Protokoll der Sitzung vom 20.07.2006

(Anhaltende Unruhe - Franz Maget (SPD): Was?)

Die Staatsregierung hat deswegen, so wie es Kollege Herrmann auch für die CSU als Fraktion gesagt hat, alles zusammengetragen, um zu entscheiden. Ich sage: Das Innenministerium hat unter meiner Verantwortung alle Modelle intensiv durchgerechnet und überprüft.

Deswegen habe ich meine Meinung: Wenn man dieses Problem lösen will, hat weder das Stiftungsmodell noch das Chipmodell eine echte Realisierungschance. Nach meiner Überzeugung werden diese Modelle nicht kommen, genauso wie sie auch in der Vergangenheit nicht gekommen sind.

Das einzig realisierbare Modell, das ich unterstütze und für vernünftig halte, besteht darin, dass wir eine Vignette einführen und gleichzeitig die Mineralölsteuer reduzieren. Das ist übrigens auch in den europäischen Nachbarländern der Fall. Die Österreicher haben die Vignette, die Tschechen haben sie und die Schweizer haben sie auch. Wir zahlen Straßenbenutzungsgebühren in Frankreich und in Italien. Deutschland dagegen geht einen Sonderweg, und dieser Sonderweg kommt uns teuer zu stehen. Uns gehen Einnahmen nicht nur in einem Umfang von ein paar hunderttausend Euro, sondern in Milliardenhöhe verloren.

Nach einer Untersuchung der Universität Leipzig betragen allein die Steuerausfälle aufgrund des Tanktourismus in Grenznähe 2,7 Milliarden Euro. Hinzu kommen die Steuerausfälle im überregionalen Verkehr, weil die Niederländer bei uns durchfahren und nicht tanken und weil sich die Münchner und die Nürnberger ausrechnen, dass es günstiger ist, im Urlaub bei der Hinfahrt und auch bei der Rückfahrt in Österreich zu tanken. Dazu kommen aber auch die begleitenden Steuerausfälle, die dadurch entstehen, dass die Einkäufe an den Tankstellen zurückgehen. Diese Steuerausfälle werden in einer wissenschaftlichen Studie mit jährlich 1,9 Milliarden Euro berechnet. Das bedeutet, dass wir jährlich Steuerausfälle in Höhe von 4,6 Milliarden Euro haben, und dies auch noch mit drastisch steigender Tendenz. Diese Entwicklung wird sich beschleunigen, weil zum 1. Januar nächsten Jahres die Mehrwertsteuer steigt; und auch aufgrund weiterer Maßnahmen wird die Differenz bei den Mineralölpreisen steigen, sodass die Steuerausfälle weiter drastisch ansteigen werden.

Deswegen machen wir einen Vorschlag, der präzise durchgerechnet ist, und dieser Vorschlag lautet: Für die Vignette werden 100 Euro verlangt, gleichzeitig wird die Mineralölsteuer, gesplittet zwischen Benzin und Diesel, um 8 bzw.10 bis 15 Cent gesenkt. Es gibt sehr präzise

Berechnungen der geschätzten Ausfälle bei den Steuereinnahmen. Je stärker wir die Mineralölpreise angleichen, umso mehr werden wir den Tanktourismus reduzieren. Wenn man eine größere Differenz lässt, wird es einen gewissen Resttanktourismus geben. Hierüber liegen zum Teil Schätzungen vor, diese kann man aber sehr präzise berechnen. Die Vignette bedeutet Einnahmen in Höhe von 4,9 Milliarden Einnahmen. Dafür gibt es eine sehr zuverlässige Schätzung, die von allen beteiligten Ministerien im Bund und in den Ländern sowie vom Bundesamt für Straßenverkehr erstellt worden ist. Über die Einnahmen aus der Vignette hinaus haben wir Einnahmen in Höhe von 4,6 Milliarden jährlich, die uns momentan als Steuereinnahmen ausfallen. Wenn wir auf eine Entlastung in Höhe von insgesamt 9,5 Milliarden Euro kämen, wäre das Ganze noch ein Nullsummenspiel.

