Protokoll der Sitzung vom 28.11.2006

Herr Ettengruber, Sie haben sogar gemutmaßt, mit diesem Gesetzentwurf könnte man eine Sanierung der zum Teil desolaten kommunalen Haushalte erreichen. Diese Hoffnungen können mit diesem Gesetzentwurf keineswegs verbunden werden. Die Ziele, die Sie vorgeben, erreichen Sie nicht. Mit der Doppik, die mit diesem Gesetzentwurf eingeführt werden soll, wird auch nicht der Ressourcenverbrauch, sondern werden lediglich die Abschreibungen auf Anlagen erfasst.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist selbst zweifelhaft, ob dies mit diesem Gesetzentwurf in öffentlichen Verwaltungen korrekt und vernünftig erfolgen kann. Die Probleme liegen im Detail und werden mit diesem Gesetzentwurf nicht gelöst.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt keinen Markt für kommunale Infrastruktur. Wie soll das kommunale Vermögen richtig bewertet werden?

Ihr Gesetzentwurf schlägt vor, Vermögensgegenstände mit den Anschaffungs- und Herstellungskosten, vermindert um Abschreibungen, anzusetzen. Für größere Kommunen und insbesondere für Kommunen mit teilweise älterer Infrastruktur würde diese von Ihnen vorgesehene Änderung des Artikels 74 der Gemeindeordnung ein unüberwindliches Hindernis bei der Einführung und Nutzung der Doppik bedeuten. Sie schlagen vor, die Bewertung von Vermögensgegenständen, wie beispielsweise jahrzehnte- oder jahrhundertealte Schulen, Brücken, Straßen oder Kanäle nicht an den Ersatzbeschaffungswerten zu orientieren, wie das beispielsweise die Städte München und Nürnberg vorschlagen. Sie wollen diese Vermögenswerte zu den historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten, minus den jahrzehnte- oder jahrhundertelangen erforderlichen Abschreibungen ansetzen. Dies erfordert natürlich einen enormen Personal- und Kostenaufwand.

Nicht nur dieses Beispiel zeigt, dass Ihr Gesetzentwurf kein Beitrag zu einem effi zienteren und sachgerechteren Verwaltungshandeln ist, sondern ein Beitrag zu mehr Bürokratie und zur Errichtung hoher bürokratischer Hürden bei der Einführung der Doppik.

Mit diesem Gesetzentwurf würden Sie die Städte München und Nürnberg, die jahrelang Vorarbeiten bei der Doppik geleistet haben, von der Möglichkeit der Umstellung auf die Doppik ausschließen. Auch Ihre Vorgaben zum Kontenplan und zum Produktplan entsprechen nicht den kommunalen Erfordernissen. Ein späteres Nachjustieren des Kontenrahmens wäre dann außerordentlich personalintensiv und würde die Kosten der Umstellung weiter erhöhen.

Auch Ihre Vorgaben für einen konsolidierten Jahresabschluss sind allenfalls mit sehr langjährigen Umstellungszeiträumen möglich. Mehr kommunale Selbstverwaltung – das versprechen Sie – wird aber so nicht erreicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wegen der Diskussion, ob ein solcher Gesetzentwurf nach dem Konnexitätsprinzip zu fi nanziellen Leistungen an die Kommunen zur Unterstützung des enormen Umstellungsaufwandes führen müsste, setzt die Staatsregierung auf eine freiwillige Umstellung des Haushaltswesens in den Kommunen. Die Folgen sind eine mangelnde Vergleichbarkeit der fi nanziellen Lage und der entsprechenden Kostensituation in den einzelnen Kommunen und zudem Unklarheiten bezüglich der Auswirkungen auf den kommunalen Finanzausgleich.

