Protokoll der Sitzung vom 04.07.2007

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 98. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich einige Glückwünsche aussprechen. Einen runden Geburtstag feierte am 02. Juli 2007 Herr Kollege Prof. Dr. Gerhard Waschler. Jeweils einen halbrunden Geburtstag feierten am 27. Juni 2007 Frau Kollegin Monica Lochner-Fischer und am 02. Juli Frau Kollegin Monika Hohlmeier. Heute feiern die Kollegin Kathrin Sonnenholzner und der Kollege Hans Herold ihren Geburtstag. Ihnen allen wünsche ich im Namen des Hohen Hauses und auch persönlich alles Gute.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde beantragt zum Thema „Stillstand schadet Bayern – Mittelstandsförderungsgesetz jetzt!“.

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner – ich sage das auch für unsere Besucherinnen und Besucher – grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält eines ihrer Mitglieder zehn Minuten Redezeit; dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält eine Fraktion auf Antrag für eines ihrer Mitglieder zusätzlich fünf Minuten Redezeit.

Erster Redner: Herr Kollege Dr. Runge.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wir sind besorgt. Die Bayerische Staatsregierung ist nicht handlungsfähig. Sie ist geschlossen nicht anwesend – jetzt kommt ein Vertreter. Die Staatsregierung ist nicht handlungsfähig und nicht handlungswillig. Für die Mehrheitsfraktion gilt das gleiche. Auch Sie, meine Herren hier vorne kommen in wichtigen Angelegenheiten nicht zu Potte, wollen wichtige Punkte nicht voranbringen.

In der letzten Regierungserklärung war das Thema Europa gewählt. „Impulse aus Bayern für Europa“. Wir haben das dann pointiert. Die GRÜNEN haben gesagt: Zu Hause bringen Staatsregierung und die CSU nichts fertig, aber Europa wollen sie bewegen. – Ganz famos!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt geht es aber nicht um Pointierung oder Glossierung, sondern darum, um unserer ernsten Sorge Ausdruck zu verleihen.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): In tiefer Sorge!)

Die Defi zite bei der Bildungspolitik wirken sich bereits jetzt aus. Einerseits hat Bayern eine sehr niedrige Abiturientenquote. Andererseits hat Bayern Mangel an Ingenieuren. In Bayern gibt es viel zu viele Schulabbrecher. Gleichzeitig gibt es einen Mangel an Facharbeitern. Von Bildungsgerechtigkeit in Bayern kann schon gar nicht die Rede sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als weiteres Beispiel, das die Saumseligkeit der Staatsregierung und der CSU-Fraktion belegt, greife ich die Verjährung von Kapitalanlagebetrug heraus. Staatsminister Dr. Beckstein hat sich dazu verstiegen und in einer Presseerklärung behauptet: Starkes Signal für effektiven Verbraucherschutz – Bayern erhöht den Verfolgungsdruck. Das war ein Witz. – Sie haben jahrelang geschlafen

(Beifall bei den GRÜNEN)

und zugelassen, dass die viel zu kurze Verjährungsfrist nach dem Bayerischen Pressegesetz den Kapitalanlagebetrügern hilft. Sie haben gewaltigen Schaden zu verantworten. Zusätzlich spricht der Innenminister und vermeintlich mögliche Ministerpräsident von einem starken Signal, obwohl Bayern das allerletzte Bundesland war, das etwas getan hat.

Ich komme zu dem Drama, das Sie zum Mittelstandsförderungsgesetz veranstaltet haben. Herr Kollege Pschierer, das dürfte vor allem Sie interessieren, weil Sie Vorsitzender des zuständigen Ausschusses sind. Wir wissen alle, dass das Mittelstandsförderungsgesetz die Basis der Mittelstandspolitik in Bayern ist. Es hat viele gute Elemente. Es hat sich auch bewährt. Wir wissen aber auch eines: Es ist seit seiner Verabschiedung 1974 nahezu unverändert.

(Franz Josef Pschierer (CSU): Weil es so gut ist!)

Nein, Ihre Leute sagen das nicht.

Immer wieder gab es Ankündigungen seitens der Staatsregierung und der CSU-Fraktion. Nachdem nichts passierte, machten sich die GRÜNEN die Mühe und brachten 2002 einen Gesetzentwurf ein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es sollte etwas Bewegung in die Angelegenheit kommen.

