Protokoll der Sitzung vom 28.09.2006

(Beifall bei der CSU und bei Abgeordneten der SPD)

Damit kommen wir zum nächsten Dringlichkeitsantrag. Zur gemeinsamen Behandlung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abg. Franz Maget, Susann Biedefeld, Ludwig Wörner u. a. u. Frakt. (SPD) Sofortmaßnahmen zum Schutz der Verbraucher in Bayern (Drs. 15/6345)

und den nachgezogenen

Dringlichkeitsantrag der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Konsequenzen aus den Gammelfleischskandalen (Drs. 15/6354)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erste Wortmeldung: Herr Kollege Wörner.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die bayerische Lebensmittelüberwachung ist durch eine Reihe von Skandalen in Verruf geraten, und wir müssen so schnell wie möglich dafür Sorge tragen, ohne noch groß darüber zu diskutieren, was passiert ist, dass diese Dinge nach Möglichkeit nicht mehr passieren können.

Kolleginnen und Kollegen, der Herr Umweltminister hat in seiner letzten Rede im Umweltausschuss darum gebeten, Gemeinsamkeiten zu entwickeln, um dieses Problem zu lösen, und er hat von uns die Zusage bekommen: Wir halten die Hand hin, sie darf nur nicht weggeschlagen werden. Also ist meine Bitte heute, mit dem Antrag, den die SPD-Landtagsfraktion stellt, entsprechend umzugehen. Wir werden wahrnehmen, wie ernst solche Angebote sind.

Deshalb bringen wir eine Reihe von Vorschlägen ein, die sicherstellen sollen, dass eine ununterbrochene Kette von richtigen Kontrollen und Überwachungsmaßnahmen zur Sicherstellung gesunder, genussfähiger Lebensmittel gegeben ist. Lassen Sie es mich einmal auf Bayerisch sagen. Bisher ist es so: Im Stall wird kontrolliert, bis es nicht mehr geht. Das beklagen Landwirte manchmal zu Recht. Kaum ist aber die Sau aus dem Stall, dann kümmert sich kein Schwein mehr darum.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Engelbert Kupka (CSU): Das war eine schöne Formulierung!)

So ist es bisher. Genau das gilt es zu beheben.

Wir versuchen zwar, Kontrollen einzuführen und diese durchzuhalten. Aber es nützt zum Beispiel nichts, wenn diese Kontrollen angekündigt werden, und jeder weiß, was gleich passiert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Engelbert Kupka (CSU): Da ist was dran!)

Dann fahren wir das Fleisch, das nicht ins Kühlhaus gehört, auf der Straße spazieren.

Kolleginnen und Kollegen, deswegen ist es wichtig, Verbraucherinnen und Verbrauchern die Sicherheit zu geben, die sie von diesem Staat erwarten können. Aber nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher, auch die Landwirte und Produzenten, die Handwerker und Hersteller müssen wieder wissen, dass sie nicht durch schwarze Schafe in Verruf geraten. Aber dafür müssen sie bitte auch – das sage ich in aller Deutlichkeit – in Kauf nehmen, dass man in Zukunft, wenn es nach uns geht, etwas genauer hinsieht.

Meine Damen und Herren, deswegen schlagen wir Ihnen vor – und ich will jetzt nicht Tucholsky zitieren, aber jeder weiß, was ich meine, er hat einen schönen Spruch getan –, dass man die Ressorts umsortiert, die Ministerien so zusammenfügt, dass die Fehler, die im System aufgetaucht sind, behoben werden können.

Meine Damen und Herren, das darf nicht lange dauern. Wer die bayerische Staatsverwaltung und ihre Beamten kennt, der weiß: Wenn man sie lässt, können sie das ganz gut und sehr schnell im Interesse der Verbraucher erledigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb ist es wichtig, dass wir eine Umressortierung vornehmen. Wir schlagen vor, die Gebiete Landwirtschaft, Umwelt und Landesentwicklung in einem Ministerium zusammenzufassen, um sicherzustellen, dass es dort keine Abhängigkeiten und Kompetenzrangeleien gibt. Des Weiteren schlagen wir Ihnen vor, das, was jetzt unter Hygiene- und Gesundheitsgesichtspunkten auf viele Ministerien verteilt ist, im Sozialministerium zusammenzufassen, weil wir glauben, dass dann dieses Kompetenzgerangel aufhört.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Wir brauchen zweitens ein Konzept – und wir bitten Sie, das vorzulegen –, in dem sichergestellt wird, dass bisherige Lücken und Grauzonen sowie Mängel in der Kontrollkette bei den Lebensmitteln beseitigt werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier einfügen: Wir reden nicht nur über Fleisch. Sie wissen, dass in letzter Zeit genbelasteter Reis und Sonstiges im Handel auftaucht. Auch das bitte ich dabei zu berücksichtigen.

