Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Um die Debatte, die jetzt in den Zeitungen hochkocht, einigermaßen zu versachlichen, habe ich die polizeiliche Kriminalstatistik eingesehen und die Zahlen seit 1999 geprüft. Da kommt deutlich zum Ausdruck, was seit dieser Zeit an Gewalt in den Schulen in Bayern passiert. Es hat sich eine Zunahme um 38,7 % ergeben. Da diese Zahlen schon sehr lange veröffentlicht sind, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, hätten Sie eigentlich wissen müssen, was an den Schulen passiert, und da sind die Vorfälle vergangener Zeit ein weiteres Indiz dafür, dass sich überhaupt nichts gebessert hat.
Eigentlich muss das zu dem Schluss führen, dass man die Maßnahmen, die man bisher eingeleitet hat – wenn es denn welche gegeben hat –, auch auf ihre Wirksamkeit hin evaluiert. Ich meine, dabei waren Sie, Herr Minister Schneider, wenig erfolgreich.
Wie reagieren Sie auf die zunehmende Gewalt an unseren Schulen? – Ihre einzige Antwort ist eine Verschärfung der Sanktionen. Sie haben bereits im letzten Jahr Art. 86 des Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes geändert. Im Moment liegt ein weiterer Entwurf zur Verschärfung dieses Gesetzes vor; dieser Entwurf setzt ausschließlich auf Schulausschluss und geht sogar so weit, die Schulpfl icht zu verkürzen, was ich für verfassungsrechtlich bedenklich halte. Das zum einen. Zum anderen hatten Sie bei der letzten Änderung den Schülerinnen und Schülern sogar die Möglichkeit der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches genommen. Sie verbieten Handys an den Schulen, denken aber nicht darüber nach, ob Sie das auch durchsetzen können und bringen auch die Lehrerinnen und Lehrer in eine sehr schwierige Situation. Heute ist in der Presse zu lesen, dass es bereits erste HandyKontrollen gibt. Die Handys werden nicht nur eingesammelt, sondern auch auf ihren Inhalt überprüft,
was ich für schlecht halte, weil das datenschutzrechtlich ein Vergehen ist. Herr Kollege Nöth, ich kann Ihnen das gerne zeigen; das ist heute im Pressespiegel nachzulesen.
Ihre Verbotspolitik ist nicht erfolgreich gewesen. Ich meine, das zeigt auch die Zunahme der Gewalttaten an Schulen. Sie ist deshalb nicht erfolgreich, weil es Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU, an politischem Willen fehlt,
Ich will Ihnen ein paar Zahlen nennen. Der Landkreistag hat heute in der Presse veröffentlicht, dass es 7500 verhaltensauffällige Schüler gibt. Sie haben für diese Schülerinnen und Schüler aber lediglich 2500 Plätze zur Verfügung gestellt. Es fehlt an Unterstützungssystemen, es fehlt zum Beispiel an Schulpsychologen. Eine Zahl: Wir haben 5000 Schulen und 500 Psychologen. Laut einer Befragung des BLLV beträgt die durchschnittliche Wartezeit eines Schülers auf die schulpsychologische Beratung sieben Wochen. Ich fi nde es nahezu lächerlich, dass man sieben Wochen auf Unterstützung warten muss, wenn es ein Problem gibt. Bei Beratungslehrern beträgt die durchschnittliche Wartezeit 3,5 Wochen. Obwohl Sie wissen, dass die Zahl der Gewalttaten an Schulen zunimmt, haben Sie – das hat mir Kollege Mütze berichtet – im letzten Jahr nur sechs zusätzliche Psychologen und in diesem Jahr sieben eingestellt. Darauf sind Sie auch noch stolz. Sehr geehrter Herr Minister, ich sage Ihnen: Vor dem Hintergrund der zunehmenden Gewalt an unseren Schulen ist das ein Armutszeugnis und noch nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein.
In der Schulsozialarbeit machen Sie, wie in der gesamten Bildungspolitik, Politik nach Kassenlage. Sie haben Anfang 2002 – so ist es zu lesen – mit großem Stolz
350 Planstellen für die nächsten zehn Jahre verkündet und das auch noch für einen Erfolg gehalten. Ich halte das nicht für einen Erfolg. Ich halte es für ein Debakel, dass Sie noch nicht einmal dieses ärmliche Ziel eingehalten haben. Sie haben nämlich bisher gerade einmal 87 Schulsozialarbeiter eingestellt – das sind 17 pro Jahr, also die Hälfte der von Ihnen angekündigten Zahl pro Jahr. Ich würde mir schon einmal überlegen, was außer Verboten zu tun ist, Herr Minister.
