Protokoll der Sitzung vom 13.12.2006

Wenn ich mir den Haushalt und die vielen Nebelkerzen, die Sie werfen, Herr Kollege Sibler, ansehe, dann muss ich überlegen, welche Überschrift man diesem Haushalt geben sollte. Dazu ist mir ein Wort des Apostels Paulus aus seinem Brief an die Kolosser eingefallen: „Gott gebe euch viel Kraft, damit ihr in allem Geduld und Ausdauer habt.“ Dies ist ein wichtiges Wort; denn mit diesem Haushalt ändert sich nicht viel. Eigentlich wird nur das vollzogen, was ich schon seit Jahren angemahnt habe. Sie haben nämlich für die Realschulen und Gymnasien jetzt endlich mehr Stellen bereitgestellt. Da kann ich aber nur sagen: Guten Morgen, das hätten Sie schon viel länger machen müssen.

Sie haben mit diesem Haushalt eingestanden, dass das, was ich seit Jahren gesagt habe, wahr ist, nämlich: Realschulen, Gymnasien und anderes, was Sie aus der Hüfte geschossen haben, brauchen eine gute Unterfütterung. Die haben Sie, wenn ich es für das G 8 sagen darf, endlich nachvollzogen. Wir haben in Gymnasien und Realschulen Klassenstärken von 28,8 oder 28,7. Was Sie jetzt machen, ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Schauen wir einmal, wie sich das auswirkt.

Herr Minister Schneider, dazu, dass Sie nach drei Jahren endlich da angekommen sind, wo ich Sie schon lange haben wollte, möchte ich Sie herzlich beglückwünschen.

Bei Paulus heißt es, Herr Sibler: „Gott gebe euch viel Kraft, damit ihr in allem Geduld und Ausdauer habt.“ Das ist die Überschrift über Ihrem Haushalt. Es klingt vielleicht sehr nett. Aber die Leidtragenden waren und sind die Schüler und Lehrer, die Ihren rigiden Sparkurs aushalten und mit dem Mangel leben müssen und mussten und bei denen Sie viel Vertrauen verspielt haben.

Ich denke an gestern, an den personifi zierten Anachronismus mit dem Namen Edmund Stoiber. Ich glaube, über die Jahre hinweg haben Sie eine Schulart vergessen. Die rückt Herr Stoiber jetzt in seinen Fokus. Das halte ich aber überhaupt nicht für gut; denn wenn der Ministerpräsident einmal etwas in seinen Fokus rückt, dann wird es wirklich schlimm. Jetzt kündigt der Ministerpräsident an, dass die Hauptschulen in den Fokus gerückt werden sollen.

Es ist schon seltsam, wie Sie Ihre Fokussierung ausgestalten. Im Haushalt werden im Bereich der Volksschule die Grund- und Hauptschule haushaltstechnisch gemeinsam abgebildet. Da werden 1652 Stellen gestrichen. Im letzten Doppelhaushalt haben Sie der Hauptschule 1200 Stellen genommen. Der BLLV hat gestern eine Liste mit Streichungen herumgeschickt und kommt seit 1998 auf 4984 Stellen, die Sie den Hauptschulen genommen haben. Ich möchte nicht in Ihrem Fokus stehen; denn das ist immer mit Stellenkürzungen gleichbedeutend.

Ich muss Ihnen schon die Frage stellen, wie es gehen soll, dass Sie etwas in den Fokus nehmen, wenn Sie gleichzeitig die dafür notwendigen Mittel abziehen. Dies ist eine sehr schwierige Sache. Für mich bedeutet das nichts anderes, als dass Sie die Hauptschule am ausgestreckten Arm verhungern lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Des Weiteren möchte ich die Tatsache erwähnen, dass Sie rund 40 % der ursprünglichen Hauptschulen geschlossen haben. Das stand auch in diesem Papier des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes – BLLV –, und wir haben in einer Aktuellen Stunde schon über die Schulen im ländlichen Raum geredet. Außerdem stand es in der Antwort auf meine Schriftliche Anfrage. Das ist kein Super-GAU, aber es ist ein GAU für die Hauptschulen, Herr Kollege Sibler. Dabei liegt die Krise der Hauptschulen seit Jahren auf der Hand. Wenn ich über Krisen und Probleme rede, geht es mir nicht darum, die Hauptschule schlechtzureden. Wir müssen aber die Probleme benennen, denn nur wenn wir ein Problem benennen, können wir es lösen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat in ihrer gestrigen Ausgabe einige Dinge sehr treffend beschrieben. Dort steht:

Die Hauptschule ist ausgelaugt, denn sie ist zum Makel geworden, und niemand will sich als Verlierer abstempeln lassen.

