Protokoll der Sitzung vom 15.12.2005

Auch das ist interessant und beleuchtet Ihre Bemühungen.

Auch zum Wachstum ein Gedanke. Herr Huber, in einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft für so viel Wachstum zu sorgen, dass zum Ersten die Finanzmisere der öffentlichen Hand gelöst werden kann, zum Zweiten die soziale Sicherung auf viele Jahre hinaus gewährleistet werden kann und zum Dritten der Arbeitsmarkt entlastet wird, das heißt, die Arbeitslosigkeit spürbar reduziert wird, das halten wir für Illusion. Ich sage, da lügen Sie sich an, vor allem lügen Sie die Bürgerinnen und Bürger an, und Sie machen es sich viel zu einfach. Sie schützen sich davor, sich einmal wirklich zu überlegen: Wie kann man die Probleme, und sie sind ja riesengroß, anders in den Griff bekommen?

Gerade recht, Herr Huber, kommen Sie uns mit Ihren Beispielen, was die Kosten anbelangt. Sie haben den Spritpreis genannt. Welches ist die Partei in Deutschland, die für die größten Steuererhöhungen und die höchsten Steuersätze steht? Das ist die CSU, auch mit ihrem letzten Bundesfi nanzminister – Theo Waigel heißt dieser Mensch. Die größten Steuererhöhungen in der Geschichte der Republik, das waren die Versicherungssteuer und die Mineralölsteuer. Letztere wurde in zweistelligen PfennigSchritten erhöht, und bei der Versicherungssteuer war es ähnlich. Sie stehen auch für die höchsten Steuersätze, wenn ich beispielsweise an die Einkommensteuer denke. Sich hierherzustellen und auch noch das Beispiel zu bringen, wo Sie die Steuer massiv hochgezogen haben, das ist ein riesengroßes Eigentor und nichts anderes.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine letzte Botschaft, Herr Huber, die so wunderbar gerade Ihre Politik und die Politik der Staatsregierung trifft: Wenn Sie nicht über Jahrzehnte – Gott sei Dank haben Sie es jetzt auf einmal erkannt, das waren auch Ihre ersten Aussagen – Millionen und Milliarden Euro in überkommene Strukturen gesteckt und das Ganze auch noch mit Ihrer Spezlwirtschaft garniert hätten, dann hätten wir viele hundert Millionen Euro in den Strukturwandel stecken können, und dann hätten viele Millionen Euro sinnvoll investiert werden können. Das haben Sie in Bayern verhindert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/4455 – das ist der Antrag der SPD-Fraktion – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? – Das ist die CSU-Fraktion.

(Unruhe bei der SPD)

Enthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/4475 – das ist der Antrag der CSU-Fraktion – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag angenommen.

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Ulrike Gote u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bleiberecht für langjährige Flüchtlinge in Bayern (Drs. 15/4456)

Ich eröffne die Aussprache. Bitte schön, Frau Kollegin Kamm.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! An die 200 000 Menschen leben seit mehr als fünf Jahren in der Bundesrepublik, manche zehn bis zwölf Jahre und länger, ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Viele von Ihnen haben Familie und etwa 50 000 Kinder befi nden sich unter ihnen. Zum Alltag dieser Menschen gehört die tägliche Angst vor einem Ende der Kettenduldung, vor der Abschiebung, vor einer ungesicherten Zukunft oder auch vor einem Entzug der Möglichkeit, sich weiter eine Arbeit suchen zu dürfen.

Viele Hoffnungen dieser Menschen richteten sich auf die letzte Innenministerkonferenz, zumal im Vorfeld dieser Konferenz nicht nur von SPD-regierten Länder, sondern auch von CDU-regierten Ländern tragfähige Vorschläge im Interesse dieser Menschen und dieser oft gut integrierten Flüchtlinge gemacht wurden. Umso größer ist allenthalben die Enttäuschung bei uns, dass sich die Mitglieder dieser Innenministerkonferenz nicht auf eine tragfähige Lösung einigen konnten.

