Dieser Gesetzentwurf soll ohne Aussprache an den federführenden Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz überwiesen werden. Gibt es hinsichtlich des Zuweisungsvorschlags Änderungswünsche? – Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Beschlussfassung über die Zuweisung. Wer mit der Überweisung an den zur Federführung vorgeschlagenen Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das ist ein
Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Franz Schindler, Horst Arnold u. a. und Fraktion (SPD), Margarete Bause, Dr. Martin Runge, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Änderung des Bayerischen Versammlungsgesetzes (Drs. 16/17107) - Erste Lesung
Ich darf das Wort zur Begründung Frau Kollegin Stahl geben. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem es ein gemeinsamer Gesetzentwurf von SPD und GRÜNEN ist, ist es in Ordnung, wenn ich beginne. Angesichts der Tarifauseinandersetzungen am heutigen Tage, die hauptsächlich den Bekleidungseinzelhandel betreffen, trifft es sich sehr gut, dass wir heute über Veränderungen zum Versammlungsgesetz sprechen, die insbesondere die Situation der Gewerkschaften im Hinblick auf den Versammlungsrechtsrahmen betreffen. Die Staatsregierung hat nie wirklich verstanden, worum es bei unserer Versammlungsfreiheit nach Grundgesetz und Bayerischer Verfassung wirklich geht. Für die Staatsregierung und die CSU ging es beim Versammlungsgesetz immer nur um die ordnungsrechtlichen Komponenten, nie aber um die Frage, wie die Versammlungsfreiheit für die Bürgerinnen und Bürger sichergestellt werden kann.
Erst wegweisende Entscheidungen wie die des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 2009 zum Bayerischen Versammlungsgesetz – die SPD war bei diesem Antrag beteiligt, wir waren beteiligt sowie eine Reihe von Unterstützern und Unterstützerinnen – mit einer Aussage darüber, welche Orte zum öffentlichen Raum zählen und damit natürlich dem Versammlungsrecht unterliegen, zwangen Staatsregierung und CSU zur Änderung des Versammlungsgesetzes im Jahre 2010. Ein echtes Umdenken ist damit aber nie einhergegangen, weshalb wir uns heute erneut um Änderungen bemühen müssen; denn das bestehende Versammlungsgesetz hat Auswirkungen gerade auch auf die Tarifauseinandersetzungen. Grundsätzlich hat sich die Politik in die Tarifautonomie nicht einzumischen. Warum tut sie es aber dann durch die Hintertüre doch, indem sie beispielsweise die Tarifparteien mit dem Versammlungsrecht ganz konkret schwächt?
Ich möchte drei Probleme nennen. Das erste Problem ist in Artikel 13 zu sehen. Da geht es um die Anzeige
pflicht und die Gruppengröße. Davon sind in besonderer Weise Warnstreiks betroffen, die dem Arbeitgeber natürlich vorher nicht bekannt gegeben werden sollen; denn wenn ich eine solche Versammlung anzeigen muss, habe ich als Gewerkschafter ein Problem.
Das zweite Problem steckt in den Artikeln 4 und 9. Das ist zum einen die Kennzeichnung, und zum anderen sind es die Bild- und Tonaufnahmen der Polizei. Man halte sich einmal vor Augen, dass bei diesen Streiks ganz normale Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beispielsweise von Hennes & Mauritz oder anderen Bekleidungsunternehmen betroffen sind. Sie muss man mühsam dazu bewegen, sich für ihre Rechte einzusetzen. Sie haben eher Angst, in der Öffentlichkeit aufzufallen, und neigen dazu, solche Veranstaltungen mit Polizeiaufgebot eher nicht zu besuchen.
Das nächste Problem ist die Frage, welche Orte unter den Begriff "öffentlicher Raum" fallen und an welchen Orten überhaupt Streiks, Auseinandersetzungen oder auch Versammlungen stattfinden dürfen. Diesbezüglich wollen wir Artikel 2 ändern.
