Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 79. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Wie immer haben Presse, Funk und Fernsehen um Aufnahmegenehmigung gebeten. Diese wurde erteilt.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich dem Kollegen Sepp Ranner in dessen Abwesenheit herzlich zum heutigen Geburtstag gratulieren und ihm alles Gute wünschen.
Dringlichkeitsantrag der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Klimaschutz jetzt umsetzen (Drs. 15/6691)
Dringlichkeitsantrag der Abg. Franz Maget, Susann Biedefeld, Johanna Werner-Muggendorfer u. a. u. Frakt. (SPD) Drei Jahre Klimaschutzbündnis in Bayern: Ohne Ziele und Erfolgskontrolle kann Klimaschutz in Bayern nicht gelingen (Drs. 15/6760)
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es für Parlamentarier noch relativ früh ist, haben wir nun das Thema „Klimaschutz jetzt umsetzen“ vor uns, das für Sie alle von höchster Brisanz sein sollte. Die Ladenschlussdebatte ist selbstverständlich auch wichtig. Aber ich bitte Sie, sich zunächst auf dieses Thema zu konzentrieren.
Wie Sie wissen, versuchen wir seit der Konferenz in Rio im Jahre 1992, den Klimaschutz voranzubringen. Vor 14 Jahren haben 157 Staatschefs die Rahmenkonvention zum Klimaschutz unterzeichnet, im Jahre 1997 wurde das Kyoto-Protokoll völkerrechtlich verbindlich, das sagt: Weltweit muss der CO2-Ausstoß um 5,2 % reduziert werden. Heute stehen wir vor einem Desaster. Der CO2-Ausstoß ist weltweit um 27 % gestiegen.
Deutschland ist dank sieben Jahren rot-grüner Bundesregierung in der glücklichen Lage, einiges vorangebracht und angestoßen zu haben. Andere europäische Länder bleiben weit hinter ihren Zielen zurück. Die Klimaforscher weisen darauf hin, welche Dramatik in diesem falschen Handeln der Politik liegt. Das Ziel, das die Klimaforscher dringend vorgeben, ist eine Reduktion der Treibhausgase bis zum Jahr 2050 um weltweit 50 %. Für die Indus
Wenn wir dies schaffen, haben wir eine Chance, den Temperaturanstieg zu verlangsamen. Verlangsamen bedeutet aber, dass wir dennoch mit den Auswirkungen, die bereits jetzt zu spüren sind, künftig in noch wesentlich dramatischeren Formen zu kämpfen haben werden. Schauen Sie sich die Auswirkungen weltweit an: Die Wettergeschehnisse haben dramatisch zugenommen, Hurrikans und Tornados haben zugenommen, Dürren, Überschwemmungen, Überfl utungen, Trockenzeiten, wodurch bereits jetzt viele Menschenleben zu beklagen sind.
Dies hat auch erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Wenn Sie schon nicht an die ökologischen Schäden denken, dann denken Sie doch an die wirtschaftlichen Schäden. Der Stern-Bericht, der Bericht des Chef-Ökonoms der Weltbank, der kürzlich in England vorgelegt wurde, vergleicht die Klimaschäden mit den Folgen der zwei Weltkriege und sagt ganz klar: Wenn wir die Klimaschäden einigermaßen beschränken wollen, müssen wir jetzt auf zwei Ebenen handeln. Erstens müssen wir die Treibhausgase reduzieren. Mit immensen Investitionen und auch mit wirtschaftlichen Vorteilen für jene, die dies tun, ist das machbar. Zweitens müssen wir die Klimaanpassungsstrategien voranbringen. Er sagt, wenn hier nicht angemessen gehandelt wird, haben wir möglicherweise mit Schäden von 20 % des Bruttoinlandsprodukts zu kämpfen. Das sind dramatische Hinweise, und Sie wären gut beraten, in ein politisches Handeln einzusteigen.
Wenn wir uns aber Bayern anschauen, dann sehen wir, dass dieses Thema bei Ihnen überhaupt noch nicht angekommen ist. Von höchster Schizophrenie geprägt handeln Sie.
Umweltminister Schnappauf verkündet in wunderbaren Sonntagsreden, wie wichtig der Klimaschutz ist, und das Wirtschaftsministerium schweigt sich aus und handelt kontraproduktiv. Im Landesentwicklungsprogramm, das wir im letzten Juli verabschiedet haben, fi ndet sich der Klimaschutz – das ist unglaublich – in sage und schreibe viereinhalb Zeilen. Viereinhalb Zeilen ist uns der Klimaschutz im Landesentwicklungsprogramm, das 2006 verabschiedet wurde, wert.
