Protokoll der Sitzung vom 14.12.2005

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zentrales Anliegen ist uns eine gesicherte Existenz für die Familie. Daher muss auch in der Familienpolitik die Vermeidung

von Arbeitslosigkeit und die Schaffung zukunftssicherer Arbeitsplätze absolute Priorität haben. Nur eine Verbesserung der Wirtschaftssituation wird hier helfen.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit sagen: Ich habe keinerlei Verständnis für das Verhalten mancher Großkonzerne, die aus kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Überlegungen im großen Stil Arbeitsplätze auch im Freistaat Bayern abbauen. Ich kann nur im Interesse der Familien feststellen: Die durch den Abbau möglicherweise günstigeren Produkte werden von den Familien in Bayern nicht mehr im bisherigen Umfang gekauft werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Eine gute Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik ist deshalb eine gute Familienpolitik. Meine sehr geehrten Damen und Herren, mir erscheint es besonders wichtig, darauf hinzuweisen, dass das neue Konstrukt, das die Parteien des Deutschen Bundestages miteinander in der letzten Legislaturperiode geschaffen haben, nämlich Hartz IV, immer wieder auf seine Familienverträglichkeit überprüft werden muss. Hier gibt es im Vollzug in der Tat noch erhebliche Probleme. Das ist sehr wohl auch eine Länderaufgabe. Diese Aufgabe stellt sich auch im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit der öffentlichen Haushalte. Nur wenn wir unseren Kindern und Enkeln einen handlungsfähigen Staat überlassen, werden soziale Marktwirtschaft, Sozialstaat und auch die Demokratie Bestand haben. Wir sollten diesbezüglich im Interesse unserer Kinder lernen.

In diesem Zusammenhang noch ein anderer Hinweis: Je stärker sich die öffentliche Hand verschuldet, umso höher sind die Kreditmarktzinsen. Dies geht gerade zulasten von Familien mit Kindern, die aufgrund dieses staatlichen Handelns dann bei der Kreditaufnahme schlechtere Bedingungen haben. Das ist keine nachhaltige Familienpolitik.

In der Politik der Bayerischen Staatsregierung und der CSU-Landtagsfraktion hat die Familienpolitik absolute Priorität.

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))

Mit der Regierungserklärung unseres Ministerpräsidenten wurde der Dreiklang hergestellt: konsolidieren, reformieren und investieren. Wir legen darauf Wert, dass auch in Zukunft in der Investitionsphase die Familienpolitik absolute Priorität hat. So sollen 30 000 neue Kinderbetreuungsplätze, insbesondere für unter Dreijährige und Schulkinder, im Zeitraum von 2002 bis 2008 geschaffen werden mit einem Investitionsvolumen von 313 Millionen Euro vom Staat, die von Einsparungen ausdrücklich ausgenommen worden sind.

Die positiven Auswirkungen des Kinderbildungs- und betreuungsgesetzes, die fi nanziellen Leistungen durch das Landeserziehungsgeld, die sich vergleichbar nur in drei anderen Bundesländern ergeben, die Jugendsozialarbeit an Schulen, die auch dank des Engagements der Sozialministerin Christa Stewens weiterentwickelte Frühförderung und die für die Zukunft gesicherten Erziehungs

beratungsstellen sind nur einige Schwerpunkte bayerischer Familienpolitik.

Mit dem Forum „Bayern – Familie“, wo alle Beteiligten an einem Tisch sitzen, werden gerade für das zentrale Thema „Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben“ immer wieder neue Impulse gesetzt. Ich denke, es ist ein Auftrag des Staates und der Kommunen als öffentliche Arbeitgeber, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Rahmen ihrer Vorbildfunktion immer wieder in den Mittelpunkt zu stellen.

Kolleginnen und Kollegen, diese Aktuelle Stunde soll auch eine Gelegenheit sein, die Notwendigkeit zur Weiterentwicklung der Familienpolitik zu verdeutlichen. Für die Sozial- und Familienpolitik der CSU-Landtagsfraktion gibt es nach wie vor wesentliche Prioritäten. Ich möchte auf das grundsätzliche Verständnis von Familienpolitik eingehen, weil dies von Frau Kollegin Werner-Muggendorfer vorhin angesprochen wurde: Es kann nicht Aufgabe der Politik des Staates sein, den Familien vorzuschreiben, welchen Lebensweg sie gehen und welche Optionen sie haben.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Aber Sie verbauen ihnen die Chancen!)

