Es fällt mir schwer, über Ihren Antrag zu diskutieren, weil er ein sehr diffuses Bild entwirft und weder zu mehr Recht noch zu mehr Gerechtigkeit führt. Wirklich begründet haben Sie nicht, warum er zu mehr Gerechtigkeit führen soll. Worin liegt denn das Mehr an Sühne begründet, wenn ein Straftäter nunmehr statt 15 Jahre 20 Jahre einsitzt? Wird der Schmerz von Hinterbliebenen und Opfern gemindert, wenn ein Täter fünf Jahre später aus der Haft entlassen wird?
Wirkt eine Haftandrohung von 20 Jahren wirklich abschreckender als eine von 15 Jahren? Wenn Sie mir beweisen können, dass genau diese fünf Jahre, die aus meiner Sicht im Übrigen genauso wie die 15 Jahre sehr willkürlich gewählt sind, das Unglück der Hinterbliebenen geringer machen und diese ruhiger schlafen lassen, und wenn Sie mir beweisen können, dass diese fünf Jahre für weniger Kriminalität sorgen, dann können wir ernsthaft diskutieren.
Sie sind aus meiner Sicht diesen Beweis schuldig geblieben. Mit der Darstellung grausiger Bilder allein kann ich nichts anfangen. Bei mir bleibt der Eindruck bestehen, dass es Ihnen nicht wirklich um die Angehörigen oder um die Sicherheit der Bevölkerung geht. Wie man es dreht und wendet, die Gefahr für die Allgemeinheit wird bei einem, der nach 15 Jahren entlassen wird, genauso überprüft wie bei jemand, der nach 20 Jahren entlassen werden soll. Ein Mehr an Sicherheit wird durch eine fünf Jahre länger dauernde Haft nicht gewährleistet.
Ich unterstelle einmal, dass es Ihnen um die Opfer geht, auch wenn der Antragstext aus meiner Sicht wenig dafür hergibt. Sie schreiben fast ausschließlich von den Empfi ndungen der Betroffenen und den Empfi ndungen der Öffentlichkeit.
Aber rechtspolitisch – das muss ich Ihnen entgegenhalten –, kann das nicht der ausschlaggebende Grund sein. Es kann nicht sein, dass wir auf Empfi ndungen, zum Beispiel Hass und Rachegedanken, abstellen. Das Strafrecht muss zwischen Täter und Opfer treten, den Konfl ikt – wie es der stellvertretende Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichts Prof. Hassemer ausgedrückt hat – enteignen, dem Staat übergeben und die Auseinandersetzung mit dem Verbrechen in eine Rechtsform gießen.
In diesem Verfahren treffen berechtigte Interessen von Opfern, Tätern und Angehörigen aufeinander, und hierbei sind beide Interessen abzuwägen. Es hat etwas mit nachhaltiger Kriminalpolitik zu tun, wenn ich genau nach diesen Kriterien verfahre. Es muss ein Ausgleich von Unrecht und Schuld unter Berücksichtigung der Grundrechte
gefunden werden, auch im Hinblick auf eine zukünftige Verminderung von Gefahren für die Öffentlichkeit.
Echte Opferpolitik sieht unseres Erachtens anders aus. Lediglich auf längere Haftstrafen zu setzen – ich habe den Eindruck, dass Sie das eigentlich ausschließlich tun – widerspricht entschieden einer Kriminalpolitik, die den Interessen aller Beteiligten gerecht werden soll, zum Beispiel dem Grundsatz der Wiedergutmachung oder auch dem Schutz vor weiteren Straftaten.
In den letzten Jahren wird die Situation von Opfern sowohl in der Kriminalpolitik als auch im Strafrecht und in den Strafverfahren zu Recht verstärkt berücksichtigt. Es gab eine Reihe von Erleichterungen für Opfer. Ich will sie hier nicht im Detail ausführen; denn sie sind jederzeit nachlesbar, beispielsweise auch in einem Papier von Prof. Hassemer, der genau diese Opferrechte darstellt, ausbaut und entsprechende Vorschläge macht. Diese Rechte sind aus unserer Sicht tatsächlich ausbaubar. Herr Kreuzer hat Recht, wenn er sagt, dass die Opfer lebenslänglich haben. Genau das müssen wir berücksichtigen.
