Protokoll der Sitzung vom 26.04.2006

gegenüber den meisten Bundesländern. Das muss man einfach sehen. Darum wollen wir diesen Bereich erweitern. Warum nur Photovoltaik? Warum nicht Solarthermie, warum nicht Windkraft, warum nicht Biomasse und warum nicht Geothermie?

Werte Kolleginnen und Kollegen, die eben erwähnten Standortvorteile für die erneuerbaren Energien haben insbesondere positive Auswirkungen auf unsere Landwirtschaft. Bayern verfügt über viel Wald und hat 20 Sonnentage mehr als der Bundesdurchschnitt. Dazu gibt es in Südbayern ein gigantisches Reservoir an Tiefenwärme. Unsere Landwirtschaft hat die Möglichkeit, ein zweites Einkommenstandbein zu verwirklichen – wir hatten dieses Thema vorhin schon einmal.

Ferner kann es der Freistaat Bayern verkraften, wenn eine zusätzliche Abteilung „Energetische Sanierung von Gebäuden“ eingerichtet wird. Man sollte nicht immer nur nach Berlin zeigen und sich dafür loben lassen, dass in Berlin entsprechende Maßnahmen auf den Weg gebracht worden sind,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

sondern auch in Bayern eine Abteilung „Energetische Sanierung von Gebäuden“ einrichten, nicht aus Aktionismus, sondern weil hier Ideen entwickelt und fi nanziell unterfüttert werden können, die uns die Möglichkeit geben, jede Menge Energie einzusparen. Hier liegen gewaltige Einsparpotenziale. Mit dem Weg des Energieeinsparens, der höheren Energieeffi zienz und dem Einsatz erneuerbarer Energien haben wir die Möglichkeit, diesen Weg weiterzugehen, wenn Sie denn politisch wollen. Dieser politische Wille ist aber nach wie vor nicht gegeben, das muss man einfach sehen.

Es wird nur denen gelingen, die den Weg des Ausstiegs und den Weg der erneuerbaren Energien gehen. Nur wenn es uns gelingt, die gewaltigen Chancen zu erkennen und zu ergreifen, die eine intelligente, eine moderne und in die Zukunft gerichtete Energiepolitik eröffnet, dann werden wir ökologisch auch erfolgreich sein.

Nur dann werden die von uns verfolgten Ziele der Versorgungssicherheit, der Preisstabilität und damit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen und des Klimaschutzes erreicht. Der Klimaschutz wird sicherlich noch zur Sprache kommen, das sage ich auch als abschließendes Argument: Interessant ist – aber viele wissen es nicht –, dass jede in Deutschland erzeugte Kilowattstunde Atomstrom 31,4 g Kohlendioxid verursacht, wenn der Aufwand für die Brennstofferzeugung und anderes einkalkuliert wird. Das ist mehr, als ein modernes Gaskraftwerk verursacht, das neben Strom auch Wärme produziert. Soviel zu den von Ihnen angeführten Argumentationen, wenn es um den Klimaschutz geht: Kernenergie verursacht genauso CO2-Emissionen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Land, das diese Herausforderung am besten bewältigt, wird wirtschaftlich stark, technologisch innovativ und international führend sein. Das nützt den Verbrauchern,

sorgt für sichere Beschäftigung und neue Arbeitsplätze und hilft unserer Umwelt.

Wir Sozialdemokraten werden diese Aufgabe anpacken. Wenn Sie diese Chance in Bayern weiterhin verschlafen, schaden Sie unserem Land ökologisch und ökonomisch; ich sage das noch einmal.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden Ihren Antrag ablehnen.

