften ausnutzen. – Gleichzeitig warnt er vor einem Aktionismus. Also, schauen wir einmal, was wir mit dem Bestehenden machen können, bevor wir in Aktionismus verfallen und dann nichts mehr passiert.

Ich komme nun zur freiwilligen Selbstkontrolle, die von Ihnen ja immer wieder gefordert wird. Meine Damen und Herren, in einem Bereich wie dem Fleischhandel, in dem ein kaum vorstellbarer Preisdruck herrscht, in einem Bereich also, gegen den ein Haifi schbecken ein Streichelzoo ist, ist eine freiwillige Selbstkontrolle sicherlich nicht das richtige Mittel.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damit wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen, meine Damen und Herren, abschließend noch etwas, was mindestens genauso viel mit dem Thema Lebensmittelsicherheit zu tun hat. Wenn ich die Studie von Greenpeace lese, wonach 15 % des untersuchten Obstes und des untersuchten Gemüses mit Pestizidrückständen an oder über den Grenzwerten lagen, dann ist das aus meiner Sicht mindestens der gleiche Skandal wie das, was wir im Moment beim Fleisch erleben. Er ist vielleicht nicht so ekelerregend, aber von der Wirkung her im Prinzip das Gleiche.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Sprinkart. Letzte Wortmeldung: Kollege Müller, bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde genommen ist das heute eine Debatte über die Frage: Wie gelingt es uns, Lebensmittelsicherheit unter den Rahmenbedingungen, die wir haben, überhaupt sicherzustellen? Es geht also nicht nur um Kontrollfragen, sondern es geht sicherlich auch um viele grundsätzliche Anliegen.

Es ist richtig, wenn man sagt, dass man allein durch eine höhere Anzahl von Kontrolleuren das Problem nicht lösen kann. Der Umkehrschluss ist allerdings auch nicht richtig, der da lautet, dass wir darauf verzichten könnten und das wäre genauso sicher. Ich bin aber der festen Meinung, dass wir heute auch darüber diskutieren, wie die Bedingungen der Produktion sind. Diesbezüglich gibt es nach meiner Auffassung deutliche Unterschiede. Ich weiß, dass es auch bei Biolandwirten genauso wie überall sonst kriminelles Verhalten geben kann. Aber die Art der Produktion, die Art der Kontrolle, die Art der regionalen Vermarktung ist ein Qualitätssiegel in sich und eine Massenproduktion, wie wir sie in verschiedenen Bereichen haben, kann – nicht muss! – auch dazu führen, dass die Kontrollmöglichkeiten deutlich eingeschränkt sind.

Es wurde vorhin zu Recht von dem Preisdruck gesprochen, unter dem heute die Lebensmittelproduktion gerade im Fleischbereich stattfi ndet.

Gerade im Fleischbereich sehen wir, dass der Druck offensichtlich dazu führt, dass manche Leute versuchen, kriminelle Energie in erschreckendem Maße einzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Aus diesem Grund müssen wir auch über die Fragen diskutieren, wie in unserem Lande produziert wird, unter welchen Bedingungen wir produzieren und was wir zulassen bzw. was wir einschränken müssen. Diese Fragen sind für mich weitaus grundsätzlicher als nur zu versuchen, die Spitze eines Eisbergs aufzudecken. Nicht dass ich jetzt vermute, dass viele alles Mögliche gemacht haben, aber ich sehe an den Skandalen, die sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren ständig gehäuft haben, dass etwas im ganzen System nicht stimmt.

Bei Durchsicht der einzelnen Dringlichkeitsanträge muss ich sagen, dass man selbstverständlich dem CSU-Dringlichkeitsantrag zustimmen kann. Das wäre im Grunde genau dasselbe, als wenn man nicht zustimmte.

