Protokoll der Sitzung vom 18.07.2006

Danke schön, Frau Präsidentin. – Ich möchte mit einem Satz schließen: Für uns ist es eine Aufgabe, niemanden auszugrenzen. Unser Bildungssystem ist sicher auf einem guten Weg, aber zur Durchsetzung einer absoluten Gerechtigkeit rufe ich uns alle auf. Dabei ist dann jeder von uns gefordert.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Strobl.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Waschler, Sie sagen immer, die SPD würde ihre uralte Platte abspielen.

(Lachen bei der CSU)

Ich verstehe jetzt nicht Ihre Unruhe. Ich möchte Ihnen nur sagen: Ihre uralte Platte kennen wir bereits. Ihre Platte hat zum Thema: Wir sind die Besten, wir sind die Weltmeister usw. Man muss ganz offen sagen: Der Bildungsbericht zeigt die Schwachpunkte Ihrer Bildungspolitik.

Ich persönlich bin nicht jemand, der alles kritisiert. Ich sage Ihnen aber: Hier in Bayern könnte vieles besser sein. Daran müssen wir arbeiten. Mich nervt, dass vonseiten der Regierung und der CSU auf die vorgebrachte Kritik nicht eingegangen wird. Sie sind nicht bereit, Kritik und Anregungen aufzunehmen. Sie sind auch nicht bereit, die Betroffenen als Beteiligte einzubeziehen. Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie diese Kritikpunkte auf. Lassen Sie uns gemeinsam an Lösungen arbeiten!

Eigentlich wollte ich jetzt etwas zu Herrn Kollegen Stahl sagen, aber der ist schon wieder unterwegs. Er verfolgt die Debatte offenbar sehr eingehend. Herr Kollege Stahl hat gesagt, die Hauptschule sei eine Angebotsschule. Dem muss ich entgegenhalten: Die Hauptschule mag eine Angebotsschule sein, aber dieses Angebot wird es bei uns bald nicht mehr geben, wenn Sie weiterhin eine

Teilhauptschule nach der anderen aufl ösen. Sie haben sogar schon Hauptschulen geschlossen, auch wenn das immer wieder abgeleugnet wird. Das Angebot der Hauptschule wird es bald in weiten Teilen unseres Landes Bayern nicht mehr geben.

(Beifall bei der SPD)

Ich muss noch etwas zu Herrn Kollegen Stahl sagen, auch wenn er im Moment nicht da ist. Ich würde mir wünschen, dass die Kolleginnen und Kollegen von der CSU nicht immer nur schwarz-weiß denken würden. Sie sollten auch Phantasie entfalten nach dem Motto „kein Denkverbot“, einem Motto, das Kultusminister Schneider ausgegeben hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sorge und Verantwortung für die Bildung und Erziehung der nächsten Generation, also unserer Kinder und Jugendlichen, gehört zu den vornehmsten Aufgaben einer Gesellschaft. So steht es im Bildungsbericht, der uns in der letzten Woche vorgelegt wurde. In der täglichen Praxis habe ich nicht immer den Eindruck, dass dies in Bayern so gesehen wird. Die Staatsregierung war in den letzten 15 Jahren nicht in der Lage, die gravierenden Ungerechtigkeiten des bayerischen Bildungssystems aufzulösen. Sie war auch nicht in der Lage, die Bildungspotenziale in den verschiedenen Regionen zu heben.

(Walter Nadler (CSU): Nennen Sie ein Beispiel!)

Schauen Sie doch in den Bildungsbericht! Dort sind Beispiele aufgeführt. Ich muss Ihnen doch nicht alles vortragen.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Lesen, nicht reden! – Walter Nadler (CSU): Nennen Sie doch etwas Konkretes!)

Im Bildungsbericht sind diese Punkte aufgeführt. Ich kann Ihnen natürlich auch eine Stunde lang aus dem Bildungsbericht alle Kritikpunkte vorlesen. Dieser Bildungsbericht wurde von Ihrer Staatsregierung zusammengetragen.

Auffallend ist zum Beispiel der Unterschied beim Schulabschluss der Hauptschulabgänger in Landkreisen und in kreisfreien Städten. In den Landkreisen gehen 8 % der Schulabgänger mit erfüllter Vollzeitschulpfl icht ohne Abschluss von der Hauptschule ab. In den 25 kreisfreien Städten Bayerns sind es dagegen 15 %. Auffallend ist auch, dass der Anteil dieser Jugendlichen umso höher ausfällt, je höher die Jugendarbeitslosigkeit in dem jeweiligen Landkreis ist. Die Schulen in den ländlichen Regionen sind es wert, gefördert zu werden. Sie dürfen nicht nur konzentriert oder geschlossen werden.