Dem Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN werden wir zustimmen. Über einen Punkt bin ich allerdings gestolpert, nämlich über Punkt 6, wo es heißt: „Der Landtag fordert die Staatsregierung auf, den Ausstieg aus der Atomkraft fortzusetzen,...“ Nach unserer Meinung fi ndet in Bayern der Ausstieg aus der Atomkraft nicht statt. Ansonsten stimmen wir mit dem Antrag zu 99,9999 Prozent überein. Daher werden wir diesem Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zustimmen. Zustimmen werden wir auch dem Antrag der Fraktion BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 15/4656, „Keine Übertragung von Reststrommengen auf alte Atomkraftwerke.“ Dies habe ich in der Rede bereits begründet.

Ich bitte um Zustimmung zu unseren Anträgen, sowohl zum Dringlichkeitsantrag 15/5334, der heute, 20 Jahre nach Tschernobyl, vorgelegt wurde, als auch zu unserem Antrag auf Drucksache 15/4658, der in erster Linie einen Ausstiegsplan aus der Atomkraft in Bayern bis 2020 fordert.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN darf ich Frau Kollegin Paulig das Wort erteilen. Bitte schön, Frau Kollegin.

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“, so Artikel 20 a des Grundgesetzes. Spätestens jetzt, in der Zeit der Bilanz „20 Jahre Tschernobyl“ – Wie war es damals? Was waren und sind die Auswirkungen? Was erleben wir heute noch? – ist jeder verantwortliche Politiker und jede verantwortliche Politikerin in die Pfl icht zu nehmen und hat man zu sagen, diese Technologie entspricht nicht der Forderung des Artikels 20 a des Grundgesetzes.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Denn nirgendwo und zu keiner Zeit wie nach diesem Super-GAU hat sich so deutlich gezeigt, dass die Lebensgrundlagen Luft, Wasser und Boden durch die Atomenergie nicht geschützt, sondern mit einer immensen Brutalität verseucht werden. Wir haben uns heute in der Fraktion einen Film des Bayerischen Fernsehens aus dem Jahr 1999 mit dem Titel „Tschernobyl – 20 Tage im 20. Jahrhundert“ angesehen. Dort war sogar die Rede davon, dass das Strahlungspotential, das in Tschernobyl freigesetzt wurde, die Zerstörungskraft von 400 Hiros

hima-Bomben hatte. Es war ein Super-GAU, das wurde auch im Bayerischen Fernsehen berichtet.

Es steht uns heute bestimmt nicht an, die Zahlen gegeneinander abzuschätzen, wie viele Tote es gab. Wir wissen, es gab Zigtausende schwere Erkrankungen, etwa Krebserkrankungen, die wir auch noch in den nächsten Jahren feststellen werden. Es gab Todesfälle und Fehlbildungen. Es gab verseuchte Böden, Vertreibungen und Umsiedlungen. All dieses mahnt uns, diese Technologie so gut und so schnell es geht – wir haben in der Bundesrepublik einen Fahrplan auf den Weg gebracht – zu beenden.

Lassen Sie mich aber trotzdem ein paar Zahlen nennen: Es ist unbestritten, dass beispielsweise in der Ukraine 17 000 Familien eine staatliche Unterstützung erhalten, weil der Vater oder die Mutter durch den Einsatz als Liquidatoren gestorben sind; dass weitere 107 000 dieser Menschen, die sofort nach der Katastrophe zur Arbeit im Reaktor eingesetzt worden sind, Frühinvalidenrente erhalten; dass über 350 000 Menschen umgesiedelt wurden und dass derzeit 400 000 Menschen in Regionen strikter Kontrolle leben. Angesichts dieser Tatsachen mutet die damalige Erklärung eines CSU-Bundesinnenministers schon sehr schwierig an: Wir sind von dieser Unfallstelle 2000 km entfernt, eine Gefährdung der deutschen Bevölkerung ist absolut auszuschließen.

