Antrag der Abg. Renate Dodell, Prof. Dr. Gerhard Waschler u. a. (CSU) Übertrittsverfahren an weiterführende Schulen verbessern (Drs. 15/7546)
Ich darf die Aussprache eröffnen. Hierzu wurde im Ältestenrat eine Redezeit von fünf Minuten pro Fraktion vereinbart. Als erstem Redner darf ich Herrn Prof. Dr. Waschler das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieser hochgezogene Prüfantrag ist in der Tat eine gute Gelegenheit, auch einer breiten Öffentlichkeit das Ziel des Antrags zu verdeutlichen. Wir wollen das Übertrittsverfahren verbessern. Wir wollen eine bessere Information der Eltern über die Durchlässigkeit des bayerischen Schulwesens, die Leistungs
fähigkeit der Hauptschulen, die hohe Qualität der berufl ichen Schulen, also alles das, was für eine Laufbahnentscheidung von Bedeutung ist, erreichen. Dazu gehört natürlich eine stärkere Kooperation aller am Übertritt Beteiligten, verbunden mit einer breiten und ausführlichen Information. Ich betone von meiner Seite: Den Eltern muss klar werden, dass das Gymnasium nicht der einzige Weg zur Hochschule sein kann und ist.
Des Weiteren geht es um die Zusammenführung von Zwischen- und Übertrittszeugnis. Dieser Vorschlag wird von der Praxis immer wieder an uns herangetragen. Er soll auf den Prüfstand gehoben werden. Ferner geht es um die Frage, ob ein verpfl ichtendes Elterngespräch hier einen weiteren Fortschritt bringen kann. Ebenso soll geprüft werden, ob der Probeunterricht generell als Grundlage für die Entscheidung geeignet ist. Die Erfahrungen sind hier durchaus unterschiedlich. Schließlich soll als letzter Punkt überprüft werden, ob eine frühere Korrektur einer vielleicht fehlerhaften Schullaufbahnentscheidung erreicht werden kann. Auch das ist im Prüfantrag an die Staatsregierung enthalten.
Damit kann ich schon zum Fazit kommen. Wir haben uns im Bildungsausschuss klar darauf verständigt, dass der Antrag eine Zielrichtung hat, bei der wir in allen Punkten sehr diskussionsfähig sind. Das Wohl des Kindes steht im Vordergrund. Das Fazit ist, dass wir die Absicht haben, den Druck zu mildern, der auf den Kindern in der Grundschule lastet. Es gilt, die Talente und die Begabungen zu fördern. Wenn die Opposition das Übertrittszeugnis insgesamt abschaffen will und die Entscheidung generell dem Elternwillen überlassen möchte, kann man nur sagen: In den Ländern, in denen das geschehen ist, war das mit Sicherheit nicht zum Wohl der Kinder. Sehr viele negative Erfahrungen wurden gemacht. Oft kam es zu Überforderungen der Kinder; vielfach wurde die falsche Richtung eingeschlagen. Das sollte mit Blick auf das Wohl des Kindes tunlichst vermieden werden. Die Talente sind eben unterschiedlich.
Frau Kollegin Werner-Muggendorfer, hören Sie doch wenigstens zu. Die Kinder sollen sich in diejenige Richtung orientieren können, in der ihre Talente und Fähigkeiten liegen. Der Antrag ist ein Prüfantrag, und ich betone noch einmal: Wir werden nach dem Vorliegen des Ergebnisses sehr breit und intensiv diskutieren.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben sich vielleicht darüber gewundert, dass die SPD-Fraktion den vorliegenden Antrag hochgezogen hat. Herr Waschler, zu Ihrer Darstel
lung, dass das Ziel des Antrags eine Prüfung sei, über deren Ergebnis Sie sehr offen diskutieren wollen, kann ich nur sagen: In der Sache gibt es nichts mehr zu prüfen.
Am Wochenende haben Sie versucht, die Hauptschulen zu retten; jetzt versuchen Sie, das Übertrittsverfahren zu ändern und zu retten. Das wird Ihnen nicht gelingen. Es ist einfach nicht mehr zu retten, weil es keinen Sinn mehr macht.
Sie sollten nur Folgendes tun: Sie sollten endlich die Vorstellung aufgeben, dass man Kinder mit zehn Jahren in irgendwelche Schubladen sortieren kann, um ihnen eine Schullaufbahn zuweisen zu können.
Sie sollten auch endlich davon Abstand nehmen – auch das drücken Sie in Ihrem Antrag aus –, den Eltern das Problem in die Schuhe zu schieben. Sie sind verantwortlich für die Schulpolitik, und Sie sind auch verantwortlich für das System Schule, wie es derzeit funktioniert.
Sie haben die Baustellen zu verantworten, und Sie haben zu verantworten, wenn man Kinder nach der vierten Klasse mit einem Übertrittszeugnis in eine weiterführende Schule schickt. Sie sind auch dafür verantwortlich, wenn die Schule immer mehr nach Hause verlagert wird.