Zu denken gibt, dass die Bandbreiten bei den Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss von 3 % im Landkreis Tirschenreuth bis zu 23 % in der kreisfreien Stadt Kempten reichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier dürfen wir nicht tatenlos zusehen. Im Schuljahr 2003/ 2004 beendeten 5585 Schüler ihre Schullaufbahn an der Hauptschule, ohne einen Hauptschulabschluss erworben

zu haben. Das entspricht 9,7 % der Abgänger von der Hauptschule oder 4 % der bayerischen Bevölkerung in der entsprechenden Altersgruppe.

Der Bildungsbericht macht deutlich – das ist heute schon gesagt worden –, dass die Bildungschancen vom Wohnort, von der sozialen Herkunft, von der Bildung der Eltern, vom Geldbeutel der Eltern, von einem Migrationshintergrund und vom Vorhandensein eines Förderbedarfs abhängen. In der letzten Zeit wenden sich immer wieder Eltern an uns, vor allem Eltern, deren Kinder die Förderschule besuchen. Die Kolleginnen und Kollegen der CSU sagen: Wir in Bayern sind überall Spitze. Ich frage mich, warum wir dann so viele Petitionen bekommen. Die Tagesordnung des Bildungsausschusses ist voll von solchen Petitionen.

Herr Kollege, würden Sie bitte einen Blick auf die Uhr werfen.

Seit der Einführung der R 6 gibt es viele zusätzliche Probleme. Ich möchte zum Abschluss Ihren Freund Lothar Späth zitieren. Er hat vor einiger Zeit im „Handelsblatt“ etwas geschrieben, was auf Bayern voll passt. Von vorausschauenden Konzepten könne keine Rede sein; man müsse kein Prophet sein, um allein anhand dieser wenigen Zahlen vorauszusehen, dass eine kurzsichtige Sparsamkeit des Staates Probleme produziere, die er später nicht zu fi nanzieren wisse. Gefragt seien massive strukturelle Veränderungen, weg von einem Bildungssystem, das zu stark darauf ausgerichtet sei, überdurchschnittliche Schüler von unterdurchschnittlichen zu trennen, hin zu einem System, das individuelle Schwächen ausgleiche und Talente fördere.

(Beifall bei der SPD)

Ich darf nun Frau Kollegin Dodell das Wort erteilen.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Weichen für den Bildungserfolg eines Kindes oder eines jungen Menschen werden sehr früh gestellt, eigentlich schon ab der Geburt. Die Wissenschaftler sagen uns, dass ausschlaggebend dafür die Bindungsqualität zwischen den Eltern und den Kindern ist. So ist es durchaus möglich, dass das normal begabte Kind einer 17-jährigen allein erziehenden Mutter in einem schwierigen sozialen Milieu, aber bei einer guten Bindungsqualität alle Potenziale entfalten kann, während das hochbegabte Kind einer spät gebärenden Akademikerin aus bestem Hause bei einer nicht stimmigen Bindung sein Potenzial nicht nutzen kann.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Deswegen selektieren Sie die Kinder nach Schularten!)

Deshalb ist es wichtig, dass wir zunächst alle Eltern in ihrer Erziehungskompetenz stärken.

(Beifall bei der CSU)

Wir müssen allen Eltern dabei helfen, ihren Kindern mit der Erziehung Orientierung geben zu können. Wir müssen den Eltern helfen, ihren Kindern Werte zu vermitteln und ihre neugierigen und kindlichen Fragen zu beantworten. Die Kinder brauchen die Möglichkeit, ihre Kreativität zu entfalten. Schädlicher und zu hoher Fernsehkonsum soll deshalb eingeschränkt werden.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Sie helfen den Eltern mit Büchergeld und Studiengebühren!)

Alle diese Faktoren sind dafür entscheidend, dass die frühkindliche Bildung tatsächlich auf fruchtbaren Boden fällt. Was Eltern versäumen, kann die Schule oft nicht mehr aufholen. Deshalb ist die erste und wichtigste Maßnahme, die wir konsequent ergreifen müssen, die Unterstützung der Eltern bei der Erziehung und damit die Forcierung der Elternbildung.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Wie denn?)