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Maget?

Selbstverständlich gestatte ich das nach parlamentarischem Brauch.

Herr Staatsminister, ich bin jetzt etwas irritiert, weil Sie auf Zwischenrufe nicht geantwortet haben. Deswegen frage ich in aller Form: Wird die Bayerische Staatsregierung eine entsprechende Bundesratsinitiative zur Einführung der Vignette nach Ihrem Vorschlag einbringen? Ja oder nein? Oder weiß die Bayerische Staatsregierung nicht, was sie in diesem Fall tun will?

Herr Staatsminister.

(Thomas Kreuzer (CSU): Eine saudumme Frage war das!)

Herr Kollege Maget, ich sage es zum dritten Mal und bitte Sie herzlich darum, aufzupassen. Wenn Sie sich umdrehen und mit dem Kollegen Beyer reden, ist es nicht verwunderlich, dass Sie nicht mitbekommen, was ich sage.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Ich habe mehrfach gesagt, dass die Staatsregierung als Kollegialorgan noch keinen abschließenden Beschluss gefasst hat.

(Manfred Ach (CSU): Fünf Mal hat er das schon gesagt!)

Der Innenminister hat aber eine klare Meinung, und selbstverständlich muss der Innenminister mit seiner Meinung auch an die Öffentlichkeit gehen. Wir sind bei der Beschlussfassung auf einen transparenten Vorschlag angewiesen. Die Staatsregierung hat noch nicht abschließend beschlossen, aber ich habe eine Meinung und ich sage diese Meinung auch.

(Zuruf von den GRÜNEN: Aber welche?)

Ich sage es noch einmal: 4,9 Milliarden Euro würde die Vignette bringen. 4,6 Milliarden Euro gehen Deutschland jährlich durch den Tanktourismus verloren. Damit stünden insgesamt 9,5 Milliarden Euro jährlich zur Verfügung. Wenn wir diesen Betrag zu einem erheblichen Teil den Autofahrern zurückgeben, kostet die Vignette den durchschnittlichen Autofahrer nicht mehr. Sie bringt dem deutschen Fiskus aber mehr Einnahmen, und sie beseitigt das Ärgernis des Tanktourismus. Die Einführung der Vignette würde dazu führen, dass das Tankstellensterben nicht weitergeht, in grenznahen Bereichen müsste der Mittelstand nicht existenziell leiden, und deswegen meine ich, dass dieser Weg vernünftig ist.

(Beifall bei der CSU)

Alle Argumente, die gegen diesen Vorschlag gebracht werden, sind sehr schnell zu widerlegen.

Als erstes Argument hat Herr Magerl die Vignettenbürokratie vorgebracht. Lieber Herr Magerl, schauen Sie es sich doch in Österreich an. Österreich ist schließlich nicht aus der Welt. Selbst für einen GRÜNEN muss es möglich sein, mit dem Zug nach Salzburg zu fahren und sich dort die Bürokratie mit der Vignette anzuschauen. Es gibt in Österreich drei unterschiedliche Vignetten, eine für ein Jahr, eine für zwei Monate und eine, wenn ich es recht in Erinnerung habe, für 14 Tage.

(Zurufe von der CSU: Für 10 Tage!)

Die Vignettenbürokratie ist mit Sicherheit geringer als die Bürokratie, die Sie mit allen Ihren GRÜNEN-Vorschlägen verursachen würden.

(Beifall bei der CSU)

Umweltpolitisch könnte man natürlich argumentieren, dass es nicht erwünscht wäre, für die Benutzung der Straßen insgesamt eine einheitliche Gebühr zu verlangen. Jeder weiß aber, dass wir immer noch so hohe verkehrsabhängige Steuern haben wie alle anderen Nachbarländer auch. Wir werden sogar ein Stück darüber bleiben. Die umweltpolitische Steuerung wird deshalb nicht geringer sein als in Österreich, in der Schweiz, in Frankreich oder in Italien. Der Vorteil für die Umwelt besteht aber darin, dass die Leute nicht mehr 20 oder 30 Kilometer weit nach Österreich oder Tschechien zum Tanken fahren. Denn insoweit geht die Umweltbelastung auch zurück.

