Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 116. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, spreche ich einen Geburtstagsglückwunsch aus. Heute feiert der Kollege Max Strehle Geburtstag.
Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg für Ihre parlamentarische Arbeit.
Gesetzentwurf der Abgeordneten Georg Schmid, Reinhold Bocklet, Prof. Ursula Männle u. a. und Fraktion (CSU), Markus Rinderspacher, Harald Güller, Franz Schindler u. a. und Fraktion (SPD), Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER), Thomas Hacker, Karsten Klein, Tobias Thalhammer u. a. und Fraktion (FDP), zur Änderung der Verfassung des Freistaats Bayern (Drs. 16/15140) - Erste Lesung
Ich eröffne die Aussprache. Die Redezeit beträgt fünf Minuten pro Fraktion. Erster Redner ist der Vorsitzende der CSU-Fraktion, Kollege Georg Schmid.
Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein ganz besonderer Tag. Wir bringen einen interfraktionellen Gesetzentwurf zur Änderung der Bayerischen Verfassung ein. Er wird heute in Erster Lesung beraten. Ich glaube, was wir heute miteinander erleben, ist ein starkes Zeugnis der politischen Kultur in Bayern.
Die vier Fraktionen von CSU, FDP, SPD und FREIEN WÄHLERN haben sich jenseits der Auseinandersetzungen des politischen Tagesgeschäfts gemeinsam auf fünf Verfassungsänderungen verständigt, die wir den bayerischen Bürgerinnen und Bürgern bei der Landtagswahl 2013 zur Entscheidung vorlegen wollen. Damit wollen wir die Verfassung des Freistaats Bayern behutsam weiterentwickeln. Wir reagieren mit unseren Vorschlägen auf neue Herausforderungen
von Staat und Gesellschaft. So halten wir unsere Verfassung lebendig. Ich bedaure es daher sehr, dass sich die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN als einzige Fraktion des Hohen Hauses von vornherein nicht an den Gesprächen beteiligen wollte. Wir haben konstruktive Verhandlungen geführt, die − das konnte man von Anfang an spüren − vom Willen getragen waren, für die Menschen in Bayern gemeinsam ein gutes Ergebnis zu erzielen.
Ich bedanke mich sehr herzlich beim Fraktionsvorsitzenden der SPD, Markus Rinderspacher, und bei dem Parlamentarischen Geschäftsführer Harald Güller.
Ebenso bedanke ich mich sehr herzlich beim Vorsitzenden der FREIEN WÄHLER, Hubert Aiwanger, sowie bei Florian Streibl. Herzlichen Dank an Sie beide!
In besonderer Weise bedanke ich mich auch beim Fraktionsvorsitzenden der FDP, Thomas Hacker. Lieber Thomas, herzlichen Dank!
Vor zwei Jahren hat der bayerische Ministerpräsident in seiner Rede am politischen Aschermittwoch in Passau den Verfassungsdialog angestoßen. Dann verging einige Zeit − das war gut und richtig -, bis wir dieses Thema über die Fraktionen hinweg in Angriff genommen haben.
Frau Bause ist noch nicht da. Es wäre, wie gesagt, schön gewesen, wenn wir die GRÜNEN gleichermaßen, liebe Frau Stahl, mit im Boot gehabt hätten. Wir haben noch gestern Abend beim Empfang der Landtagspräsidentin und des Vereins der Landtagspresse versucht, Gespräche am Tisch zu führen. Aber da konnten wir nicht ganz so viel Überzeugungsarbeit leisten, dass es zu einer Zusammenarbeit gereicht hätte. Ich glaube, inhaltlich wären wir gar nicht so weit auseinander gewesen.
Es fiel der Begriff "Kosmetik". Ich glaube, es ist ein wichtiges Staatsziel, die gleichwertigen Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in Bayern zu fördern. Dies wäre ein wichtiger programmatischer Satz in unserer Verfassung. Wir wollen das Land in allen Teilen gleichermaßen weiterentwickeln. Auch in Bezug auf die Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes für das Gemeinwohl bin ich der Meinung: Hier
handelt es sich nicht um Kosmetik, sondern um einen Verfassungsgrundsatz, der dokumentiert werden sollte, auch angesichts unserer immer wieder vorgebrachten Forderung, das ehrenamtliche und bürgerschaftliche Engagement zu begleiten und voranzubringen. Ich halte es für gut, dass wir das in die Verfassung bringen wollen. Damit bringen wir auch die Wertschätzung für das Ehrenamt zum Ausdruck.