In Bayern gibt es nichtsdestotrotz viele gute Projekte zur Gewaltprävention. Wie immer im bayerischen Schulwesen gibt es Modellprojekte, die dann auch wieder eingestellt werden. Diese Feigenblätter verschwinden wieder in der Schublade, und langfristig hat sich überhaupt nichts bewegt. Wenn es Projekte zur Gewaltprävention gibt, dann müssen sie ohne fi nanzielle und ohne personelle Mittel auskommen. Dies gilt es zu ändern.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte sagen, dass ein ganz klares Signal an die Schulen und auch an die Gesellschaft ausgehen muss, dass wir Gewalt nicht akzeptieren. Ich meine aber, dass wir die Probleme klar und deutlich benennen müssen. Mit Ihrer Verbotspolitik halten Sie die Türe zu. Irgendwann aber wird es wie eine Naturgewalt über Sie kommen, und dann können Sie gar nichts mehr tun. Lassen Sie uns also mit einer Problembeschreibung beginnen; denn nur wer ein Problem auch richtig beschreibt, ist in der Lage, das Problem auch zu lösen.
Wir können damit beginnen, zur Kenntnis zu nehmen, dass gerade junge Menschen besonders sensibel auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren. Deshalb ist die Zunahme von Gewalt an den Schulen auch ein Hinweis auf gesamtgesellschaftliche Problem- und Mängellagen. Gewalt unter Kindern und Jugendlichen ist aus meiner Sicht ein Besorgnis erregendes Zeichen, unter anderem für Perspektivlosigkeit, die einige unserer Kinder schon in recht jungen Jahren empfi nden.
Ich erinnere mich noch sehr genau an eine Besuchergruppe aus Hauptschülern, die dasaßen und gesagt haben: Was haben wir denn für eine Chance? Aufgabe von Politik ist es, diesen Kindern, diesen Jugendlichen eine Chance auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe zu geben. Anscheinend ist es so, dass unser Schulsystem diese Botschaft nicht an alle vermittelt, weil sich viele um ihre Chancen gebracht sehen. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen, und wir müssen darauf passende Antworten geben.
Wenn man sich in der Welt und auch in Deutschland umschaut, sieht man aber auch, dass wir der Gewalt in der Schule nicht hilfl os ausgeliefert sind. Wir müssen nicht versuchen, sie mit drakonischen Strafen auszumerzen, weil es andere erprobte Wege gibt, wie gewalttätigem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen präventiv und
korrektiv begegnet werden kann. In der Welt gibt es sehr viele Beispiele. Als Beispiel nenne ich die Anti-GewaltKampagne in Norwegen, die erfolgreich in England und auch in Schleswig-Holstein wiederholt wurde. Ich glaube, auf diese Erfahrungen können wir zurückgreifen. In Norwegen führte eine Anti-Gewalt-Kampagne zu einer Verringerung der unmittelbaren und mittelbaren Gewaltausübung, und zwar an der Schule, in der Familie und in der Umgebung. Es fand auch keine Gewalt mehr auf dem Schulweg statt. Das Ganze ist im Laufe von zwei Jahren passiert. Nebenbei sind Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer mit ihrem Schulalltag auch zufriedener gewesen.
Deshalb ist es für meine Fraktion wichtig, Gewalt an den Schulen durch den Ausbau von pädagogischen Maßnahmen zu verhindern. Vieles ist vorhanden, auf dem wir aufbauen können. Ich nenne nur ein paar Beispiele: Streitschlichterprojekte; in Rheinland-Pfalz gab es ein erfolgreiches Projekt, das PROPP hieß; der Sport engagiert sich sehr stark in präventiver Anti-Gewalt-Arbeit; auch die Jugendverbände machen sehr gute Angebote. In Bayern fehlt ein roter Faden. Deshalb fordert unser Antrag die Staatsregierung auf, die Schulen bei der Entwicklung von Präventionskonzepten, von Ansätzen zur friedlichen Konfl iktlösung und bei der Entwicklung von Konzepten zur Krisenintervention personell, fi nanziell und fachlich zu unterstützen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Prävention muss an der Schule professionell implementiert werden. Sie darf nicht der Beliebigkeit oder dem Zufall überlassen werden. Herr Minister Schneider, da nützt es auch nichts, wenn man ab und zu einmal eine Broschüre herausgibt oder eine Internetseite schaltet. Ich habe im Studium gelernt: Wenn man Marketing macht, muss auch etwas dahinter sein. Wenn Sie die Schulen bei Präventionskonzepten unterstützen, wäre das der nötige Unterbau, den Sie dann mit einer Homepage oder einer Broschüre begleiten könnten.
