Protokoll der Sitzung vom 14.12.2005

(Martin Sailer (CSU): Tun wir auch!)

Wenn man es nur fi skalisch betrachtet, was eigentlich die falsche Herangehensweise ist, ist schlicht festzustellen: Unsere Kinder geben uns vierfach, zehnfach, vielfach zurück, was wir in sie investieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das müssen wir jetzt tun und nicht irgendwann, wenn wir erkennen, dass der Karren noch tiefer im Dreck steckt, und wenn die Familien sich dafür entscheiden, überhaupt keine Kinder mehr zu bekommen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nicht nur bei der Bildung hapert es gewaltig, es hapert auch bei der psychischen Versorgung der Kinder. Es waren noch nie so viele Kinder psychisch krank wie zurzeit. Es waren noch nie so viele Kinder in Therapie, wobei man anmerken muss, dass nur diejenigen Kinder eine Therapie bekommen, die wohlhabende und interessierte Eltern haben. Die anderen kommen nicht einmal in den Genuss einer Therapie, obwohl sie es dringend bräuchten.

(Joachim Unterländer (CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Das sind alarmierende Tatsachen. Es gab noch nie so viele übergewichtige Kinder, so viele diabeteskranke Kinder. Das sollte uns zu denken geben. Hier ist Prävention gefordert und eine Umgebung, die die psychische Gesundheit der Kinder fördert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dazu gehört auch die Architektur. Wir müssen ein Wohnumfeld schaffen, in dem sich Kinder und Familien wieder wohl fühlen können, wo Kinder spielen können und wo Familien leben können und sich nicht auf kleinem Raum zusammendrängen müssen, weil sie andere Wohnung nicht mehr bezahlen können.

Wir müssen uns die Frage stellen: Was brauchen Kinder wirklich?

(Martin Sailer (CSU): Das ist es!)

Nur wenn wir uns diese Frage ernsthaft stellen, Herr Kollege Sailer, dann ist auch die Antwort klar: Sie brauchen von Anfang an eine individuelle Förderung. Sie brauchen auch unsere Bereitschaft, in sie zu investieren. Sie brauchen unsere Aufmerksamkeit. Sie brauchen Zuwendung. Zuwendung können ihnen die Eltern aber nur dann geben, wenn es fl exible Arbeitszeiten gibt, wenn es die Möglichkeit gibt, in der Arbeitswelt auf die Bedingungen, die die Kindererziehung mit sich bringt, einzugehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn sich die Kinder nicht an die Arbeitswelt, sondern die Arbeitswelt sich an die Bedürfnisse von Kindern und Familien anpasst, dann sind wir auf dem richtigen Weg.

Ich glaube, bis zu diesem Zeitpunkt haben wir noch sehr viel zu tun. Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir umdenken zugunsten von Kindern und Familien, und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Dr. Strohmayr.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe vor kurzem eine Anfrage an die Staatsregierung zur Betreuungssituation von Kindern unter drei Jahren in Bayern gestellt. Das Ergebnis war wirklich niederschmetternd. Als Schwäbin möchte ich jetzt einmal die schwäbischen Zahlen vorlesen. Der Versorgungsgrad bei Kinderkrippen in Schwaben beträgt 1,2 %,

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Respekt! Niederbayern ist noch schlechter!)

bei Kindergärten 0,8 %, und in der Tagespfl ege sind in Schwaben 0,5 % der unter Dreijährigen versorgt. Ich kann nur sagen: Wer in Schwaben wohnt und Kinder hat und vielleicht berufstätig ist oder sein will, der sollte wirklich eine Oma haben. Lediglich 1300 Kinder fi nden einen Betreuungsplatz in Kinderkrippen, Kindergärten und in der Tagespfl ege. Frau Stewens, das ist wirklich ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann nur immer wieder den europäischen Durchschnitt von 20 % anführen. Selbst in Deutschland gibt es positive Beispiele, nämlich die Bundesländer Sachsen-Anhalt 48 %, Thüringen 40 %, Brandenburg 42 %. Da sind wir mit unserem bayerischen Durchschnitt von 2,4 % unter „ferner liefen“.

(Martin Sailer (CSU): Gott sei Dank!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich aus einem IHK-Papier vorlesen, das spricht vielleicht Ihre wirtschaftsbetonte Sprache. Aber selbst dort hat man längst festgestellt, dass zum Beispiel während der Schulferien gut 60 % der Kindertagesstätten – KiTas – ganz oder teilweise geschlossen haben. Nur 55 % bieten dann noch eine alternative Betreuungsmöglichkeit an. Innerhalb der Öffnungszeiten sind nur zwei Drittel der KiTas fl exibel, wenn es zum Beispiel um Überstunden oder Ähnliches geht. Natürlich wollen wir nicht, dass sich die Familien an die Arbeitszeiten angleichen. Aber wir müssen Bedingungen schaffen, dass es auch in solchen Ausnahmefällen Möglichkeiten gibt, die Kinder vernünftig unterzubringen.

(Beifall bei der SPD)

Mit Schrecken wird in Ihren schönen Reden immer wieder auf die demographische Entwicklung hingewiesen, darauf, dass nur noch 1,3 Kinder pro Frau in Deutschland geboren werden, und das, obwohl viele Umfragen unter Jugendlichen immer wieder ergeben, dass sich viele eine Familie wünschen. Uns allen ist, glaube ich, längst klar – lieber Herr Unterländer, Sie haben es gerade wieder gesagt, dass Sie das im Grunde unterstützen, und haben es eingesehen –, dass wir etwas tun müssen, dass wir Kinderbetreuungsplätze schaffen müssen. Aber was

haben wir in Bayern getan? Wir haben ein Gesetz geschaffen, das BayKiBiG, das wirklich nicht richtungsweisend ist. Was passiert denn, seit dieses Gesetz in Kraft ist?