Von Ihnen, Herr Minister Beckstein, war bedauerlicherweise zu hören und zu lesen, dass Sie sich in besonderer Weise gegen tragfähige Lösungsvorschläge anderer Länder gestellt haben. Ihr Verhalten ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Familien, die hier schon Wurzeln geschlagen haben und gut integriert sind, sondern es ist auch ein Schlag ins Gesicht der Bürgerinnen und Bürger Bayerns, die sich endlich eine humane Lösung für die hier schon lange lebenden Flüchtlinge wünschen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister, wir sind tief enttäuscht, dass die Chance auf Menschlichkeit in dieser Innenministerkonferenz, die diesmal so kurz vor den Weihnachtsfeiertagen stattfand, wieder nicht genutzt wurde. Wir sind betroffen, weil wir nicht wissen, wie es weitergeht und wann es endlich eine vernünftige, humanitäre tragfähige Lösung für diese Familien gibt.

Ich verzichte heute auf Einzelbeschreibungen, wie es den Familien, die ich kenne und die davon betroffen sind, geht. Ich möchte Sie aber auffordern, uns Bericht darüber zu

erstatten, welche Rolle Sie als Vertreter des Landes Bayern bei dieser Konferenz gespielt haben, wie Sie sich verhalten haben, was die Landesregierung unternommen hat und was sie in Zukunft unternehmen wird, um hier humanitäre Lösungen zu suchen.

Sie, meine Damen und Herren, bitte ich zum einen um Zustimmung zu unserem Antrag, zum anderen aber auch darum, dieses Verschiebespiel endlich zu beenden und endlich humanitäre Lösungen zu schaffen für die Menschen, die hier integriert sind, schon lange in Bayern leben und für die und deren Familien wir eine menschliche Lösung in der Zukunft wünschen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die Staatsregierung hat sich Herr Minister Dr. Beckstein zu Wort gemeldet. Bitte sehr.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Kamm, ich will zunächst kurz von der Innenministerkonferenz berichten, um dem Antrag inhaltlich Rechnung zu tragen. In der Tat hat die Innenministerkonferenz in Ministergesprächen über Vorschläge von Berlin, Nordrhein-Westfalen und Hessen darüber, wie die Altfallregelungen auf den Weg zu bringen sind, diskutiert. Zum Teil waren sie auch öffentlich gemacht worden. Keiner dieser Anträge ist einstimmig – es gab keine förmliche Abstimmung – angenommen worden, aber es ist auch nicht mit einer einzigen Stimme eine Ablehnung erfolgt. Vielmehr wurde insbesondere seitens des Bundesinnenministers darauf hingewiesen, dass wenige Wochen vorher zu diesem Thema eine Koalitionsvereinbarung geschlossen worden war. In dieser Koalitionsvereinbarung haben SPD und CDU verabredet, ein Jahr nach Geltung des Zuwanderungsgesetzes eine Evaluation vorzunehmen, ob in Fragen der sicherheitsrechtlichen und humanitären Problematik eine befriedigende Lösung gefunden werden konnte. Dabei war auch im Rahmen der Diskussion über die humanitären Fragen die Altfallregelung von Bedeutung.

Aufgrund des Zuwanderungskompromisses – wir haben uns darüber mehrfach unterhalten – sollten nicht alle Kettenduldungen abgeschafft werden, sondern man wollte eine Sortierung. So lautet die Verabredung zwischen Otto Schily und mir. Diejenigen, die ohne ihr Verschulden schon lang hier sind, sollten eine Verbesserung ihres Aufenthaltsstatus bekommen. Diejenigen aber, die nur durch Trickserei hier sind – ich nenne da zum Beispiel die Äthiopier, von denen wir wissen, dass sie ihre zumutbare Mitwirkung beim Antrag auf einen Pass oder auf ihre Identitätserkennung verweigern –, sollten dagegen eine ganz bewusste Schlechterstellung hinnehmen müssen, indem kraft neuen Zuwanderungsgesetzes mit der Duldung die Arbeitsmöglichkeit nicht gegeben sein sollte.