Es gibt auch Zahlen und Hinweise von der Ärzteorganisation IPPNW – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung –, die sehr viel der weltweiten Literatur dazu aufgearbeitet und wissenschaftlich untersucht hat, dass wir im Jahr 1987 eine erhebliche Zunahme der Säuglingssterblichkeit hatten. Eine Untersuchung in Deutschland kommt zu dem Ergebnis, dass es durch Tschernobyl allein in Bayern zu 1000 bis 3000 zusätzlichen Fehlbildungen gekommen sein könnte. All dieses sollte jedem die Augen für einen verantwortlichen Umgang mit dieser immensen Risikotechnologie öffnen.

Wer sich die Informationspolitik dieser vergangenen Tage damals noch einmal anschaut, stellt fest: Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS hat erstmals zwei Tage nach dem Unglück darüber berichtet. Ich habe gerade Friedrich Zimmermann, den damaligen Bundesinnenminister der CSU, zitiert. Er sagte ferner nicht nur, dass wir angesichts der Entfernung von 2000 Kilometern nicht gefährdet seien, sondern auch, dass bei uns die Lage unter Kontrolle sei, obwohl wir über keine genauen Informationen verfügten; so Bundesinnenminister Zimmermann am 7. Mai 1986. Am 9. Mai sagte der damalige Sprecher des Bayerischen Innenministeriums, Alfons Metzger: „Diese Messungen sind nur für die zuständigen Behörden bestimmt.“ Die radioaktive Wolke wurde zuerst in Schweden, dann in Süddeutschland, schließlich im Süden, also in den ehemaligen jugoslawischen Staaten und in Oberitalien, festgestellt. Erinnern Sie sich, welche Panik und welche Konfusion damals in der Bevölkerung in Bayern geherrscht haben? Wir haben am 30. April durch einen Regen den radioaktiven Fallout abbekommen. Damals waren viele Kinder draußen, in Bayern war die Freinacht. Ich erinnere mich daran, dass meine Söhne wie viele andere Kinder draußen waren. Wir haben

nichts gewusst und den Regen abbekommen. Noch Tage danach wurden der Bevölkerung Informationen vorenthalten, etwa wie man sich mit Nahrungsmitteln versorgen kann, die nicht verstrahlt sind. Spielplätze wurden zu Plätzen der höchsten Gefahr. All dieses hat man hier in Bayern bei den Behörden verharnlost, vertuscht und geleugnet. Allerdings gab es – das sei Ihnen zugute gehalten – in den ersten Tagen nach dieser Katastrophe Unkenntnis und Hilfl osigkeit. Aber spätestens dann, als die Messungen auf dem Tisch lagen, hätten Sie konsequent aufklären müssen.

(Zuruf der Abgeordneten Susann Biedefeld (SPD))

Der Pressemitteilung des Bayerischen Umweltministeriums zufolge war es immer nur eine natürliche Strahlung, stieg die Strahlung höchstens mal kurz und leicht und ging die Radioaktivität über Tage immer zurück. Erst Mitte Mai haben Sie angefangen, die Böden zu messen; vorher haben Sie ständig Entwarnungen gegeben. Erst am 16.05. hatten wir die ersten Ergebnisse über Radioaktivität auf den Böden vorliegen, wobei in Bayern über 100 000 Becquerel pro Quadratmeter herruntergingen, wenn der Fallout auch unterschiedlich stark und zum Beispiel im Berchtesgadener und Augsburger Raum stärker war. Wir haben inzwischen die Karten des Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit – GSF – vorliegen. Schauen Sie sich das an. Ich zitiere Dr. Georg Burger von der GSF: „Wissen Sie, wie viel herunterkam? Es kamen im Fallout etwa 400 000 Becquerel pro Quadratmeter herunter, und damit war die Strahlenschutzgesetzgebung außer Kontrolle gesetzt, weil sie nicht mehr Gültigkeit hatte.“

Das ganze Land Bayern hätte demnach in eine Zone verwandelt werden müssen, in der wir alle Schutzanzüge tragen.“ Wenn wir diese Katastrophe auf die bayerische Landkarte übertragen, beispielsweise auf die Standorte Isar 1 und Isar 2, wäre je nach Windrichtung Prag zu evakuieren, bei Westwind Wien, bei Ostwind München und Stuttgart. Ich bitte Sie, das einfach zu bedenken. Denken Sie daran, dass es um Sicherheitsfragen geht, nicht um irgendwelche Ausfl üchte, die Sie jetzt immer anführen, um die Laufzeiten zu verlängern.