Klimaschutz müsste jeglichem politischen Handeln zugrunde liegen. Wie setzen wir Klimaschutz um? – Sie investieren in Straßenbau, in Schneekanonen, in Flächenversiegelung, in maximale Gewinnsteigerung, in kurzfristige Gewinnsteigerung in der Landwirtschaft anstatt in Wasseraufnahmeressourcen und in die Schonung der Böden. Sie setzen auf die falschen Pferde und rennen in den Abgrund.
Während der deutschen G-8-Ratspräsidentschaft wollen Sie als Beteiligte in der Großen Koalition den Klimaschutz anderen Themen voranstellen. Angeblich ist das ein wichtiges Anliegen dieser Bundesregierung. Schauen wir uns aber die Fakten an, so stellen wir fest: Bei allen vernünftigen Programmen, die wir Grüne in Berlin beispielsweise zum Ausbau der erneuerbaren Energien hatten, die zur Energieeffi zienz und zur Energieverschwendungsminderung auf den Weg gebracht sind, wird gekürzt und gestrichen. Ein Fisch ist abgenagt, und ein paar Gräten lassen Sie übrig. So sieht es auf der Bundesebene aus.
Dazu ein paar Daten: Das Marktanreizprogramm der Bundesanstalt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle – BAFA - ist seit Mai dieses Jahres leer, und Sie stellen keine neuen Mittel ein für Sonnenkollektoren und Biomasseanlagen. Nach dem KfW-Programm zur Förderung erneuerbarer Energien sind KWK-Biomasseanlagen, Tiefengeothermie, die Erweiterung und Reaktivierung von Wasserkraftwerken bis 500 kW nicht mehr förderfähig. Auch der Teilschulderlass ist reduziert worden; Anträge werden nur noch bis Mitte des Monats angenommen, dann ist Ende. Sie haben alle Programme, die Anreize zur Investition in die Energieeinsparung und zum Ausbau der erneuerbaren Energien bieten gekürzt bzw. gestrichen. Da steht nur noch ein Gerippe, und es fehlt das Fleisch.
Die Beratung zur Energieeinsparung vor Ort ist gekürzt, und die Mittel zur CO2-Gebäudesanierung sind gekürzt. In Bayern gibt es dieselben Entsprechungen. Auch das CO2-Minderungsprogramm gibt es in Bayern nicht mehr. Es wird auf den Umweltfonds verwiesen. Schauen wir uns doch die Maßnahmen an, die wir jetzt im Haushalt haben: Zum Beispiel haben Sie die Förderung von Maßnahmen im Energiebereich von 11 auf 8,4 Millionen Euro gekürzt. Wir haben da eine Aufstockung gefordert, Sie haben sie abgelehnt. Wir können feststellen, dass die Zuschüsse und sonstigen Ausgaben zur Abdeckung der Risiken bei Geothermie ein Leeransatz sind, dafür stehen im Haushalt keine Mittel. Es ist zwar erfreulich, dass wenigstens das Gerippe noch steht, aber es sind im Haushalt keine Mittel vorgesehen.
Schauen wir uns die energiewirtschaftlichen Untersuchungen und Maßnahmen bei staatseigenen Gebäuden an, wo von 300 000 im Jahr 2003 auf 175 000 Euro im Jahr 2006 gekürzt wurde – und dann verkaufen Sie einen Anstieg um 25 000 Euro als große Errungenschaft für das nächste Jahr! Schauen Sie Ihren Haushalt an: Nichts ist da.
6000 bis 8000 staatseigene Gebäude sind zu sanieren. Laut Antwort auf eine Anfrage meiner Kollegin Christine Kamm aus dem Jahr 2005 ist bei 23 Gebäuden – vielleicht liegt diese Zahl inzwischen ein bisschen höher, nämlich etwa bei 30 Gebäuden – des Freistaats eine Sanierung vorgesehen. Bei 6000 bis 8000 Gebäuden haben wir 44 solarthermische Anlagen in Betrieb. Alles dies können Sie auf Drucksache 15/3338 nachlesen. Das heißt, bei weniger als 1 % der staatlichen Gebäude gehen Sie eine
energetische Sanierung an. Das ist für die Aufgabe, die in Ihrem Verantwortungsbereich liegt, eine Bankrotterklärung, wie es schlimmer nicht mehr geht.
Schauen wir doch einmal auf das, was im Internet zu den Erfolgen der Bayerischen Staatsregierung zu lesen ist; denn Sie stellen sich immer hin, verkaufen Ihr Klimaschutzkonzept und das Klimaschutzbündnis als große Errungenschaften. Wer aber genauer hinschaut, sieht: Auch hier ist es eine Bankrotterklärung. Sie verkaufen seit vielen Jahren als Klimaschutzkonzept, dass Sie bis zum Jahr 2010 die Treibhausgase um 5 % reduzieren wollen, wenn Sie denn Ihr Ziel von 80 Millionen Tonnen CO2 in der Primärbilanz erreichen.
