Ich denke, dass mit diesem Kompromiss zumindest die ersten Schritte eines richtigen Lösungsweges bewerkstelligt werden konnten. Die Beibehaltung der Pfl egeversicherung als eigenständiger Zweig in der Sozialversicherung halte ich für einen großen Erfolg, der zwar jetzt als Selbstverständlichkeit angesehen wird, aber es in der Tat nicht gewesen ist. Es gab Überlegungen, die Pfl egeversicherung in die Krankenversicherung einzubeziehen. Es gab Überlegungen, überhaupt aus dem System wieder herauszugehen. Gott sei Dank konnte dies verhindert werden. Wir brauchen diese Pfl egeversicherung auch in Zukunft.
Darüber hinaus wurde ein Skandal, der sich über die letzten 15 Jahre entwickelt hat, endlich beseitigt. Die an Altersdemenz erkrankten und pfl egebedürftigen Personen waren in dieser Zeit nämlich aufgrund ihrer Demenz nicht in die Leistungen der Pfl egeversicherung einbezogen. Wer die Probleme bei der Betreuung und Begleitung von an Altersdemenz erkrankten pfl egebedürftigen Personen kennt, musste die Tatsache, dass für diese Menschen keine Leistungen aus der Pfl egeversicherung gewährt wurden, als großen sozialpolitischen Skandal betrachten. Ich kann das im Moment persönlich nachvollziehen. Dieser sozialpolitische Skandal ist Gott sei Dank mit diesem Ansatz beseitigt worden.
Die Anhebung der Pfl egeleistungen war ebenfalls längst überfällig; denn seit der Einführung waren die Beträge eingefroren. Wer weiß, wie teuer die Leistungen geworden sind, kann ermessen, wie notwendig diese Anhebung war. Zu begrüßen ist auch, dass die Dynamisierung der Leistungen insgesamt über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg als Notwendigkeit angesehen wird. Der Fehler aus der Vergangenheit, in der eine ständige Festschreibung vorgenommen wurde, wird damit beseitigt.
Die Qualität in der Pfl ege – gerade in der stationären Pfl ege – hat dieses Haus immer wieder beschäftigt, weil es aufgrund der personellen Situation, aufgrund von Managementproblemen und wegen sonstiger Rahmenbedingungen gerade in der Pfl ege immer wieder zu Fehlentwicklungen gekommen ist. Deshalb ist es uns ein besonderes Anliegen, dass die Qualitätssicherung in der Pfl ege einen hohen Stellenwert hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die gesetzliche Pfl egeversicherung hat gegenwärtig nach wie vor einen großen Konstruktionsfehler. Dieser Konstruktionsfehler ist darin begründet, dass Einrichtungen nicht belohnt werden, wenn sie in der Rehabilitation Leistungen erbringen, die zu einem Abnehmen der Pfl egebedürftigkeit führen, sodass pfl egebedürftige Menschen wieder selbstständiger leben können. Stattdessen wird die Pfl egestufe niedriger, und der Kostenanreiz ist nicht mehr gegeben. In Zukunft wird es erfreulicherweise besser werden. Dann wird ein einmaliger Geldbetrag in Höhe von einheitlich 1536 Euro – das ist die Differenz zwischen den Leistungsbeträgen der Pfl egestufe II und der Pfl egestufe I – gewährt. Aus meiner Sicht ist das ein großer Sprung.
Begrüßenswert sind auch die Anlaufstellen, die für rund 20 000 Einwohner in unserem Land zur Annahme der Pfl egebedürftigen und ihrer Belange geschaffen werden und ein personenbezogenes Case-Management ermöglichen sollen. Es war dringend notwendig, dass analog zur Elternzeit die Pfl egezeit eingeführt worden ist. Dabei sind insbesondere die Belange der kleinen Betriebe berücksichtigt worden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, anders als bei der Gesundheitsreform ist es hier gelungen, in der Qualität und beim Inhalt echte Fortschritte zu erreichen. Das gegenseitige Belauern unterschiedlicher, nicht kompatibler Systeme stand nicht im Vordergrund. Diese Situation war ursächlich dafür, dass es nicht zum Kapitalstock gekommen ist. Für die Verbesserung der Pfl egeleistungen war dies jedoch ein echter Fortschritt. Durch die Verlagerung der Beitragsentlastung in die Arbeitslosenversicherung wurde sichergestellt, dass die Beitragssatzstabilität trotz der Anhebung des Pfl egeversicherungsbeitrags um 0,25 % sichergestellt werden konnte. Aus meiner Sicht ist diese Verschiebung ein richtiger Weg, den ich im Rahmen des Gesamtkonzepts als notwendig ansehe. Die Situation für die Rentner wird durch eine stärkere Anhebung der Altersbezüge weitgehend aufgefangen werden.
