Protokoll der Sitzung vom 18.05.2006

Zusatzfrage: Frau Kollegin.

Frau Staatsministerin, Sie haben gesagt, die Gemeinde muss „rechtzeitig“ die notwendigen Plätze zur Verfügung stellen. Was bedeutet „rechtzeitig“? Im Gesetz steht 30.04. Das ist heuer nicht haltbar.

Frau Staatsministerin.

Vom Grundsatz her bin ich der Überzeugung, dass die Kommunen auf jeden Fall jetzt ab Mai ihre Bedarfsplanung machen müssen. Denn die Anmeldungen bei den Trägern laufen ja überall. Die Gespräche der Erzieherinnen der Träger mit den Eltern laufen zurzeit sehr intensiv. Vor diesem Hintergrund muss die Bedarfsplanung bei Entscheidungsreife zum Abschluss gebracht werden.

Weitere Zusatzfrage: Frau Kollegin Werner-Muggendorfer.

Frau Ministerin, was geschieht denn mit den Gemeinden, die eigentlich in diese Übergangsregelung fallen, die Sie sehr ausführlich erklärt haben, aber nicht bereit sind, ihren Anteil während dieser Übergangszeit zu bezahlen?

Frau Staatsministerin.

Die Gemeinden müssen das bezahlen. Darauf hat der Träger einen Rechtsanspruch. Bei der Übergangsregelung bis 31. August 2008 müssen sie das bezahlen.

Das Problem, soweit ich es sehe, schlägt weniger bei den bestehenden Plätzen aus, sondern mehr, wenn aus einer

Familie mit zwei Kindern das eine Kind schon in den Montessorikindergarten geht und jetzt auch noch das andere Kind in den Montessorikindergarten gehen soll. Dann habe ich für das Kind, das schon in den Montessorikindergarten geht, die Übergangsregelung, aber für das Geschwisterkind weigern sich die Kommunen oft und sagen: Es tut uns leid, das machen wir nicht. Da habe ich die großen Probleme. Da müssen das Sozialministerium und auch ich als Ministerin ständig mit den Bürgermeistern reden.

Dabei muss ich gleichzeitig sagen – so weit bin ich schon – dass der Kreis, also das Jugendamt, außerhalb der Geltung der Bedarfsfi ktionsregelung die Bedarfsanerkennung übernimmt. Gleichzeitig ist zu sagen, dass dann der kommunale Anteil vom Landkreis geleistet wird; denn gerade bei diesen Kindergärten haben wir sehr oft einen sehr großen Einzugsbereich, der sich häufi g über einen Landkreis, wenn nicht sogar über mehrere Landkreise hinweg erstreckt.

Letzte Zusatzfrage: Frau Kollegin.

Sie haben einen interessanten Hinweis gegeben, aber was ist, wenn das Kreisjugendamt oder der Landkreis auch nicht bereit ist, diesen Anteil zu bezahlen?

Frau Staatsministerin.

Dann hat der Träger natürlich durchaus Schwierigkeiten. Dabei muss man sich allerdings auch die Situation vor Ort immer genau ansehen. Ich möchte schon noch einmal darauf hinweisen, dass wir in Artikel 7 sehr klar formuliert haben: Die Gemeinden entscheiden, welchen örtlichen Bedarf sie unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Eltern und ihrer Kinder für eine kindgerechte Bildung, Erziehung und Betreuung sowie sonstiger bestehender schulischer Angebote anerkennen. Also, die Gemeinden müssen die Bedürfnisse der Eltern und ihrer Kinder in der Bedarfsplanung berücksichtigen. Diesen Artikel 7 übersehen zurzeit noch etliche Kommunen.

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist die Fragestunde beendet.

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung die Tagesordnungspunkte 2, 3 und 4 auf:

Gesetzentwurf der Abg. Monica Lochner-Fischer, Johanna Werner-Muggendorfer, Christa Naaß u. a. (SPD) zur Änderung des Bayerischen Gleichstellungsgesetzes (Drs. 15/4395) – Zweite Lesung –

hierzu:

Änderungsantrag der Abg. Christa Naaß, Adelheid Rupp, Monica Lochner-Fischer u. a. (SPD) (Drs. 15/4836)

Gesetzentwurf der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Ulrike Gote u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Änderung des Bayerischen Gleichstellungsgesetzes (Drs. 15/4729) – Zweite Lesung –

Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Bayerischen Gleichstellungsgesetzes (Drs. 15/4735) – Zweite Lesung –

hierzu:

