Protokoll der Sitzung vom 06.07.2006

Wir befi nden uns also in einem großartigen Prozess. Ich will dem Hohen Hause noch einmal sagen: Die Renaissance des Föderalismus, von der ich gesprochen habe, der Subsidiarität war auch in Europa vor etwas sechs, sieben Jahren auf dem Höhepunkt. Das hat nachgelassen. Was hier Gegenstand der Debatte ist und was wir morgen verabschieden werden, würde heute unter der allgemeinen Stimmungslage – mehr Einheitlichkeit und weniger Differenzierung – nicht mehr so ohne weiteres konzipiert werden. Müssten wir heute mit der Föderalismusreform beginnen, wäre das nicht mehr in dem Maße mehrheitsfähig wie vor drei oder vier Jahren.

Für Bayern ist das gut. Wir sind ein selbstbewusstes starkes Land. Wir werden mit all den Kompetenzen, die wir haben, etwas anfangen können. Wir werden die Kompetenzen nutzen, um Bayern noch attraktiver zu machen. Das wird zu stärkerem Wettbewerbsföderalismus führen. Das ist keine Frage. Es wird zu einem stärkeren Wettbewerb führen, was unsere Intention war – nicht aller – aber des Großteils des Hohen Hauses und der Bayerischen Staatsregierung. Ich will eines hinzufügen: Bei aller Zusammenarbeit, die ich mit Herrn Müntefering hatte, konnte dies nur in einer Großen Koalition gepackt werden. Ohne die Mechanismen einer formellen organisierten Zusammenarbeit der beiden großen Gruppen wäre die Reform immer wieder an einer Kleinigkeit gescheitert.

Deshalb glaube ich, dass dies die erste große Leistung der Großen Koalition ist, bei aller Kritik an vielen Entscheidungen – mir würden da viele Kritikpunkte einfallen. Wir werden erst in den nächsten Jahren sehen, welche großen Entscheidungen damit verbunden sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wir haben auch gegenüber der Öffentlichkeit eine Bringschuld. Wir müssen zeigen, dass wir Länder in der Lage sind, diese großen Zukunftsfragen eigenverantwortlich zu lösen. Das wird an Regierung und Parlament hohe Anforderungen stellen. Das Parlament wird wieder in viel stärkerem Maße Gesetzgebungsorgan sein. Das tut Deutschland gut. Viele Debatten, ob sie den Strafvollzug betreffen, das Heimrecht oder das Besoldungsrecht, werden in diesem Hause, hier in Bayern, eine größere Aufmerksamkeit erfahren und differenzierter beurteilt werden als bei einer Entscheidung im Bundesrat und im Bundestag.

(Beifall eines Abgeordneten der CSU)

In diesem Sinne hoffe ich auf eine gute Abstimmung morgen. Wir werden diesen Prozess, der 1999 begonnen hat – damals war der erste Anlauf - zu Ende führen können. Wenn dies der Fall ist, dann würde die Große Koalition einen Fehler korrigieren, den sie in den 60er Jahren gemacht hat. Wie Sie wissen, war ich lange Jahre der engste Mitarbeiter von Franz Josef Strauß. Franz Josef Strauß war zusammen mit Karl Schiller einer der großen Protagonisten des kooperativen Föderalismus in der Großen Koalition. Er wollte neun Gemeinschaftsaufgaben haben – neun! -, drei sind dabei herausgekommen. Damals gab es viele große Kräche. Ich war daran nicht beteiligt, doch ich habe sie aus der Froschperspektive mitbekommen. Es gab also große Auseinandersetzungen zwischen Strauß und Ministerpräsident Goppel in der Staatskanzlei. Goppel wollte nichts hergeben, Strauß hingegen wollte vieles an den Bund abgeben. Das war hochinteressant. Nachdem Strauß dann selbst vier oder fünf Jahre Ministerpräsident in Bayern war, hat er auf den Bundesfi nanzminister Strauß geschimpft und gesagt: Was hat der damals nur angerichtet! Das müsste doch alles in Bayern angesiedelt sein! – Ich muss sagen, er hatte Recht, und er hat noch immer Recht. Deshalb machen wir das so. In dem Sinne: Alles Gute und Glückauf für morgen!

