Protokoll der Sitzung vom 28.11.2006

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das sind heute „Worte zum Dienstag“!)

Wir haben eine Schuldebatte. Ich komme mir manchmal auch vor wie vor einer Schulklasse. Wahrscheinlich ist es da noch besser.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jedes Mal das Gleiche bei der Diskussion, wenn es um Bildungspolitik geht: Wir sprechen die Dinge an und hören dann immer wieder: Bei uns in Bayern ist alles in Ordnung, bei uns in Bayern ist alles gut, wir sind die Besten, Pisa-Sieger usw.

(Beifall bei der CSU)

Das ist jetzt Beifall an der falschen Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, weil es so nämlich nicht ist. Wir würden uns einfach einmal wünschen, dass Sie auch das aufnehmen, was wir vorbringen, was auch durch Petitionen usw. immer wieder an den Landtag herangetragen wird, und bereit wären, hier einmal die Konsequenzen daraus zu ziehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dann wäre den Menschen in diesem Land und vor allen Dingen den Kindern viel mehr geholfen. Das ist meine Bitte an Sie: Handeln Sie einmal so. Vielleicht werden sonst irgendwann einmal die Wähler – – Aber da gibt es sicherlich noch viel zu tun.

Meine Damen und Herren, eins ist klar: dass durch die zurückgehenden Kinderzahlen die hohen Übertrittsquoten in weiterführende Schulen besonders im ländlichen Raum zur dramatischen Veränderung der dortigen Schullandschaft führen. Es ist nicht nur zu befürchten, sondern wir erleben es schon in der Praxis, dass nach Schließung der Teilhauptschulen auch zahlreiche Haupt- und Grundschulen geschlossen werden oder in ihrer Existenz gefährdet sind. Das wird dazu führen, dass künftig zahlreiche Schulstandorte noch mehr als bisher schon wegfallen und die Kinder immer weitere Schulwege auf sich nehmen müssen. Nehmen Sie bitte schön auch einmal zur Kenntnis, dass die Städte und Gemeinden ohne Bildungsangebot erheblich an Attraktivität einbüßen. Über diese Problematik haben wir schon viel diskutiert, immer wieder. Aber es hilft nichts: Sie wollen es einfach nicht hören, geschweige denn von Ihrer starren oder sturen Politik abrücken.

Ich frage mich oft, warum Sie all dies Ihren – in Klammern: bisherigen – Wählerinnen und Wählern und auch Ihren

CSU-Bürgermeistern draußen in den Gemeinden antun. Wollen Sie deren Leidensfähigkeit testen nach dem Motto: Was halten unsere Wählerinnen und Wähler noch alles aus?

Uns allen muss klar sein: Wer die Kinder so wie Sie zu früh aufteilt, anstatt sie länger wohnortnah gemeinsam in kleineren Klassen zu unterrichten, zu fördern und so auf das Leben vorzubereiten, nimmt bewusst das Schulsterben und die langen Schulwege in Kauf.

(Beifall bei der SPD)

Warum, meine Damen und Herren, handelt die CSU so? Warum hält die CSU so starr an der Dreigliedrigkeit unseres Schulsystems fest und ist – zumindest bisher – nicht bereit, hier alternative Schulmodelle, wie die Regionalschule zum Beispiel, zu akzeptieren und zuzulassen? Warum ist man nicht bereit, mehr Freiheit und auch einmal Demokratie zu wagen?

Die Antwort könnten die Ausführungen von Staatsminister Goppel sein, die mein Kollege Pfaffmann hier zitiert hat.

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU))

Das muss man sich schon mal auf der Zunge zergehen lassen, wenn Herr Goppel sagt, Hauptschüler seien diejenigen, die dann beispielsweise Tagesmütter sein sollen, damit andere Frauen Geld verdienen können. Das muss man sich schon einmal auf der Zunge zergehen lassen, meine Damen und Herren!

(Zuruf von der CSU)

Das ist wirklich schlimm, dazu kann man fast nichts mehr sagen.

