Protokoll der Sitzung vom 17.07.2012

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die 106. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch einige Geburtstagsglückwünsche aussprechen. Am 9. Juli feierten Herr Kollege Dr. Hans Jürgen Fahn und Herr Kollege Oliver Jörg einen runden Geburtstag. Am 12. Juli feierte der Kollege und ehemalige Staatsminister Josef Miller einen halbrunden Geburtstag, und heute hat Herr Kollege Walter Nadler Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg für Ihre parlamentarische Arbeit.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der Fraktion FREIE WÄHLER "Gleichwertige Lebensbedingungen in Bayern eine Fata Morgana der Staatsregierung? Konzepte? Ziele? Ergebnisse?"

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen. Die Regeln sind also bekannt.

Erster Redner ist Herr Kollege Alexander Muthmann für die FREIEN WÄHLER. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! "Gleichwertige Lebensbedingungen in und für ganz Bayern" ist das zentrale Thema, mit dem wir 2008 im Landtag angetreten sind und für das wir bis heute kämpfen. Deswegen ist es nur konsequent, dass wir in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause dieses Thema benennen, in der Woche, ab der sich die Staatsregierung dieser Aufgabe ein weiteres Jahr widmen und dafür stark eintreten kann. Wir wollen nach Konzepten, Zielen und Ergebnissen fragen. Ich will gerne erklären, wie wir auf den Begriff "Fata Mor

gana" kommen. Eine Fata Morgana ist mehr Schein als Sein und hat mit heißer Luft zu tun. Leider haben wir in der Vergangenheit gerade beim Thema der gleichwertigen Lebensbedingungen immer wieder solche Naturerscheinungen erleben müssen.

Wie ist denn die Situation in Bayern? - Ich will Ihnen nur zwei Indikatoren nennen, als ersten die demografische Entwicklung und die Wanderungsbewegungen, und zwar nicht mit dem Blick voraus - diese Zahlen kennen wir natürlich auch -, sondern mit dem Blick zurück in die Jahre 2001 bis 2010. Auf der einen Seite haben wir in der Stadt München in diesem Zeitraum einen Einwohnerzuwachs von 10,2 % zu verzeichnen, auf der anderen Seite im Landkreis Regen ein Minus von 4,5 % und im Landkreis Wunsiedel ein Minus von 9,9 % bei der Einwohnerzahl. Das ist keine Prognose, sondern Realität.

Der zweite Indikator ist das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner in den jeweiligen Regionen. In der Region Donau-Wald beträgt das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner im Jahr 2010 28.049 Euro, in Westmittelfranken 26.465 Euro und in der Region München 47.154 Euro. Auch diese Daten verweisen auf die jeweilige Wirtschaftskraft mit den damit verbundenen Sogwirkungen und machen deutlich, dass von gleichwertigen Lebensbedingungen und -chancen noch nicht die Rede sein kann.

In der Kürze der Zeit und angesichts der Herkulesaufgabe, für gleichwertige Lebensbedingungen zu sorgen, kann ich nur einige, aber nicht alle Tätigkeitsfelder aufzählen, wo die Staatsregierung zwar eine Reihe von Ankündigungen hat verlauten lassen, aber nicht ausreichend tätig geworden ist.

Als ersten Punkt nenne ich die Verfassungsänderung. Der Ministerpräsident hat beim Politischen Aschermittwoch 2011 angekündigt, es sei beabsichtigt, das Ziel der gleichwertigen Lebensbedingungen in die Bayerische Verfassung aufzunehmen. Das ist übrigens ein Ziel, das wir hier auch schon zur Sprache gebracht und beantragt haben. Seit dieser Ankündigung vom Februar 2011 haben wir aber weiter nichts erlebt. Würde diese Aufgabe angepackt, wäre das ein deutliches Signal dafür, dass man dieses Thema ernst nimmt.

Als zweiten Punkt nenne ich das Landesentwicklungsprogramm. Die Gesamtfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms als wesentlichstes und wichtigstes Werk, um die Zukunft Bayerns überfachlich und über die Ministerien hinweg gemeinsam zu gestalten, ist bereits im Jahre 2009 beschlossen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 3. August 2010 hat der Wirtschaftsminister einen Zwischenbericht im Minis

terrat gegeben. Der Ministerrat hat den Entwurf dann bis zum März 2011 erbeten. Tatsächlich haben wir jetzt erlebt, dass der Ministerrat den Entwurf des Landesentwicklungsprogramms im Mai 2012 beschlossen hat. Auch daraus wird der fehlende Steuerungswille deutlich.

Der Herr Ministerpräsident hat angekündigt, Bayern bis zum Jahr 2030 schuldenfrei machen zu wollen. Prinzipiell kann niemand dagegen sein, dass man Schulden abbaut. Dies darf jedoch nicht allein unter fiskalpolitischen Gesichtspunkten gesehen werden. Wir müssen auch andere Fragen beantworten, wie wir uns Bayern im Jahr 2030 vorstellen. Das wäre durchaus eine Aufgabe des Landesentwicklungsprogramms.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN - Thomas Hacker (FDP): Schuldenfreiheit ist schon mehr, als die anderen Länder zu bieten haben!)