Dies muss der entscheidende Gradmesser für die Gestaltung der Rahmenbedingungen durch die Politik sein. Wir halten Folgendes für wichtig:

Erstens. Wir brauchen einen kontinuierlichen Ausbau der Kinderbetreuung nach Bedarf und mit den vor Ort gewünschten fl exiblen Angeboten. Gerade im Ballungsraum München und in anderen Ballungszentren besteht in dieser Hinsicht ein erheblicher Nachholbedarf. Das gilt vor allem für die frühkindliche Betreuung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube nicht, dass wir mit der Diskussion über einen Rechtsanspruch die Probleme, die es in verschiedenen Kommunen in der Tat gibt, lösen können. Notwendig sind vielmehr Investitionen des Staates und der Kommunen.

Zweitens. Das Armutsrisiko für Familien muss erheblich reduziert werden. Dafür sehe ich durchaus Chancen, wenn die Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien umgesetzt wird. Das Elterngeld darf jedoch nicht zu einer Umschichtung zulasten der geringer Verdienenden führen. Dies muss ein entscheidendes Anliegen bei der Ausgestaltung dieses Elterngeldes sein.

Drittens. Eltern dürfen – obwohl dies ihre ureigenste verfassungsrechtlich garantierte Angelegenheit ist – bei Bedarf in Erziehungsfragen nicht allein gelassen werden. Die Stärkung der Erziehungskompetenz ist eine vorrangige Aufgabe, für die wir bereits politische Zeichen gesetzt haben. Frau Kollegin Dodell wird darauf noch eingehen.

Viertens. Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik müssen eine familienpolitische Kosten-Nutzen-Rechnung hinsichtlich der Auswirkungen aufstellen. Wenn Familien stärker an die Armutsgrenze rücken, bedeutet dies nicht nur eine schwierige Situation für die betroffenen Familien,

sondern auch einen großen volkswirtschaftlichen Schaden.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Und Handlungsbedarf!)

Fünftens. Familienfreundlichere Arbeitsbedingungen dürfen in der sozial- und arbeitsmarktpolitischen Diskussion kein Schattendasein führen. Diese Vereinbarkeit muss zu einem Thema gemacht werden, weil nachweislich die Betriebe und die Familien die Gewinner einer solchen Schwerpunktsetzung sind. Erfreulicherweise haben verschiedene Kammern und Verbände bereits entsprechend reagiert. Ich appelliere mit Nachdruck an die Gewerkschaften, hier einen Schwerpunkt in der Politik zu setzen. Die Politik bietet sich dabei als Partner an.

Die bewährten und durch die öffentliche Hand im Freistaat Bayern geförderten Maßnahmen, die ich schon angesprochen habe, müssen insbesondere im Hinblick auf ihren präventiven Charakter fortgeführt werden. Bildungs- und Sozialpolitik müssen miteinander vernetzt werden. Eine positive Kindesentwicklung würde dadurch ausdrücklich gefördert. Wir müssen auch die Leistungsschwächeren im Auge behalten.

Eine starke Kinder- und Familienpolitik muss auch den Schutz der Kinder verstärken. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Medien, aber auch für die gesundheitliche Entwicklung und für die Vermeidung von Gewalt und Verwahrlosung. Schlimme Fälle aus den vergangenen Monaten müssen für uns ein großes Warnsignal sein.

Da aus meiner Sicht eine verpfl ichtende Teilnahme an U1 bis U9, wie das in verschiedenen Ländern diskutiert worden ist, aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt, müssen wir nach Alternativen suchen. Die Gesellschaft im Freistaat Bayern muss verstärkt auf die Situation der Familien eingehen. Das Leben einer Familie mit Kindern ist für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft entscheidend. Wer Familien stärkt, fördert damit die Entwicklung der Kinder. Wer die positive Kindesentwicklung fördert, stabilisiert die Gesellschaft und erleichtert das Ja zum Kind. Das sind die entscheidenden Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für eine zukunftsweisende Politik.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Rednerin: Frau Kollegin Ackermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Von der CSU und der SPD werden hinsichtlich der Kinder- und Familienpolitik viele Hoffnungen auf die Große Koalition gesetzt. Wir freuen uns auf die kommenden Erfolge und wünschen den Familien und den Kindern, dass Sie Recht behalten. Wir befi nden uns jedoch in Bayern und ich glaube, wir sollten erst einmal vor unserer eigenen Haustüre kehren. Da haben wir wahrlich genug zu tun.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bayern ist Spitze – so klingt es allerorten aus dem Mund der CSU. Leider ist Bayern, was Kinder- und Familienpolitik anbelangt – keineswegs Spitze. Das beginnt bereits, bevor die Kinder geboren werden, nämlich bei der Entscheidung einer jungen Familie, ob sie Kinder haben will oder nicht. Heutzutage ist es für junge Menschen sehr schwierig, insbesondere wenn sie eine lange und anstrengende Ausbildung hinter sich gebracht haben und am Anfang einer Karriere stehen, ihren Beruf zugunsten der Kindererziehung zurückzustellen. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um junge Männer oder junge Frauen handelt.