Dort steht weiter, Herr Kollege Schramm:

Die Eltern werden die Hauptschule abschaffen, auch in Bayern.

Eltern wissen genau, dass die Hauptschule ihren Kindern keine Perspektive mehr biete. Dies hat sich nun auch bis in den letzten Winkel des Bayerischen Waldes – und bis nach Kulmbach, Herr Schramm – herumgesprochen.

Ein paar Wochen vorher schrieb die SZ:

Das dialektische Verhältnis von Vergangenheit und Zukunft kann man an den Hauptschulen auf einen Satz bringen: Seit im Jahre 2000 entschieden wurde, dass die Realschulen eine 5. Klasse anbieten, haben die Hauptschüler endgültig keine Zukunft mehr.

Dort heißt es auch:

Die Hauptschule wird verenden, die Eltern können sich nicht formieren, die Schüler werden immer schwieriger, irgendwann kann man nicht mehr unterrichten.

Es gibt Schüler und Schülerinnen, Herr Kollege Freller, die der Herr Ministerpräsident gestern zitiert hat, wie die aus Schwabach. Ich hatte aber in den letzten Wochen auch Begegnungen. Eine war im Sommer, im September, in Dachau. Da war der Herr Kollege Thätter dabei. Da ist in einer Veranstaltung eine Hauptschülerin aufgestanden und hat gesagt: „Wir fühlen uns wie Menschen zweiter Klasse.“ Vor einigen Wochen waren Hauptschüler aus meinem Landkreis zu Besuch, und Herr Minister Sinner war dabei. Da ist ein Schüler aufgestanden und hat gesagt: „Wir fühlen uns minderwertig.“

Was meinen Sie, Herr Schneider, was diese Kinder denken, wenn sie den sogenannten neuen Dreiklang des Ministerpräsidenten hören, der da heißt: „Kinder – Bildung -Arbeitsplätze?“ Was, meinen Sie, denken die 30 % Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, von diesem Dreiklang?

Im vorhin erwähnten SZ-Artikel steht die Antwort darauf. Diese Kinder schreiben „Loser“ auf ihr Heft und nicht mehr ihren Namen.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Genau!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen es nicht weiter gestatten, so vielen Jugendlichen, die heute die Hauptschulen besuchen, von vornherein eine ungünstige oder aussichtslose Ausgangsposition am Ausbildungs- und Berufsmarkt und damit in der Gesellschaft zuzuweisen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Selbst die jüngste Shell-Studie belegt, dass die Hauptschüler und Hauptschülerinnen sehr genau wissen, wie gering ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft sind.

Dazu kommt das demografi sche Problem. Dazu habe ich auch schon sehr viel in der Aktuellen Stunde gesagt. Die Schulen werden das Land verlassen, und mit den Schulen wird die Zukunft aus dem Dorf verschwinden. Der BLLV spricht in einer Pressemitteilung von gestern von einem Rückgang von 30 %. Ich kann Ihnen vier Landkreise in Unterfranken nennen – weil ich der Meinung bin, Unter

franken wird als Erstes sehr schnell davon berührt sein, Herr Kollege Ach –:

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Oberpfalz auch!)

24,3 % Schülerrückgang im Landkreis Rhön-Grabfeld, 20,4 % Aschaffenburg-Land, 21 % Miltenberg, 15,3 % Main-Spessart.

Und was tut die CSU-Fraktion? Ich erinnere mich sehr genau an die Ausschusssitzung vor zwei Wochen, in der es wieder um die Hauptschule ging. Sie leugnen diese Probleme. Ihr Verhalten erinnert mich immer an den Philosophenkongress von Bertold Brecht. Da treffen sich die Teilnehmer in einem Kloster, um die Frage zu entscheiden, ob es die Außenwelt wirklich gibt. Sie kommen aber zu keiner Antwort, weil eine Überschwemmung das Kloster mit sich reißt.