Sie schaffen mit diesem Gesetzentwurf mehr Bürokratie bei den Kommunen und mehr Bürokratie bei den Rechtsaufsichtsbehörden. Lehnen Sie diesen Gesetzentwurf ab! Erreichen Sie, dass erst eine Fachanhörung mit der betroffenen kommunalen Ebene durchgeführt wird, und erarbeiten Sie eine tragfähige Basis für die Reform des kommunalen Haushaltswesens.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Herr Staatssekretär Schmid.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion über eine Reform der Kommunalverwaltung insgesamt hat eine lange Tradition. Ich setze ganz bewusst diese heutige Debatte in den Gesamtkontext der Veränderungen in der Kommunalverwaltung. Das neue Steuerungsmodell, das wir in den vergangenen Jahren immer wieder diskutiert haben, hat inzwischen an Kontur gewonnen. Ich darf es durch einige Stichworte kennzeichnen, bevor ich dann ganz konkret zum Gesetzentwurf und damit zum kommunalen Haushaltsrecht komme: Steuerung über Ziele, vom Output, nicht vom Input her, als Teilelement dieses Steuerungsmodells, Budgetierung der bereitgestellten personellen und sächlichen Ressourcen nach Fach- und Aufgabenbereichen, Zusammenfassung von Aufgaben und Ressourcen in der Verantwortung einer Hand, bedarfsgerechte Erweiterung der Kosten- und Leistungsrechnung, Einführung eines periodischen Berichtswesens für Steuerzwecke. Vielleicht noch ein letzter Punkt: die Gesamtdarstellung von Ressourcen, Aufkommen und Ressourcenverbrauch.

Das heißt, wir haben insgesamt im Lande eine Diskussion darüber zu führen, wie wir die Kommunalverwaltung an moderne Führungs- und Verwaltungsstrukturen anpassen. Der Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des kommunalen Haushaltsrechts ist ein Teilelement dieser Gesamtüberlegung. Er schafft die notwendigen rechtlichen Grundlagen für den Aufbau der Kommunalverwaltung im Sinne dieser Gesamtreform. Er macht Genehmigungen nach der Experimentierklausel überfl üssig und lässt den Kommunen volle Handlungsfreiheit.

Dass wir die Doppik über das Optionsrecht einführen, halte ich für den richtigen Weg. Auch wenn Sie gerade Ihre Bedenken vorgetragen haben, lassen Sie mich einige Argumente dagegen anführen. Es ist nicht richtig, dass es einen Beschluss der IMK gibt, bis 2012, 2014 oder zu sonst einem fi xen Zeitpunkt die Doppik einzuführen.

Es gibt überhaupt keinen Beschluss, der zur Doppik verpfl ichten würde. Ich war seit 2003 bei allen Innenministerkonferenzen dabei und weiß, dass so nicht beschlossen worden ist. Es gibt aber die Empfehlung, die Doppik einzuführen oder die Kameralistik zu erweitern – darüber haben wir heute noch nicht gesprochen –, wobei es den Ländern vorbehalten blieb, Umfang und Rhythmus der Einführung zu bestimmen. Wir haben uns darauf festgelegt, dass wir eine veränderte Kameralistik, Herr Kollege Ritter, gerade nicht einführen wollen, sondern dass wir diese zwei Alternativen haben wollen – Kameralistik auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Doppik. Ich glaube, dass das eine richtige Entscheidung auch im Sinne des Selbstverwaltungsrechtes war und ist, diesen Weg in dieser Parallelität zu gehen.

Viele von uns sind in kommunalen Gremien – Kreistagen, Stadträten, Gemeinderäten – tätig. Wenn ich die betroffenen Kolleginnen und Kollegen zu diesem Themenkreis fragen würde, würden sie sagen: Es ist der richtige Weg im Sinne der Selbstverwaltung, darüber entscheiden zu können, in welche Richtung gegangen werden soll.

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ritter?

Staatssekretär Georg Schmid (Innenministerium) : Selbstverständlich.

Herr Kollege, bitte.

Herr Staatssekretär, wie wollen Sie die Vergleichbarkeit der Kommunen, die mit Doppik arbeiten, mit den Kommunen, die ohne Doppik arbeiten, sicherstellen?