Änderungsantrag der Abg. Prof. Ursula Männle, Manfred Ach, Prof. Dr. Walter Eykmann u. a. (CSU) (Drs. 15/4834)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Im Ältestenrat wurde hierzu eine Redezeit von 30 Minuten pro Fraktion vereinbart. Ich darf als erster Rednerin Frau Kollegin Naaß für die SPD-Fraktion das Wort erteilen.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Der 18. Mai 2006, also der heutige Tag, ist ein wichtiger Tag in Sachen Gleichstellungspolitik. Heute beschließen wir die Verlängerung des seit zehn Jahren bestehenden Gleichstellungsgesetzes. Dass dies so sein wird, war lange Zeit nicht sicher. Nicht umsonst wurden im vergangenen Jahr 6880 Postkarten von Frauen aus allen Regionen Bayerns an den Bayerischen Landtag geschickt mit der Forderung, das Bayerische Gleichstellungsgesetz auch nach Ablauf am 30.06.2006 weiterzuführen.

(Renate Dodell (CSU): Das war schon vorher beantragt!)

Ich erinnere daran: Der Gesetzgeber hat im Jahre 1996 mit dem Bayerischen Gleichstellungsgesetz endlich den Verfassungsauftrag nach Artikel 3 des Grundgesetzes zur Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Beseitigung bestehender Nachteile aufgegriffen. Bis es dazu kam, hat es in Bayern wieder einmal länger als in anderen Bundesländern gedauert.

Bereits am Internationalen Frauentag am 8. März 1995 hatte die SPD einen Gesetzentwurf zur Gleichstellung von Frauen und Männern eingereicht, nachdem sich zum damaligen Zeitpunkt gleichstellungspolitisch in Bayern so gut wie überhaupt nichts tat. Bayern war damals das einzige Bundesland ohne Gleichstellungsgesetz. Die damalige SPD-Initiative hat gefruchtet; zwei Monate später legte die Staatsregierung wenigstens Eckpunkte vor, die jedoch damals zu einem großen Aufschrei führten und führen mussten. So war zum Beispiel überhaupt nicht

vorgesehen, Lehrerinnen und Lehrer in das Gleichstellungsgesetz mit einzubeziehen.

Ähnlich wie im Jahre 2005 kam es im Jahr 1995 zu einer konzertierten Aktion von vielen Frauen, Frauenverbänden und Einrichtungen mit dem Ziel, ein Gleichstellungsgesetz zu bekommen, das Hand und Fuß hat. Lange Beratungen, Fachgespräche und viele Petitionen waren erforderlich, um wenigstens noch kleine Verbesserungen in den damals vorgelegten Gesetzentwurf einfl ießen zu lassen.

Ich erinnere an die damaligen Reaktionen der Presse: Typisch bayrisch! Ein Gesetz, das niemandem weh tut, aber auch nicht so schwach ist, dass man es hätte bleiben lassen können. Selbst kleine Revolutionen dauern in Bayern länger. Bis bei den Ministerialdirigenten oder den Ministerialdirektoren die Mehrheit weiblich ist, dürften wohl noch ein paar Jahrhunderte ins Land gehen. Das Bayerische Gleichstellungsgesetz: ein zahnloser Tiger, ein Fingerhut voll Gleichstellung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was für eine Chance haben wir als Parlament, heute am 18. Mai 2006, aus diesem Fingerhut voll Gleichstellung einen vollen Eimer zu machen!

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Gute Idee! Das müssen viele Haferl sein!)

Es könnte ein denkwürdiger Tag werden. Nutzen wir diese Chance, Kolleginnen und Kollegen, und überlassen wir sie nicht den Generationen nach uns. Ich sage deshalb Generationen, weil sich die Bemühungen um die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern über Jahrhunderte hinweg ziehen. Ich gehe kurz ein bisschen in die Geschichte zurück. August Bebel schrieb in seinem Buch „Die Frau und der Sozialismus“ im Jahre 1878:

Die Frau der neuen Gesellschaft ist sozial und ökonomisch vollkommen unabhängig. Sie ist keinem Schein von Herrschaft und Ausbeutung unterworfen. Sie steht dem Manne als Freie und Gleiche gegenüber und ist Herrin ihrer Geschicke.

Zustimmung! – Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD)

Dies hat August Bebel damals geschrieben, damit die Gesellschaft sensibilisiert wird, aber nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die eigene Partei. Wenn wir jetzt das Jahr 2006 ansehen, müssen wir feststellen: Diese Visionen von August Bebel haben sich bei weitem noch nicht realisiert.

Ich erinnere an den ersten Internationalen Frauentag am 19. März 1911, bei dem Tausende von Frauen auf die Straße gingen, um nicht nur das Wahlrecht einzufordern, sondern auch politische und soziale Gleichberechtigung. Anlässlich des 95. Internationalen Frauentages, den wir jüngst am 8. März begangen haben, wäre es ein nicht zu übersehendes Signal, wenn wir ein Gleichstellungsgesetz in Bayern formulierten, das wirklich Biss hat und kein Gesetz, das sich nach wie vor auf Unverbindlichkeiten stützt.