Kolleginnen und Kollegen, der Bayerische Landtag hat sich wiederholt mit der Reform der Pfl egeversicherung auseinandergesetzt und Beschlüsse zum Beispiel zur Stärkung der Prävention und der Rehabilitation oder zur Durchlässigkeit zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Angeboten gefasst. Diese Beschlüsse haben ihren Niederschlag in den Ergebnissen dieser Reform gefunden. Ich denke, dass unsere inhaltliche Auseinandersetzung im Ausschuss sehr positiv zu werten ist. Meine Damen und Herren, ich habe am Anfang gesagt, dass es eine Notwendigkeit gibt, diesen Diskussionsprozess um die Reform auch in den nächsten Jahren weiterzuführen, trotz der erzielten Erfolge. Ich möchte abschließend noch einmal vier entscheidende Punkte zusammenfassen:
Zweitens. Die Tauglichkeit des Rehabilitationssystems, das vereinbart worden ist, muss überprüft werden.
Drittens. Wir müssen überlegen, ob wir eine Pfl egestufe 0 und eine stärkere Differenzierung in den Pfl egestufen brauchen.
Viertens. Wir müssen als Landesgesetzgeber – das gilt in gleicher Weise für die Staatsregierung – die Kompatibilität dieser Reform mit einem noch zu schaffenden neuen Heimrecht herstellen und die Notwendigkeiten überprüfen.
Kolleginnen und Kollegen, der Ansatz einer Bürgerversicherung und die bei anderen Plänen drohende Zerstörung der privaten Pfl egeversicherung ist mit der CSU nicht zu machen. Deswegen können wir dem Ansatz, der in Ihrem nachgezogenen Dringlichkeitsantrag enthalten ist, nicht zustimmen.
Wir benötigen die Maßnahmen, die im Koalitionsbeschluss stehen. Die von mir defi nierten darüber hinausgehenden Maßnahmen sind ein Erfolg für die pfl egebedürftigen Menschen und die Einrichtungen. Ich bitte Sie um Unterstützung dieses Weges und um Zustimmung zu unserem Dringlichkeitsantrag.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Unterländer, Sie haben sehr vollmundig über die Ergebnisse gesprochen. Ich würde es ein bisschen kleiner halten. Bevor ich dazu komme, möchte ich aber am Sinn Ihres Antrags zweifeln. Ihre Kollegin, Frau Scharf-Gerlspeck, hat heute Morgen gefragt, warum wir uns in einem Antrag mit dem Mindestlohn beschäftigen. Dieser Antrag der SPD-Fraktion ist vor der Vereinbarung vom letzten Wochenende gestellt worden. Mit dem Antrag, den Sie jetzt stellen, wird letzten Endes nur das wiederholt oder wiedergekäut, was die Koalition am Wochenende vereinbart hat. Ich weiß nicht, was Sie jetzt beabsichtigen. Sollen wir die Koalitionsverhandlungen wiederholen? Ich fürchte, dazu fehlt uns die Zeit, vielleicht auch ein bisschen der Sachverstand, aber wir haben heute die Ministerin hier.
Meine Damen und Herren, bei allem Spott über diesen Antrag möchte ich doch eine Gemeinsamkeit hervorheben. Man sollte die Reform, die am Wochenende beschlossen worden ist – sie muss erst noch in ein Gesetz gegossen werden –, nicht kleinreden. Viele Menschen, vor allem die Menschen, die auf die Leistungen angewiesen sind, sehen darin einen Hoffnungsschimmer. Es
ist nicht der große Erfolg, der war auch nicht zu erwarten; es gibt aber in vielen Lebenslagen pfl egebedürftiger oder auch behinderter Menschen spürbare Verbesserungen. Das sollten wir auch nicht gering schätzen.