Vielen Dank für die Frage, Herr Kollege Ritter. Ich werde auf diese wichtige Frage nachher eingehen.

In einer schriftlichen Stellungnahme eines kommunalen Spitzenverbandes steht im Übrigen, dass nach der dortigen Einschätzung 80 bis 90 % der Kommunen in Bayern im bisherigen System verbleiben werden. Das ist differenziert zu sehen. Auch Frau Kollegin Kamm hat darauf hingewiesen, dass die Situation in großen Städten anders ist als in kleinen oder mittleren Kommunen, weil dort das notwendige Fachpersonal vorhanden ist. Es ist selbstverständlich, dass eine kleine Kommune leichter überfordert ist als die Städte Nürnberg oder München, die genannt worden sind. Deshalb wird die Bereitschaft zur Umstellung völlig unterschiedlich sein; darüber sind wir uns im Klaren.

Zunächst zum Thema Konnexität, bevor ich zu Ihrer Frage komme: Welche Vorgänge unter Konnexität fallen und welche nicht – über diese Frage werden wir in diesem Haus noch oft und wiederholt diskutieren. Das wird wahrscheinlich auch – wenn ich prospektiv fünf Jahre vorausschauen darf – noch die Gerichte beschäftigen; darüber sind wir uns über alle Parteigrenzen hinweg im Klaren. Bei dieser Frage kann ich momentan aufgrund des Gesetzentwurfs sagen, es mag dahingestellt sein. Im Übrigen

bin ich der Meinung, Herr Kollege Ritter, selbst wenn wir die Doppik verpfl ichtend einführen würden, wäre doch damit nicht eine neue Aufgabe im Sinne der Konnexitätsregelung der Verfassung hinzugekommen. An dieser Stelle wird aber die Frage der internen Organisation und Haushaltsführung der Kommune diskutiert.

Sie, Frau Kollegin Kamm und Herr Kollege Ritter, haben die Frage, wie es mit der Förderung, der Statistik und den übrigen Formalien aussieht, aufgeworfen. Diese Situation haben wir im Prinzip auch mit den Modellkommunen. Das wird nicht ganz einfach; darüber sind wir uns alle im Klaren. Durch die derzeit gemeinsam zu erarbeitenden Bestimmungen können wir diese Vergleichbarkeit herstellen. Wir haben vehemente Diskussionen geführt und zugesagt, dass wir der kommunalen Familie diese Hilfestellung geben wollen. Wir arbeiten momentan an diesen Ausführungsbestimmungen, die nachher dafür eine Hilfestellung geben sollen.

Wenn an dieser Stelle vermehrte Bürokratie beklagt wird, weil das nicht eins zu eins vergleichbar ist, dann müsste ich die Antwort geben: Wenn wir das nicht wagen und es nicht versuchen, müssen wir bei dem bleiben, was wir haben, und sind von allen Veränderungen ausgeschlossen. Es kann aber nicht der richtige Weg sein, nur weil es im Detail Schwierigkeiten gibt, die unbestritten sind, die Fragestellung nicht anzugehen und nicht zu wagen, das Modell anzupacken.

Deshalb glaube ich, dass wir eine richtige Entscheidung getroffen haben und wir gemeinsam diesen Weg gehen sollten. Wir müssen auf diesem Feld natürlich auch Erfahrungen sammeln.

Wenn man eine völlig neue Sachlage implementiert hat, ist es, fi nde ich, nichts Dramatisches, wenn man eines Tages erkennen muss, dass man an der einen oder anderen Stelle noch einmal nachjustieren muss. Dazu muss man bereit sein. Ich halte den jetzigen Vorschlag für einen richtigen Weg, den wir gemeinsam gehen wollen. Ich bitte um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der CSU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aussprache ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Abstimmung liegen der Gesetzentwurf auf Drucksache 15/6303 und die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit auf Drucksache 15/6911 zugrunde. Der federführende Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit empfi ehlt die unveränderte Annahme. Der Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen stimmt bei seiner Endberatung ebenfalls zu. Ergänzend schlägt er vor, in § 4 als Datum des Inkrafttretens den „1. Januar 2007“ einzufügen.