Wenn es nur um Sie ginge, Herr Kollege Waschler, dann wäre es vielleicht nicht schade. Aber Sie reißen mit Ihrer Verleugnungstaktik Schülerinnen und Schüler mit, und das fi nde ich beschämend.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was tut der Minister? Der Minister kündigt ein zehntes Schuljahr an, wohlgemerkt, mit 1652 Lehrern und Lehrerinnen weniger. Sie machen im Frühjahr einen Kongress, und seit diesem Schuljahr gibt es 23 Modellversuche. Damit aber nicht genug, Herr Minister: In der „Main-Post“ vom 27. November lese ich von einem weiteren Modellversuch im kommenden Herbst,

(Zuruf des Abgeordneten Manfred Ach (CSU): Hervorragend!)

wo ausgewählte Hauptschulen nach einem veränderten Lehrplan und mit veränderter Methodik unterrichten. Herr Kollege Ach, ich halte das nicht für hervorragend, weil wir wissen, wie es geht. Wir brauchen keine Modellversuche mehr.

(Beifall bei den GRÜNEN – Maria Scharfenberg (GRÜNE): Eben! – Manfred Ach (CSU): Ihr wisst eh alles besser!)

Modellversuche verzögern nur die Entwicklung, und das heißt für mich: Die Hauptschule muss mindestens bis 2010 auf eine Lösung warten.

Ich frage Sie: Wie soll es funktionieren, eine einzügige Hauptschule in drei Zweige aufzuteilen, ohne dass Sie die Schulen zusammenlegen und die Schüler und Schülerinnen in der Gegend herumkarren und auf diesem Umweg die Teilhauptschule wieder einführen?

Ich prophezeie, dass außer ein paar Modellversuchen und einer weiteren Reduzierung nichts geschehen wird. Wenn der Ministerpräsident so etwas „Fokussierung“ nennt, dann kann es mir nur leidtun um jeden und jede, die in den Fokus des Ministerpräsidenten gerät.

Dass Sie die Hauptschüler und Hauptschülerinnen nicht weiter kümmern, zeigt auch die Tatsache, mit wie wenigen Sozialarbeiterinnen Sie diese Schule ausstatten. Für 1100 Hauptschulen werden wir – und das fi nde ich nicht glorreich, Herr Kollege Sibler – in zwei Jahren rund etwa 150 Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen haben.

Ich will auch erwähnen, dass Sie bei der Zuweisung der IZBB-Mittel die Hauptschule benachteiligt haben. Sie haben damit das achtjährige Gymnasium fi nanziert. 60 % der Hauptschulen sind leer ausgegangen. Sie, Herr Kollege Sibler, sagen jetzt: Wir stellen etwas über FAG-Mittel bereit. Das fi nde ich überhaupt nicht glorreich, weil da die Kommunen 50 % selber zahlen müssen. Sie haben ganz offenkundig die Hauptschule nicht nur überhaupt benachteiligt, sondern auch bei der Zuweisung der IZBBMittel. Wenn Sie die Hauptschule stärken wollen, müsste Ihr Haushalt anders aussehen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Maria Scharfenberg (GRÜNE): Genau!)

Dann müssten Sie die Stellen im Haushalt stehen lassen, damit man sich auf die individuelle Förderung konzentrieren kann.

Herr Minister, ich glaube gar nicht, dass das so schädlich ist. Wir haben eine große Pensionierungswelle, und wenn dann die Probleme gelöst sind, dann könnten Sie über die Pensionierung Stellen abfedern.

Die beste Stärkung der Hauptschule wäre ihre Abschaffung und die Errichtung einer Schule für alle.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das hat mir auch ein Schüler gesagt: „Warum können nicht alle gemeinsam in eine Schule gehen?“

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Woanders geht es auch!)

Ich zitiere einen Schüler, denn nicht nur Sie vertreten Bayern, wir vertreten es auch. Das wäre für mich die Lösung, und wenn Sie immer nur Chancengerechtigkeit anführen, dann verweise ich Sie auf den bayerischen Bildungsbericht.

Meine Redezeit ist leider zu Ende. Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Bildung ist ein Grundrecht, das durch die Bayerische Verfassung garantiert ist. Dafür müssen Sie Geld in die Hand nehmen. Wir brauchen zukunftsfähige Schulen, wir brauchen nicht nur Geld, sondern wir brauchen eine Reformdynamik in diesen Schulen, und wir brauchen vor allen Dingen, sehr geehrte Damen und Herren, ein Ministerium und auch Kollegen aus der CSU-Fraktion, die sich den Problemen stellen und sie nicht immer nur leugnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)