Protokoll der Sitzung vom 01.02.2006

Dringlichkeitsantrag der Abg. Joachim Herrmann, Renate Dodell, Joachim Unterländer u. a. u. Frakt. (CSU) Wahlfreiheit für Familien erhalten – mehr Eltern bei der Kinderbetreuung spürbar entlasten (Drs. 15/4651)

hierzu:

Änderungsantrag der Abg. Joachim Herrmann, Renate Dodell, Joachim Unterländer u. a. u. Frakt. (CSU) zum vorgenannten CSU-Dringlichkeitsantrag 15/4651 betreffend Wahlfreiheit für Familien erhalten – mehr Eltern bei Kinderbetreuung spürbar entlasten (Drs. 15/4668)

Ich eröffne die Aussprache. Als erstes hat sich Herr Kollege Unterländer zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Durch die Einigung der in der Koalition der Bundesregierung vertretenen Parteien von CDU, SPD und CSU

(Herbert Müller (SPD): Die Reihenfolge ist richtig! – Maria Scharfenberg (GRÜNE): Diese Reihenfolge ist gut!)

hat sich die ursprüngliche Zielsetzung des Dringlichkeitsantrags geändert. Wegen der Einigung halten wir es aber für angebracht, wichtige Grundsätze bayerischer Familienpolitik für künftige Entscheidungen nochmals zu defi nieren und in diesem Zusammenhang festzulegen.

Die Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung hat sich sowohl die Stärkung der Familien als auch die Förderung des „Arbeitsplatzes Haushalt“ in der Familie zum Ziel gesetzt. Mit dem Beschluss vom 31. Januar dieses Jahres gibt sie ein klares Signal für die Familien. Die Beratungen zur steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten sind zunächst unter dem Aspekt „Arbeitsplatz Haushalt“ geführt worden. Es war notwendig, die kinder- und familienpolitischen Ziele stärker in die Verhandlungen einzubringen. Dies war und ist das Ziel der CSU. Das begrüßenswerte Ergebnis von gestern bringt auch für bayerische Familien und Kinder Vorteile mit sich. Wir hätten uns allerdings ein noch besseres Ergebnis vorstellen können.

Es war und ist nicht das Recht der Politik, meine sehr geehrten Damen und Herren, bestimmte Familienformen und Lebensbiographien zu bevorzugen. Es war deshalb falsch, Alleinverdienerfamilien und Alleinerziehende zu benachteiligen. Auch diese Familien haben ein Recht auf Gleichbehandlung. Das wurde auch schon wiederholt vom Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zum Familienlastenausgleich festgestellt. Die Politik hat kein Recht, hier steuernd einzugreifen. Wir benötigen deshalb eine wirkliche Wahlfreiheit. Auch und gerade Alleinerziehende und Alleinverdiener benötigen Entlastungen. Wir sollten mit dem Schwarz-Weiß-Denken aufhören und damit, dass nur eine bestimmte Lebensform diejenige ist, die die Politik zu unterstützen hat. Ich denke an das Beispiel Frankreich.

Wir müssen den Lebensentwürfen der Familien in ihrer Realität nachkommen. Das muss sich auch in unserer Familienpolitik in der Bundesrepublik, vor allen Dingen aber auch im Freistaat Bayern ausdrücken. Die Rahmenbedingungen sind dafür zu schaffen und zu verbessern. Deshalb ist es auch äußerst begrüßenswert und dem Einsatz der CSU in diesen Verhandlungen zu verdanken, dass anders als zunächst vorgesehen auch Familien mit nur einem erwerbstätigen Elternteil entsprechend ihrem beschäftigungspolitischen Beitrag angemessen von den Kosten der Kinderbetreuung entlastet werden. Erstmals können Alleinverdiener für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren Betreuungsaufwendungen in Höhe von zwei Drittel der anfallenden Kosten, maximal 4000 Euro, steuerlich geltend machen. Damit wird die Wahlfreiheit zwischen Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit gestärkt.