Wer dem Gesetzentwurf mit dieser Ergänzung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. Gegenstimmen? – Das sind die Frakti

onen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Niemand. So beschlossen.

Da ein Antrag auf Dritte Lesung nicht gestellt wurde, führen wir gemäß § 56 der Geschäftsordnung sofort die Schlussabstimmung durch. Ich schlage vor, sie in einfacher Form durchzuführen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Wer dem Gesetzentwurf in der Fassung des endberatenden Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. – Das ist die CSU-Fraktion. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Keine. Das Gesetz ist damit so angenommen. Es hat den Titel: „Gesetz zur Änderung des kommunalen Haushaltsrechts“.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung melderechtlicher Vorschriften (Drs. 15/6304) – Zweite Lesung –

Ich eröffne die Allgemeine Aussprache. Im Ältestenrat wurde hierzu eine Redezeit von fünf Minuten pro Fraktion vereinbart. Die erste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Weiß. Bitte.

Herr Präsident, Hohes Haus! Das Bayerische Meldegesetz muss an verschiedene Änderungen des Melderechtsrahmengesetzes des Bundes angepasst werden, insbesondere sind die Länder verpfl ichtet, die Melderegisterdaten der Einwohner in zum Teil erheblichem Umfang zu erweitern. Darüber hinaus wird das melderechtliche Verfahren vereinfacht. Im Wesentlichen tragen wir hier bundesgesetzlichen Regelungen Rechnung. Der federführende Innenausschuss hat einstimmig zugestimmt. Ich bitte Sie, entsprechend zu verfahren.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Kollege Ritter.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf wirft eine ganze Reihe datenschutzrechtlicher Probleme auf. Unseres Erachtens kann es nicht angehen, sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, hier würden letztendlich nur bundesrechtliche Vorgaben umgesetzt; denn da gibt es durchaus auch Gestaltungsspielräume, die man hätte vernünftig nutzen können.

Ein Beispiel kennen Sie auch aus anderen Debatten. Wir haben bei der Diskussion über das Polizeiaufgabengesetz schon sehr intensiv über datenschutzrechtliche Fragen diskutiert. Von daher wissen Sie vielleicht noch, dass die Regelung für die Aufbewahrung und die Löschung von Daten ein ganz grundsätzliches Element des Datenschutzes ist.

Im vorliegenden Gesetzentwurf werden diese Regelungen dem Innenministerium zugeschrieben. Es soll per Verordnung festlegen, in welchem Rahmen diese Daten aufbewahrt und gelöscht werden. Damit sind grundlegende Entscheidungen datenschutzrechtlicher Art der parlamentarischen Kontrolle entzogen. Das können und wollen wir so nicht mittragen.

Der Zugriff Dritter auf die Meldedaten ist sehr weitgehend. Beispielsweise können Religionsgemeinschaften auch auf die Meldedaten der Partner der Angehörigen der Religionsgemeinschaften zugreifen, auch wenn diese einer anderen oder keiner Religion angehören. Die Weitergabe von Daten von Personen, die zusätzlich zum Mieter in deren Wohnung wohnen, beispielsweise an Wohnungsgeber ist weitgehend möglich. Zwar muss der Wohnungsgeber nachweisen, dass er ein rechtliches Interesse an diesen Daten hat. Allerdings ist nicht defi niert, was das nun eigentlich heißen soll. Damit sind einer verhältnismäßig willkürlichen Datenweitergabe oder auch einer willkürlichen Verweigerung von Daten Tür und Tor geöffnet.

Das Gesetz wird in vielen Punkten den Ansprüchen des Datenschutzes nicht gerecht. Es lässt mehr Fragen offen, als es beantwortet.

(Eduard Nöth (CSU): Ach was!)

Wir fordern Sie auf, dieses Gesetz abzulehnen.

(Beifall bei der SPD)