Protokoll der Sitzung vom 25.04.2007

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 92. Vollsitzung des Bayerischen Landtags.

(Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber: Man sagt ständig, ich soll ins Parlament kommen, und dann ist keiner da! – Franz Maget (SPD): Herr Präsident, wir sind da! – Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber: Ich bin da! – Franz Maget (SPD): Herr Ministerpräsident, ich freue mich schon den ganzen Tag auf Sie!)

Nachdem Kollege Maget seine Freude offenbart hat, können wir fortfahren. Wie immer, haben Presse, Funk und Fernsehen um Aufnahmegenehmigung gebeten. Sie wurde erteilt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion der SPD vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum Thema „Mängelliste in Bayern: Kinder, Bildung, Arbeitsplätze – handeln statt immer neuer Gutachten!“ beantragt. Die Regularien der Aktuellen Stunde sind Ihnen bekannt, aber ich möchte sie zur Information unserer Besucher noch einmal deutlich machen: Die einzelnen Redner dürfen grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält ein Mitglied zehn Minuten Redezeit. Diese Redezeit wird auf die Gesamtredezeit der Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält eine Fraktion auf Antrag eines ihrer Mitglieder zusätzlich fünf Minuten Redezeit.

Wir beginnen mit der Aussprache. Erste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Beyer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion begrüßt die großen Linien, die der Staatsregierung im Gutachten „Zukunft Bayern 2020“ unter der Unterüberschrift „Nachhaltige Politik für Kinder, Bildung und Arbeit“ von den eigenen Experten ins Stammbuch geschrieben werden. Wie gesagt: Wir begrüßen die großen Linien, nicht jedes Detail, nicht den Transrapid und sicher nicht die Kernkraft, an deren Wesen nach unserer festen Überzeugung Bayern nicht genesen wird.

(Beifall bei der SPD)

Wir begrüßen im Übrigen nicht die missglückte Verwaltungsreform, für die Henzler 1 die Vorlage geliefert hat. Wir begrüßen die großen Linien von Henzler 2, weil sie, was auch die Medien völlig zutreffend und ausführlich dargestellt haben, zentrale Anliegen unseres Politikentwurfs für Bayern aufnehmen.

Herr Ministerpräsident, Sie beenden Ihre Amtszeit so, wie Sie sie begonnen haben, nämlich mit der Ankündigung

von Ausgaben in Milliardenhöhe, finanziert aus Privatisierungserlösen.

(Joachim Herrmann (CSU): Sehr erfolgreich!)

Herr Herrmann, Sie sind auch da. Es gibt aber einen Unterschied. Das Programm „Zukunft Bayern 2020“ hat bei Weitem nicht den Neuigkeitswert und schon gar nicht den Überraschungseffekt, den Sie mit Ihren Hightech-Offensiven für sich beanspruchen wollten. Was in „Zukunft Bayern 2020“ steht, ist in Wirklichkeit überhaupt nicht neu. Die Forderung nach Kinderbetreuung, vor allem nach Krippenplätzen, ist nicht neu; neu ist sie nur für die CSU, Herr Herrmann.

(Beifall bei der SPD)

Die Forderung nach einer flächendeckenden Einführung von Ganztagsschulen, vor allem an den Hauptschulen, ist nicht neu; neu ist sie für die CSU. Die Notwendigkeit der Schaffung zusätzlicher Studienplätze an den bayerischen Hochschulen ist nicht neu. Neu ist, dass sich die CSU diese Notwendigkeit zum Handeln von Experten in ihr Hausaufgabenbuch eintragen lässt. Neu ist auch nicht die Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Neu ist aber, dass Sie eingestehen müssen, dass Ihre bisherigen Ansätze zu kurz greifen.

Dass die Wirkung der Hightech-Offensive eben nicht nachhaltig genug ist, wird gerade an Henzler 2 deutlich. Die SPD-Fraktion hat bereits zum aktuellen Doppelhaushalt zusätzliche Mittel für die auch im Gutachten formulierten Schwerpunkte vorgeschlagen: 190 Millionen Euro zusätzlich für Kindertageseinrichtungen und Tagespflege, insbesondere für das kostenfreie letzte Kindergartenjahr; 337 Millionen Euro zusätzlich für die Schulen, 118 Millionen Euro zusätzlich für Hochschulen, zusammen also 455 Millionen Euro mehr für Schulen und Hochschulen. Das fordert Henzler: Wir sind auf dem Weg dazu.

(Beifall bei der SPD)

Wir fordern 440 Millionen Euro mehr – das haben wir in unseren Vorstellungen zum Doppelhaushalt dargestellt – für Investitionen und damit unmittelbar für Arbeitsplätze. Allein für Umwelt und regenerative Energien wollen wir 113 Millionen Euro mehr. Unter dem Strich fordern wir 900 Millionen Euro mehr für Kinder, Bildung, Arbeitsplätze und Investitionen in Bayern in den Jahren 2007 und 2008, und das – Herr Ministerpräsident, weil Sie das wieder falsch gesagt haben – ohne einen Cent Neuverschuldung, nur durch strukturelle Veränderungen im Haushalt.