Die Elternbeiträge steigen um bis zu 30 %. Frau Stewens, auch das möchte ich klarstellen: Sie haben im Gesetzgebungsverfahren immer davon geredet, wie gut wir in Bayern dastehen, dass die Eltern nur 20 % der Kosten tragen müssen. Ich habe hier eine Aufstellung vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Danach stehen wir überhaupt nicht gut da.

In Schweden zahlen die Eltern gar nichts. In Frankreich zahlen sie 4 %, in England 4 % und in Finnland 9 %. Selbst nach unserem alten Gesetz, nach dem die Eltern 20 % zu zahlen hatten, standen wir also schon viel schlechter da, jetzt aber kommt es durch Ihren neuen Gesetzentwurf zu zusätzlichen Verteuerungen und wir stehen noch viel schlechter da. Ich frage mich wirklich, ob das ein Meilenstein in der Kinderpolitik ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir fordern Beitragsfreiheit. Frau Werner-Muggendorfer hat es schon gesagt.

Auf dem Land schließen die Kindergärten. Das wissen Sie. Der § 21 der neuen Rechtsverordnung wird es allein nicht regeln können.

Nun noch ein kurzes Wort zur Gastkinderregelung. Auch hier fi nden wir große Verwerfungen. Der Waldorf-Kindergarten in Regensburg hat 30 % weniger Kinder aus dem Landkreis; Ähnliches gilt für den Waldkindergarten in Bernried. In Friedberg – das ist in meinem Wahlkreis – wollten Eltern ihre Kinder in einen Waldorf-Kindergarten schicken, aber es wurde ihnen dabei gleich gesagt, dass sie sich an den Kosten beteiligen müssten. So sieht die Realität aus. Und das soll dazu führen, die Familien- und Kindersituation zu verbessern? – Da kann ich nur lachen!

(Beifall bei der SPD)

Die Bedarfsfeststellung macht Probleme. Viele Kommunen wissen nicht, wie sie das anfangen sollen. Sollen sie einen Aufruf in die Zeitung setzen, dass sich die Eltern melden? Sollen sie die Eltern anschreiben? Was sollen sie tun? Natürlich haben viele Kommunen ein vorbildliches Angebot, Herr Unterländer. Das stimmt, aber das können nicht Sie sich auf die Fahne schreiben. Es sind das nicht die Ergebnisse einer guten bayerischen Politik, sondern einer guten Politik vor Ort.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin Kreisrätin im Landkreis Augsburg und weiß, dass es dort niemanden gibt, der die Bedarfsplanung begleiten wird. Ich frage mich, wie diese Bedarfsplanung überhaupt aussehen soll, wenn es keinen Menschen gibt, der diese koordiniert.

So sieht Ihr Gesetz aus. Ein tolles System, Frau Stewens. Hier mangelt es an allen Ecken und Enden in Bayern.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin, wir sind erheblich über der Zeit.

Eine Sache noch. Ich wünsche mir zu Weihnachten,

(Heiterkeit und Zurufe)

dass wir nicht nur in diesem Parlament über all diese Dinge reden, sondern endlich auch den Mut haben, im Rahmen der Haushaltsberatungen, die demnächst anstehen, diese Dinge umzusetzen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Da, Herr Unterländer, könnten auch Sie Ihren Mut beweisen.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Dodell.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Gesellschaft verändert sich. Auch die Familien verändern sich. Daran ist nicht in erster Linie die Politik schuld. Deswegen helfen uns hier auch nicht gegenseitige Schuldzuweisungen weiter, und es hilft nicht weiter, wenn wir die Dinge schlechtreden. Wir müssen vielmehr den jungen werdenden Eltern und den jungen Familien Mut machen.

Die Gesellschaft verändert sich durch viele Faktoren, die auf sie einwirken, sei es die Arbeitwelt, seien es die Einfl üsse der Medien. Die Familienstrukturen verändern sich ebenso. Wir haben heute viel mehr Kleinfamilien als Großfamilien. Und wir haben zugegebenermaßen auch Anlass zu Sorgen. Ich will nur wenige Punkte nennen. Wir haben Anlass zur Sorge, weil es immer mehr verhaltensgestörte, psychisch kranke und psychisch angeschlagene Kinder und auch mehr kranke und zu dicke Kinder gibt. Die Kinder- und Jugendhilfe der Kommunen und Landkreise kann viele dieser Probleme heute nicht mehr bewältigen. Wir reparieren in weiten Teilen an unserer Gesellschaft, nicht nur für Wohlhabende, sondern diese Therapien kommen allen zugute, Frau Kollegin Ackermann.

Diesen veränderten Bedingungen unserer Gesellschaft und unserer Familien müssen wir als verantwortliche Politiker Rechnung tragen. Das kann allerdings nicht nur die Politik allein, sondern wir müssen es gemeinsam mit Wirtschaft und Gesellschaft versuchen. Und da steht an allererster Stelle, sozusagen als Basis dessen, was wir tun müssen, die Erziehung von Anfang an, also gerade in den ersten prägenden Lebensjahren. Wir müssen den Eltern ihre Erziehungsverantwortung wieder bewusst machen und ihnen bei der Bewältigung dieser Aufgabe helfen und sie begleiten. Denn viele Eltern können das heute nicht