(Lang anhaltender Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident, der Beifall des Hohen Hauses zeigt, dass wir Ihnen das Glück für morgen mit auf den Weg geben möchten.

Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde verlängert sich nach unserer Geschäftsordnung. Herr Kollege Dr. Runge hat um das Wort gebeten. Herr Kollege Dr. Runge, Sie erhalten noch einmal fünf Minuten.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, drei Aspekte in einigen wenigen Worten darzulegen. Stichwort Hochmut: Herr Ministerpräsident, seien Sie versichert, auch wir haben uns durchaus kritisch mit der betreffenden Dame und auch mit anderen auseinandergesetzt. Wir werden das auch im Nachgang, beispielsweise in der nächsten Woche, wieder tun. Wir hätten nichts dagegen gehabt, wenn Sie von Ihrer Bundesratsbank einmal aufgestanden wären und reingemault hätten. Manchmal ist das sicher gut und zielführend.

Herr Kollege Maget, diese Spielerei mit „mehr“ und „weniger“ bietet sich durchaus an, doch ich bitte um Redlichkeit in der Argumentation. Es geht um die Verortung und um die Vermengung von Zuständigkeiten. Was die Verortung anbelangt, haben wir gesagt, dass wir sie in dem einen oder anderen Feld nicht für richtig halten. Wir sind uns da einig mit allen Fachpolitikern Ihrer Fraktion. Was die Vermengung anbelangt, so habe ich gesagt, es wird nach wie vor zu viel vermengt. Das heißt, es wird zu wenig auseinander genommen. Ich bin deshalb nicht so optimistisch wie das Gutachten der Bundestagsverwaltung, welches zu dem Ergebnis kommt, 22 % oder 23 % seien zustimmungspfl ichtige Gegenstände. Ich glaube nicht, dass wir so weit heruntergekommen sind. Der Herr

Ministerpräsident hat beispielsweise die Gemeinschaftsaufgaben angesprochen. Ich greife dieses Beispiel deshalb auf. Wir haben sehr genau studiert, was die Föderalismuskommission – also die Kommission zur Reformierung der bundesstaatlichen Ordnung – diskutiert hat, was geschrieben und verhandelt wurde. Einer der größten Sündenfälle wäre die Einführung der Gemeinschaftsaufgaben. Also weg mit den Gemeinschaftsaufgaben. Man dachte, bei der Agrarstruktur und beim Küstenschutz wird das relativ schwierig, deshalb nehmen wir sie raus. Jetzt aber stellen wir fest, auch die Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur gibt es weiterhin.

(Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber: Der Osten wollte das!)

Das weiß ich. Aber wir sind hier noch nicht zufrieden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir hätten uns da noch mehr gewünscht.

Nun zu der für uns entscheidenden Frage: Auch wir sehen Chancen, aber wir sehen, auf der einen Seite steht das Landesparlament, auf der anderen Seite die Spitze der Exekutiven. Zwischen beiden gibt es ein Zusammenspiel oder auch kein Zusammenspiel. Frau Kollegin Männle hat gemeint, sie bräuchte nicht unsere Belehrungen, was ihr Verhältnis zur Staatsregierung anbelangt. Vielleicht fi nden die Erörterungen klandestin oder ganz woanders statt, uns jedenfalls geht es darum, dass das Parlament als Ganzes, mit allen Fraktionen, auf der einen Seite darüber berät und auf der anderen Seite die Staatsregierung. Ich erinnere an einen Fall, bei dem ein wichtiger Gegenstand an die Länder zurückgegangen ist: Bei der Regionalisierung, nach der Bahnreform, ging die Zuständigkeit für den Schienenpersonennahverkehr an die Länder. Das war bei der Bahnreform Anfang der 90er Jahre. Seit wir dafür zuständig sind, das war etwa ab dem Jahr 1994, wie oft wurde der Landtag denn da eingebunden? Es geht immerhin um jährlich eine Milliarde Euro, die hierfür ausgegeben werden, und um eminent wichtige Verträge, wie beispielsweise den Verkehrsdurchführungsvertrag. Beim ersten Mal hat der Landtag davon überhaupt nichts mitbekommen. Erst als der Vertrag wieder aufgelegt wurde, durften wir einige Eckpunkte im Nachgang diskutieren. In unseren Augen ist das aber viel zu wenig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es hilft wenig, wenn wir und die SPD als Oppositionsparteien fordern und beantragen, dass wir im Detail mitreden wollen, solange die Mehrheit uns daran hindert. Deshalb noch einmal mein dringlicher Appell, den ganzen Landtag einzubeziehen. Wir werden hier sehr gerne mitmachen, in dem einen oder andern Punkt werden wir sicherlich anderer Meinung sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Gesetzentwurf der Staatsregierung Fünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuches (Drs. 15/5136) – Zweite Lesung –