(Beifall bei der SPD)

Ohne ein zusätzliches Programm wäre also schon jetzt eine echte Schwerpunktsetzung möglich gewesen. 900 Millionen Euro zusätzlich für Kinder, Bildung und Arbeitsplätze wären möglich durch eine andere, eine zielgerichtete Verwendung der vorhandenen Mittel, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die CSU und die Staatsregierung haben diese Vorschläge wie immer reflexartig abgewehrt, und jetzt sehen Sie aus Henzler 2, dass das nötig gewesen wäre. Wir begrüßen also die im Gutachten definierten Investitionsschwer

punkte auch deshalb, weil sie die zentralen Defizitfelder Ihrer Staatsregierung aufdecken. Wir sind gespannt, wie Sie in der CSU mit dieser Bloßstellung umgehen. Wir sind gespannt, ob es „viele gute Anregungen und Ideen aus der CSU-Fraktion geben wird“, wie Sie, Herr Ministerpräsident, im Text der Einladung zu Ihrer Pressepräsentation erwartet haben. Wir sind gespannt auf die Meinung derer – wieder wörtliches Zitat von Stoiber –, „die künftig höhere Verantwortung übernehmen wollen“. Man beachte den Hinweis „wollen“! Herr Huber – er ist da – und Herr Beckstein – wenn er kommt –, ich sage Ihnen: Wir sind gespannt, was Sie uns zu Henzler zu sagen haben.

(Beifall bei der SPD)

Im Programm „Zukunft Bayern 2020“ sagen Sie uns aber nicht, worum es uns eigentlich gehen muss. Ihnen fehlt die Vision, und es fehlt der konkrete Handlungsauftrag, dem wir uns alle hier zu stellen haben. Es muss um Arbeit für die Menschen in diesem Land gehen. Es geht um Vollbeschäftigung in Bayern, um nicht mehr und nicht weniger. Das ist unser politisches Ziel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Arbeitsplätze werden durch Nachfrage angeregt und durch Investitionen geschaffen. Die staatlichen Investitionen sind aber – wir können es nicht oft genug sagen, weil das für Bayern so falsch war – unter Ihnen, Herr Stoiber, von 22 % auf 11 bis 12 % dramatisch verfallen. Bei den Direktinvestitionen haben wir eine Negativbilanz: Mehr bayerisches Geld geht ins Ausland, als Geld aus dem Ausland zu uns kommt.

Wir müssen umsteuern. Wir brauchen den Dreiklang von Investitionen, Innovationen und Qualifizierung. Wir brauchen eine verstärkte Akquisition ausländischer Direktinvestitionen in Bayern, die Wiederbelebung staatlicher Investitionen, eine Investitionsoffensive. Wir wollen Weltmarktführer bei den regenerativen Energien werden. Sie aber lehnen das letztlich aus ideologischen Gründen ab. Sie wollen nicht wirklich etwas von diesen Energien wissen, und Sie halten in ideologischer Verfestigung an der Atomenergie fest. Damit erweisen Sie Bayern keinen guten Dienst.

Ein dritter Punkt ist nötig, nämlich eine Qualifizierungsoffensive. Auch hier lehnen Sie unsere Vorschläge ab. Wir haben schon jetzt einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in Bayern. Wir müssen alle Instrumente der Qualifizierung und der Arbeitsmarktpolitik einsetzen. Wir rufen Sie auf: Handeln Sie mit uns zusammen.

Die SPD hat im aktuellen Doppelhaushalt – ich wiederhole: ohne Neuverschuldung – einen Schwerpunkt auf die Investitionen in Höhe von 440 Millionen Euro gelegt. Allein dadurch würde die Investitionsquote um 0,6 % steigen. Das wäre gut für die Menschen in Bayern.

(Beifall bei der SPD)

Mit Erstaunen haben wir die Finanzierungsvorschläge für „Zukunft Bayern 2020“ zur Kenntnis genommen. Die Kosten für die vier großen Investitionsblöcke werden dort mit einer Höhe zwischen sechs und acht Milliarden Euro

beziffert. Bei der Finanzierung – man lese und staune – ist von einem „höheren Wachstumspfad“ die Rede.

(Jürgen Dupper (SPD): Prinzip Hoffnung!)