Wenn wir es mit der Bekämpfung der Gewalt an den Schulen ernst meinen, müssen wir Ihre Ausschluss- und Verbotspolitik beenden, weil sie erwiesenermaßen nicht erfolgreich war. Stattdessen brauchen wir Schulpsychologen und Schulpsychologinnen, Beratungslehrer und Beratungslehrerinnen, Schulsozialarbeiter und Schulsozialarbeiterinnen, Beratungslehrer und Beratungslehrerinnen sowie sonderpädagogische Dienste, die zeitnah und auch örtlich nah zur Verfügung stehen. Lehrer und Lehrerinnen brauchen mehr Zeit, um sich der Erziehungsarbeit widmen zu können. Herr Kollege Nöth, Sie werden mir sicherlich zustimmen, dass Lehrkräfte mit 30 Schülern und Schülerinnen in einer Klasse nicht immer gleich oder sehr oft gar nicht erkennen, dass eines dieser Kinder ein Problem hat.
Um diese Konzepte an den Schulen erfolgreich zu implementieren, müssen Arbeitshilfen für die pädagogische Arbeit bereitgestellt werden und die Lehrkräfte durch Aus- und Fortbildung für neue Konzepte qualifi ziert werden. Wichtig ist außerdem, die Konfl iktprävention, die aktive Konfl iktlösung sowie den Ausbau von sozialen und emotionalen Kompetenzen als festen Bestandteil des Unterrichts zu begreifen. Hierfür bietet aus unserer Sicht die
Ganztagsschule die besten Möglichkeiten. Wir möchten deshalb den Ausbau der Ganztagsschule forcieren.
Wir brauchen auch eine Vernetzung mit den Beratungs- und Unterstützungssystemen der Kommunen, den Jugendverbänden und den Vereinen aus der Region. Außerdem müssen Schüler und natürlich auch deren Eltern in die Entwicklung von Gewaltpräventionsprojekten einbezogen werden. Die Medienerziehung muss an den Schulen einen höheren Stellenwert bekommen. Nebenbei möchte ich bemerken: Wir als Politiker und Politikerinnen sollten gemeinsam kritisieren, dass Fernsehen und Internet immer gewalttätiger werden. Vom Bayerischen Landtag sollte die Botschaft ausgehen, dass wir so etwas nicht hinnehmen und dass wir uns auch nicht an die zahlreichen Ballerfi lme, die nahezu die gesamte Fernsehlandschaft beherrschen und die Menschen abstumpfen, gewöhnen werden.
Wir sollten darüber hinaus Forschungsprojekte auf den Weg bringen, mit denen untersucht werden soll, wie wir Gewalt an Schulen in Zukunft vermeiden können. Herr Minister Schneider, ich hoffe nicht, dass Sie mir jetzt sagen, dass wir das alles schon hätten; denn der rote Faden fehlt. Es fehlt etwas, mit dem diese Maßnahmen zusammengeführt werden. In der Praxis gibt es ermutigende Beispiele, die beweisen, dass pädagogische Ansätze Erfolg haben. Schule ist ein Ort des Lebens und des Lernens. Schule darf nicht nur Wissen und Fähigkeiten vermitteln, sondern muss durch gezielte Arbeit zu einem Ort werden, an dem Solidarität, Gewaltfreiheit und tolerantes Miteinander gelebt und vorgelebt werden. Herr Kollege Nöth, so habe ich es gelernt.
Deshalb möchte ich, dass Konfl iktprävention fester Bestandteil des Unterrichts wird. Dann haben wir die Chance, die Einstellung gegenüber der Gewalt positiv zu verändern. Unseren Kindern und Jugendlichen wird es dann leicht fallen, die Erfahrungen aus der Schule in die Alltagswelt und damit in die Erwachsenenwelt hineinzunehmen. Unser Dringlichkeitsantrag würde das auf den Weg bringen. Ich hoffe auf Ihre Zustimmung.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist ein ernstes Thema. Wie reagiert Herr Kollege Pfaffmann darauf? – Er reagiert mit der ihm eigenen Polemik. Ich glaube, so sollten wir mit diesem Thema nicht umgehen.