- Herr Kollege Hacker, es ist richtig, dass wir im Ländervergleich durchaus gut dastehen. Wir haben jedoch in Bayern Binnenprobleme. Wir müssen uns deshalb Gedanken darüber machen, wie wir diese Herausforderungen bei dieser vergleichsweise guten Ausgangslage im Ländervergleich noch besser als bisher bewältigen können.

Damit komme ich zum dritten Punkt, der Infrastruktur. Herr Ministerpräsident, Schuldenabbau sollte nicht nur im Haushalt, sondern auch auf Bayerns Staatsstraßen betrieben werden. Hier ist in den letzten Jahren viel geschludert worden.

(Josef Miller (CSU): Es ist viel gemacht worden! Harald Güller (SPD): Herr Kollege Miller, einfach rechnen: 700 Millionen Euro fehlen!)

- Lieber Kollege Miller, ich empfehle Ihnen einen Blick in den Bericht des Bayerischen Obersten Rechnungshofs, der meine Aussagen belegt. Die Lücken, die bei den Staatsstraßen nicht geschlossen worden sind, sind keine Erfindung der Opposition. Der Nachholbedarf in diesem Bereich beläuft sich auf 700 Millionen Euro. Das ist auch eine Form von Schulden, die wir abbauen wollen. Gerade in Regionen, wo viel gefahren werden muss und wo Mobilität gefragt ist - nicht nur beim MVV, sondern auch bei den Straßen -, ist das ein besonders wichtiger Aspekt.

Mein nächster Punkt ist die Breitbandversorgung. Auch bei diesem Thema haben wir kein Programm. In welcher Region werden die Nachteile am spürbarsten? Natürlich nicht in den Ballungsräumen. Dort treten keine zeitlichen Verzögerungen ein.

(Thomas Hacker (FDP): Dafür wird eine Milliarde Euro in den nächsten fünf Jahren zur Verfügung gestellt!)

Probleme gibt es im ländlichen Raum, in den wirtschaftsschwachen Regionen und in den dünner besiedelten Regionen. In diesen Regionen ist das ein großes Problem.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN - Thomas Hacker (FDP): Eine Milliarde Euro in den nächsten fünf Jahren!)

Ein weiteres Thema, das ich ansprechen muss, ist die Entwicklung der Fachhochschultöchter, der Filialen in den ländlichen Räumen. Wir begrüßen die Segnungen und Impulse sehr, die diese Filialen gebracht haben. Problematisch ist jedoch, dass zwischen den Hauptstandorten und den Standorten der Fachhochschultöchter mit zweierlei Maß gemessen wird. Wer sind hier die Leidtragenden und Benachteiligten? Das sind wieder die ländlichen Räume. Weder in Deggendorf noch in Regensburg oder einer anderen Hochschulstadt wird gefordert, dass die Kommunen die Gebäude errichten müssen. Mit wem macht man so etwas? - Mit denjenigen, die solche Angebote aus verständlichen politischen Gründen nicht ablehnen können. Den Kommunen wird gesagt: Wenn ihr die Filialen haben wollt, dann zahlt auch. Die Kommunen müssen das nolens volens tun, weil dies politisch notwendig ist. Ein solches Vorgehen ist indiskutabel. Beim Ausbau der wissenschaftlichen Standorte in den Regionen wird mit zweierlei Maß gemessen.

Mit Blick auf die Uhr möchte ich nur noch drei kurze Aspekte ansprechen. Für die regionale Wirtschaftsförderung wurde bereits im Demografie-Plan angekündigt, Fördergrenzen abzusenken, um kleineren und kleinen Betrieben eher eine Unterstützung zukommen lassen zu können. Bislang ist hier Fehlanzeige. Diese Ankündigung ist noch nicht in die Tat umgesetzt worden. Die Zahlen, die "Invest in Bavaria" vorgelegt hat, sind ein Signal für die Sogwirkung und die ungleichen Bedingungen. Diese Zahlen konzentrieren sich auf inund ausländische Unternehmen in und um München. Änderungen oder eine Lösung dieses Problems sind nicht erkennbar.

Zwei weitere Aspekte möchte ich nur schlaglichtartig beleuchten. Bis 2030 sollte ein Plan entworfen werden, wie man sich die Behördenverteilung in Bayern vorstellt, um Bayern auf diese Weise weiterzuentwickeln.