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Im Ältestenrat wurde hierzu eine Redezeit von 15 Minuten pro Fraktion vereinbart. Ich darf für die CSU-Fraktion - -. Wo ist Herr Kollege Unterländer?

(Zurufe der Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD) und Christa Steiger (SPD): Wir übernehmen das!)

Dürfte ich Sie dann bitten? Wenn Herr Kollege Unterländer nicht da ist, kann ich deshalb nicht die Sitzung unterbrechen.

(Beifall des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))

Frau Kollegin Steiger, bitte.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte sehr gerne auf Herrn Kollegen Unterländer geantwortet,

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

wenn die CSU-Fraktion aber im Moment sprachlos ist,

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Wenn die CSU nicht in der Lage ist!)

dann werden wir unseren Redebeitrag eben gleich zu Beginn einbringen.

Kolleginnen und Kollegen, das Fünfte Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuches zeigt schon im Titel, es ist zu befürchten, dass es eine „unendliche Geschichte“ wird. Der uns vorliegende Gesetzentwurf umfasst zwei Regelungen: Zum einen geht es um den interkommunalen Finanzausgleich, zum anderen um die Neuregelung der Zuständigkeit für die Leistungen an Aussiedler, Spätaussiedler und ausländische Mitbürger. Der Gesetzentwurf ist ausführlichst im Ausschuss für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik, im Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit und im Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen behandelt worden.

Das Vierte Ausführungsgesetz zum Sozialgesetzbuch ist seit dem 01.01.2005 in Kraft.

Es wurde damals von Ihnen durch die Beratungen gepeitscht, und es wurde sehr eilig darüber abgestimmt. Damals hat die SPD-Fraktion deutlich gemacht, dass es ein Stückwerk ist und nachgebessert werden muss. Das ist vonseiten der CSU-Fraktion und der Ministerin dezent auch schon so vorgetragen worden. Den ersten Akt

dieser Änderung erleben wir jetzt durch die Verabschiedung dieses Änderungsgesetzes.

Diesem Gesetz liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Zuständigkeit für Leistungen für Aussiedler, Spätaussiedler und ausländische Mitbürger in eine Hand gehört, und zwar der Städte und Landkreise. Uns ist von Anfang an klar gewesen, dass das auch mit einem fi nanziellen Ausgleich zwischen den Städten und Landkreisen einhergehen muss, die aufgrund der stärkeren Konzentration dieser Bevölkerungsgruppen in den Ballungszentren belastet sind. Das ist keine neue Neuigkeit. Sowohl die Beratung im Dezember 2004 als auch die heutige Beratung im Juli 2006 lassen belastbare Daten für den Rahmen des fi nanziellen Ausgleiches vermissen. Sie gehen nach wie vor von Schätzungen aus. Ich frage mich: Warum nicht gleich so?

Der interkommunale Belastungsausgleich ist ein sehr wichtiges Thema. Dieser Gesetzentwurf ist in sehr enger Zusammenarbeit mit den kommunalen Spitzenverbänden entstanden. Der interkommunale Finanzausgleich ist dringend notwendig; denn die Situation der Kommunen in Bayern stellt sich höchst unterschiedlich dar. Ebenso sind die Belastungen der Kommunen in Bayern unterschiedlich. Die sieben bayerischen Bezirke werden um 104,4 Millionen Euro entlastet. Bei den Landkreisen und kreisfreien Städten gab es Gewinner und Verlierer. Die Gewinner erhalten 79,4 Millionen Euro, die Verlierer werden mit 79 Millionen Euro belastet. Die Entlastung aller kommunalen Ebenen beträgt per Saldo 104,8 Millionen Euro. Das belegt die Notwendigkeit des Finanzausgleiches. Das war auch nie strittig. Es gibt eindeutig Verlierer unter den Kommunen.