Ein anderes Argument dagegen sind die verkehrspolitischen Probleme, vor allem der Mautausweichverkehr. Ich glaube aber nicht, dass wegen einer Vignette für 100 Euro im Jahr ein ernsthafter Mautausweichverkehr entstehen wird, zumal man sich auch überlegen könnte, dass man neben den Autobahnen auch die Bundesstraßen der Vignettenpfl icht unterwirft. Für diesen Fall wäre ich mir zu hundert Prozent sicher, dass es einen ernsthaften Ausweichverkehr nicht geben wird. Die Vignette hat eine völlig andere Wirkung als eine streckenbezogene Maut, bei der man genau nachrechnen kann, dass man sich je zehn Kilometer 1,50 Euro spart. Deswegen gibt es bei einer Vignettenmaut sicher weniger Ausweichverkehr als bei einer streckenbezogenen Maut. Bundesverkehrsminister

Tiefensee geht davon aus, dass man dann auch im Pkw eine On-Board-Unit bräuchte. Diese Vorstellung gab es in bestimmten Kreisen, wenn man auf eine Nutzerfi nanzierung umsteigen würde. Mein Vorschlag ist ein anderer. Bei einer Jahresvignette für etwa 100 Euro hält sich der Mautausweichverkehr in engen Grenzen.

Ich sehe auch keinerlei Bedenken europarechtlicher Art. Wir haben das rechtlich überprüft. Wir machen doch nichts anderes als die europäischen Nachbarländer. Wir gleichen uns den Systemen Österreichs, Tschechiens, Polens, der Schweiz und Frankreichs an. Wir gehen also europarechtlich aufeinander zu und beenden den Sonderweg Deutschlands, der von Rot-Grün gegangen worden ist. Sie haben die Steuerschraube so überdreht, dass die Leute ins Nachbarland ausgewichen sind. Die Überprüfungen meines Hauses haben ergeben, dass ernsthafte europarechtliche Einwände nicht bestehen.

Als Letztes möchte ich noch ansprechen, dass die Vignette auch unter dem Aspekt der Straßenbauverwaltung ein äußerst attraktiver Vorschlag ist, weil wir dann jährlich eine einigermaßen zuverlässige Finanzierung haben.

3 Milliarden Lkw-Maut plus 4,9 Milliarden durch die Vignette ergeben eine zuverlässige jährliche Haushaltsposition von 7,9 Milliarden. Die Straßenbauverwaltung müsste dann nicht, wie es heuer der Fall war, bis Mai warten, bis sie entscheiden kann, ob sie irgendwelche neuen Baumaßnahmen durchführt, weil im Bundestag über den Haushalt erst im Sommer dieses Jahres entschieden worden ist. Das Modell der Asfi nag wird von allen deutschen Straßenbauverwaltungen als unserem System überlegen angesehen, weil man den Straßenbau damit verstetigen kann. Man würde damit auch teilweise in die Nutzerfi nanzierung einsteigen, zwar nicht vollständig, aber doch ein erhebliches Stück.

Es wurde angeregt, doch besser die Kfz-Steuer abzuschaffen. Diesen Vorschlag mache ich deswegen nicht, weil die Kfz-Steuer eine größere Spreizung hat: Die größeren Autos werden stärker belastet als die kleinen Autos. Bei einem Ersatz müssten komplizierte Systeme geschaffen werden. Deshalb halte ich diesen Vorschlag nicht für zielführend. Wir sollten vielmehr das übernehmen, was sich in anderen Ländern bewährt hat.