Am 19. Januar 1949, also vor 57 Jahren, wurde endlich die tatsächliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen. In Bayern jedoch dauerte es bis zum Jahre 1998, bis endlich durch das Volk die Bayerische Verfassung geändert wurde und die Gleichberechtigung endlich auch in die Bayerische Verfassung Einzug hielt.

(Prof. Ursula Männle (CSU): Auf Antrag des Landtages!)

Denn bis dahin galten immer noch die Formulierungen aus der Weimarer Republik. Nun sind wir im Jahr 2006 angelangt und können und dürfen mit dem Erreichten nicht zufrieden sein. Zehn Jahre Gleichstellungsgesetz in Bayern sind bei weitem keine Erfolgsstory. Im Gegenteil. Neuer Schwung ist in der Gleichstellungspolitik erforderlich.

Über diese Einschätzung besteht meines Erachtens Konsens zwischen allen drei hier im Bayerischen Landtag vertretenen Parteien. Deswegen haben sich alle drei auch für die Weiterführung und Verbesserung des derzeitigen Gleichstellungsgesetzes ausgesprochen. Das geschah nicht ohne Grund. Gab es nach dem zweiten Gleichstellungsbericht im Jahre 2002 einen deutlichen Schub in Sachen Gleichstellung, so ist gerade in letzter Zeit der Trend gebrochen. Rückschritte in Sachen Gleichstellung sind nicht zu übersehen. Das sagen nicht nur ich und meine Fraktion, sondern das stellte auch das INIFES-Institut fest, das den dritten Gleichstellungsbericht auch auf Anregung des Ausschusses für Fragen des öffentlichen Dienstes begleitet und bewertet hat.

Folgende Defi zite wurden aufgezeigt, die ich Ihnen kurz darstelle. Über die Zeit ist ein Abfl achen der gleichstellungspolitischen Fortschritte zu erkennen. Rückschritte sind nicht zu übersehen. Rückschritte, wenn es um die Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten bei Beförderungen und Höhergruppierungen geht, Rückschritte bei der Ausschreibung der Stellen für Gleichstellungsbeauftragte; denn 49,7 % der Dienststellen schreiben nicht aus. Rückschritte hinsichtlich der Freistellung und bei der Ausstattung der Gleichstellungsbeauftragten. In diesem Bereich sind eindeutig Sparmaßnahmen zu erkennen.

Es gibt einen Grundstock an Dienststellen und Einrichtungen, die sich in wichtigen Aspekten den Vorgaben des Gleichstellungsgesetzes durch Abducken entziehen

(Heiterkeit der Abgeordneten Johanna Werner- Muggendorfer (SPD))

so die Formulierung des Instituts –, zum Beispiel durch fehlende erste Gleichstellungskonzepte, fehlende Fortschreibung, fehlende Gleichstellungsbeauftragte, zu seltene Berücksichtigung sozialer Kompetenz, um nur einzelne Beispiele zu nennen.

Die Feststellung nach dem dritten Gleichstellungsbericht, der am 5. Juli 2005 im Bayerischen Landtag gegeben wurde, ist folgende: Das Gleichstellungsgesetz hat zwar gewirkt, die Intention des Gesetzgebers ist aber noch lange nicht erreicht und braucht eine Erneuerung. Die

Gleichstellung und Gleichberechtigung von Mann und Frau brauchen deshalb eine weitere gesetzliche und tatsächliche Unterstützung. 20 % der Gleichstellungsbeauftragten sind zum Beispiel für ihre Tätigkeit überhaupt nicht freigestellt. Der Deutsche Juristinnenbund Landesverband Bayern kritisiert nicht umsonst, dass es unwilligen Gemeinden durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ermöglicht werde, von Gleichstellungsmaßnahmen abzusehen.

In Führungspositionen sind Frauen in Bayern nach wie vor unterrepräsentiert. Der Frauenanteil bei der Neubesetzung von Führungspositionen ist mit 20 % gegenüber 23,6 % im Jahr 2002 deutlich gesunken. Also auch in dem Bereich ist ein Rückschritt zu erkennen.

Im höheren Dienst sind die Frauen nach wie vor unterrepräsentiert. 26,4 % im Jahr 2003 gegenüber 26,1 % im Jahr 2001 kennzeichnet die Entwicklung. Das ist ein Fortschritt um 0,3 % in drei bis vier Jahren. Langsamer kann es nicht mehr gehen.