Das Opferrecht ist differenzierter zu betrachten, als Sie uns mit Ihrem Antrag weismachen wollen. Die Strafverfolgung darf nicht nur aus Opfersicht erfolgen. Es bedarf der Distanz, es bedarf der Gleichmäßigkeit von Entscheidungen, und es bedarf Entscheidungen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Nur der Staat darf hier agieren. Er darf dabei auch die Grundrechte aller Beteiligten nicht außer Acht lassen. Ich verweise hier auf die Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 1977 und auch auf die letzte vom 8. November 2006.
Durch alle Entscheidungen zieht sich wie ein roter Faden, dass bei jeder Freiheitsentziehung die konkrete und realisierbare Chance auf Wiedererlangung der Freiheit bestehen muss. Das stellen Sie ja auch nicht in Frage.
Der Staat hat dafür zu sorgen, dass die Schuld des Täters – jetzt komme ich zu dem einen Knackpunkt – unabhängig von dessen Gesinnung ausgeglichen werden muss, und es muss unabhängig von der Gesinnung des Täters auch die Möglichkeit zur Wiedergutmachung bestehen, soweit das natürlich in den Grenzen, gerade wenn es um Morde geht, möglich ist. Der Staat soll die verletzte Rechtsordnung und den Rechtsfrieden wieder herstellen.
Unter diesen Gesichtspunkten frage ich Sie wirklich: Hilft es dem Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben, wenn man die Mindestverbüßungsdauer um fünf Jahre verlängert? – Ich begebe mich gerne in eine rechtspolitische Debatte mit Ihnen, kann sie aber vom Ansatz her in Ihrem Antrag nicht erkennen. Wenn Sie sich mit Empfi ndungen auseinandersetzen, dann ist das aus unserer Sicht zu wenig.
Zur Abschreckungsmöglichkeit will ich gar nichts weiter sagen. Das hat Kollege Schindler sehr differenziert aus
geführt. Auch hier verweise ich auf entsprechende Verfassungsgerichtsurteile und auch auf Aussagen von Prof. Hassemer. Wer wirklich glaubt, dass eine fünf Jahre längere Dauer einer Freiheitsstrafe abschreckt, der ist nicht von dieser Welt. Hier muss ich Ihnen einfach sagen: Wenn Sie realistisch argumentieren, realistisch debattieren, dann können wir uns auch hier über solche Anträge unterhalten. Wir werden diesem Antrag auf jeden Fall nicht zustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen, und wir kommen zur Abstimmung.
Die CSU-Fraktion beantragt namentliche Abstimmung. Somit können wir erst in 15 Minuten abstimmen. Wir fahren in der Tagesordnung fort.
In Absprache der Fraktionen ist vereinbart, dass die weiteren Dringlichkeitsanträge 5/7786, 15/7790, 15/7787, 15/7788 und 15/7789 verwiesen werden.
Gesetzentwurf der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Aufhebung des Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetzes (Drs. 15/6810) – Zweite Lesung –
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Aufgabe einer verantwortlichen Familienpolitik ist es, die Familien sozial so abzusichern, dass der Entschluss für Kinder möglich und ein Leben mit Kindern vorstellbar ist. Eine verantwortungsvolle Familienpolitik muss die Basis für ein Kinderleben mit Perspektive sein; denn wenn es den Kindern gut geht, geht es auch den Eltern gut.
Das Landeserziehungsgeld wird diesem Anspruch nicht gerecht. Es ist das Eingeständnis, dass den Familien mit geringem Einkommen eigentlich das Geld nicht dafür ausreicht, um ihre Kinder adäquat zu fördern und zu erziehen. Deshalb gibt man ihnen ein Beruhigungszuckerl, das aber vorn und hinten nicht reicht.
Was tun diese Eltern denn, wenn das eine Jahr oder bei Erstgeborenen das halbe Jahr um ist? Dann sind sie wieder ganz allein verantwortlich, dann haben sie nicht
mal mehr ihr Beruhigungszuckerl, dann müssen sie versuchen, über die Runden zu kommen, und die Frauen, die vielleicht durch dieses Landeserziehungsgeld dazu verlockt wurden, zu Hause zu bleiben, müssen versuchen, wieder in den Arbeitsprozess zurückzukehren oder weiterhin mit einem Gehalt zurechtzukommen.
Das kann keine Perspektive für die Zukunft sein. Deshalb wollen wir eine völlig andere Lösung. Wir wollen die 114 Millionen Euro, die durch das Landeserziehungsgeld völlig ineffektiv gebunden werden, sinnvoll verwenden.
Da komme ich noch einmal auf das zurück, was wir heute früh schon gesagt haben. Es geht nicht darum, dass man irgendwie Geld für Familien ausgibt, sondern man muss Geld für Familien so ausgeben, dass das Geld den Familien auch tatsächlich etwas bringt.