Ich muss aber noch einmal auf den Sinn dieses Antrags zurückkommen. Die CSU verfährt in diesem Haus immer nach dem gleichen Muster. Wenn es unangenehm wird, zeigt sie immer nach dem Motto „Tut einmal etwas“ nach Berlin. Damit verdeckt sie aber, dass sie selbst nicht bereit ist, sich zu bewegen.
Wir haben es kürzlich mit dem famosen Betreuungsgeld erlebt. Die CSU hat von Berlin ein Betreuungsgeld gefordert, gleichzeitig hat sie aber hier in München das Landeserziehungsgeld gekürzt. Das ist CSU-Politik, und das erleben wir leider auch bei der Pfl ege.
Herr Kollege Unterländer, es wäre schön, wenn wir uns heute über die Grundzüge eines neuen Heimgesetzes unterhalten könnten und wenn die Staatsregierung dazu mehr aussagen würde als Sie in Ihren sehr dürftigen Eckpunkten eines neuen Heimgesetzes. Wenn wir schon die Zuständigkeit dafür auf Landesebene haben, sollten wir auch die Chance nutzen, ordnungspolitisch etwas auf den Weg zu bringen, das besser ist als das bisherige Heimrecht. Davon ist aber weit und breit nichts zu sehen.
Herr Kollege Wahnschaffe, können Sie mir erklären, warum Sie immer über die Kürzung des Landeserziehungsgeldes sprechen, wenn Sie es selber abschaffen wollen?
Joachim Wahnschaffe (SPD) (vom Redner nicht au- torisiert): Ja natürlich! Wir wollen dieses Geld gezielt einsetzen. Das wissen Sie ganz genau. Bei Ihnen verschwindet es im Haushalt. Das ist der Unterschied.
Lassen Sie uns aber über die Pfl ege hier in Bayern reden. Ich hätte mir erhofft, dass wir über das neue Heimrecht reden. Ich hätte mir erhofft, dass die Staatsregierung vor dem Hintergrund sprudelnder Steuereinnahmen erklärt, dass sie die Streichung der Investitionsförderung für stationäre Pfl ege zurücknimmt. Ich hätte mir erhofft, dass die Frau Staatsministerin zum Erhalt der Fachkraftquote nicht nur hier, sondern dort, wo es angezeigt ist, ein klares Wort sagt. Ich hätte mir erhofft, dass Sie die Ausbildung in der Altenpfl ege verbessern und dass mit Blick auf die Zukunft die Ausbildung junger Menschen nicht mehr deshalb verhindert wird, weil es an Ausbildungsstellen fehlt. Sie wissen alle, dass es bei der Ausbildung ein Problem gibt, das zu lösen Sie nicht bereit sind. Sie haben bisher nicht erklärt, dass Sie bei der Heimaufsicht zu Verbesserungen bereit sind. Stattdessen schlagen Sie neuerdings vor, dass die ambulante und die stationäre Pfl ege bei den
kommunalen Gebietskörperschaften angesiedelt werden soll. Damit ist der Interessenkonfl ikt nicht nur vorprogrammiert, sondern er wird sogar noch verstärkt.
Meine Damen und Herren, kommen wir zum Gegenstand der Vereinbarung des letzten Wochenendes zurück. Wir müssen registrieren – Herr Kollege Unterländer, darüber sind Sie hinweggegangen –, dass die Konstruktion dieses Gesetzes zur sozialen Pfl egeversicherung einen gravierenden Geburtsfehler hat. Sie haben festgelegt, dass sowohl auf der Beitragsseite als auch auf der Leistungsseite nichts ohne den Gesetzgeber geht. Der Gesetzgeber entscheidet also über Beitragserhöhungen. Er entscheidet darüber, ob es bei den Leistungen Ausweitungen oder gar Kürzungen gibt. Das hat dazu geführt, dass sich aus politischen Gründen seit Einführung der sozialen Pfl egeversicherung praktisch nichts verändert hat. De facto ist es zu einer Leistungskürzung von mehr als 13 % gekommen. Gestern gab es im Deutschen Bundestag eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema. Ich glaube, die schlimmste Botschaft, die wir den Pfl egebedürftigen geben mussten, war: Ihr bekommt nicht mehr das, was wir ursprünglich einmal für euch vorgesehen haben.