72 Millionen freiwillige Arbeitsstunden werden im Freistaat Bayern jeden Monat erbracht. Das ist eine starke Kraft. So etwas darf, liebe Kolleginnen und Kollegen, doch einmal in der Verfassung stehen. In der Verfassung stehen schon viele wichtige Dinge. Da wären auch die Förderung und Unterstützung des Ehrenamts in der Verfassung gut platziert.
Wir haben die Mitwirkungsrechte des Landtags in Angelegenheiten der Europäischen Union in unserem Gesetzentwurf mit aufgenommen. Diese Mitwirkungsrechte müssen gestärkt werden. Die Informationspflicht besteht zwar schon heute, bedarf aber angesichts der europapolitischen Debatte, die wir momentan führen, dieser Ergänzung.
Wir wollen auch, dass dem Landtag das Recht eingeräumt wird, die Staatsregierung durch Gesetz in ihren verfassungsmäßigen Aufgaben zu binden, soweit durch die Übertragung von Hoheitsrechten Gesetzgebungszuständigkeiten Bayerns ganz oder teilweise auf die Europäische Union übergehen. Dies ist eine klare Position des Parlaments gegenüber der Staatsregierung, die dokumentiert werden muss. Dies halte ich für ganz wichtig. Wir wollen erreichen, dass die Staatsregierung grundsätzlich an Stellungnahmen des Landtags gebunden ist, sofern Vorhaben der Europäischen Union Gesetzgebungszuständigkeiten und Kompetenzen des Landes unmittelbar betreffen. Ich halte es in der aktuellen Debatte für ganz wichtig zu sagen: Es dürfen nicht Kompetenzen weggenommen und auf die europäische Ebene übertragen werden, und dies darf vor allem nicht am Landesparlament vorbeigehen. Mit der Formulierung, die wir jetzt gemeinsam gefunden haben, ist das sichergestellt. Ich halte es auch für ein wichtiges Signal an die Menschen im Lande, dass die Europäische Union als friedensschaffende Institution auf diesem Kontinent ihren Platz hat und dass neben den Kompetenzen auf Bundesebene auch die Kompetenzen der Länderparlamente beachtet und gestärkt werden müssen.
Wir wollen die Verfassung ändern und die Schuldenbremse aufnehmen, so wie sie im Grundgesetz steht. Wir wollen das auch in die Landesverfassung übernehmen, nicht nur in die Haushaltsordnung, weil es angesichts der Debatte in Europa auch ganz wichtig ist zu sagen: Wir dürfen uns nicht weiter verschulden, wir dürfen nicht über unsere Verhältnisse leben. Auch das ist in der jetzigen Situation ein ganz besonders starkes Signal.
Darüber hinaus war es unser gemeinsames Anliegen, dass die Gemeinden in ihrer Finanzsituation angemessen ausgestattet werden. Aus unserer Sicht reicht es nicht aus, sich auf die Rechtsprechung zu verlassen. Vielmehr muss klar dokumentiert werden: Wir wollen das in der Verfassung haben, weil die Kommunen ein wichtiger Eckpfeiler unseres gesamten Landes sind. Deswegen glaube ich, dass auch dieser neue Verfassungssatz sehr wohl seine Berechtigung hat.
Ich bedanke mich noch einmal sehr herzlich bei der SPD-Fraktion, bei den FREIEN WÄHLERN und bei unserem Koalitionspartner, der FDP. Es waren gute, konstruktive Gespräche. Ich glaube, dass ein Gesetzentwurf zu einer Verfassungsänderung, wie sie hier in fünf Punkten angestrebt wird, ganz selten in einem solchen Einvernehmen erarbeitet worden ist, wie es in den Beratungen zum Ausdruck gekommen ist. Ich will gar nicht sagen, wie wenige Stunden wir eigentlich gebraucht haben, um zusammenzufinden. Das ist auch ein Signal an die Bürgerinnen und Bürger, dass die Politik in der Lage ist, dann zusammenzuarbeiten, wenn es um wichtige grundsätzliche Dinge geht. Die Bayerische Verfassung ist unser Leitfaden.
Deswegen noch einmal herzlichen Dank an diesem ganz besonderen Tag. Ich freue mich jedenfalls sehr darüber, dass wir es geschafft haben, dieses gemeinsame Werk vorzulegen, das wir sehr schnell beraten werden und das wir dann den Bürgerinnen und Bürgern wohl am Tag der Landtagswahl zur Entscheidung vorlegen wollen. Es gäbe für die GRÜNEN noch die Chance, sich dem ebenfalls anzuschließen. Wenn das ganze Parlament zustimmte, wäre dies ein weiteres Signal.
