Protokoll der Sitzung vom 17.10.2012

Ein Beispiel dafür, was wir bewegen, ist der "Werdenfelser Weg". Damit haben die bayerischen Betreuungsgerichte bundesweit das Bewusstsein zugunsten von mehr Bewegungsfreiheit von älteren, hilfsbedürftigen Menschen verändert. Wir setzen besonders geschulte Verfahrenspfleger ein und arbeiten mit Alternativen zu Bettgittern und Gurtfixierungen. Damit konnten wir erreichen, dass Fesselungen und andere Beschränkungen der Bewegungsfreiheit für ältere Menschen in unseren Heimen um 14 % reduziert werden konnten. Ich sage: Jeder einzelne Fall ist ein großer Erfolg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade ältere Menschen werden besonders häufig Opfer unseriöser, missbräuchlicher Geschäftspraktiken, sei es der untergeschobene Vertrag am Telefon, sei es die langfristige hochriskante Kapitalanlage, die man einer neunzigjährigen Bankkundin aufdrängt, ohne sie entsprechend aufzuklären.

Aus diesem Grund haben wir uns im Bundesrat mit Nachdruck für schärfere Sanktionen bei unerlaubter Telefonwerbung eingesetzt. Dabei ziehe ich mit unseren beiden bayerischen Verbraucherverbänden an einem Strang.

Was wir nun angreifen und effektiv bekämpfen wollen, ist das Geschäftsmodell der unseriösen Verkaufsveranstaltungen. Durch diese Geschäfte werden Millionenumsätze im dreistelligen Bereich erwirtschaftet. Deshalb habe ich gemeinsam mit Hessen vor vier Wochen auf der Verbraucherschutzministerkonferenz in Hamburg konkrete Vorschläge vorgestellt, die von allen Ländern mitgetragen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU und der FDP)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, eine Errungenschaft, die unmittelbar unseren Bürgerinnen und Bürgern zugute kommt, die sie im World Wide Web schützt, ohne ihre Freiheitsrechte in irgendeiner Weise einzuschränken, ist die sogenannte Button-Lösung. Auch das ist ein bayerischer Erfolg, und ich darf ein besonders herzliches Dankeschön an Petra Guttenberger sagen, die mich dabei intensiv begleitet hat, so wie sie das in allen Bereichen des Verbraucherschutzes ganz besonders tut.

(Beifall bei der CSU und Abgeordneten der FDP)

Mit gleichem Erfolg setzen sich jetzt unsere Vorschläge zur Regulierung des grauen Kapitalmarkts durch. Im aktuellen Entwurf für ein Kapitalanlagegesetzbuch, das das Bundesfinanzministerium auf den Weg gebracht hat, finden sich jetzt erstmals materielle Anforderungen für geschlossene Fonds, zum Beispiel die Ausstattung mit einem Mindestkapital oder aber die Vorlage eines Businessplans.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gute Gesetze und effektive Rechtsdurchsetzung allein reichen nicht aus. Sie müssen quasi als Scharnier mit guter Verbraucherbildung gekoppelt werden. Das Projekt "Lebenslanges Lernen" hat das Ziel, dass wir älteren Menschen genauso wie den jüngeren, aber auch Menschen, die in unser Land zuwandern, komplexe Themen ins Bewusstsein bringen und erläutern. Wir nutzen dazu zum einen die Attraktivität unserer Volkshochschulen und erreichen damit die Verbraucher vor Ort. Wir schulen zum anderen Multiplikatoren mit Spezialthemen wie Finanzanlage, Datensicherheit oder auch Umgang mit dem Internet - ein weiterer Beitrag der Staatsregierung zu ihrer Zukunftsstrategie "Aufbruch Bayern".

Im Schulunterricht haben wir mit einem neuen Projekt ebenfalls im wahrsten Sinne des Wortes "Schule gemacht", das ich gemeinsam mit dem Kollegen Ludwig Spaenle auf den Weg gebracht habe, nämlich ein Fortbildungskonzept für Lehrkräfte, ein neues Bildungsportal und ein praktischer Schulversuch, mit dem wir ökonomische Verbraucherbildung nachhaltig in den Schulen verankern, weil wir wissen, dass junge Menschen oftmals nicht mehr wissen, wie man mit Geld umgeht und wie man sich vor Verschuldung schützt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe als Justizministerin sehr früh für die Änderung unserer Streitkultur plädiert. "Schlichten statt richten" ist ein bayerisches Motto, das inzwischen für verschiedenste Modelle der gütlichen Streitbeilegung steht. Wir haben damit Erfolg erzielt; wir müssen nur auf das neue Me

diationsgesetz schauen. Es nimmt das bayerische Güterichtermodell zum Vorbild. Dieses Gesetz sieht vor, dass eine gerichtliche Streitschlichtung durch Güterichter erfolgen kann, die sich aller Techniken der Konfliktlösung einschließlich der Mediation bedienen.