Es ist auch von „Selbstfinanzierungseffekten“ die Rede. Man liest es und reibt sich die Augen: Ein der CSUStaatsregierung zuzurechnender Text anerkennt, dass es Alternativen zum Kürzen und zum Schrumpfen gibt, nämlich eine wachstumsorientierte Politik. Herr Dr. Stoiber, das ist in der Tat etwas Neues. Wir beglückwünschen Sie dazu, dass Sie die Makroökonomie entdeckt haben. Endlich erkennen auch Sie, dass staatliche Ausgaben einen Wachstumseffekt haben und dass dadurch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigt, sodass Einkommen und Arbeitsplätze entstehen und dadurch auch die staatlichen Steuereinnahmen steigen. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Erkenntnisfortschritt. Das ist wirklich neu an Henzler.

(Beifall bei der SPD)

Es ist doch überraschend, dass Sie spät, aber immerhin, zu gesamtwirtschaftlichen Betrachtungen in der Lage sind. Sie haben jahrelang eine Haushaltspolitik nach dem Prinzip des braven Hausvaters betrieben. Plötzlich – kaum, dass Sie Ihren Rücktritt angekündigt haben – weitet sich der Horizont. Wir sind dafür sehr dankbar.

Herr Dr. Stoiber, Sie haben aber mit Ihrer Politik zugelassen, dass Bayern beim Wirtschaftswachstum abgehängt wurde. Es stimmt nicht, dass wir um ein Prozent vor den anderen Ländern liegen, wie Sie letzte Woche in der Presse erzählt haben. Beim Wirtschaftswachstum hat Bayern im letzten Jahr Platz sechs auf der Wachstumstabelle belegt. Das ist Mittelmaß, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Aber Bayern-Verantwortlichen ist das Mittelmaß in der Tabelle inzwischen bekannt.

Die Zahlen, die im Gutachten vorgelegt werden, sind doch mehr Voodoo-Ökonomie als seriöse Makroökonomie. Das Gutachten geht bereits im Jahr 2009 von einem zusätzlichen Wachstumseffekt von 2,1 Milliarden Euro aus. Das ist mehr als erstaunlich. Eine Milliarde Euro, die zusätzlich eingesetzt wird, soll 2,1 Milliarden Euro Wachstum erzeugen. Wenn es so einfach wäre, wäre es schön.

Richtig ist, dass im Wirtschaftskreislauf ein Euro mehrfach ausgegeben wird. Der Multiplikator ist bekannt. Wir haben ihn vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung – DIW – errechnen lassen, als wir die negativen Effekte, die Ihr Nachtragshaushalt 2004 für Bayern bedeutet hat, ermitteln ließen. Danach hat Bayern einen Multiplikator von 1,4, liegt also deutlich unter den Zahlen, die Henzler anführt. Anders ausgedrückt: Der Finanzierungspfad, den Henzler vorschlägt, ist auf Sand gebaut.

Im Interesse der Menschen in Bayern können wir Ihnen nur dringend empfehlen: Schauen Sie sich diese Zahlen noch einmal nüchtern an. Auch wenn das nächste Jahr ein Wahljahr ist, müssen Sie solide rechnen. Rechnen Sie diese Zahlen nach und überarbeiten Sie diesen Teil. Nachdem Sie sich wieder von außen mit einem Gutachten munitionieren ließen, fordern wir Sie auf: Beginnen Sie, mit uns konstruktiv für die Zukunft dieses Landes zu arbeiten.

Herr Dr. Stoiber, die Zeit der Ankündigungen ist vorbei. Jetzt heißt es: Machen, machen, machen. Kommen Sie in die Puschen und arbeiten Sie.

(Lachen bei der CSU)

Herr Kollege Herrmann, wenn Sie sich mit Henzler von zentralen Lebenslügen der Politik verabschieden, die Sie bisher vertreten haben, ist das gut für die Menschen in Bayern. Wenn Sie sich unseren Konzepten annähern, ist das für die Menschen in Bayern noch besser.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben für den aktuellen Doppelhaushalt die richtigen Schwerpunkte für Bildung, für Kinder, für Investitionen und Arbeitsplätze vorgegeben. Unsere Konzepte liegen auf dem Tisch. Wir laden Sie ein: Machen Sie sich mit uns auf den Weg.

(Beifall bei der SPD – Thomas Kreuzer (CSU): Dann müssten wir ja rückwärts gehen!)

Nächster Redner: Herr Kollege Unterländer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon allein das Thema Ihrer Aktuellen Stunde ist falsch und greift ins Leere. Herr Kollege Dr. Beyer, Sie haben das noch einmal bestätigt. Wenn Sie sich die reale Situation im Freistaat Bayern auf dem Arbeitsmarkt, bei der wirtschaftlichen Entwicklung und hinsichtlich des gesellschaftlichen Klimas ansehen, müssen Sie zugeben, dass der Freistaat Bayern an der Spitze der Entwicklung der gesamten Bundesrepublik steht. Sie sollten keine fadenscheinige Mängelliste in den Mittelpunkt rücken.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Dr. Beyer, Sie haben die Haushaltspolitik, die von Nachhaltigkeit ohne Neuverschuldung gekennzeichnet ist, als altväterlich bezeichnet.