Das Schulsterben in den Gemeinden wird weitergehen, wenn an der Zweizügigkeit festgehalten wird. Da wird immer gesagt: Wir halten gar nicht an der Zweizügigkeit fest, auch Einzügigkeit sei möglich. Tatsache ist, dass in Antworten von Staatssekretär Freller auf Anfragen immer wieder die Zweizügigkeit hervorgehoben wird. Auch die Regierung der Oberpfalz hat letztens auf das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz verwiesen, wonach Hauptschulen soweit wie möglich mehrzügig geführt werden sollen. Das heißt, überall dort, wo jetzt in einer Gemeinde vielleicht 30 Kinder eingeschult werden, muss man sich damit vertraut machen, dass dort der Hauptschulstandort gefährdet ist.

Diese Probleme kommen in den nächsten Jahren auf uns zu.

Ein Weiteres will ich noch sagen: Wenn wir wollen, dass sich die Menschen vor Ort mit der Schule identifi zieren und engagieren, müssen Sie mehr Freiheit und mehr Demokratie wagen. Die Menschen dürfen nicht eingeschüchtert werden. Ich sage das, weil ich gestern eine

E-Mail erhielt, die zu dem heutigen Thema „Mehr Freiheit wagen“ passt, in der mitgeteilt wurde, dass dem Absender seitens des Schulamtes nahegelegt worden sei, sich nicht mehr zu engagieren, und den Eltern gedroht wurde, im nächsten Schuljahr „unserer Grundschule nur noch die vorgeschriebenen Stunden des Lehrplanes zu genehmigen“. Auch anderen Eltern an anderen Schulen wurde gedroht, um sie mundtot zu machen.

Meine Damen und Herren, ich erwarte vom Minister und vom Ministerium ein klares Bekenntnis zu einem vom Gedanken der Freiheit und Demokratie durchdrungenen Bildungssystem. Sperren Sie sich nicht dagegen und gehen Sie diesen Weg mit.

(Beifall bei der SPD)

Um das Wort hat Herr Staatsminister Schneider gebeten. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Liest man den Antrag der GRÜNEN zur Aktuellen Stunde sorgfältig, stellt man fest, dass sie diesmal anders verfahren sind als bei einer anderen Aktuellen Stunde. Damals wedelte man mit der Fälschung eines CSU-Papiers umher. Jetzt wird versucht, mit zum Teil nicht richtigen Meldungen Stimmung zu machen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Menschen in Deutschland kennen die GRÜNEN. Überall dort, wo sie jemals in Regierungsverantwortung waren, haben die Menschen sie abgewählt. In Bayern waren die Menschen klüger. Hier sind die GRÜNEN gar nicht an die Regierung gekommen.

(Beifall bei der CSU)

Auch die SPD hat kein einziges Wort zu Ihren Vorstellungen gesagt. Auch die SPD nimmt Ihre Vorstellung von einer gemeinsamen neunjährigen Schulzeit nicht wahr oder nicht ernst. Jedenfalls habe ich bisher von der SPD dazu nichts gehört. Vielleicht kommen aber noch Ausführungen seitens der SPD zu diesem Thema.

Wir sehen eine lange Kette der Änderung der Wortwahl. In den Siebzigerjahren wurde in Deutschland über die Gesamtschule diskutiert. Dann hat man festgestellt, dass die Menschen die Gesamtschule nicht wollen. Deshalb hat man von „Einheitsschule“ gesprochen. Heute lesen wir „gemeinsame Schulzeit über neun Jahre“.

(Karin Radermacher (SPD): Ganztagsschule!)

Sie wechseln lediglich das Schild, denn Sie wollen, wie das schon in den Siebzigerjahren versucht wurde, die Gesamtschule einführen. Das scheiterte damals in Deutschland und würde auch jetzt scheitern.