Tschernobyl strahlt heute immer noch. Wir haben Zigtausende Becquerel bei Wildschweinfl eisch, weil die Hirschtrüffel von Wildschweinen gefressen werden. Wir haben einige tausend Becquerel beim Maronenröhrling und bei anderen Pilzproben, und wir haben auch noch Belastungen bei Waldbeeren. Bei einigen Lebensmitteln kann keine Entwarnung gegeben werden. Es ist auch in den kommenden zwei Jahrzehnten nicht mit einem nennenswerten Rückgang, beispielsweise bei der Kontamination von Wildschweinfl eisch, zu rechnen, so das Bundesamt für Strahlenschutz.

Nun lassen Sie mich zur Sicherheit kommen; denn Sie, meine Kolleginnen und Kollegen der CSU, tun das in Ihrem Antrag so leichtfertig ab und weisen darauf hin, dass es sich in Deutschland um andere Reaktortypen handele. Wissen Sie, dass allein 2004 154 meldepfl ichtige Ereignisse in deutschen Atomkraftwerken zu zählen

sind? Wissen Sie, dass sich in Berlin im Jahr 2003 die internationalen Atomkraftwerksbetreiber versammelt und intern mit Sorge eine Reihe von schweren Störfällen beklagt haben, die sich seit 1986 ereignet haben? Acht schwere wurden genannt. Ich nenne einige: Frankreich, Mai 1988, Verlust an 300 Kubikmetern Kühlmittel aus dem primären Kühlkreislauf. Japan, Atomkraftwerk Tokaimura, September 1999: Radioaktivitätsfreisetzung in einer Uran-Brennelementefabrik, zwei Tote, Dutzende verstrahlter Personen. Deutschland, Atomkraftwerk Brunsbüttel, 14. Dezember 2001: Wasserstoffexplosion nahe am Werk für Druckbehälter. Bis heute ist dieser Unfall nicht aufgeklärt. Dieses Atomkraftwerk ist zwei Monate weitergelaufen. USA, Atomkraftwerk DavisBesse, März 2002, schwere Korrosion am Werk für Druckbehälter, Ungarn, Atomkraftwerk Paks 2, 10. April 2003: Überhitzung der Brennelemente außerhalb des Sicherheitsbehälters. Genau diesen Punkt möchte ich ansprechen. Hier wurden 30 Brennstäbe in das Abkühlbecken getaucht. Das hat zur Überhitzung geführt, zu einer enormen Verdampfung des Wassers und zur Freisetzung von Radioaktivität ins Reaktorgebäude, die man später einfach abgelassen hat. Das Ganze waren 10 % des Potenzials eines Containments dieses Reaktors. Auch in den Medien gibt es hier eine Mauer des Schweigens; das will ich zugeben. All das wird auf die Seite geschoben und verharmlost. Genau bei diesem Unfall in Paks in Ungarn waren Sicherheitsberater, Energiefachberater der Firmen Areva und Siemens dabei. Sie waren an diesem riskanten Experiment beteiligt, nicht nur einige wenige Brennstäbe zum Abklingen freizugeben, sondern 30 Stück. Ich bitte Sie alle, die Medien und auch Sie als Politiker: Nehmen Sie diese Vorfälle ernst, auch wenn es nicht zur Katastrophe gekommen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich verstehe wirklich nicht, dass Sie in der Debatte so ganz leichtfertig sagen: Wir verlängern die Laufzeit von 30 Jahren, wie wir sie jetzt vereinbart haben, auf 40, 50 oder sogar 60 Jahre.