Damit hat der Einsatz der Staatsregierung und der CSU einen Schritt zur Wahlfreiheit bewirkt. Dies ist und muss auch bei künftigen familienpolitischen Entscheidungen der entscheidende Schwerpunkt sein.

Der andere Schwerpunkt ist die Notwendigkeit, auf die Nachfrage nach Kinderbetreuungsplätzen und auf die Frage nach einer Regelung der Absetzbarkeit der Kosten für junge Familien in den ersten Jahren eine Antwort zu fi nden, wenn beide Elternteile oder Alleinerziehende

schon in den ersten drei Lebensjahres des Kindes sich dafür entscheiden, die vielfältigen Angebote der Kinderbetreuung anzunehmen. Es war völlig falsch – darin treffen sich auch CSU und SPD –, einen Sockelbetrag von 1000 Euro für die ersten Jahre einzuführen, ab dem die Aufwendungen geltend gemacht werden konnten. Gerade junge Familien leiden besonders unter den höheren fi nanziellen Aufwendungen, die in den ersten Lebensjahren nach der Geburt eines Kindes entstehen. Diese Jahre sind aber für die Entwicklung des Kindes und für die Entwicklung der Familie insgesamt von entscheidender Bedeutung. Deshalb ist es positiv zu bewerten, dass mit dem gestern erzielten Ergebnis eine gerechtere Regelung geschaffen wird und dass nun auch bei Kindern unter sechs Jahren die Kosten der Kinderbetreuung ab dem ersten Euro abgesetzt werden können. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Leistungsfähigkeit von Eltern mit Kindern im Vorschulalter weit stärker eingeschränkt ist als im Schulalter der Kinder.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch ein klares Plädoyer für die Qualität der Kinderbetreuung und die Notwendigkeit der Kinderbetreuung, unabhängig von den familiären Lebensbiografi en, aussprechen. Für die Entwicklung der Kinder ist die Qualität in der Kinderbetreuung von entscheidender Bedeutung, da in den ersten Jahren wichtige Weichenstellungen erfolgen. Überaus positiv ist es zu bewerten, dass im Zusammenhang mit dieser Vereinbarung bereits eine Verbindung zur Einführung eines Elterngeldes geschaffen worden ist. Gerade bei dieser spezifi schen familienpolitischen Leistung, die noch stärker auf den Familienleistungs- und -lastenausgleich konzentriert ist als die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten, bei der der Aspekt Arbeitsplatz/Haushalt eine besondere Rolle spielt, muss auf die Situation von Familien Rücksicht genommen werden. Wir dürfen politisch nicht vorgeben, für welche Lebensbiografi e sich eine Familie entscheidet. Deswegen müssen wir auch die Gleichbehandlung Alleinerziehender verfolgen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir noch einige grundsätzliche Bemerkungen, die die Familienpolitik der CSU-Staatsregierung und der CSU-Landtagsfraktion betreffen.

Erstens. Familienpolitische Leistungen dürfen bestimmte Familien nicht ausgrenzen. Nur wenn wir die Beschäftigung beider Eltern, so genannter Alleinverdiener, und auch Alleinerziehender einbeziehen, wird dies als ein klares Signal für die Familien verstanden.

Zweitens. Besondere Aufmerksamkeit muss den ersten Jahren nach der Geburt eines Kindes gewidmet werden. Dies kann allerdings nicht durch die Forderung nach gebührenfreien Kindergärten geregelt werden.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Darüber reden wir noch!)

Darüber gibt es heute noch weitere Diskussionen im Hohen Haus.

Drittens. Frühe Förderung muss ein Schwerpunkt unserer Anstrengungen sein. Die wissenschaftlichen Ergebnisse – ich habe sie vorhin angesprochen –, die die entscheidenden Weichenstellungen für die optimale Kindesentwicklung in den ersten Jahren dokumentieren und beweisen, müssen in der Politik und in den Entscheidungen der Politiker besser Niederschlag fi nden.