Für uns bedeutet das eine Auszeichnung für unser Modell, das wir seit Jahren erfolgreich an unseren Landgerichten praktizieren und jetzt auch auf die Amtsgerichte übertragen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Bürgern schnell Recht und Rechtsfrieden zu verschaffen, ist ein Kernanliegen der bayerischen Justiz. Deshalb fördern und unterstützen wir auch die Möglichkeit der außergerichtlichen Streitbeilegung. Im Herbst letzten Jahres allerdings sind wir auf einen Fall von Paralleljustiz aufmerksam geworden, einer Justiz, die sich vor dem Staat versteckt und unser Rechtssystem unterläuft. Diese hat nichts mehr mit Streitschlichtung in unserem Sinne zu tun.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Mittelpunkt stehen sogenannte Friedensrichter. Gerade dann, wenn Friedensrichter Familienangelegenheiten regeln, ist für Frauen und auch für Kinder höchste Gefahr gegeben, dass sie nicht zu ihrem Recht kommen, weil diese Friedensrichter nämlich nach dem traditionellen islamischen Recht oder anderen patriarchalischen Rechts- und Moralvorstellungen richten. Eine Paralleljustiz, die versucht, die Aufklärung von Straftaten zu behindern und die Grundentscheidungen, die in unserer Verfassung stehen, vor allem die Grundrechte und das Gleichbehandlungsrecht von Mann und Frau, komplett auszuschalten und zu ignorieren, dürfen und werden wir nicht dulden.

(Beifall bei der CSU)

Alle Bürgerinnen, alle Bürger aller kulturellen Zugehörigkeiten sind vor dem Gesetz gleich. Deswegen verfolgen wir zwei Ansätze, zum einen die intensive Information und Aufklärung über unser Rechtssystem, über die Werte unserer Rechtsordnung, indem wir mit den unterschiedlichsten Kulturkreisen intensiv diskutieren; zum anderen die Hellhörigkeit der Justiz durch spezialisierte Ansprechpartner bei unseren drei Generalstaatsanwaltschaften.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der 11. Januar 2012 war für die bayerische Justiz eine Tragödie. An diesem Tag verlor ein junger Staatsanwalt im Amtsgericht Dachau sein Leben. Er wurde während der Urteilsverkündung vom Angeklagten erschossen. Er musste sterben, nicht weil er als Ankläger plädiert hatte, sondern weil er den Rechtsstaat verkörpert hat.

Die Antwort, die die Staatsregierung nach intensiver Diskussion mit Politik und Öffentlichkeit gibt, lautet: Wir werden alles tun, damit Gerichte, die Orte, an denen Sicherheit und Frieden erreicht werden sollen, angst- und waffenfreie Zonen bleiben.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Dazu bauen wir die Sicherheitsvorkehrungen in den Gerichtsgebäuden aus. Nicht nur Richter, Staatsanwälte und Justizbedienstete, sondern auch Rechtsanwälte, Zeugen und vor allen Dingen natürlich auch die Besucherinnen und Besucher unserer Gerichte müssen sicher sein können. Das Kernstück der Sicherheitsmaßnahmen sind Zugangskontrollen zu allen Gerichten an Sitzungstagen.

Einmütig mit Ihnen allen haben wir dazu die Beschlüsse zum Sicherheitspaket gefasst. Mit der Bewilligung von 140 zusätzlichen Wachtmeisterstellen und Mitteln für privates Sicherheitspersonal sowie mit 40 Millionen Euro für bauliche und technische Verbesserungen haben wir gemeinsam die Weichen für mehr Sicherheit in den bayerischen Justizgebäuden gestellt. Wir arbeiten mit Hochdruck und Erfolg an der Umsetzung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinter einer starken Justiz stehen starke Frauen und starke Männer. Richter, Staatsanwälte, Rechtspfleger, Bewährungshelfer, Gerichtsvollzieher, Justizvollzugsbeschäftigte, Wachtmeister und Servicekräfte arbeiten weit über das hinaus, was ihnen abverlangt werden kann. In einzelnen Bereichen haben wir regelmäßige Spitzenbelastungen von bis zu 140 %.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, alles hat seine Grenzen. Mit dem Doppelhaushalt 2013/2014 wollen wir bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften insgesamt 166 neue Stellen schaffen und erfüllen damit unser Versprechen aus dem Koalitionsvertrag 2008. Wir ermöglichen bis Ende 2014 die Einstellung von 80 neuen Richtern und Staatsanwälten, 48 neuen Rechtspflegern und 38 neuen Bewährungshelfern. Mein Ziel ist, weitere Verbesserungen zu erreichen.

(Beifall der Abgeordneten Renate Will (FDP))

Mit den zusätzlichen Planstellen werden wir gezielt hoch belastete Gerichte und Behörden verstärken, um Verfahrensverzögerungen entgegenzuwirken.

(Christine Stahl (GRÜNE): Es ist auch höchste Zeit dafür!)

Die Justiz empfindet das als ganz große Erleichterung. Ich bin überzeugt, zum Ende der Wahlperiode eine sehr positive Bilanz ziehen zu können.