Wir wollten für mehr Transparenz sorgen. Wir wollten für die Evaluierung der Wirtschaftsförderung sorgen. Enthalten waren Regelungen zur Erleichterung von Betriebsübernahmen, Existenzgründungen und gegen die Benachteiligung in Sachen Forschungsförderung, Finanzierung und vieles mehr der Klein- und Mittelunternehmen gegenüber den Großunternehmen. Im Gesetzentwurf war auch eine genauer gefasste Subsidiaritätsklausel enthalten.

Was ist passiert? – Wie nicht anders zu erwarten, sind dieser Gesetzentwurf und die nachgereichten Änderungsanträge der SPD-Fraktion wie in vielen Fällen kleingeredet und abgelehnt worden. Es gab eine Schamfrist von ungefähr einem Jahr, nach der die Bayerische Staatsregierung ihren Gesetzentwurf präsentiert hat, der erfreulicherweise die wesentlichen Bestandteile unseres Gesetzentwurfes enthalten hat. Mit diesem Gesetzentwurf ging Minister Wiesheu zu den Verbänden, ließ sich feiern und brüstete sich wegen des Gesetzentwurfs. Nicht gesagt hat er, dass der Gesetzentwurf den Landtag nie gesehen hat. Das heißt, es fand nicht einmal eine Erste Lesung statt, weil es im Kabinett einen erbitterten Streit zwischen den Ministern Wiesheu und Beckstein über die Inhalte des Gesetzentwurfs gegeben hat. Der neue Wirtschaftsminister hat im Frühjahr 2006 seinen Gesetzentwurf präsentiert. Eigentlich war vorgesehen, den Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause 2006 in Zweiter Lesung zu beraten. Die GRÜNEN wollten aber zuvor die Beteiligten hören. Deshalb gab es auf Antrag der GRÜNEN eine Anhörung mit den Verbänden der Wirtschaft und den kommunalen Spitzenverbänden. Dann ging wieder nichts weiter.

(Zuruf der Abgeordneten Margarete Bause (GRÜNE))

Wir sagen: Die Verzögerungen sind umso erstaunlicher, als mit Beginn des Jahres 2000 zahlreiche Kabinettsmitglieder, allen voran der „Noch-Ministerpräsident“ immer wieder das Gesetzesvorhaben angekündigt und dessen Dringlichkeit betont haben. Ich darf, Herr Pschierer, aus der Pressemeldung 101 vom 14.03.2006 zitieren: „Das Kabinett beschloss in seiner heutigen Sitzung einen Gesetzentwurf für ein neues, umfassend modernisiertes Mittelstandsförderungsgesetz.“ In der gleichen Presseerklärung erklärt Erwin Huber, er erwarte von dem neuen Gesetz und den darin verankerten Maßnahmen eine positive Signalwirkung für die kleinen und mittleren Unternehmen in Bayern. Im Wirtschaftsausschuss hat Herr Huber ebenfalls gesagt, er bitte den Landtag, diese Novelle im Herbst zügig zu beraten. Er meinte damit aber nicht den Herbst dieses, nächsten oder übernächsten Jahres, sondern eigentlich den Herbst 2006.

Im Gesetzentwurf von 2003 heißt es: „Um den Standort bereit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen und die Rahmenbedingungen gerade für den Mittelstand weiter zu verbessern, sind weitere Anstrengungen unabdingbar.“ Das war im Jahr 2003.

Wir haben jetzt leider keine Zeit, die Inhalte zu diskutieren. Ich würde gerne über die Subsidiaritätsklausel reden, über die drittschützende Wirkung oder darüber, ob das öffentliche Vergaberecht für alle öffentlichen Unternehmen gelten soll, egal in welcher Rechtsform diese auftreten. Dazu haben wir heute leider nicht die Zeit. Uns geht es darum, dafür zu sorgen, dass endlich etwas weitergeht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren auf der immer noch spärlich besetzten Regierungsbank – Herr Minister Sinner, grüß Gott! – und Sie von der CSU

Fraktion, zu Ihrer Verteidigung erklären, der Gesetzentwurf liege jetzt im Landtag, dann ist das eine schlechte Ausrede. Wir wissen zum einen um die Mehrheitsverhältnisse hier im Hohen Haus,

(Peter Welnhofer (CSU): Tatsächlich, jetzt auf einmal!)