Noch einmal herzlichen Dank an all jene, die an diesem Werk mitgearbeitet haben. Ich bitte um gute und zügige Beratung.
Danke schön, Herr Kollege Schmid. Als Nächster hat Herr Kollege Harald Güller von der Sozialdemokratischen Partei das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die Verfassung ist ein hohes Gut. Änderungen wollen gut überlegt sein. Es ist nicht unsere Aufgabe, jedes gerade für kurze Zeit populäre Thema aufzunehmen. Dem haben wir in den Gesprächen der vergangenen Wochen und Monate Rechnung getragen. − Auch von unserer Seite ein herzliches Dankeschön dir, lieber Georg Schmid, und dir, lieber Alexander König.
Die Messlatte der Hoegnerschen Verfassung ist hoch. Artikel 128: Anspruch auf Ausbildung. Artikel 151: Bindung aller wirtschaftlichen Tätigkeit an das Gemeinwohl. Artikel 158: Sozialbindung des Eigentums. Artikel 166: Schutz der Arbeit. Artikel 175 und 176: die Statuierung von Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer im Arbeitsleben. − Diese Vorgaben schließen es aus, eine Verfassung wegen jeder Kleinigkeit zu ändern. Wir sind aber der Auffassung, dass heute fünf gewichtige Themen zur Debatte stehen, die es rechtfertigen, die Bürgerinnen und Bürger am Wahltag zum nächsten Bayerischen Landtag auch aufzufordern, über diese Änderungen zu entscheiden.
Erstens: Der Staat fördert und sichert gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in Stadt und Land, in allen sieben Regierungsbezirken. − Uns ist klar, dass sich die politische Realität in Bayern allein durch die Statuierung dieses Verfassungsartikels noch nicht ändert; aber dieses Parlament und die Staatsregierung werden sich zukünftig stärker als bisher an diesem Leitsatz messen lassen müssen.
Ob alle Entscheidungen und Ratschläge, zum Beispiel die des Zukunftsrats der Bayerischen Staatsregierung, im Lichte dieser neuen Verfassungsregelung auch so erfolgt wären, wagen wir zu bezweifeln. Die Zukunft wird zeigen, welche Auswirkungen dies auf die Arbeit des Zukunftsrates hat.
Zweitens. Staat und Gemeinden fördern den ehrenamtlichen Einsatz für das Gemeinwohl. − Der Vorschlag, das Ehrenamt nun auch in der Bayerischen Verfassung zu fixieren und als Aufgabe von Staat und Kommunen zu definieren, trägt der Realität in Bayern und dem großen ehrenamtlichen Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger auf allen Ebenen Rechnung. Auch das rechtfertigt es, die Verfassung behutsam zu ergänzen.
(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und der Abgeordneten Georg Schmid (CSU) und Dr. Otto Bertermann (FDP))
Dritter Punkt: Angelegenheiten der Europäischen Union. Die Staatsregierung muss den Landtag unterrichten. Bei Vorhaben der EU hat der Landtag bei der Gesetzgebung ein Mitspracherecht, und unsere Stellungnahme ist in Zukunft maßgeblich zu berücksichtigen. Damit gehen wir konsequent den Weg der Enquete-Kommission "Reform des Föderalismus − Stärkung der Landesparlamente" aus dem Jahr 2002. Wir entwickeln damit das Parlamentsinformationsgesetz und das Parlamentsbeteiligungsgesetz weiter.
An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön auch an Herrn Vizepräsidenten Bocklet, dessen Verdienst es ist, dass die Diskussionen der vergangenen Jahre auf Bundesebene nun auch in der Verfassungsdiskussion aufgegriffen wurden und dass wir, zumindest mit vier von fünf Fraktionen, zu einem guten Ergebnis gekommen zu sind.
Der vierte Punkt ist die Ergänzung, dass kommunale Selbstverwaltung natürlich auch heißt, dass der Staat den Gemeinden im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit eine angemessene Finanzausstattung zu gewährleisten hat. Das wird − davon bin ich überzeugt − in den kommenden Jahren ein ganz wichtiger Diskussionspunkt auch für künftige Parlamente und für künftige Haushalte in Bayern sein.