99 % aller Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren besuchen heute einen Kindergarten oder eine Kindertagesstätte. Hier haben wir die größte Chance, alle Kinder zu fördern. Bayern war das erste Bundesland, das den Bildungsanspruch in der Kinderbetreuung gesetzlich verankert hat. Der Bayerische Erziehungs- und Bildungsplan ist heute ein Markenzeichen, das andere Länder übernommen haben. Die Bildung von Vorschulkindern bedeutet nicht, dass diese Kinder eine Einführung in die geistigen Tiefen von Goethe oder in die Relativitätstheorie erhalten. Vielmehr geht es darum, wichtige Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie, der Elementarpädagogik und der Hirnforschung in die Praxis umzusetzen, ohne der Schule vorzugreifen.

(Johann Werner-Muggendorfer (SPD): Schön wär’s!)

Die Kindheit ist die lernintensivste und für den Spracherwerb bedeutsamste Phase. Kinder sind enorm wissbegierig. Mit dem Bildungs- und Erziehungsplan ist deshalb beabsichtigt, diese Phase pädagogisch sinnvoll zu nutzen. Die Kinder sollen über das Spielen aus der Alltagssituation heraus lernen. Das ist der beste Weg, um Bildungschancen für alle zu nutzen. Das ist die beste Grundlage für Bildungsgerechtigkeit.

Die Wissenschaftler sagen uns, dass die Lernfenster zwischen zwei und acht Jahren offen sind und optimal genutzt werden müssen. Deswegen muss sich auch in den Köpfen mancher Eltern etwas ändern. Ich höre immer wieder – bezogen auf die frühere Einschulung –, dass Eltern das nicht wollen. Sie wollen ihrem Kind noch ein Jahr schenken. Das Kind soll in diesem Jahr spielen dürfen. Ich glaube deshalb, dass wir ein innovatives Denken und eine Beratung der Eltern brauchen. Wir müssen den Kindern in diesen offenen Lernfenstern mit gezieltem Spielen eine frühe Bildung ermöglichen.

Konsequenterweise ist es hier sinnvoll, dass Kindergarten und Schule besser zusammenarbeiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beschäftigen uns intensiv mit diesem Thema und machen daraus kein Dogma. Wir wissen aber, dass wir handeln und auch noch intensiver handeln müssen, weil Elternbildung und frühkindliche Bildung die wichtigsten Voraussetzungen dafür sind, dass ein junger Mensch seine Potenziale und über die Schule seine Leistungen und sein Leben entfalten und gut meistern kann. Deshalb wäre es auch klug und sinnvoll, darüber nachzudenken – das tun wir auch –, dass ein Teil der infolge des Rückgangs der Schülerzahlen eingesparten Bildungsmilliarde, worüber jetzt überall diskutiert wird, ganz gezielt für die Elternbildung und für die frühkindliche Bildung mit hoher Qualität sowie für mehr Ganztagsbetreuung ausgegeben wird. Damit eröffnen wir die besten Chancen für alle Kinder.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Dr. Strohmayr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bildungsungerechtigkeit fängt in Bayern mit der frühkindlichen Bildung an, nämlich im Kindergarten.

(Beifall bei der SPD – Renate Dodell (CSU): Eben nicht!)

Frau Dodell, ich habe festgestellt, dass Sie das auch so verstanden haben. Sie haben davon gesprochen, dass die Weichen sehr früh gestellt werden müssen.

(Joachim Herrmann (CSU): Und das fängt schon vor dem Kindergarten an!)

8 % der Kinder gehen nicht in den Kindergarten.

(Renate Dodell (CSU): Wie viel?)

Der größte Teil dieser 8 % kommt aus Familien nichtdeutscher Herkunft oder aus sozial schwierigen Verhältnissen. Das sind aber genau die Kinder, die eigentlich die Förderung im Kindergarten bräuchten.

(Beifall bei der SPD)

Obwohl es Ihnen bekannt ist, dass die frühkindliche Bildung und Erziehung so besonders wichtig sind, setzen Sie die frühkindliche Bildung immer wieder nur halbherzig um.

(Renate Dodell (CSU): Stimmt doch nicht!)

Der letzte Akt in diesem Theaterstück ist die Änderung des Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen. Darin haben Sie festgelegt, dass zukünftig Spracherhebungen durchgeführt werden sollen. Das ist gut. Es ist auch gut, dass die Kinder, die nicht richtig deutsch sprechen können, Vorkurse besuchen sollen. Die Spracherhebung bei den 8 % Kindern, die keinen Kinder