Protokoll der Sitzung vom 31.03.2006

(Zurufe von der SPD – Unruhe – Glocke des Prä- sidenten)

Die Reform bringt mehr Entscheidungsfreiheit für den Bund und mehr Gestaltungsfreiheit für die Länder. Die Reform bringt Vorteile für alle: Aus Beteiligung wird Gestaltung. Aus Mitwirkung wird eigene Verantwortung.

Der Gesamtkompromiss zur Föderalismusreform ist ausgewogen und gerecht. Deshalb – ich will das noch einmal betonen – stehen 15 Ministerpräsidenten – auch gestern bei der Ministerpräsidentenkonferenz wurde das noch einmal bestätigt – in großer Geschlossenheit hinter diesem Gesamtpaket. Wir haben eine breite und kraftvolle Zustimmung gerade auch bei den kleineren Ländern erreicht: Ministerpräsident Beck aus Rheinland-Pfalz bekennt „klare Zustimmung“. Kollege Wowereit aus Berlin unterstützt die Reform nachdrücklich. Der Ministerpräsident von Brandenburg und SPD-Parteivorsitzende Platzeck wirbt für diese „zentrale und wichtige Reform“. Kollege Böhrnsen aus Bremen nennt die Reform „dringend geboten“ und sieht für die kleineren Länder „keinen Grund zum Kleinmut“. Er hat Recht: So ist die Universität in Bremen unter den Finalisten der bundesweiten Exzellenzinitiative. Diese Kollegen beweisen: Kompetenz und politischer Gestaltungswille sind keine

Frage von Quadratkilometern, sondern des politischen Selbstverständnisses.

(Zuruf der Abgeordneten Simone Tolle (GRÜNE))

Nur der SPD-Fraktionsvorsitzende Maget sieht das anders.

(Lachen bei der CSU)

Er torpediert diesen Konsens. Er behauptet – das hat mich außerordentlich gewundert –: Die „kleineren Länder fühlen sich von Bayern über den Tisch gezogen“. Die kleineren Länder, die ich gerade genannt habe, bestreiten dies. Herr Maget wirft dem Bayerischen Ministerpräsidenten vor, dass er anscheinend zu gut für Bayern verhandelt habe, meine sehr verehrten Damen und Herren; das muss ich einmal ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der CSU)

Es ist doch logisch, dass ich bei Verhandlungen nicht in erster Linie die Interessen von Bremen oder Brandenburg vertrete, sondern ich vertrete zunächst einmal die Interessen Bayerns, eingebettet in das Gesamtinteresse. Das bayerische Interesse geht natürlich vor. Ich betrachte es als außerordentlich eigenartig, was mir hier vorgeworfen wird.

(Zurufe von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir in Staatsregierung und Mehrheitsfraktion freuen uns auf die größere Verantwortung des Landtags für unser Land. Wir sind näher an den Menschen, und wir sind näher an den Lösungen.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Wir wollen die Zukunft Bayerns gestalten.

Wir unterstützen diese Reform auch deshalb, weil unsere Kommunen an Unabhängigkeit und Freiheit gewinnen. Wir wollen die Kommunen vor Belastungen durch den Bund klar und eindeutig schützen. Ich nenne als ein Beispiel aus den letzten Jahren – ich könnte noch viele weitere Beispiele nennen – die Grundsicherung, mit der die Kommunen belastet wurden. Eine Aufgabenübertragung an die Kommunen durch den Bundesgesetzgeber soll künftig absolut ausgeschlossen sein. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist für die Kommunen außerordentlich bedeutsam. Dadurch entsteht letztlich eine Zweierbeziehung: Der Bund verhandelt mit den Ländern; die Länder treten für die Kommunen ein. Das heißt, Bund und Länder sind die eine Ebene, Länder und Kommunen sind die andere Ebene. Eine Ebene für Kommunen und Bund gibt es nicht mehr: Der Bund kann den Kommunen nichts mehr auferlegen. Endlich kann man dann auch sagen: Die kommunale Luft ist frei vom Bundesgriff in kommunale Taschen.

Zweitens. Meine Damen und Herren, wir schaffen mehr Transparenz und Demokratie für die Bürger. Wir bringen politische Debatten und Entscheidungen wieder dahin,

wo sie in einer Demokratie hingehören: in die Öffentlichkeit, in das zuständige Parlament, in den Bundestag, rein in die Länderparlamente und raus aus Planungsausschüssen, aus Kommissionen und raus aus dem Vermittlungsausschuss, wo zwar alle mitmischen, aber am Ende keiner erkennbar Verantwortung trägt.