(Zurufe und Heiterkeit bei der SPD)

Die Anträge sind in der Regel nach dem olympischen Prinzip formuliert: höher, besser, weiter. Es soll ein bisschen da und ein bisschen dort verbessert werden. Aber das sagt im Grunde nichts aus. Wenn ich ernst nehmen soll, was in diesen Anträgen steht, komme ich zu einem ähnlichen Ergebnis, wie es vorhin schon Kollege Sprinkart aufgezeigt hat. All das, was Sie, meine Damen und Herren von der CSU, fordern, wie auch die Forderungen, die von uns und den GRÜNEN kommen, sind im Grunde genommen Bestandteil eines Gesetzes gewesen, das vor einigen Jahren im Bundesrat eingebracht worden war und von Ihnen blockiert wurde.

(Beifall bei der SPD)

Alles, was wir heute an Herkunftsnachweisen und Kontrollmöglichkeiten fordern, wäre in diesem Gesetz enthalten gewesen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Schon längst!)

Um nun einen konstruktiven Vorschlag zu machen: Die SPD wird noch in diesem Jahr ein Verbraucherinformationsgesetz im Bayerischen Landtag einbringen. Wir haben es vorbereitet und führen zurzeit Gespräche mit den Verbänden, um die Thematik entsprechend abzuklären.

Es gibt im Übrigen bereits entsprechende Maßnahmen in anderen Bundesländern, die aufgrund dessen, dass Sie auf Bundesebene dieses Gesetz blockiert haben, eigene Landesgesetze eingebracht haben. Deshalb bringen auch wir jetzt ein eigenes Landesgesetz ein, um ebenfalls entsprechend weiterzukommen.

Wir sind der Meinung, dass wir viel schneller und genauer informiert werden müssen. Ich will dazu nur ein augenfälliges Beispiel nennen. Auch die letzten Berichte in den Zeitungen und Fernsehmedien über den BSE-Skandal

deuten darauf hin, dass der Übertragungsweg über das Tiermehl ging. Wir wissen, dass es sich hier um große Mengen gehandelt hat, die an die Bauern weitergereicht wurden, und diese haben nichts davon gewusst. Bis heute gibt es keine Liste der Firmen, die das gemacht haben; die Staatsanwaltschaft hat die Verfahren eher eingestellt, als dass es Aufklärung gegeben hätte. Das Ganze ist irgendwo versandet. Damit schafft man für die Zukunft kein Vertrauen beim Verbraucher, auch nicht in den bäuerlichen Betrieben und bei den Bauern, die darauf angewiesen sind, dass derjenige, der so etwas anstellt, auch tatsächlich zur Rechenschaft gezogen wird.

Und noch ein Punkt – ich will es kurz machen –: Wir sind gegen die Privatisierung der Kontrollen. Das wurde schon ausgeführt. Es ist die vornehmste Aufgabe des Staates zu kontrollieren. So etwas kann nicht privatisiert werden und nicht in die Hände derjenigen gegeben werden, die sich dann selbst kontrollieren können.

Wenn Sie eine Aufgabenbeschreibung des Staates haben wollen, sage ich Ihnen nur: Es geht doch in erster Linie darum, dass der Staat die Bürger davor schützt, dass sein Wohlbefi nden durch kriminelle Energie eingeschränkt wird. Deshalb muss es Aufgabe des Staates sein, diese Kontrollen durchzuführen. Sie dürfen nicht privatisiert werden.

Eine Kürzung der Stellen können wir ebenso wenig akzeptieren. Dabei meine ich nicht, dass der jetzige Stand ideal ist. Wir brauchen mehr und nicht weniger Personal, weil es sonst nicht besser wird.

Es geht auch darum, den Verbraucher aufzuklären, dass er begreift, dass billiges Fleisch ihn teuer zu stehen kommt. Das hat auch mit Bildung und Information zu tun. Da war zum Beispiel die Streichung der Mittel im Bereich der Ernährungsberatung nicht nur kontraproduktiv, sondern auch ein glatter Unfug.

(Beifall bei der SPD)

Es gilt doch, den Verbraucher in vielen Bereichen darauf aufmerksam zu machen, dass das, was ihm zunächst billig erscheint, insgesamt letzten Endes teuer zu stehen kommt.