Leider ist es nicht oder nur sehr schwer möglich, Kinder und Beruf zu vereinbaren. Woran liegt das? – Wir haben in Bayern bei den Kinderkrippen einen Deckungsgrad von etwa 2 %. In unserer Gesellschaft ist es nicht mehr so wie früher, als die Kinder in der Großfamilie betreut werden konnten. Heute müssen sich die jungen Leute entscheiden. Diese Entscheidung fällt häufi g – notgedrungen – gegen den Kinderwunsch aus. Das ist sehr schade.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn die Kinder geboren werden, entstehen häufi g Doppelbelastungen, in den meisten Fällen für die Mütter. Für allein erziehende Mütter entstehen unendliche Belastungen. Oft sinken diese Frauen auf das Sozialhilfeniveau ab, weil sie keine Möglichkeit haben, sich ihrem Kind zu widmen oder für dieses Kind eine Betreuungsmöglichkeit zu fi nden und gleichzeitig einen Beruf auszuüben.

Armut ist für Kinder ein Risiko. Sie ist nicht nur für den Augenblick, sondern für die gesamte Zukunft der Kinder ein Risiko. Ein Kind, das in Armut aufwächst, hat nachweislich wesentlich schlechtere Bildungschancen, es macht schlechtere Abschlüsse und es ist später oft der Jugendarbeitslosigkeit preisgegeben. Dieser Weg wird dadurch vorgezeichnet, dass die Eltern arm sind. Und das in einem Staat, der angeblich ein sozialer Staat ist. Ich weiß nicht, wo wir mit unserem sozialen Gewissen ansetzen sollen, wenn nicht bei den Kindern und den sozial Schwachen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weiter geht es, wenn das Kind in den Kindergarten kommt. Seit August dieses Jahres haben wir das neue Bayerische Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz – BayKiBiG –.

Das BayKiBiG lässt auch keine Chance aus, weniger Verdienende zu benachteiligen, Alleinerziehende zu benachteiligen, Einrichtungen mit anderen guten Konzepten mit wenig Kindern, mit Konzepten, auf die sie stolz sind, zu benachteiligen, ja nicht nur das, sondern sie mit Schließung zu bedrohen, wie bereits jetzt, obwohl die Finanzierung noch gar nicht greift, geschehen. Es ist auch kein Geheimnis, dass, wie zum Beispiel im Wahlkreis unserer Staatsministerin Frau Stewens, in Ebersberg, geschehen, eine Gemeinde die Trägerschaft des Kindergartens unter Berufung auf das BayKiBiG zurückgibt. Das müssen Sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Da haben wir weiß Gott kein richtungsweisendes Gesetz für Kinder oder für Familien geschaffen.

Es geht weiter in der Schule mit der frühen Selektion. Nach der vierten Klasse müssen sich Kinder entscheiden. Kinder mit wenig Förderung, Kinder mit Sprachproblemen, Kinder, die langsamer sind in der Entwicklung, können sich in der vierten Klasse noch nicht für einen vorgezeichneten Lebensweg entscheiden. Sie brauchen länger, und deshalb brauchen wir eine längere gemeinsame Schulzeit für die Kinder, um ihnen die Entscheidungsfi ndung zu ermöglichen und um sie angemessen zu fördern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dafür brauchen wir auch eine Ganztagsschule. Denn es ist eine Ungleichbehandlung, wenn die Mütter, die es sich leisten können, nicht zu arbeiten, nachmittags ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen können, und die anderen Kinder bleiben halt, wo sie sind, und bekommen ihre schlechten Noten.

Wir brauchen eine Änderung unseres Schulsystems. Wir wollen keine Kinder mehr „sitzen lassen“. Wir wollen Kinder fördern. Wir wollen nicht ihre Defi zite verstärken, sondern wir wollen ihre Fähigkeiten sehen und diese verstärken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist eine kindgerechte Pädagogik. Was wir machen, ist eine Pädagogik, die sich gegen Kinder richtet, und die wollen wir nicht mehr.

Das alles sind Veränderungen, die wir in Zukunft angehen müssen, wenn wir die Bezeichnung „kinder- und familienfreundlich“ ernsthaft in den Mund nehmen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Unterländer hat gerade wieder einmal vom „Sparen für die Zukunft“ gesprochen. Herr Kollege Unterländer, es hat wirklich niemand etwas dagegen, wenn man mit Geld behutsam umgeht und es nicht mit vollen Händen aus dem Fenster wirft. Aber glauben Sie mir, gerade bei den Kindern und Familien ist dieser unbedingte Sparwille fehl am Platz.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gerade da müssen wir investieren. Da ist das Geld gut angelegt.

(Martin Sailer (CSU): Tun wir auch!)