(Beifall bei der CSU)

Kolleginnen und Kollegen, ich werde den Haushaltsverhandlungen in diesem Hohen Hause natürlich nicht vorgreifen. Aber dennoch sei an dieser Stelle ein besonderer Dank erlaubt an euch, liebe Kollegen Dr. Markus Söder, Georg Schmid, Thomas Hacker, Georg Winter und Dr. Andreas Fischer. Ebenso danke ich den Kolleginnen und Kollegen aus dem Arbeitskreis Recht und Verfassung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Sicherheits- und Verbraucherschutzpolitik ist ein solides Fundament für Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg in Bayern. Die bayerische Justiz ist ein Eckpfeiler für Sicherheit und Freiheit.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Die bayerische Justiz ist aber auch ein Eckpfeiler für ein starkes Bayern.

(Anhaltender Beifall bei der CSU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. Ich eröffne die Aussprache. Im Einvernehmen mit den Fraktionen wurde eine Redezeit von 30 Minuten pro Fraktion vereinbart. Das Wort hat zunächst Kollege Franz Schindler für die SPDFraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir haben eine Premiere erlebt: die allererste Regierungserklärung der Frau Staatsministerin in neun Jahren! Die Tatsache, dass ausgerechnet heute und jetzt eine Regierungserklärung abgegeben worden ist, hat aber trotz der schönen Worte eigentlich nichts mit der bayerischen Justiz zu tun, sondern vielmehr mit der Justizministerin und damit, dass offensichtlich jeder Minister verdonnert worden ist, auf die Schnelle noch eine Regierungserklärung abzugeben, ob man sie nun braucht oder nicht.

(Beifall bei der SPD - Lebhafter Widerspruch bei der CSU)

Ja, so ist es doch! In der Sache selbst haben wir nicht viel Neues über die starke Justiz im starken Bayern erfahren, sondern wieder einmal erlebt, dass eine Justizministerin über weite Passagen wie eine Innenministerin geredet hat.

(Reserl Sem (CSU): Na und?)

Wichtiger als das, was über eigentlich bundespolitisch zu regelnde Themen wie Cybercrime, Button-Lösung und Urheberrecht oder über die Paralleljustiz gesagt worden ist, für die es trotz aller Suche bisher keine Beweise gibt, ist fast das, was nicht gesagt worden ist.

Wenn man sich Ihre Rede, Frau Ministerin, noch einmal im Einzelnen vergegenwärtigt, stellt man fest, dass Sie fast kein Wort über die eigentlichen Probleme des Strafvollzugs verloren haben, dass Sie kein Wort über die Ausdünnung der Justiz in der Fläche verloren haben, dass Sie fast kein Wort - ausgenommen Ihre Bemerkungen am Schluss - über die Belastung der Richter und Staatsanwälte, Rechtspfleger, Bewährungshelfer und Vollzugsbediensteten verloren haben.

(Beifall des Abgeordneten Florian Streibl (FREIE WÄHLER))

Weil es die erste Regierungserklärung in der mittlerweile schon neunjährigen Amtszeit der Frau Ministerin ist, muss und wird es erlaubt sein, neben den Tagesaktualitäten und allfälligen Lobhudeleien, die sein müssen - dafür habe ich Verständnis -, auch etwas grundsätzlicher auf das Thema "starke Justiz" einzugehen.

Meine Damen und Herren, ich muss mit einer Banalität beginnen, die offensichtlich nicht so geläufig ist: Die Justiz ist nicht irgendein Teil der staatlichen Verwaltung, sondern die Justiz ist die dritte Säule der staatlichen Gewalt.

(Beifall bei der SPD)

Als eine der drei Staatsgewalten kann die Justiz grundsätzlich erwarten, von den beiden anderen Staatsgewalten nicht nur ihrer Bedeutung entsprechend behandelt, sondern auch respektiert zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich bedaure, diese Banalität hier betonen zu müssen. Doch gibt es leider viele Gründe, das zu tun. Ich muss daran erinnern, dass der frühere Ministerpräsident Dr. Stoiber im Herbst 2003 in seiner Regierungserklärung zur Verblüffung aller Beobachter unter der Überschrift "Verwaltung - Projekt 21" dekretiert hat, dass das Bayerische Oberste Landesgericht und die damals noch 33 Zweigstellen der Amtsgerichte abgeschafft werden, wohlgemerkt unter der Überschrift "Verwaltungsreform", nicht aber unter der Überschrift "Justizreform".

Die Frau Staatsministerin hat den Willen des damaligen Ministerpräsidenten gegen den Rat aller Fachleute und der glühendsten Anhänger der bayerischen Justiz vollstreckt und das Bayerische Oberste Landesgericht trotz seiner über 375-jährigen Tradition abgeschafft.

Es muss doch weh tun, sehr geehrte Frau Dr. Merk, jetzt in der Autobiografie des Ministerpräsidenten a. D. nachlesen zu müssen, dass es ein Fehler war, was Sie da vollstreckt haben.

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄH- LERN)