Nach drei Jahren Praxis seit der Novellierung im Jahre 2010 und vor dem aktuellen Hintergrund der Arbeitskämpfe müssen wir in Gesprächen mit Verdi und anderen Gewerkschaftsvertretern feststellen, dass sich das Versammlungsgesetz gerade für die Tarifparteien nicht bewährt hat. Da finde ich die heutige Pressemitteilung des Innenministeriums wirklich keck. Hierher zu kommen und zu sagen wie auch schon in einer Antwort auf eine Anfrage von uns, das Versammlungsgesetz würde die Streiks überhaupt nicht betreffen, ist insofern keck, als es ganz klare Beispiele gibt, wo sich das schädlich ausgewirkt hat.
Mir muss man schon einmal erklären, wieso ein Gewerkschaftssekretär im Rahmen eines Streiks in den Genuss eines Ordnungsgeldes kommt wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht, obwohl, das angeblich nicht darauf anwendbar ist. Diese Frage möge mir das Innenministerium bitte beantworten. Wie sieht da der Kontext eigentlich aus? Sie behaupten etwas, was in der Praxis schlichtweg nicht stimmt.
Wir wollen die Staatsregierung mit unserem Gesetzentwurf zum wiederholten Male auffordern, Arbeitskämpfe und damit Tarifautonomie via Versammlungsgesetz nicht durch die Hintertüre zu torpedieren. Ich hoffe auf ein Einsehen. Wir haben eine verkürzte Beratungsfrist beantragt. Damit könnte dieser Gesetzentwurf tatsächlich noch zur Abstimmung gebracht werden.
Herzlichen Dank, Kollegin Stahl. Als nächste Rednerin rufe ich Frau Kollegin Guttenberger auf. Ihr folgt Kollege Schindler. Bitte schön, Frau Guttenberger.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen der SPD und der GRÜNEN haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, durch den das Bayerische Versammlungsgesetz – wir haben es soeben gehört – in verschiedenen Punkten geändert werden soll. Wir haben über die Ausgestaltung unseres Versammlungsgesetzes in diesem Haus in den letzten Jahren bereits mehrfach intensiv debattiert und im Jahr 2010 zahlreiche Änderungen beschlossen; daran möchte ich erinnern.
Festzuhalten ist: Wir verfügen über ein modernes und praxisgerechtes Versammlungsgesetz, das sich durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den in der Verfassung garantierten Freiheitsrechten auf der einen Seite und den notwendigen Maßnahmen zum Erhalt der inneren Sicherheit in Bayern auf der anderen Seite auszeichnet.
Sie jedenfalls wollen – ich nehme jetzt einfach die Presseerklärung als Grundlage – "verfassungsrechtliche Defizite" schließen. Diese Äußerung lässt mich einigermaßen ratlos zurück. Sie versuchen einerseits, Probleme zu beseitigen, die nicht existieren, und schaffen auf der anderen Seite wiederum Probleme, die verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen. Das gilt namentlich für die von Ihnen geforderte Zulassung von Versammlungen auf privatem Grund. Sie verweisen dabei auf die sich auf den Flughafen Frankfurt am Main beziehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Nur, sehr geehrte Frau Kollegin: So, wie Sie es dargestellt haben, steht es in der Entscheidung nicht drin. Darin heißt es ganz klar, dass das Versammlungsgrundrecht "kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten" verschaffe. Die Durchführung sei zwar auch dort verbürgt, "wo ein öffentliches Unternehmen einen allgemeinen öffentlichen Verkehr eröffnet hat" und "eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte in Anspruch genommen werden können." Diese – unmittelbare oder mittelbare – Grundrechtsbindung des Hausrechtsinhabers findet sich in Ihrem Gesetzentwurf nicht wieder.
Auch die Abwägungsentscheidung, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung fordert, fehlt in Ihren Änderungsvorschlägen. Sie räumen der Versammlungsfreiheit den absoluten Vorrang ein und klammern die Abwägung einfach aus – zulasten der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung und des Eigentumsgrundrechts. Diesen Weg halte ich verfassungsrechtlich für nicht gangbar.