Ein Drittes ist wesentlich, nämlich bereits jetzt erkennbar notwendige Sofortmaßnahmen zur Erhöhung der Lebensmittelsicherheit in Bayern zu ergreifen, zum Beispiel die bisherige Begrenzung der einzelnen Behörden auf enge Tätigkeitsbereiche aufzugeben. Der Herr Minister hat ja

schon angekündigt, dass er eine neue Eingreiftruppe bildet. Bitte tun Sie das schnell! Auch hier will ich sagen, was der Stand ist:

(Susann Biedefeld (SPD): Die hat er aber schon lang angekündigt!)

Die Task Force war längst angekündigt, da gebe ich Ihnen recht, Frau Kollegin. Sie hat nur die Arbeit offensichtlich nicht so aufgenommen, wie wir uns das alle erwartet hatten.

Als weitere Sofortmaßnahme müssen Amtsveterinäre, amtlich bestellte Tierärzte und Lebensmittelkontrolleure gemeinsam auftreten. Nötigenfalls sind sogar die Gewerbeaufsicht und der Zoll hinzuzuziehen. Das hat einerseits den Vorteil, dass nicht mehr so oft Einzelkontrollen stattfinden müssen, und es hat zum anderen den wesentlichen Vorteil, dass gebündeltes Wissen zusammen auftritt. Das ist sehr vorteilhaft, wie man am Beispiel Deggendorf sehen kann. Dort hat jeder etwas gewusst, aber man hat nicht miteinander geredet, sodass daraus nicht das Bild eines zuverlässigen oder nicht zuverlässigen Unternehmers entstehen konnte.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen eine Einheit, die ihre fachliche Kompetenz zusammengeführt hat und dadurch sicherstellt, dass Wissen kein Partikularwissen bleibt, sondern sich eine Gesamtschau eines Unternehmens oder der Führung eines Unternehmens ergibt. Daraus muss dann die Antwort auf die Frage resultieren, ob der Mensch zuverlässig ist oder nicht. Es nützt nichts, wenn da jeder alleine für sich etwas weiß; das reicht meist nicht zu einer Betriebsschließung aus. Ich nehme das sehr ernst und genau; denn es geht letzten Endes auch um Existenzen. Das muss uns allen bewusst sein.

Aber, meine Damen und Herren, es kann einfach nicht sein – da bin ich bei einem weiteren Punkt, von dem der Herr Minister sagte, er wolle eine Lösung versuchen –, dass Veterinäre und Lebensmittelkontrolleure erst nach Anmeldung arbeiten können. Es kann nicht sein, dass sie nicht unangekündigt kommen können und kein Zutrittsrecht haben. Es hat doch überhaupt keinen Sinn, wenn ein Kontrolleur nicht hineingelassen wird; er muss in den Stall können, ohne zuvor die Polizei holen zu müssen. Was zwischen dem Polizeiruf und dem ermöglichten Zutritt passiert, das wissen wir doch alle. Da geht es im Wesentlichen darum, die Arbeit der Kontrolleure, die diese zwar gut verrichten, soweit sie es können, gemessen an ihrer Ausstattung in personeller Hinsicht als auch von den Geräten her, zu stärken und sie damit auch wieder besser zu motivieren.

Dazu bedarf es, wie gesagt, eines rechtlichen Rahmens für ein Betretungsrecht. Wir müssen so sicherstellen, dass nicht passiert, was bisher gang und gäbe ist, dass nämlich jeder weiß, wann die Kontrolle kommt.

Herr Kollege Huber, Sie können gern versuchen, mir das Gegenteil zu beweisen, aber ich befürchte, das fällt Ihnen schwer. Sie wissen genauso gut wie ich, dass vielen

Unterlagen zu entnehmen ist, dass der Termin bekannt war. Herr Kollege Huber, ich wiederhole hier gern, was ich bereits im Umweltausschuss gesagt habe. Gibt es uns nicht zu denken, dass drei amtlich bestellte Veterinäre gemeinsam das Handtuch in einem Unternehmen schmeißen? Sie haben ihre Tätigkeit aufgegeben, als EUKontrollen angekündigt wurden und der Unternehmer genau wusste, wann er saubermachen muss.