Es gäbe noch vieles zu sagen, aber lassen Sie mich mit dem Hinweis schließen – das gehört hier auch dazu – dass es in der Schweiz vor acht Tagen eine Abstimmung gab, in der es darum ging, ob man auf gentechnisch veränderte Organismen in der Produktion verzichten sollte. Die Schweiz hat dies mit der Mehrheit der Bevölkerung beschlossen, und das ist gut so. Und einer der wichtigsten Beiträge, die wir in Bayern leisten können, wäre, endlich auf Qualität zu setzen, und sich zum Beispiel freiwillig dazu bereit zu erklären, auf gentechnisch veränderte Organismen zu verzichten und dem Qualitätsstandard auch im Interesse unserer bäuerlichen Landwirtschaft eine Chance zu geben. Damit hätten wir für die Zukunft mehr getan als heute Dinge zu fordern, die Sie vor einigen Jahren im Bundesrat abgelehnt haben.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Naaß.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Fleischskandal droht sich nach den Worten des Bundesverbraucherschutzministeriums auszuweiten. Das, was bisher an die Öffentlichkeit gelangt ist, scheint nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Der neue Bundesverbraucherschutzminister will hart vorgehen. Er erzählt, dass seine Mitarbeiter ihm berichten, je mehr man kontrolliere, desto mehr werde gefunden. Ich frage nun: Was tut die Staatsregierung? Was will die CSU? Ganz ehrlich, ich war entsetzt, als ich Ihren Dringlichkeitsantrag gelesen habe, meine Damen und Herren von der CSU. Darin wird immer nur auf andere verwiesen, auf den Bund, auf Europa. Es wird mit keinem Wort darauf eingegangen, was man im eigenen Zuständigkeitsbereich tun könnte, damit sich die Situation verbessert.

(Beifall bei der SPD)

Kein einziges Wort dazu!

(Zurufe von der CSU)

Dieser Skandal in Bayern, aber auch in anderen Bundesländern, wird nicht zum Anlass genommen zu handeln, eigene Maßnahmen zu hinterfragen und vor allem aufzuzeigen, was man tun will, damit man künftig schneller und besser agieren kann.

Wir haben bayernweit 210 173 Lebensmittelbetriebe, die ab dem kommenden Jahr – so hat uns der Herr Minister heute in der Fragestunde erzählt – alle sechs bis maximal 60 Monate kontrolliert werden sollen. 424 Lebensmittelkontrolleure stehen dafür zur Verfügung. Diese müssen schon heute unter sehr schweren Bedingungen arbeiten. Herr Kollege Dr. Huber, Sie kennen deren Arbeit. Diese müssen zusätzlich zu den Kontrollarbeiten noch eine Risikoanalyse für jeden Betrieb erstellen, obwohl sie unter einer zu geringen Personalausstattung leiden, nur eine sehr schlechte technische Ausstattung haben und vor allem auch sehr schlechte Beförderungsmöglichkeiten.

Kein Wunder, dass sich in manchen Landratsämtern die Situation so darstellt wie beispielsweise im Landratsamt Unterallgäu. Dort sind es tatsächlich nur zwei Personen, die für diesen großen Landkreis tätig sind, obwohl es eigentlich vier Kontrolleure sein sollten und dazu eine weitere Person aus dem Bereich des Zolls. Es sind deshalb nur zwei Personen dort tätig, weil die Beschäftigten aufgrund der besseren Bezahlungsmöglichkeiten in BadenWürttemberg zum Teil über die Landesgrenze dorthin abwandern, andere zum Teil in den Ruhestand oder in Altersteilzeit gegangen sind und kein neues Personal zur Verfügung steht. Es gibt kein ausgebildetes Personal, weil die Staatsregierung immer nur nach Bedarf ausbildet.