Dazu eine kurze Anmerkung: Die Länder, die sich am meisten um den Bankrott Gedanken machen müssen, sind die Länder, in denen die SPD am längsten regiert hat.
Wir sind uns einig, dass Gewalt in allen Bereichen der Gesellschaft verhindert werden muss. Das gilt im Besonderen für die Schwächsten in unserer Gesellschaft, nämlich für die Kinder, auch dann, wenn diejenigen, die die Gewalt ausüben, selbst Kinder sind. Die CSU verfolgte dazu schon immer eine klare Linie: Keine Toleranz gegenüber Gewalt. Wir gewöhnen uns auch nicht an diese Gewalt. Deshalb sagen wir ein klares Nein zur Gewalt. Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist.
Die Politik kann das jedoch nicht alleine leisten. Auch die Lehrer können das nicht allein leisten. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der alle an der Schule Beteiligten, insbesondere auch die Eltern, mitwirken müssen.
Wie ist die Situation an Bayerns Schulen tatsächlich? – Dieses Thema muss ernst genommen werden. Dazu zählt, dass es nicht verharmlost werden darf. Man sollte es aber auch nicht übertreiben. Festzustellen ist, dass sich die große Mehrheit der Schülerinnen und Schüler an die Regeln hält, dass sie engagiert und motiviert ist. Eine kleine aber wachsende Anzahl von Schülerinnen und Schülern fällt jedoch durch zunehmende Gewalttaten auf. Deswegen ist es unser Ziel, Schüler vor Gewalt zu schützen und bei den Mitschülern den Lernerfolg sicherzustellen.
Von den Schulen und von den Lehrkräften wird bereits sehr viel geleistet. Meine Damen und Herren von der Opposition, deshalb stört es mich, dass Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass auf diesem Gebiet bislang zu wenig passiert sei. Es gibt keinen Grund, das Rad neu zu erfi nden; denn der Großteil der Maßnahmen, die in diesen Dringlichkeitsanträgen stehen, wird bereits heute in vielfältiger Form umgesetzt. Insofern sind diese Anträge überfl üssig. Es tut mir Leid, wenn ich das in dieser Deutlichkeit sagen muss.
Herr Kollege Pfaffmann, in einem Punkt muss ich Ihnen ganz deutlich widersprechen: Es ist indiskutabel, wenn Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass der Grund für die zunehmende Gewaltbereitschaft unser Bildungssystem sei. Damit behaupten Sie, dass der Grund dafür auch bei den Schulen und damit bei den Lehrkräften liege. Das muss ich in aller Deutlichkeit zurückweisen.
Das von Ihnen geforderte Gesamtkonzept aus pädagogischen aber auch aus Ordnungsmaßnahmen existiert bereits. Ich möchte dazu einige Dinge aufzählen: Gewaltprävention und Medienerziehung gehören zu den Bildungs- und Erziehungszielen, die in den Lehrplänen stehen. Präventionsbemühungen und Werteerziehung sind in den Schulen Alltag. Im Rahmen der inneren Schulentwicklung ist bereits vieles möglich, um Ziele wie ein offenes Schulklima, offene Kommunikationsformen, lösungsorientierte Gesprächsführung und Konfl iktlösungen zu erreichen. Zielvereinbarungen sind bereits an vielen Schulen umgesetzt.
Außerdem gibt es eine Reihe ergänzender Maßnahmen. Ich nenne nur die Kooperation mit der Polizei im Rahmen des Programms Prävention im Team – PiT- sowie die Projekte „Faustlos“, „Mit mir nicht“ und zahlreiche Kooperationen mit der Jugendhilfe. Auch ein Bündnis gegen Gewalt gibt es bereits. Die Stiftung heißt jedoch „Bündnis für Kinder gegen Gewalt“. Der Schirmherr ist unser Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber.
Die Schulsozialarbeit – da gebe ich Ihnen Recht – ist eine ganz notwendige Sache. Sie müssen aber einfach nur ins Gesetz schauen. Die Jugendsozialarbeit ist eine Aufgabe der Kommune. Sie könnten einmal mit den Kollegen von Rot-Grün im Münchner Rathaus reden, um sie zu veranlassen, nicht ständig über Kürzungen bei der Schulsozialarbeit zu sprechen, sondern diese auszubauen, anstatt hier im Landtag Reden darüber zu halten, was wir tun sollen. Wir sehen sie als freiwillige Leistungen vor und wollen sie weiter ausbauen.