Sie mögen nun sagen, das seien Einzelfälle. Aber gut, dann lassen Sie uns diese Einzelfälle abstellen. Mir geht es gegen den Strich, dass die Unternehmer immer wussten, wann die Kontrolle kommt. Das ist kein Zufall. Lassen Sie uns diese – ich will es einmal so nennen – „seltsamen Zufälle“ abstellen, indem wir durch organisatorische Maßnahmen Sorge dafür tragen, dass nur noch die Kontrolleure selbst Bescheid wissen, wann sie wohin zu gehen haben. Es geht nicht an, dass das noch viele weitere Personen wissen, sei es auch nur über die Dienstpläne.

Die Amtsveterinäre und Lebensmittelkontrolleure müssen einfach das Recht haben, selbständig Bußgeldverfahren einzuleiten bzw. Ermittlungstatbestände zu Straftaten an Polizei und Staatsanwaltschaften weiterzuleiten. Ich erspare mir zu dieser Forderung weitere Ausführungen, sonst müsste man wiederum mehr ins Detail gehen. Es ist auch hier dringend geboten, den Lebensmittelkontrolleuren und den Veterinären den Zugang zur Anzeige selbst zu ermöglichen, ohne einen Filter dazwischenzuschalten.

Die Nichteinleitung von Bußgeldverfahren oder Strafanzeigen bzw. die Einstellung von Verfahren durch eine vorgesetzte Behörde überprüfen zu lassen, gehört auch in den Forderungskatalog.

Eine weitere Forderung ist, dass Amtsveterinäre und Lebensmittelkontrolleure auf eine Rotation nach längstens fünf Jahren zu verpflichten sind. Alle diejenigen, die solche Kontrollen wahrnehmen – auch die Gewerbeaufsichtsbeamten – sollten nach spätestens fünf Jahren ihren Bereich wechseln. Ich behaupte nicht, meine Damen und Herren, dass Lebensmittelkontrolleure und Veterinäre bestechlich seien. Ich möchte nicht, dass da ein falscher Zungenschlag hineinkommt. Aber allein das öftere Erscheinen in einem Betrieb, wo man dann einen Kaffee miteinander trinkt, was im Grunde nicht verwerflich ist, und damit die jahrelange Quasizugehörigkeit zum Betrieb führt dazu, dass man annimmt: Bisher war alles in Ordnung, also wird es auch weiterhin in Ordnung sein.

Das Gefühl, das bei solchen Dingen aufkommt, muss man unterbinden. Und das geht nur, indem man die Kontrolleure öfter auswechselt. Ich glaube, das ist auch für diese Menschen zumutbar.

Zu den Sofortmaßnahmen gehören ferner Fortbildungsmaßnahmen für Richter, Staatsanwaltschaften und Polizei, die verpflichtend angeboten werden, um deren Sachkenntnis zu verbessern. Wer sich mit den einzelnen Rechtsabschnitten, die zu diesem Bereich gehören, einmal beschäftigt hat, wundert sich nicht, dass wir fast niemanden finden, der dieses Recht komplett beherrscht. Es ist unser eigentliches Problem in dieser Situation, dass es

so viele Rechtssituationen gibt, die ineinander übergehen, dass am Ende niemand mehr genau weiß, wer zuständig ist und wie so etwas bestraft wird oder ob es überhaupt strafbewehrt ist.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas sagen, meine Damen und Herren. Es ist nicht unbedingt motivierend für die amtlich bestellten Lebensmittelkontrolleure, aber auch für die Veterinäre, also für die Menschen, die diese Kontrollen draußen durchführen müssen, wenn sie bis zum letzten Freitag feststellen mussten, dass sie kein Bußgeld verhängen konnten, weil Minister Seehofer bei der Umsetzung der Gesetze, die aus der EURegelung entstanden sind, leider übersehen hat, die Bußgeldbewehrung mit ins Gesetz aufzunehmen. Das heißt, vom 01.01.2006 bis zum Freitag letzter Woche konnten die Veterinäre bei der Feststellung von Verstößen gegen Hygienevorschriften keine Bußgelder verhängen. Glauben Sie, dass solche Menschen hoch motiviert an die Arbeit gehen? Ich glaube es nicht. Was kann ein solcher Kontrolleur denn machen? Er hat nicht einmal ein Messer in der Hand, geschweige denn ein Schwert, mit dem er richten kann, was manchmal notwendig wäre. Auch da müssen wir für mehr Sorgfalt in der Gesetzgebung sorgen, meine Damen und Herren, um solche Dinge zu verhindern.