(Engelbert Kupka (CSU): Und Sie bauen Kohlekraftwerke für die nächsten 40 Jahre!)

Führen Sie eine solche Debatte bei Flugzeugen? Sagen Sie, ein altes Flugzeug könne ruhig die doppelte Zeit fl iegen? Führen Sie diese Debatte im Falle von Pkws oder Lkws? Da wissen Sie, welche Materialschäden, welche Korrosionen und welche Sicherheitsmängel auftreten können. Im Falle von Atomkraftwerken aber, wo wir nicht einmal Komponenten im Reaktor austauschen können, weil der Reaktor so verstrahlt ist – er steht permanent unter Neutronenbeschuss –, reden Sie leichtfertig von einer um 10, 20 oder 30 Jahre verlängerten Laufzeit. Ich kann das nicht nachvollziehen. Es gibt die Alterung zentraler Komponenten, hohe mechanische Belastung, hohe Betriebstemperaturen, chemisch aggressive Umgebung, Dauerbombardement mit Neutronen, und außerdem sind die Schäden schwierig zu entdecken, weil sie im Inneren metallischer Werkstoffe auftreten. Wir können nicht alles prüfen und messen. Diese Vorfälle, die immer wieder auftreten, zeigen, dass wir Probleme mit den Materialien

haben. Es gibt Schäden an und in der Nähe von Schweißnähten und an schwer zugänglichen Orten.

Wir müssen einen weiteren Aspekt berücksichtigen. Die Strommärkte sind liberalisiert; das wollten wir alle. Eine Liberalisierung von Strommärkten führt letztendlich dazu, dass die Betreiber gehalten sind, für kurze Ausfallzeiten bei Atomkraftwerken zu sorgen. Sie müssen dafür sorgen, dass Prüfungen und Kontrollen zügig abgewickelt werden, weil der Profi t stimmen muss. Der Reaktor muss Strom produzieren. Sie wissen, dass das Land SchleswigHolstein zweimal eine Abschaltung erzwungen hat und deswegen mit Erfolg zu Schadenszahlungen verklagt wurde.

Darin liegt ein großes Problem, dass die Liberalisierung die Betreiber möglicherweise zu leichtfertiger Routine bei Prüfungen verführt, zu Schlamperei oder gar zu Druck auf die Beschäftigten und die Prüfkontrollorgane. Ich bitte Sie, das zu bedenken.

Ich kann auf einige Veröffentlichungen verweisen. Lesen Sie einmal die Veröffentlichung „Mythos Atomkraft“ der Heinrich-Böll-Stiftung. Verschiedene Wissenschaftler haben genau diese Aspekte sehr differenziert und klar angesprochen.

Wir müssen die Sicherheit der Atomkraftwerke seit dem 11. September 2001 neu bewerten. Selbstmordattentate haben wir immer als Restrisiko betrachtet. Spätestens seit 2001 kann das nicht mehr so erfolgen. Der Absturz eines voll getankten Großraumfl ugzeugs auf ein Atomkraftwerk kann nicht mehr dem Restrisiko zugeordnet werden. Wie Sie wissen, hat das zu einer Neubewertung durch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit geführt. Im Jahr 2002 gab es einen Bericht, aus dem hervorging, dass es Unterschiede im Schutzniveau der Atomkraftwerke in Deutschland gibt. Das haben auch wir lernen müssen; denn auch wir haben immer gesagt, AKW, also Atomkraftwerk, ist gleich AKW. Wir müssen die Atomkraftwerke aber differenziert betrachten und erkennen, dass es unterschiedliche Standards im Schutzniveau von alten und neuen Anlagen gibt. Das haben wir gelernt. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit – die GRS – hat allerdings auch gesagt, dass kein Atomkraftwerk einem Volltreffer durch eine voll getankte Großraummaschine standhält.