Uns ist besonders wichtig, dass die Schulen in allen Regionen erhalten bleiben. Kurze Wege, kurze Bildungswege, regionale Entwicklung und individuelle Förderung sind Themen, auf die wir auch in der Zu

kunft größten Wert legen werden. Wir haben noch ein Jahr Zeit, an diesen Themen zu arbeiten. Packen Sie es an. Wir begleiten Sie gerne.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Als Nächster hat Herr Erwin Huber von der Christlich-Sozialen Union das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am heutigen Thema der Aktuellen Stunde und an der Begründung durch Herrn Kollegen Muthmann war weder etwas neu noch aktuell.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Das von Ihnen behauptete Wohlstands- und Wohlfahrtsgefälle in Bayern gibt es nicht. Es gibt allenfalls eine Wahrnehmungslücke bei den FREIEN WÄHLERN.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Zum Thema demografischer Wandel ist zu sagen, dass es in Bayern in der Tat einige Landkreise gibt, wo eine Abwanderung erfolgt. Die Staatsregierung und der Ministerpräsident haben bereits im Dezember letzten Jahres ein Programm beschlossen, das Sie offenbar innerhalb eines halben Jahres noch nicht einmal gelesen haben. Dieses Programm wird Wirkung zeigen und wurde vom Landtag mit finanziellen Mitteln ausgestattet.

Zum Wohlstandsgefälle ist zu sagen, dass es diesen Pro-Kopf-Unterschied zwar gibt. Herr Kollege Muthmann, dieser Unterschied ist aber nur nominell. Sehen wir uns einmal die hohen Preise und die hohen Mieten in der Landeshauptstadt München an. Viele Bürger in Niederbayern und der Oberpfalz sind im Hinblick auf die Kaufkraft wesentlich besser dran als die Münchner. Darauf kommt es an.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich habe mir ein paar Zahlen vom Arbeitsamt hergenommen. Die Frage lautet doch: Wie entwickeln sich die strukturschwachen Räume und die Städte? Nehmen wir uns einmal die letzten Zahlen von Ende Juni 2012 vor. Oberfranken hat eine Arbeitslosigkeit von 3,9 %. Dieser Regierungsbezirk ist durch Strukturwandel und die Grenzlandlage geprägt. So niedrig war die Arbeitslosigkeit dort noch nie. Die niedrigste Arbeitslosigkeit gibt es natürlich in Niederbayern mit 2,9 %. Sie müssen sehen: Die Lücke zwischen den besten Regierungsbezirken und Oberfranken liegt gerade einmal bei 1 %. Die Schere ist so klein wie nie

zuvor. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die Fakten.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Hinsichtlich der Arbeitsmarktzahlen sind Niederbayern und die Oberpfalz die besten Regierungsbezirke. Sie waren jahrzehntelang durch die Grenzlandlage, durch den Eisernen Vorhang und die Marktferne geprägt. Sie haben heute die besten Arbeitsmarktzahlen. Ich greife nun einige Städte heraus. Wunsiedel im Fichtelgebirge befindet sich mit Sicherheit in einer schwierigen Lage. Wunsiedel hat eine Arbeitslosenquote von 4,8 %.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Weil die anderen schon in München sind, Herr Huber! Die sind alle abgewandert!)

Natürlich kann ich sagen, dass diese Zahl zu hoch ist. - Ich greife das Stichwort München gerne auf. München hat eine Arbeitslosenquote von genau 4,8 %. Wunsiedel und München haben also die gleichen Arbeitsmarktzahlen. Wer hätte das jemals für möglich gehalten, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Sie nennen München. Ich blicke auf die Zahlen aus dem Armutsbericht. Gerade was Kinderarmut angeht, was Altersarmut angeht, hat die reiche Landeshauptstadt München wesentlich schlechtere Zahlen als die ländlichen Räume. Das sind die Fakten, meine Damen und Herren. Das heißt also: Der ländliche Raum hat nicht erst seit wenigen Jahren in einem Maße aufgeholt, wie wir es selbst nicht für möglich gehalten hätten. Das ist das Ergebnis der jahrzehntelangen Politik meiner Partei. Ganz Bayern ist heute in ganz Europa ein Vorzeigeland, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich nenne noch die Arbeitsmarktzahlen für Hof. Hof befindet sich sicherlich auch in einer schwierigen Lage. Die Arbeitslosenquote beträgt 6,3 %. Dazu muss ich sagen: Das ist zu hoch. Zum Vergleich ziehe ich die Stadt Augsburg heran; sie hat auch eine Arbeitslosenquote von 6,3 %. Es hätte doch kaum jemand für möglich gehalten, dass sich jetzt Hof auf dem Arbeitsmarkt in einer Situation befindet, die so gut ist wie jene von Augsburg. Herr Muthmann, jetzt nenne ich unsere niederbayerische Heimat. FreyungGrafenau, die Region, aus der Sie kommen, hat eine Arbeitslosenquote von 2,8 %, Regen von 2,6 %, Cham von 2,4 %. Das sind Superzahlen, mit denen wir uns überall sehen lassen können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU und der FDP)