Die Regelung, bei Straftaten die Möglichkeiten zum Vermögenseinzug zu eröffnen, gibt es schon im heutigen Recht. Wir müssen nicht unbedingt im Bußgeldrahmen bleiben. Diesen haben wir in Bayern im Übrigen nie ausgeschöpft, auch das muss man hinzufügen. Sehen Sie sich einmal die Statistik aus dem Hause des Umweltministers an, die ich mir habe machen lassen. Die höchsten Bußgelder, die in Bayern verhängt worden sind – mit Ausnahme der kreisfreien Städte, lagen in der Regel bei 200 bis 500 Euro.

(Susann Biedefeld (SPD): Das zahlen die aus der Portokasse!)

Richtig, das zahlen die aus der Portokasse. Also auch hier brauchen wir nur den Rechtsrahmen anzuwenden, der gegeben ist, und zwar in aller Härte.

(Beifall der Abgeordneten Susann Biedefeld (SPD))

Dann, glaube ich, kapieren die Herrschaften das schon. Damit sind wir bei einem Kernpunkt. Die schlimmste Strafe für diese wenigen, aber schlimmen schwarzen Schafe in dieser Branche ist nicht das Bußgeld. Die schlimmste Strafe für solche Menschen ist, wenn ihr Name veröffentlicht wird, auch der Name der Firmen, die er beliefert hat. Damit straft man diese Herrschaften am allerbesten. Sie können dann umfirmieren; das ist richtig. Sie können ein neues Markerl draufpappen. Aber wenn man will, kann man auch dann gewährleisten, dass das in die Öffentlichkeit gerät. Allerdings nur, wenn man es will; das sage ich immer dazu.

(Susann Biedefeld (SPD): Da müsste es zum Berufsverbot kommen!)

Ja, wir müssen dann möglicherweise auch einmal über ein Berufsverbot reden. Aber wir glauben, dass die Landeskriminalämter mit einer eigenen Abteilung „Lebensmittelkriminalität“ einen wesentlichen Beitrag leisten könnten, um die Sensibilität zu schärfen.

Dann haben wir noch einen Vorschlag, zu dem wir möglicherweise noch einmal das Innenministerium um etwas bitten müssen. Das sage ich hier öffentlich: Es müsste seine Polizeistreifen auf dem flachen Land etwas sensibilisieren. Wenn meine Informationen stimmen, gibt es nicht nur die Kühlhäuser, die wir kennen, sondern es soll auch in aufgelassenen Bauernhöfen und Scheunen Kühlhäuser geben, von denen niemand etwas weiß. Damit entziehen sich diese jeder Kontrolle. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Wenn so etwas im Raume steht – als Hinweis –, dann bitten wir den Innenminister, seine Polizeistreifen im ländlichen Raum einmal anzuweisen, besser nachzusehen. Es fällt doch auf, wenn auf einem Kleinbauernhof ein Kühllaster steht. Das müsste sogar einem Blinden mit Krückstock auffallen, dass da etwas nicht stimmt. Wenn man solche Hinweise hat, müsste man eigentlich schon etwas genauer hinsehen.

Wir können uns nicht darauf verlassen, dass uns die Leute, die im ländlichen Bereich wohnen, das öffentlich sagen. Sie wissen genau, wie sich die sozialen Beziehungsgeflechte im flachen Land auswirken. Da wird es ungeheuer schwierig, wenn man als Denunziant gilt.

Wir sollten uns darauf nicht verlassen. Dafür haben wir einen Staat und eine funktionierende Polizei. Wir müssen sie nur das tun lassen, was sie tun soll.

Meine Damen und Herren, alle Pläne, die es einmal gab oder die es noch gibt, die Lebensmittelkontrolle in Großbetrieben zu privatisieren, sollten aufgegeben werden. Die freiwillige Selbstkontrolle hat bislang nicht ausgereicht. Wir glauben, dass dieses Paket von Maßnahmen notwendig ist, um den Verbrauchern deutlich zu signalisieren, dass wir gewillt sind, vom Kopf bis zum Fuß etwas zu ändern. Deswegen haben wir auch einen Neuzuschnitt der Ministerien und das dazugehörende Werkzeug gefordert. Wir müssen deutlich machen, dass dieser Staat die Verantwortung nicht auf die Verbraucher abwälzen will.