Ferner wollen Sie die Anzeigepflicht für Versammlungen, zu denen weniger als 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet werden, entfallen lassen. Auch über diesen Vorschlag haben wir schon im Jahr 2010 intensiv diskutiert und ihn aus guten Gründen abgelehnt. Ich betone: Eine Anzeigepflicht ist keine Schikane. Sie dient auch dem Schutz der Versammlung und der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dieser; denn nur, wenn die Behörden vorher Kenntnis haben, können sie für einen störungsfreien Verlauf sorgen. Ich sage auch: Die Anzahl der Teilnehmer ist nicht entscheidend. Ich jedenfalls möchte nicht, dass 19 Extremisten, egal, von welcher Seite, ohne vorherige Kenntnis der Behörden in Innenstädten oder – nach Ihrem Gesetzentwurf – in Einkaufszentren, Bahnhöfen, Flughäfen oder an ähnlichen Orten demonstrieren dürfen. Ich möchte das nicht!
Auch halte ich es nicht für zielführend, den "Befriedeten Bezirk" aufzuheben. Gerade dieser soll die Arbeits- und Funktionsfähigkeit eines obersten Verfassungsorgans schützen. Sowohl der Bundestag als auch die Parlamente aller Bundesländer haben entsprechende Regelungen getroffen. Wie Sie wissen, ist es im Einzelfall möglich, im Einvernehmen mit der Landtagspräsidentin – so ist es bei uns in Bayern geregelt – eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen.
Der vorliegende Entwurf hat uns in keiner Weise überzeugt. Das gilt auch für Ihre Ausführungen zu Arbeitskampfmaßnahmen, Frau Kollegin. Klassische Arbeitskampfmaßnahmen – darin sind wir uns sicherlich einig – sind keine Versammlungen. Warum aber bei Großversammlungen, die nicht zum klassischen Arbeitskampfspektrum gehören, Gewerkschaften künftig anders behandelt werden sollen als jeder andere, der zu Recht sein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geltend macht, ist für uns nicht nachvollziehbar. Deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Vielen Dank. Bitte verbleiben Sie noch, Frau Kollegin. Wir haben nämlich eine Zwischenbemerkung der Kollegin Stahl vorliegen, zu der ich ihr jetzt das Wort erteile. Bitte schön.
Frau Kollegin Guttenberger, es bleibt Ihnen unbenommen, unsere Vorschläge abzulehnen. Gleichwohl hätte ich von Ihnen oder vonseiten der Staatsregierung gern einen Lösungsvorschlag gehört, wie man mit diesen Tarifauseinander
Da Arbeitskampfaktionen regelmäßig bereits keine Versammlungen im Rechtssinn sind … sowie Leiter und Ordner von Gewerkschaftsversammlungen im Übrigen auch regelmäßig keinen Anlass zu einer Überprüfung ihrer Zuverlässigkeit und Eignung bieten, sind dem Staatsministerium des Innern auch keine Fälle bekannt …
Das Problem ist aber, dass es diese Fälle gibt. Sie landen vor Gericht. Dabei geht es nicht um Großveranstaltungen, sondern um kleinere Veranstaltungen. Ein Beispiel aus München habe ich genannt: Ein Gewerkschaftssekretär muss sehr wohl ein Ordnungsgeld bezahlen, obwohl er eine Arbeitskampfveranstaltung durchgeführt hat.
Schauen Sie sich die Situation bitte an: Die Polizei ist insoweit oft sehr fleißig und im vorauseilenden Gehorsam tätig, oft auch die Landratsämter. Welche Lösung schlagen Sie vor, um das Problem der Kriminalisierung von Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen zu beheben?
Sehr geehrte Frau Kollegin Stahl, um es ganz direkt auszudrücken: Die von Ihnen vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeiten sind gerade nicht zielführend. Ich sehe auch überhaupt keine Veranlassung für eine Änderung. Wenn ein Gewerkschaftsfunktionär glaubt, er sei zu Unrecht mit einem Bußgeld belegt worden – ich kenne den konkreten Fall nicht –, dann steht es ihm wie jedem anderen Bürger und jeder anderen Bürgerin Bayerns frei, im Rechtswege dagegen vorzugehen. Ich sehe nicht, inwiefern das geltende Versammlungsgesetz ein Defizit aufweisen soll.