Insofern ist das, was jetzt am Sonntag beschlossen worden ist, ein Fortschritt. Es ist deswegen ein Fortschritt, weil wir hier auf Ihren Antrag eine unsinnige Diskussion mit einer Anhörung über das Thema „Ambulant vor Stationär“ geführt haben. Sie wissen alle, und die Fachleute haben es uns bestätigt, dass wir sowohl ambulant als auch stationär brauchen. Wir brauchen aber das Selbstbestimmungsrecht der Menschen, die pfl egebedürftig werden. Sie selbst sollen entscheiden können, ob sie das eine oder das andere wollen.
Frau Staatsministerin, nicht nur bei der Kinderbetreuung, sondern auch bei der Pfl ege brauchen wir das echte Wahlrecht.
Was aber haben Sie gemacht? Sie haben in Ihrem Ausführungsgesetz zum Sozialgesetzbuch nicht nur den Zuschuss des Freistaates Bayern für stationäre Einrichtungen gestrichen. Sie haben auch die volle Verantwortung für den Erhalt und den Ausbau der ambulanten Einrichtungen auf die Kommunen abgewälzt. Das nenne ich verantwortungslos.
Die Letztverantwortung auf diesem Gebiet – so steht es auch im SGB – tragen die Länder. Sie entziehen sich dieser Verantwortung. Deswegen ist das, was auf Bundesebene beschlossen worden ist, im materiellen Sinne ein großer Schritt nach vorne. Dazu gehört aber auch, dass die Infrastruktur hier in Bayern verbessert wird, und das bedarf der Mitwirkung des Freistaates und der Kommunen.
Meine Damen und Herren, ich möchte nur noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, den wir hier auch schon einmal abgehandelt haben. Herr Kollege Unterländer, Sie haben dazu sehr kryptisch geredet. In Ihrem Antrag heißt
es sehr schön, dass Sie einen zugriffsfesten Kapitalstock wollen. Vor wessen Zugriff wollen Sie den Kapitalstock bewahren? – Das wäre interessant, denn das haben Sie nicht ausgeführt.
Dann haben Sie eben noch gesagt, Sie wollen einen generationengerechten Kapitalstock. Was ist denn das bitte schön? Das müssen Sie uns schon erklären.
Wenn Sie sich der Mühe unterziehen, das famose Finanzierungskonzept, das Frau Stewens vor einiger Zeit vorgestellt hat, weiter zu verfolgen, sollten Sie eigentlich erst einmal für Klarheit im eigenen Hause sorgen. Ein maßgeblicher Vertreter Ihrer Partei, der übrigens am Pfl egekompromiss auf Bundesebene auch beteiligt war, Herr Seehofer, hat beim VdK sehr klar und deutlich gesagt, dass er von Ihrem Vorschlag überhaupt nichts hält. Deshalb müssten Sie jetzt einmal sagen, was Sie wollen. Gilt das, was Herr Seehofer sagt, oder gilt das, was Frau Stewens sagt? Im Augenblick habe ich den Eindruck, dass keiner so recht weiß, was gelten soll, denn sie warten alle auf einen neuen Ministerpräsidenten. Der schweigt aber beharrlich. Es wäre wünschenswert, wenn wir auch in Bayern in dieser Frage vorankommen.
Aber, Herr Kollege Unterländer, so grau, wie der Himmel heute ist, ist das Ganze in Wirklichkeit nicht. Ich will einmal aus dem Nähkästchen plaudern.
Ich sage doch, die Aussichten, in der Pfl ege zu Kompromissen zu kommen, sind so schlecht nicht. Wir haben diese Fragen im sozialpolitischen Ausschuss – es wäre schön, wenn dies Konsens im gesamten Landtag wäre – oft diskutiert und ein hohes Maß an Übereinstimmung festgestellt. Nur würde ich mir wünschen, dass Ihr Einfl uss so weit reicht, dass sich diese Erkenntnisse auch beim Sozialministerium einnisten und sich in praktischen Vorschlägen und vielleicht sogar in einem Gesetz niederschlagen, das wir alle – ich glaube, die Menschen haben es verdient – gemeinsam verabschieden könnten. Das wäre unser Wunsch. Aber dann muss Substanz hinein, dann muss Verbesserung hinein.
Es kann nicht so gehen, wie Sie es in den letzten Jahren immer gemacht haben, erst kommt der Haushalt und dann kommt der Mensch. Bei uns ist es umgekehrt: Erst kommt der pfl egebedürftige Mensch und dann die Haushaltssanierung, Herr Kollege Ach.