Deshalb wollen wir dieses Geld umschichten. Wir wollen es in den Ausbau von Kinderkrippen für Kinder unter drei Jahren stecken.
Wunderbar, das ist genau das Stichwort. Sie sprechen schon wieder einmal die viel gepriesene Wahlfreiheit an, die es überhaupt nicht gibt,
und zwar deshalb, weil es keine Kinderkrippen gibt. Eine Mutter kann zu Hause bleiben, wann immer sie will, aber es muss zumindest das Angebot da sein, dass sie, wenn sie nicht kann, ein Betreuungsangebot vorfi ndet. Das ist nicht gegeben. Insofern können Sie noch hundert Jahre von Ihrer „Wahlfreiheit“ reden – solange Sie kein Betreuungsangebot schaffen, ist die Wahlfreiheit nicht gegeben. Das ist auch ganz leicht nachzuprüfen.
Das sind entweder sieben oder, wenn man die Omas noch mit einrechnet, neun Prozent an Kinderbetreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren. Das ist aber viel zu wenig. Es müssten viel, viel mehr sein. Heute Morgen habe ich schon gesagt, dass Frau von der Leyen von 35 % spricht. Sie bleiben weit dahinter zurück.
Dass keine Wahlfreiheit besteht, sieht man auch daran, dass es für die Kinderkrippen Wartelisten gibt. Da muss man sich bereits anmelden, wenn auch nur der Verdacht einer Schwangerschaft besteht; denn sonst bekommt man keinen Platz. Das kann kein ausreichendes Betreuungsangebot für Kinder sein, für die Sie angeblich eine so verantwortungsvolle Familienpolitik machen.
Dann kommt das nächste Argument: Kinder sind bei der Mutter einfach besser aufgehoben. Als Mutter von fünf Kindern sage ich Ihnen: Das stimmt nicht immer. Auch Mütter sind manchmal überlastet und haben etwas anderes zu tun. Wenn in dieser Zeit die Kinder gut untergebracht werden können und dort gefördert und her
vorragend fachlich betreut werden, dann ist das für die Kinder wunderbar. Wir fordern doch nicht, wie Sie es immer suggerieren, dass die Kinder der Mutter entrissen werden und 24 Stunden in einer Kinderkrippe zubringen müssen, sondern es handelt sich um einige Stunden am Tag, die den Kindern ausgesprochen gut bekommen.
Wir nehmen niemandem die Kinder weg. Die Lösung dieses Problems: Wir müssen die Kinderkrippen massiv ausbauen. Wir müssen ein Recht auf Betreuung für Kinder unter drei Jahren im BayKiBiG festschreiben. Das steht bis jetzt nicht drin. Deshalb sehen viele Kommunen keinen Handlungsbedarf. Wir müssen die Kommunen dazu bringen, dass sie ein Angebot schaffen, das den Eltern die Möglichkeit gibt, ihre Kinder betreuen zu lassen. So weit sind wir noch lange nicht.
Die GRÜNEN auf Bundesebene haben eine Kinderbetreuungskarte vorgeschlagen. Das bedeutet, dass das Kindergeld in eine Karte fl ießt, die dann eine Kinderbetreuung ermöglicht. Ich halte das für sehr sinnvoll, allerdings nur dann, wenn Betreuungsmöglichkeiten vorgehalten werden. Davon sind wir in Bayern noch weit entfernt. Wir müssen dahin kommen, dass Bildung und Betreuung im frühkindlichen Alter nicht vom Geldbeutel abhängen. Die vorhandenen Kinderkrippen sind teilweise so teuer, dass sich Familien mit geringerem Einkommen diese Einrichtungen, selbst wenn sie einen Platz bieten würden, nicht leisten könnten.
(Joachim Wahnschaffe (SPD): Heute Morgen haben Sie die Möglichkeit des Betreuungszuschusses abgeschafft!)
Genau, heute Morgen wurde auch noch diese Möglichkeit zunichte gemacht. – Wir müssen alle Kinder gleichmäßig fördern. Wir müssen gleiche Bildungschancen für alle bieten, und deshalb brauchen wir Kinderbetreuungsmöglichkeiten für alle. Deshalb brauchen wir Kinderkrippen, und deswegen müssen wir den Ladenhüter „Landeserziehungsgeld“ abschaffen und das Geld stattdessen in Kinderkrippen investieren.