Vielen herzlichen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die SPD-Fraktion Herr Kollege Franz Schindler. Bitte schön.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In Ergänzung dessen, was Frau Kollegin Stahl bereits gesagt hat, folgen nur wenige Anmerkungen seitens der SPD-Fraktion.
Aber zunächst zu Ihnen, Frau Guttenberger: Das Problem ist nicht der Gewerkschaftssekretär, der sich weigert, durch die Instanzen zu prozessieren. Das Problem sind Versammlungsbehörden und Richter – nicht alle, sondern einzelne –, denen man heutzutage offensichtlich klarmachen muss, welch hohen Rang in
unserer Verfassung die Tarifautonomie und das Recht auf Arbeitskampf haben; sie wissen es anscheinend nicht mehr.
Das war vor zehn oder gar vor zwanzig Jahren überhaupt kein Thema. Wenn sich Streikende vom Betriebsgelände auf die Straße begaben, selbst dann, wenn sie ein Transparent in der Hand hielten, kam nicht sofort die Polizei oder jemand vom Landratsamt mit der Aufforderung, eine Versammlung anzumelden. Das war vor zehn oder zwanzig Jahren überhaupt kein Thema.
Mittlerweile argumentieren einige Versammlungsbehörden: Wenn das Betriebsgelände verlassen und das Transparent in Richtung Öffentlichkeit gehalten wird, wenn also beim Arbeitskampf oder bei Tarifauseinandersetzungen nicht mehr nur der Tarifpartner, sondern auch die Öffentlichkeit beeinflusst werden soll, dann sei das etwas anderes als eine Auseinandersetzung im Rahmen von Tarifkämpfen. Es handele sich um eine Versammlung, die angemeldet werden müsse. Das ist doch das eigentliche Problem und nicht der Gewerkschaftssekretär, der vielleicht etwas falsch gemacht hat. Aber das nur am Rande.
Da uns das Bayerische Versammlungsgesetz schon lange intensiv beschäftigt, möchte ich noch einmal an Folgendes erinnern:
Erstens. Die Durchführung bzw. Abhaltung einer Versammlung bedarf nach dem Grundgesetz und im Speziellen nach unserer Bayerischen Verfassung keiner Erlaubnis irgendeiner Behörde, auch nicht eines Polizeiführers.
Zweitens. Es gibt Anzeigepflichten, die nach unserer Einschätzung, teilweise auch nach der des Verfassungsgerichts, überzogen sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn es nicht darum geht, Massenveranstaltungen mit Zigtausenden Teilnehmern zu organisieren, sondern kleinere Zusammenkünfte. Bei letzteren sind die bisherigen Anzeigepflichten, wie wir meinen, übertrieben.
Drittens. Das Bayerische Versammlungsgesetz aus dem Jahr 2008 war der Versuch, die Versammlungsfreiheit in unserem Land zu beschränken. Das ist Gott sei Dank durch das Bundesverfassungsgericht korrigiert worden. Aufgrund der Beschwerde eines großen Bündnisses, zu dem damals auch die FDP gehört hat, ist eine Einstweilige Anordnung ergangen. Das Gesetz ist Gott sei Dank durch die neue Koalition, die es
dann in diesem Hause gegeben hat, korrigiert worden und zwar mit unserer Unterstützung. Daran darf ich erinnern.
Dennoch sind immer noch viele Kritikpunkte bei diesem Gesetz offen. Es riecht nämlich immer noch in weiten Passagen nicht wie ein Gesetz, das dazu gemacht worden ist, die Ausübung der Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, sondern es riecht immer noch in weiten Passagen nach Polizeirecht. Das ist das Problem.
Man merkt das insbesondere, wenn es um Videobeobachtung geht, aber auch bei den Anzeigepflichten und anderem.