Es wäre also dringend erforderlich, gerade in diesem sensiblen Bereich der Überwachung und Lebensmittelkontrolle über den Bedarf hinaus auszubilden, damit auch in solchen Situationen, in denen Löcher entstehen, die nicht gestopft werden können, entsprechend gut ausgebildetes Personal zur Verfügung steht. Wir haben in unserem

Dringlichkeitsantrag eine Reihe von Punkten aufgeführt, die erforderlich sind, um die Situation besser in den Begriff zu bekommen und bessere Kontrollmöglichkeiten zu erhalten.

Auf jeden Fall ist es eine schlechte Sache, im Bereich der Lebensmittelkontrolle und -überwachung an eine Privatisierung zu denken. Die Staatsregierung hat per Kabinettsbeschluss vom Juni 2005 beschlossen, die Überwachung industrieller Lebensmittelgroßbetriebe künftig auf private Sachverständige zu übertragen. Das bedeutet, die Stellen von 20 Lebensmittelkontrolleuren abzubauen und nicht mehr zu besetzen, wenn die jetzigen in den Ruhestand gegangen sind.

Das bedeutet auf der anderen Seite, 20 Leute aus der Privatwirtschaft zu holen. Eine Vorstellung darüber, in welcher Art und Weise dies geschehen soll und wer diese privaten Sachverständigen sein sollen, hat der Herr Minister bis heute überhaupt noch nicht. Aber es wird schon beschlossen zu privatisieren. Gerade in diesem sensiblen Bereich darf nicht privatisiert werden, sondern muss die Überwachung beim Staat bleiben; denn der Staat garantiert Unabhängigkeit und Neutralität, was vonseiten der Privaten nicht immer gewährleistet werden wird. Denn den Privaten geht es um Einnahmen und Gewinn, der Staat hat hingegen eine andere Aufgabe.

Es fehlen Aussagen dazu, was eine Privatisierung dieser Aufgaben kostet. Denn der Staat muss den Privaten dafür etwas zahlen, dass sie diese Kontrolle leisten. Ich bitte die Staatsregierung, dies nochmals zu hinterfragen.

Auch im Hinblick auf die Rechtssicherheit ist es wichtig, dass solche Aufgaben beim Staat bleiben und nicht an Private abgegeben werden.

Ich habe vorher auch die technische Ausstattung angesprochen, mit der die Lebensmittelkontrolleure arbeiten müssen. Das bedeutet, dass es kein funktionierendes EDV-Programm gibt, mit dem ein anständiger Datenabgleich vorgenommen werden kann. Die Lebensmittelkontrolleure haben nach dem BSE-Skandal mit „Hamlet“ ein eigenes Programm entwickelt. Aber dies wollte die Staatsregierung nicht, obwohl es ein gutes, auf die Bedürfnisse der Lebensmittelkontrolleure abgestelltes Programm gewesen wäre. Nein, es wurde ein eigenes Programm „Diva“ entwickelt, das, so sagen uns die Fachleute, den Bedürfnissen der Realität nicht entspricht.

Wir sind der Meinung, die Lebensmittelüberwachung muss gestärkt und darf nicht dem Sparwahn der Staatsregierung geopfert werden; denn auch in diesem Bereich der Lebensmittelkontrolle wird Personalabbau betrieben.

Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger muss oberste Priorität haben. Das bedeutet, der Staat muss diese ganze Angelegenheit in der Hand behalten und darf sie nicht privatisieren.

Das Kabinett hat weiter beschlossen, im Bereich der Veterinärverwaltung Stellen abzubauen. In diesem Bereich sollen die mit dem Nachtragshaushalt 2001/2002 für die Errichtung des mobilen Veterinärdienstes geschaffenen

14 Stellen ab 2007 schrittweise wieder abgebaut werden, so der Kabinettsbeschluss vom Juli 2005. Auch hier ist die SPD-Fraktion der Meinung, dass dies die Staatsregierung zur Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger und zur Sicherheit unserer Verbraucherinnen und Verbraucher noch einmal überdenken muss.

(Beifall bei der SPD)