Wir haben im Zusammenhang mit der weltpolitischen Lage noch einen Aspekt zu berücksichtigen. Atomkraftwerke sind als Ziele in einem konventionellen Krieg nicht länger eine bloß theoretische Möglichkeit. Es gab die Option, ein AKW anzufl iegen, sowohl beim Terrorangriff 2001 – das wurde aus Vernehmungen bekannt –, und es gab diese Überlegungen in Israel, in Amerika und von Saddam Hussein. Ich zitiere Carl Friedrich von Weizsäcker, der 1985 in seiner Einstellung zur Atomenergie einen Wandel erlebt hat:

Die weltweite Durchsetzung der Kernenergie fordert als Konsequenz eine weltweite radikale Veränderung der politischen Struktur aller heutigen Kulturen. Sie fordert die Überwindung der wenigstens seit dem Beginn der Hochkulturen bestehenden politischen Institution des Krieges.

Wir haben aber keine weltpolitische Befriedung, sondern wir haben Krisen, Konfl ikte und Kriege. Deshalb ist die Technologie, die wir hier haben, nicht angebracht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir reden hier immer von einer weltweiten Renaissance der Atomenergie. Dann hören Sie sich bitte einmal einige Zahlen an. Im Europa der 25 Staaten ging von 1989 bis heute die Zahl der Atomkraftwerke, die in Betrieb sind, von 172 auf 148 zurück. Hier in Bayern wurde die Anlage in Wackersdorf nicht gebaut, Gundremmingen A stillgelegt, auch die Anlage in Niederaichbach nach 18 Volllasttagen.

Weltweit gibt es 443 Atomkraftwerke. Von 1995 bis 2004 ging die Zahl der AKWs in Bau und Betrieb von 490 auf 463 zurück. Nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Organisation – IAEO – sind 28 Atomkraftwerke in Bau. Davon befi ndet sich circa die Hälfte seit mehr als 18 Jahren im Bau. Normalerweise bezeichnet man solche Baustellen und Bauwerke als Bauruinen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn wir uns die durchschnittliche Laufzeit der Atomkraftwerke anschauen, die weltweit abgeschaltet wurden, dann lag diese bei 21, 22 Jahren. Gleichzeitig sind die laufenden Atomkraftwerke seit durchschnittlich 22 Jahren in Betrieb. Wir haben keinerlei Erfahrungen mit Atomreaktoren mit 40 und 50 Jahren Laufzeit. Nur um die Atomenergie hier in Europa zu sichern, wird 15 Jahre nach Tschernobyl ein neuer Atomreaktor in Finnland gebaut. Das geschieht zu einem Festpreis von 3,2 Milliarden Euro. Areva und Siemens, die dieses Kraftwerk bauen wollen, akzeptieren diesen Festpreis nur, um endlich wieder ein Atomkraftwerk zu bauen. Was macht Bayern zur Unterstützung des mittelständischen AKW-Betriebs Siemens? Es gibt einen zinsgünstigen Kredit der Landesbank. Das ist Ihre Politik, um dem Auslaufmodell der Atomkraftwerke und der Atomenergienutzung noch ein Denkmal zu setzen. Ich kann nur sagen: Das ist unverantwortlich.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir erleben keine Renaissance der Atomenergie, sondern eine Renaissance der Ankündigungen. China hat angekündigt, bis 2020 32 Blöcke zu bauen. Im Bau sind derzeit 3. Russland hat 40 Blöcke angekündigt, im Bau sind 4. Die Ukraine hat 12 Blöcke angekündigt, im Bau sind 2. Die USA wollten bis 2050 300 Blöcke bauen, im Bau ist derzeit keiner. Stattdessen investieren die USA in andere Kraftwerkstypen. Die US-Regierung äußert: Es wird nicht erwartet, dass bis 2025 in den USA ein AKW ans Netz gehen wird.