Ein typisches Beispiel ist die gemeinsam zu verantwortende Reform Hartz IV, die ein Produkt von Nachtsitzungen im Vermittlungsausschuss ist, wo sich die großen Parteien in einer nicht formalen großen Koalition zu einer Verständigung durchgerungen haben. Ich glaube, dass in der Tat, wie Herr Müntefering gesagt hat, bestimmte Korrekturen notwendig sind, die er gestern auch angekündigt hat. Das wäre wahrscheinlich nicht möglich gewesen, wenn die Zuständigkeiten stärker getrennt gewesen wären und damit die Transparenz in den Parlamenten größer gewesen wäre.

Wir wollen damit ein Stück Re-Parlamentarisierung unserer Demokratie. Das wäre ein zentraler Erfolg dieser Reform. Der Bürger muss wissen, wer wofür politische Verantwortung trägt. Der Bürger muss wissen, an wen er sich mit seinen Anliegen wenden kann, wen er für Missstände zu kritisieren hat, wen er an der Wahlurne unterstützen will. Diese Verantwortung werden wir offensiv nutzen.

Drittens. Wir schaffen sicherlich auch mehr Dynamik für Deutschland.

Aus gegenseitiger Blockade, ewigen Diskussionen – ich habe zwei Beispiele genannt – und zäher Verhandlungsdemokratie wird sicher wieder eine dynamischere Entscheidungsdemokratie. Jahrelang wurde über die „blockierte Republik“ geklagt. Jetzt stehen wir kurz vor dem Durchbruch.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die zunehmende Verfl echtung von Bund und Ländern wurden unsere ureigenste demokratische Freiheit und letztlich unsere Legitimation als Abgeordnete ausgehöhlt. Dieser Erosionsprozess muss gestoppt werden, wenn wir uns selbst ernst nehmen und wenn der deutsche Föderalismus nicht unmerklich zu einem Neozentralismus mutieren soll.

(Beifall bei der CSU)

Deshalb habe ich mit meiner Haushaltsrede schon im November 1996 und in meiner Regierungserklärung vom Februar 1998 in Übereinstimmung mit diesem Hohen Hause den Anstoß für eine Föderalismusreform in Deutschland mit gegeben. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat dies erstmals im Dezember 1998 aufgegriffen.

Der Landtagspräsident hat darauf hingewiesen: Der Landtag hat sich mit einer Enquete-Kommission unter dem Vorsitz des Kollegen Peter Welnhofer und des stellvertretenden Vorsitzenden Harald Güller in die bundesweite Debatte eingebracht. Das Hohe Haus nahm den Kommissionsbericht vor vier Jahren, im Jahr 2002, zustimmend zur Kenntnis. Mit ihren bis heute maßgeblichen Vorschlägen war die Kommission der Zeit etwas voraus. Sie hatte sich auch für den jetzt geplanten Vertei

lungsschlüssel zur Kompensation der wegfallenden Bundesmittel beim Hochschulbau ausgesprochen. Wir sollten gemeinsam dabei bleiben und diese Lösung nicht kritisieren, wie es Herr Maget wiederum im Widerspruch zur Kommission getan hat.

Die Vorschläge des Landtags wurden in der Föderalismuskommission durch den heutigen Präsidenten des Bayerischen Landtags für alle Landtage sehr engagiert vertreten. Ich darf dem Landtagspräsidenten meinen Respekt und Dank aussprechen für seinen erfolgreichen Einsatz zur Stärkung der deutschen Landesparlamente. Herzlichen Dank, Alois Glück!

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

In der Föderalismuskommission haben alle 16 Länder und repräsentativ ausgewählte Vertreter des Bundestags über 15 Monate hinweg intensivst diskutiert. Sachverständige, Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und Vertreter der Landesparlamente haben diesen Prozess kontinuierlich begleitet. Unzählige Reformmöglichkeiten wurden ausführlich erörtert und abgewogen. Jeder Interessierte kann den dokumentierten Diskussionsprozess auf über 1000 Seiten nachlesen. Deshalb stimmt es einfach nicht, wenn jetzt manche Abgeordnete im Deutschen Bundestag so tun, als hätte es diese Befassung mit allen Themen und Varianten nicht gegeben. Den Kritikern dieser Reform halte ich entgegen:

Erstens. Wenn Fachpolitiker im Deutschen Bundestag den Verlust einzelner Kompetenzen an die Länder beklagen, dann verschweigen sie gefl issentlich: Die Landesregierungen verzichten im Gegenzug auf wesentliche Teile ihrer Mitwirkungsrechte im Bundesrat. Das ist ein großer Gewinn für den Bundestag.

Zweitens. Wenn ein dissonanter Chor mit dem Schlagwort von der „Kleinstaaterei“ – ein schönes Wort – die Reform attackiert, dann stellen diese Kritiker den Föderalismus generell infrage.