Schließlich war in der Koalitionsvereinbarung auch verabredet worden, für Nicht-EU-Bürger, also für Drittstaatenangehörige die Arbeitsmöglichkeiten deutlich zu reduzieren. Auf dieser Grundlage habe ich den Bundesinnenminister massiv in seiner Haltung unterstützt. Ich meine,

es kann nicht richtig sein, dass wir unter Umständen großzügig auch solchen Menschen Aufenthaltserlaubnisse geben, die dann keine Arbeitsmöglichkeit bekommen. Damit würden sie unmittelbar in die Sozialhilfe hineinfallen.

Dann gab es noch die Vorschläge Nordrhein-Westfalens, nach denen die Altfallregelung in einer sehr engen Weise, die Sie hier übrigens strikt abgelehnt hätten, vorgenommen werden sollte. Diese Regelung sah vor, die Frage an eine längerfristige Arbeitstätigkeit zu binden. Ferner stand ein Vorschlag Niedersachsens zur Diskussion, nach dem ausschließlich die Kinder hier hätten bleiben können bzw. der lediglich den Kindern ein Rückkehrrecht gegeben hätte, ohne die Eltern mit einzubeziehen. Ich halte es allerdings für völlig ausgeschlossen, Minderjährige von ihren Eltern zu trennen und habe deshalb diesen Vorschlag nicht unterstützt.

Mein Vorschlag ging dahin, eine Arbeitsgruppe auf Ministerebene einzurichten, die evaluiert, ob die Regelungen des Zuwanderungsgesetzes so erfolgreich sind, wie sich das alle Beteiligten vorgestellt haben. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz wird diese Arbeitsgruppe leiten. Das ist im nächsten Jahr Bayern, also das werde ich sein. Der Bund wird seinerseits eine Evaluation durchführen und das mit den Koalitionsfraktionen zu besprechen haben. Damit wird das Thema in Zukunft wieder auf der Tagesordnung stehen.

Im Übrigen warne ich auch an dieser Stelle davor zu glauben, dass eine großzügige Altfallregelung erfolgen wird. Von den insgesamt vor dem 01.01.2000 eingereisten Ausländern haben etwa 100 000 einen Duldungsstatus, wobei die Duldungen von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich sind. Von daher wäre auch zu überprüfen, worauf diese Unterschiedlichkeit zurückzuführen ist.

Wir werden diese Arbeitsgruppe also auf Ministerebene länderoffen einrichten, um zu überprüfen, ob tatsächlich die Sortierung in diejenigen, die einen besseren Aufenthaltstitel bekommen sollten und denjenigen, die zu Recht innerhalb der schlechteren Duldung bleiben müssen, sachgerecht erfolgen kann.

Es wird immer bestimmte Fälle geben, in denen man unterschiedlicher Auffassung ist. Das gilt beispielsweise für die Äthiopier. Mir wurde beispielsweise in einem Schreiben der evangelischen Kirche an mich gesagt, dass die Betreffenden trotz intensivster Bemühungen und trotz Erfüllung aller Mitwirkungspfl ichten keine Verlängerung ihrer Pässe bekommen hätten. Demgegenüber hat die Stadt Nürnberg gesagt, dass die Mitwirkungspfl ichten nicht erfüllt worden seien.

Beispielsweise können dann, wenn jemand eine Ehe eingehen will, die notwendigen Passpapiere offensichtlich jederzeit kurzfristig beschafft werden, aber nicht in den Fällen, in denen die Betreffenden offenbar nicht mitwirken; aber das obliegt der gerichtlichen Prüfung.