Das Hauptproblem neben der viel zu frühen Entscheidung ist doch, dass Sie in den Schulen eine immer größere soziale Auslese betreiben. Die soziale Risikogruppe kann man aus den Statistiken des Bildungsberichts ersehen, das sind die Migrantenkinder. Es sind die sozial schwachen Familien, die mit dieser Entwicklung nicht mehr zurechtkommen. Es sind die Übertrittsempfehlungen in der vierten Klasse, die diese Kinder benachteiligen.
Die Tochter einer türkischen Putzfrau hat es trotz guter Leistungen deutlich schwerer, eine Gymnasiumsempfehlung zu bekommen, als der Sohn eines Chefarztes, der eine mittlere Schulleistung bringt. Das wissen Sie doch auch, das haben Ihnen doch die Wissenschaftler, das hat Ihnen die Iglu-Studie bestätigt. Eine gerechte Notengebung ist an den Schulen nicht vorhanden. Hinzu kommt, dass überhaupt keine Prognosesicherheit gegeben ist.
Es ist ein Mythos, ein absoluter Mythos, dass die Prognose in der vierten Klasse die richtige Prognose wäre. Die Treffsicherheit ist sehr gering. Es ist deshalb nicht zu empfehlen, das System immer weiter zu verfeinern und die Auslese noch stärker zu steuern. Die einzige Lösungsmöglichkeit besteht darin, dass Sie dieses Übertrittsverfahren fallen lassen. Sie müssen dieses Verfahren abschaffen.
Im Antrag bitten Sie die Staatsregierung, zu prüfen. Es ist ein Prüfantrag, wie man die Lehrer, die Eltern und die Schüler besser auf das Übertrittsverfahren vorbereitet. Es wird vorgeschlagen, dass man alle besser über alternative Schullaufbahnen und über die Bedeutung der Hauptschule informiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, daran glauben Sie doch selber nicht, dass das Kultusministerium auch nur irgendeine Hochglanzbroschüre vergessen hätte, die aufzeigt, wie die Schullaufbahnen in Bayern funktionieren.
Die Eltern und die Lehrer wissen doch sehr genau, welche Schullaufbahnen in Bayern vorhanden sind. Sie wollen sie aber nicht akzeptieren, weil diese für sie keine wirklichen Alternativen darstellen. Sie schlagen in Ihrem Antrag des Weiteren vor, es soll geprüft werden, ob die aufnehmende Schule am Ende der fünften Klasse die Empfehlung wieder korrigiert. Das heißt aber nichts anderes, als dass die Schule prüfen möge, ob der Schüler auch zu ihr passt. Das ist doch Humbug. Es ist nichts anderes als eine zweite Ausleserunde nach der fünften Klasse. Nach der fünften Klasse, wohlgemerkt!
Damit produzieren Sie den Übertrittsdruck nicht nur in der vierten Klasse, sondern auch in der fünften Klasse der Realschule und des Gymnasiums.
Meine Damen und Herren, ich frage mich an dieser Stelle wirklich, ob wir all das unseren Kindern zumuten müssen, ob das der Sinn der Schule ist.
Am Schluss darf ich noch auf einen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 19. März 2007 mit der Überschrift: „Wenn Angst auf der Kinderseele lastet“ hin
weisen. Der Schulpsychologe Hans-Jürgen Tölle sieht die Ursachen jugendlicher Schwermut im gesellschaftlichen Umbruch und im Bildungssystem. Er sagt: „Unser Schulsystem ist nicht fördernd. Die frühe Selektion und zu hören, dass man nichts kann und nichts taugt, führt zu einem verminderten Selbstwertgefühl.“ – Meine Damen und Herren, ich glaube, das müssen wir unseren Kindern nicht antun. Wir appellieren deshalb noch einmal an Sie: Stampfen Sie diesen Antrag bitte ein! Es muss hier überhaupt nichts mehr geprüft werden. Lassen Sie das Übertrittsverfahren einfach fallen. Entscheiden Sie sich für einen anderen Weg!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir eine Anmerkung zum Trend in der CSU, wie er zumindest im Bildungsausschuss zum Ausdruck kommt, Prüfanträge zu stellen. Was sind Sie denn für Hasenfüße? Haben Sie selbst keine Meinung?
Ich muss schon fragen: Haben Sie selbst keine Meinung, haben Sie keine Mitarbeiter, die Ihnen helfen, sich selbst eine Meinung zu bilden, was der richtige Weg für Bayern ist? Warum müssen Sie die Staatsregierung in einem Antrag zu einer Prüfung auffordern? – Sie kennen doch Herrn Schneider, er war unser Ausschussvorsitzender. Sie können ihm das doch ganz einfach sagen. Fakt ist vielmehr, dass Sie mit diesem Antrag der Öffentlichkeit ein bisschen Aktivität vortäuschen wollen.
In Wirklichkeit aber passiert recht wenig. Ich möchte es einmal so sagen: Die Bildungspolitiker in der CSU sind kraftlos.