Okay, wunderbar! Herr Meißner, Ihre Zuversicht hätte ich gerne. Wenn wir das anschauen, was jetzt erreicht worden ist, stellen wir eine Reduktion fest. Diese Reduktion wurde allerdings erreicht, weil Braunkohlekraftwerke, mehrere Blöcke abgeschaltet wurden, insbesondere Arzberg, Schwandorf und Aschaffenburg. Dieses hat in der Tat in der Quellenbilanz zu einer Minderung geführt.
Schauen wir uns aber einmal die bayerischen Zahlen an. Sie sagen immer, wunderbar, wir haben die geringste CO2-Emission pro Kopf. Nur: Sie gehen von der falschen Bilanz aus. Nehmen Sie die Verursacherbilanz. Nehmen Sie das, was im Freistaat wirklich freigesetzt wird. Dann schauen die Zahlen ganz anders aus.
Ich darf Ihnen die in der Verursacherbilanz vorliegenden Zahlen, die kontinuierlich angestiegen sind, gerne einmal nennen; sie sind gestiegen von 1990 113 Millionen auf im Jahr 2001 127 Millionen Tonnen CO2. Das Tolle ist: Weil Ihnen dieser Anstieg nicht passt, haben Sie seit wenigen Wochen diese Zahlen aus dem Netz genommen. Bis vor wenigen Wochen war im Netz, und zwar in der Datei des Länderarbeitskreises „Energiebilanzen“, zu sehen, wie in Bayern dieser Anstieg der CO2-Emissionen abläuft. Wir stellen jetzt fest, Bayern ist bundesweit das einzige Land, das seine Energiebilanzen nicht mehr offenlegt. Sie haben diese Zahlen aus dem Netz genommen. Das ist doch wirklich eine Bankrotterklärung.
Nach diesen Zahlen ist nämlich die Pro-Kopf-Emission auf über 10 Tonnen angestiegen und liegen nicht bei 7,4 oder 7,2 Tonnen, die Sie uns ständig zu verkaufen versuchen. Setzen Sie diese Zahlen wieder in das Netz, und zwar aktualisiert. Wir haben sie in unseren Unterlagen noch bis 2001, und bis dahin ist in Bayern ein dramatischer Anstieg festzustellen. Auch bei der Quellenbilanz wurden Ende Oktober nur die Zahlen von 2003 in das Netz gestellt. Aktualisieren Sie endlich diese Zahlen und stellen Sie sich dieser Emissionsbilanz in Bayern.
Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung im Bund und auf europäischer Ebene wahr. Es gibt auch CSU-Abgeordnete im Europaparlament, ganz ausgestorben sind sie auch da noch nicht. Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr und setzen Sie sich für einen effektiven Klimaschutz ein – nicht für Emissionsregelungen, wo jeder Industriebetrieb unten durchtauchen kann. Wenn wir wirklich einen Handel mit Treibhausgasen auf den Weg bringen wollen, der klimaschutzrelevant ist, muss ein Wettbewerb entstehen. Derzeit besteht kein Wettbewerb. Wenn wir dieses marktwirtschaftliche Instrument irgendwann verifi zieren wollen, müssen ehrgeizige Ziele gesetzt werden, die einer Minderung dienen.
Die Automobilunternehmen haben großartig eine Selbstverpfl ichtung angekündigt. Aber sehen Sie sich doch an, was diese Automobilunternehmen bis jetzt geschafft haben: Die Reduktion bis 2008 auf 140 Gramm CO2 pro Kilometer ist eine Selbstverpfl ichtung der Automobilindustrie. Und wo liegen wir heute: BMW bei durchschnittlich 192 Gramm CO2 pro Kilometer, bei den Dreiermodellen bei knapp 250 Gramm CO2 pro Kilometer.
Bei diesen Bilanzen sehen Sie: Die Versprechungen werden weit verfehlt. Sie handeln absolut kontraproduktiv.
Ein Letztes: Hören Sie endlich auf mit Ihrem schizophrenen Verhalten. Sonntagsreden im Umweltministerium und Umweltzerstörung sowie Klimabelastung aufgrund von Entscheidungen des Wirtschaftsministeriums und des Innenministeriums – damit werden wir das Klima nicht retten.
Es mag sein, dass sich der eine oder andere inzwischen bemüßigt fühlt, sich den Lebensthemen der Menschen zuzuwenden. Dazu kann ich nur sagen: Wenn Sie Lebensthemen behandeln wollen, dann tun Sie das konsequent und wirklich an den Notwendigkeiten unserer Lebensqualität und unserer Zukunft, also an den Notwendigkeiten der Nachhaltigkeit orientiert. Es reicht nicht aus, schizophrenes Verhalten zu zeigen nach dem Motto: Lieber schizophren als allein.