Weil die Redezeit sehr beschränkt ist und ich ausdrücklich ermahnt wurde, nicht länger zu reden, als mir vorgegeben

ist, will ich nur noch sagen: Wir werden eine länderoffene Ministerarbeitsgruppe mit völlig offenem Ergebnis haben. Es wird hier, wie in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, überprüft werden, ob das Zuwanderungsgesetz in der vereinbarten Weise angewendet wird und ob dabei ungewollte Härten bestehen; das wird im nächsten Jahr festgelegt werden. Ich bin gerne bereit, Ihnen davon zu gegebener Zeit wieder zu berichten.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Werner, bitte.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über Menschen, die in Nöten sind, und deren Schicksale. Diese Menschen sind zum Teil seit zehn, fünfzehn und mehr Jahren hier. Diese Personen sind voll integriert und akzeptiert, und sie stehen auf eigenen Füßen, haben aber doch das riesige Problem, dass ihr Aufenthalt nicht gesichert ist. In dieser Situation gab es nun in Hessen eine Initiative, die in der Sitzung der Innenministerkonferenz vergangene Woche leider gescheitert ist. Bayern hätte da zusammen mit Hessen die Gelegenheit gehabt, wenn Sie dieser Initiative zugestimmt hätten, wieder einmal vorne zu sein. Sie sind doch immer so gerne vorne. Hier hätten Sie einmal die Möglichkeit gehabt, in Sachen Menschlichkeit vorne zu sein.

(Beifall bei der SPD)

Leider haben Sie diese Möglichkeit nicht genutzt.

Es lohnt sich jedoch ein kritischer Blick auf den uns vorliegenden Antrag, sofern er nicht sowieso schon – zumindest in Bezug auf den Bericht durch die Erklärungen des Herrn Staatsministers – erledigt ist.

In Punkt 1 des Antrags wollen Sie wissen, was den Herrn Staatsminister dazu bewogen hat, bei der Innenministerkonferenz dem Vorstoß Hessens nicht zu folgen. Die GRÜNEN haben in ihrem Antrag nicht gerade die schärfste Waffe im parlamentarischern Betrieb angewandt. Ich betone das ausdrücklich vor dem Hintergrund unserer Diskussion in der letzten Plenarsitzung vor 14 Tagen. Da haben wir nämlich einen konkreten Antrag gestellt in der Hoffnung, dass, wenn der Bayerische Landtag zustimmt, dies auch das Verhalten des Herrn Innenministers bei der Innenministerkonferenz beeinfl usst. Wir haben einen konkreten Vorschlag darüber gemacht, wie ein Bleiberecht eingeräumt werden kann. Die GRÜNEN haben, wenn ich mich recht erinnere, diesem konkreten Antrag nicht zugestimmt,

(Zuruf der Abgeordneten Christine Stahl (GRÜNE))

stellen aber nun, 14 Tage später, einen Berichtsantrag.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

In Punkt 2 wollen Sie von der Landesregierung wissen, was sie unternommen hat oder noch zu unternehmen gedenkt, um hier eine Regelung zu schaffen. Wir sind doch hier nicht in der Fragestunde des Bayerischen Landtags, sondern behandeln den Tagesordnungspunkt „Dringlichkeitsanträge“.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Ein Dringlichkeitsantrag sollte Lösungen unterbreiten, aber nicht Fragen stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CSU)

Nachdem unser Antrag vor 14 Tagen leider abgelehnt wurde, möchte ich eine konkrete Anregung geben. Es ist gut, wenn nun als Konsequenz aus der Innenministerkonferenz eine Arbeitsgruppe eingerichtet wird, die im nächsten Jahr nach Lösungen sucht. Aber wir stehen auch im Petitionsausschuss natürlich in diesen Fragen immer wieder vor Problemen. Deswegen meine ich, ist es überfällig, was der Bayerische Landtag zu Beginn dieses Jahres leider Gottes abgelehnt hat, nämlich eine Härtefallkommission einzurichten.