Für uns stellt sich nach wie vor die Frage nach der Konnexität; denn der Finanzausgleich kann nicht nur bilateral erfolgen, es darf keine weiteren zusätzlichen Belastungen für die kommunale Ebene geben.

(Beifall bei der SPD)

Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu, da die Verlagerung von Aufgaben für die Bevölkerungsgruppe der Aussiedler, Spätaussiedler und Ausländer von den Bezirken auf die Landkreise und Städte richtig ist. Das haben wir von Anfang an gefordert. Ein interkommunaler Finanzausgleich ist dringend geboten, quasi als Verpfl ichtung des Freistaates gegenüber seinen Kommunen, mit denen die Staatsregierung in den letzten Jahren nicht immer besonders gütig umgegangen ist – um das vorsichtig zu formulieren – und auch jetzt nicht besonders gütig umgeht; denn die Finanzausstattung der Kommunen im Freistaat Bayern ist höchst mangelhaft.

Die Einlassung des Städtetages, über 2007 hinaus den kombinierten Belastungsausgleich fortzusetzen, ist nachvollziehbar. Wir werden dies weiter begleiten. Wie gesagt: Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu, wissend, dass es wiederum ein Stückwerk ist.

(Beifall bei der SPD)

Wesentliches ist darin nicht geregelt, und es ist Falsches aus dem jetzt geltenden AGSGB nicht revidiert worden. So sieht das AGSGB keine Verpfl ichtung zur Einrichtung von Sozialhilfeausschüssen auf kommunaler Ebene mehr vor. Ich halte das nach wie vor für vollkommen falsch.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Richtig! – Beifall bei der SPD)

Die Beteiligung sozialerfahrener Personen ist nicht mehr vorgesehen. Auch das halte ich für falsch. Bemerkenswert ist, dass offensichtlich auch in der CSU-Fraktion deswegen kein reines Gewissen vorhanden ist. Das zeigen die Schriftliche Anfrage des Kollegen Unterländer und die Antwort der Staatsregierung dazu, die darauf hinweist, dass die Bezirke dies anders sehen.

Am wichtigsten ist aber, was es noch zu regeln gilt. Das brennt wirklich auf den Nägeln, weil wir sonst mit der Sozialpolitik für die Zukunft nicht weiterkommen bei den neuen Wohnformen im Behindertenbereich und im Altenbereich. Die Zusammenführung in eine Hand, die Eingliederungshilfe und die Hilfe zur Pfl ege sind nicht geregelt. Es ist falsch, dass die Leistungen der Eingliederungshilfe durch die Einrichtungen und durch die Dienste – die Frühförderung ausgenommen – nicht in einer Hand sind. Nach meiner Meinung gehören sie in die Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers, in die Hände der Bezirke.

Sie haben wiederum eine Chance vertan. Es gibt einen Verschiebebahnhof zwischen ambulant, teilstationär und stationär. Der Ausbau von ambulanten Wohn- und Betreuungsformen neuer Art, Kombinationen zwischen ambulant und stationär sind nicht vorhanden und werden durch die unterschiedlichen Zuständigkeiten verhindert. Es gibt Differenzen zwischen örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträgern. Ich halte es für ein Versäumnis, dass Sie das wiederum nicht geregelt haben; denn es besteht Konsens, dass ambulante Hilfe und offene Betreuungsformen ausgebaut werden sollen. Wir müssen sehen, was zwischen ambulant und stationär verbunden werden kann. Sie haben erneut eine Chance vertan. In absehbarer Zeit werden wir uns mit einer weiteren Änderung des AGSGB befassen müssen. Das könnten wir uns sparen, wenn die Staatsregierung frühzeitig gehandelt hätte und es in diese Änderung aufgenommen hätte.

Trotz allem stimmen wir diesem Stückwerk zu, weil es ein Schritt in die richtige Richtung ist. Das AGSGB wird uns aber noch weiter beschäftigen. Die Änderungen bei der ambulanten, teilstationären und stationären Pfl ege sowie bei der Eingliederungshilfe sind zwingend geboten.

(Beifall bei der SPD)