(Beifall bei der CSU)

Zu der Kritik gerade am Bildungsföderalismus hat die Bundeskanzlerin in ihrer Haushaltsrede vor zwei Tagen zu Recht festgestellt – ich zitiere, weil das so prägnant ist -:

Wer möchte, dass Schulpolitik Bundespolitik wird, darf keine Föderalismusreform anstreben, sondern muss darüber sprechen, ob wir in Deutschland noch Länder brauchen. … Wer die Leidenschaft Schulpolitik hat, der ist im Bundestag falsch aufgehoben.

Ende des Zitats.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen, meine Herren, die Kanzlerin hat Recht: Viele polemisieren gegen die Reform, meinen aber in Wahrheit die föderale Vielfalt selbst. So ereifert sich der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Thierse – ich zitiere –:

„Kleinstaaterei“ ist nicht „zukunftsträchtig“. Die frühere Wissenschaftsministerin, Frau Bulmahn, versteigt sich zu der Behauptung, nach der Übertragung von Kompetenzen auf die Länder würde Deutschland – ich zitiere – „wirtschaftlich völlig abrutschen“.

Das Gegenteil ist richtig. Zentralismus wäre das sichere Rezept dafür, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb weiter absteigt. Alle diese Kritiker lassen sich auf einen Nenner bringen: Sie wollen im Grunde genommen Zentralismus und Gleichmacherei auf Durchschnittsniveau in allem und für alle in Deutschland. Aber die Erfahrung zeigt doch: Gerade die kleinen Länder sind oft die erfolgreichsten.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Bremen, Saarland!)

Dezentralität und die Vielfalt kleinerer Einheiten sind erfolgreich und gut für die Menschen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, manche in der SPD erwecken den Anschein, sie wollten keine Reform, sondern die Abschaffung des Bildungsföderalismus. Wenn hier von Bremen gesprochen wird, stelle ich fest: Bremen ist ein starkes Land. Es verfügt über ein hohes Durchschnittsaufkommen beim Bruttosozialprodukt. Bremen leidet aber unter der extremen Verschuldung, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren aufgehäuft wurde und ist deshalb zu einem Not leidenden Land geworden; nicht wegen mangelnder Leistungskraft, sondern wegen überhöhter Verschuldung.

(Beifall bei der CSU)

Im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit, die von uns im Hinblick auf diese großen Fragen gefordert ist, frage ich die Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion: Wollen Sie eine Abschaffung Ihrer Zuständigkeiten bei Bildung, Forschung und Umwelt? Dieser Bereich macht fast die Hälfte des bayerischen Haushalts aus. Die Mehrheitsfraktion in diesem Landtag und die Staatsregierung wollen das nicht. Wir kämpfen für die föderale Freiheit Bayerns. An dieser Stelle sage ich auch dem ehemaligen SPD-Parteivorsitzenden Franz Müntefering Dank und Respekt. Ohne seinen verlässlichen Einsatz für diese Verfassungsreform hätten wir diese Reformchance auf keinen Fall.

(Beifall bei der CSU und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen, meine Herren, ein Wort zu den GRÜNEN, auf die es allerdings in diesem Prozess nicht ankommt. Lang, lang ist es her, da beanspruchten die GRÜNEN noch Prinzipien für ihre Politik: Vorrang für dezentrale Einheiten, Vorfahrt für bürgernahe Subsidiarität. – Alles Schnee von gestern. Heute redet Frau Künast im Bundestag dem Zentralismus das Wort. Ich gratuliere den GRÜNEN: So machen Sie sich zweifelsohne in den Landtagen überfl üssig.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen und Herren, ich bin sicher: Die Menschen wollen Vielfalt statt Einfalt. Altbundespräsident Roman Herzog hat es auf den Punkt gebracht: „Ein Föderalismus, der keine Unterschiede zulässt, ist schon gedanklich ein Unding.“ Das Ergebnis wäre Zentralismus. „Leistungsanreize sehen anders aus.“ Wir brauchen den „Mut zum Unterschied“. – Der Altbundespräsident hat Recht. Die Heilserwartungen an zentrale Lösungen sind ein Irrweg.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Auch in Bayern!)

Deutschland braucht die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, aber nicht die Gleichmacherei, gleiche Chancen, aber nicht Nivellierung nach unten. Wir brauchen den Wettbewerb nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch bei den Verwaltungsleistungen, bei der inneren Sicherheit, bei den Leistungen unserer Schulen und Hochschulen.

Bayern ist Spitze bei Pisa, weil dieser Landtag, und nicht der Bund, für die Schulen zuständig ist. Sie werden doch nicht glauben, wir wären sonst ganz vorn!