(Beifall bei der CSU)

Es geht um Konzepte, wie wir die Schule im ländlichen Raum erhalten können. Dabei müssen wir in erster Linie

die Grund- und Hauptschule in den Blick nehmen. Die CSU-Fraktion hat bereits 1998 – damals haben Sie zu dem Thema noch geschnarcht –

(Susann Biedefeld (SPD): Aber Sie waren wohl wach! – Weitere Zurufe von der SPD)

einen Antrag gestellt und im Landtag darüber abgestimmt, in Modellversuchen zu überprüfen, ob die kombinierten Klassen ein Konzept der Zukunft sein könnten.

(Zurufe von der SPD)

Wir haben das in den vergangenen Jahren geprüft.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Mit 30 Schülern!)

Ergebnis ist, dass die Lernleistung die gleiche ist, egal ob man in kombinierten Klassen oder in jahrgangsreinen Klassen unterrichtet. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, wurde bei diesem Modellversuch festgestellt.

Wir haben für die kombinierten Klassen fünf Stunden zusätzlich genehmigt. Das gibt es in ganz Deutschland nicht. Nirgends gibt es die Unterstützung, die es in Bayern gibt. Die GRÜNEN sind sowieso nirgends mehr in der Regierung. Aber auch dort, wo die SPD mitregiert, gibt es diese Ausstattung für kombinierte Klassen nicht. Aber jedes Land geht diesen Weg, weil es der einzige Weg ist, die Grundschulen möglichst im Ort zu lassen, damit die Kinder möglichst lange am Ort bleiben können.

Herr Pfaffmann. Hier im Landtag habe ich von Ihnen noch nicht gehört, dass Sie die jahrgangskombinierten Klassen ablehnen. Aber in der Öffentlichkeit sagen Sie, die Kombi-Klassen seien eine „Frechheit“.

(Zurufe der Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD) und Karin Radermacher (SPD))

So habe ich das aus der Presse.

Nächstes Thema: die Hauptschule. Man kann einerseits beklagen, dass 15 000 Schüler weniger zur Hauptschule gehen. Man kann aber auch festhalten, dass diese 15 000 Schüler an einer anderen Schulart gefördert werden und auch ihren Weg gehen. Wir dürfen nicht den Fehler machen, nicht mehr auf die Qualität zu achten, um Strukturen zu erhalten. Wenn junge Menschen ihren Weg über die Realschule oder das Gymnasium gehen wollen, sollen sie diesen Weg gehen können.

(Beifall bei der CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben ein Konzept angekündigt. Eckpunkte habe ich bereits der Öffentlichkeit übergeben. Ich habe deutlich gemacht, dass dieses Thema in aller Breite diskutiert werden soll. Ich werde es in aller Breite mit allen gesellschaftlichen Gruppen diskutieren. Das werden wir im Laufe dieses Schuljahres

intensiv machen. Wenn die Eckpunkte so weit gediehen sind, dass sie zu einer Beschlussfassung führen können, wird das ein Thema im Bayerischen Landtag sein. Meine Damen und Herren, Aufgeregtheiten sind überfl üssig.

Ich will die Grundkonzeption kurz darlegen. Wir wollen endlich garantieren, dass die jungen Menschen an der Hauptschule die Ausbildungsreife erwerben. Sie müssen Grundkompetenzen in den Fächern Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache haben, und darüber hinaus muss das Sozial- und Arbeitsverhalten einen ganz hohen Stellenwert haben. Dazu brauchen wir noch mehr Profi lbildung, mehr Praxisbezug und Kooperationen vor Ort. Im Gesetz steht richtigerweise, die Schulen sollen zweioder mehrzügig sein. Wir haben auch hier immer schon erklärt, dass wir die einzügige Hauptschule am Ort halten wollen unter der Voraussetzung, dass man kooperationsbereit ist und miteinander das volle Angebot für die jungen Menschen bereithält. Das ist die Prämisse.

(Beifall bei der CSU – Zuruf der Abgeordneten Simone Tolle (GRÜNE))

Das Angebot muss für die jungen Menschen bereitgehalten werden. Es geht um die Qualität des Unterrichts und um das Angebot, damit sich junge Menschen gemäß ihren Fähigkeiten, Talenten und Neigungen entwickeln können.