Viertens. Erziehung ist eine Sache von Frauen und Männern. Deshalb muss die Diskussion auch im Hinblick auf das, was uns an Beratungen zum Elterngeld bevorsteht, ganz klar deutlich machen, dass wir hier nicht die Väter ausnehmen dürfen.

(Beifall der Abg. Johanna Werner-Muggendorfer (SPD))

Dazu brauchen wir eine gesellschaftliche Bewusstseinsbildung, die über eine bestimmte Partei hinausgeht.

(Karin Radermacher (SPD): Endlich seid ihr so weit! Lange braucht die Erkenntnis!)

Fünftens. Die Überprüfung der Wirksamkeit der Förderung von Familien und Kindern, um präventiv Armutssituationen zu vermeiden und auch die mit der Familienpolitik und der Familienförderung verbundenen Ziele zu erreichen, wird eine Aufgabe für uns bleiben. Das gilt sowohl für die Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten als auch für künftige Entscheidungen über das Elterngeld. Wir müssen uns fragen, was die Politik auf Bundes- wie auch auf Landesebene damit erreichen will. Wollen wir das Ja zum Kind fördern? Wollen wir den Familien in ihrer Wahlfreiheit eine verbesserte Ausgangslage geben? Wollen wir präventiv Armut vermeiden? Alles das sind Ansatzpunkte, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, über die wir diskutieren müssen und die wir thematisieren müssen.

Sechstens. Wir benötigen eine stärkere Transparenz in der Familienförderung. Hier sehe ich nach dem gestrigen Beschluss allerdings noch einen gewissen Handlungsbedarf, weil die Übersichtlichkeit dieser Entscheidung für die betroffenen Eltern und Familien – das zeigt auch die heutige Presseberichterstattung – nicht hinreichend zum Ausdruck kommt.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Haben Sie vielleicht auch die Übersicht verloren?)

Vielleicht hätten wir mit steuerlichen Abzugsbeträgen einen grundsätzlich über diese Vereinbarung hinausreichenden richtigeren, einfacheren und für die Eltern sinnvolleren Ansatz wählen können.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Den Eindruck habe ich nicht! Selbst die Verhandlungsführer haben noch nicht gewusst, was da herauskommt!)

Das Ergebnis von gestern ist jedenfalls ein Signal in die richtige Richtung. Für die CSU-Landtagsfraktion ist es in diesem Zusammenhang besonders wichtig, dass die

Wahlfreiheit der Eltern gestärkt wird und dass der Schwerpunkt auf die Kinderbetreuung im frühkindlichen Alter gesetzt wird. Darin sind wir uns einig. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen. In diesem Sinne haben wir einen Ergänzungsantrag zu dem ursprünglichen Dringlichkeitsantrag vorgelegt. Ich bitte diesem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Wahnschaffe.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Thema Kinderbetreuung sind doch erstaunlich viele hier. Diese Aufmerksamkeit haben wir nicht immer. Ich – aber ich glaube, nicht nur ich allein – habe angenommen, dass die CSU nach der gestrigen Einigung diesen Antrag zurückziehen oder für erledigt erklären würde. Das ist offenbar nicht der Fall. Das hängt wahrscheinlich mit Ihrem Wertebild zusammen. Daher kann ich es Ihnen leider nicht ersparen, einige kritische Anmerkungen zur Haltung der CSU zu machen.

(Margarete Bause (GRÜNE): Nur eine?)

Einige Anmerkungen, Frau Kollegin Bause. Warten Sie es ab, es kommt eine ganze Latte.