Sie reden doch sonst so viel von Best-Practice-Modellen. Die Politiker in Österreich und der Schweiz sagen parteiübergreifend, dass sich das österreichische und das Schweizer System sehr gut bewährt haben. Bei uns hingegen gibt es parteiübergreifend, jedenfalls in Grenznähe, eine Riesenkritik. Herr Clement war vor der Wahl in Ostbayern und hat groß ein Stiftungsmodell angekündigt. Daraus ist nichts geworden. Innerhalb der CSU gibt es heftige Kritik am jetzigen Zustand, auch innerhalb der CDU. Wenn sich die SPD-Kollegen in Grenznähe befi nden, reden sie völlig anders als hier; dann sagen sie, sie würden die Probleme lösen. Ich meine, wir sollten die BestPractice-Modelle aus Österreich oder der Schweiz oder auch aus Tschechien übernehmen und eine Vignette, also eine stärkere Nutzerfi nanzierung, einführen.

Das hätte den zusätzlichen Vorteil, was ich auch für eine Maßnahme der Gerechtigkeit halte, dass auch ausländische Personenkraftwagen etwas zu unseren Straßenkosten beitragen. Jeder weiß, dass man mit einem dieselgetriebenen Fahrzeug ohne weiteres von Dänemark bis Österreich oder von den Niederlanden bis Österreich fahren kann, ohne dass man sich bei uns in irgendeiner Weise an den Straßenkosten beteiligen muss. Wir als Hauptdurchgangsland in Europa sollten, ähnlich wie die Nachbarländer, dafür sorgen, dass diejenigen, die auf unseren Straßen fahren, auch einen Beitrag zu den Straßenkosten leisten.

(Beifall bei der CSU)

Deshalb glaube ich, dass mein Vorschlag mehr Vorteile als Nachteile hat. Es ist unstrittig, dass er auch Nachteile hat. Aber er würde mehr als jedes andere System dazu beitragen, das Problem des Tanktourismus zu lösen. Das ist meine Überzeugung. Deshalb habe ich das heute vorgetragen. – Herzlichen Dank für die teilweise Aufmerksamkeit!

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Magerl.

(Zurufe von der CSU: Muss das sein?)

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Das muss jetzt schon sein. Der Herr Innenminister hat zu diesem Thema derart viele Halbwahrheiten von sich gegeben, dass man dazu schon noch einiges richtigstellen muss.

(Franz Josef Pschierer (CSU): Der sagt immer die Wahrheit!)

Herr Innenminister, Sie haben als Beispiel immer den Niederländer angeführt, der bei uns durchfährt und in Österreich tankt.

(Zuruf von der CSU: Der arme Mann!)

Ich habe mir gestern aus dem Internet vom AvD die Information über Benzinpreise in Europa geholt. Wissen Sie, wo der Benzinpreis am höchsten ist? – In den Niederlanden. Die Niederländer sind regelmäßig Tanktouristen in Deutschland.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

Damit komme ich auf den Kern des Problems zu sprechen. Die Problematik des Tanktourismus gibt es in ganz Europa. Es gibt Tanktourismus zwischen Frankreich und Spanien, zwischen Belgien und Deutschland, zwischen den Niederlanden und Deutschland, überall dort, wo es Preisunterschiede gibt. Man würde das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn man in Deutschland eine Vignette einführen würde, um das Problem des Tanktourismus zu lösen. Dieses Problem gibt es zweifelsohne,

aber es wird nicht durch die Vignette gelöst. Herr Innenminister, dieses Problem müssen wir auf europäischer Ebene lösen, weil davon sehr viele Länder in Europa betroffen sind.

(Zuruf des Abgeordneten Günter Gabsteiger (CSU) – Franz Maget (SPD): Was ist, wenn Holland bei der WM gar nicht dabei ist?)

Herr Dr. Magerl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Beckstein?

Herr Magerl, ist Ihnen bekannt, dass in den Niederlanden Benzin zwar teurer, aber der Diesel billiger ist?