und zum anderen wissen wir um die Durchführungsmöglichkeiten. Denn es ist allen bekannt, Herr Pschierer, dass in Ihrer Fraktion jetzt auch ein Stellvertreterkrieg tobt. Das ist der gleiche Krieg, wie er im Jahre 2003 im Kabinett stattgefunden hat. Und vor allem wissen wir, wie lange die Bayerische Staatsregierung in Sachen Mittelstandsförderungsgesetz schon herumdilettiert. Anders kann man das gar nicht nennen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich habe eine ganze Liste von Zitaten, da sich mehr als das halbe Kabinett zu diesem Gesetzesvorhaben geäußert hat. Ich werde nur einiges weniges herausgreifen. Herr Schnappauf ist bekanntlich krank. Von dieser Stelle aus meine besten Wünsche zur Gesundung. Ich werde Ihn hier also nicht zitieren.

Erwin Huber spricht am 12. September 2001 auf dem Zukunftskongress vom neuen mittelstandspolitischen Aktionsprogramm, das derzeit in enger Abstimmung mit der Wirtschaft erarbeitet werde.

Ein anderes Zitat: „Ich erarbeite daher zusammen mit der Wirtschaft ein mittelstandspolitisches Aktionsprogramm.“ So Wiesheu am 18.10.2001 auf dem Tag der Selbstständigen.

Und dann wurde Ministerpräsident Stoiber der Ehrenring des Bayerischen Handwerks in Nürnberg verliehen, und da hat auch er die Erarbeitung dieses Programms und des Gesetzes angekündigt. Die Verleihung des Ehrenrings – mein mittelfränkischer Kollege Beyer weiß das viel besser als ich – fand am 24. Oktober 2001 statt.

Fazit: Immer wieder ist man auf dieses Gesetz zu sprechen gekommen. Und dazu muss man eines feststellen: Die Novelle des neuen Mittelstandsförderungsgesetzes ist der Kern des angekündigten Aktionsprogramms, welches, wie gesagt, von nahezu allen Kabinettsmitgliedern seit dem Jahr 2000 angekündigt wird. Und jetzt haben wir Mitte 2007.

(Zurufe von der CSU)

Es gab aber immerhin Bemühungen. Ich komme jetzt noch einmal auf den Gesetzentwurf der Staatsregierung aus dem ersten Halbjahr 2003 zurück. Dieser Gesetzentwurf hat, wie gesagt, nicht einmal die Erste Lesung im Hohen Hause erreicht. Gleichwohl hat das die Staatsregierung nicht davon abgehalten, sich mit diesem Gesetzentwurf zu brüsten und damit anzugeben. Ich habe das selbst in mehreren Veranstaltungen erlebt. Einmal zum Beispiel bei den Freien Berufen. Dort hat Wiesheu mit

diesem Entwurf angegeben. Dennoch ist dieser Entwurf dann in der hintersten Schublade verschwunden.

Eines ist interessant an diesem Gesetzentwurf, den Sie Sich noch einmal ansehen sollten, Herr Pschierer. Wir teilen die Auffassung, dass dieser Entwurf wesentlich besser war als derjenige, den Minister Huber dann im Jahr 2006 präsentiert hat. In diesem früheren Entwurf ist in der Begründung davon die Rede, dass es unabdingbar sei, dass es vorangeht. Das war vor gut vier Jahren. So unabdingbar scheint das Ganze dann aber doch nicht gewesen zu sein.

Wir haben diese Aktuelle Stunde heute beantragt und haben auch noch einen Dringlichkeitsantrag zu diesem Thema eingebracht, um Sie dazu zu bringen und Ihnen die Chance zu geben, sich endlich zu bewegen. Wir wollen, dass etwas vorangeht. Das Mittelstandsförderungsgesetz muss für die bayerischen Bürgerinnen und Bürger kommen, wie wir selbstverständlich auch bei vielen anderen Themen wollen, dass sich etwas bewegt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen bitte ich um freundliche Beachtung unseres Dringlichkeitsantrags.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächster Redner: Herr Kollege Pschierer.

(Otto Zeitler (CSU): Das kann nur besser werden!)

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dr. Runge, zunächst ein Wort zum Thema der Aktuellen Stunde: „Stillstand schadet Bayern – Mittelstandsförderungsgesetz jetzt!“ Mit diesem Titel erwecken Sie einen Eindruck, der einfach nicht stimmt. In diesem Land gibt es unabhängig vom Fortgang der Beratungen zum Mittelstandsförderungsgesetz keinen Stillstand.