Die CSU entdeckt plötzlich ihr Herz für Familien. Das sagt sie zwar schon seit langem, aber – –

(Zuruf des Abgeordneten Peter Winter (CSU))

Herr Kollege Winter, gut, dass Sie mir das Stichwort liefern. Dann sage ich Ihnen, was Sie alles nicht tun. Sie haben nämlich in der letzten Legislaturperiode im Deutschen Bundestag den zustimmungspfl ichtigen Teil des so genannten Kindertagesstättenausbaugesetzes verhindert. Sie streichen seit Jahren das Landeserziehungsgeld zusammen; darüber haben wir uns im Bayerischen Landtag bereits heftig ausgetauscht. Sie haben das Familienprogramm in Bayern gekürzt, und mit dem BayKiBiG belasten Sie die Eltern immer mehr, was sich aber erst im Laufe dieses Jahres zeigen wird. Die Elternbeiträge werden steigen. Darüber werden wir nachher noch zu sprechen haben.

Die CSU wäre aber nicht die CSU, wenn sie nicht den Familien verordnen wollte, wie sie zu leben haben. Nach Ihren konservativen Wertvorstellungen – Frau Staatsministerin, Sie haben sich hier besondern hervorgetan – gehört die Frau immer noch an den Herd. Sie gehört nach Hause. Lesen Sie nur einmal nach, was heute in der „Süddeutschen Zeitung“ kommentiert ist. Die Frau ist nach Ihrer Vorstellung vornehmlich dazu da, die Kinder aufzuziehen, und der Mann soll das Einkommen sichern.

Ihr engstirniges Festhalten an einem längst nicht mehr der Realität entsprechenden Familienbild hat maßgeblich dazu beigetragen, dass wir in Bayern hohe Defi zite bei Kinderkrippen und Horten haben. Frau Staats ministerin, ich erinnere mich daran, dass Sie bei einer gar nicht so

lang zurückliegenden Rede – wenn auch mit anderen Worten – eingestanden haben, dass Ihr verengtes Wertebild dazu beigetragen hat, dass Familien nicht das Angebot gemacht werden konnte, von dem wir heute gemeinsam überzeugt sind, dass es aus verschiedenen Gründen unbedingt notwendig ist.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Unterländer?

Herr Unterländer, bitte.

Herr Kollege Wahnschaffe, ist Ihnen entgangen, dass das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Beurteilung des Familienlastenausgleichs ausdrücklich festgestellt hat, dass die Politik keiner bestimmten Familienform den Vorzug geben darf und dass sie Alleinverdienerfamilien und Alleinerziehende in gleicher Weise zu berücksichtigen hat?

Herr Wahnschaffe, bitte.

Herr Kollege Unterländer, natürlich sind mir die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und insbesondere die, die hier einschlägig sind, bekannt. Im Unterschied zum Bundesverfassungsgericht, das dem Gesetzgeber generell freistellt, wie er das Problem lösen will, wollen Sie den Familien eine bestimmte Lebensweise verordnen. Statt anzupacken, haben Sie den Schwarzen Peter, was das BayKiBiG angeht, an die Kommunen abgeschoben. Diese sollen richten, was Sie seit Jahren und Jahrzehnten versäumt haben, nämlich die Infrastruktur zu schaffen, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch in Bayern nicht nur in den Ballungsräumen möglich ist.

(Beifall bei der SPD)

Dabei sind in Bayern 62,7 % – Frau Staats ministerin, das betonen Sie immer wieder und das ergibt sich aus der Anlage zu Ihrer letzten Presseerklärung – aller Frauen im erwerbsfähigen Alter berufstätig. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die wir fördern wollen. Ein Ziel dieses neuen Gesetzes, um das so heftig gestritten wurde, ist gerade die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir haben aber das Problem, dass die vorgesehenen Hilfen zum Teil nicht greifen oder zu spät kommen. Ich habe erst am Montag bei einem Besuch der Universität Regensburg, wo eine neue Kinderkrippe entstehen soll, wieder gehört, dass über 40 % der Akademikerinnen keine Kinder mehr haben.

(Zuruf von den GRÜNEN: Warum wohl?)