Protocol of the Session on July 18, 2013

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Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 133. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich einen Geburtstagsglückwunsch aussprechen. Heute feiert der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Markus Rinderspacher, Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg für Ihre parlamentarische Arbeit.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf:

Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge

Zur gemeinsamen Beratung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Dr. Martin Runge, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für humanitäre Flüchtlingspolitik in Bayern: Konsequenzen aus dem Hunger- und Durststreik der Flüchtlinge ziehen (Drs. 16/17928)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Hans-Ulrich Pfaffmann, Isabell Zacharias u. a. und Fraktion (SPD) Für eine humanere Asylpolitik: Prinzip der Förderung von Rückkehrbereitschaft sofort abschaffen! (Drs. 16/17931)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Christa Stewens, Reserl Sem, Joachim Unterländer u. a. und Fraktion (CSU), Thomas Hacker, Brigitte Meyer, Dr. Andreas Fischer und Fraktion (FDP) Erfolgreiche Asylsozialpolitik fortsetzen! (Drs. 16/18196)

Vorweg weise ich darauf hin, dass die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu ihrem Dringlichkeitsantrag auf der Drucksache 16/17928 zwei getrennte Abstimmungen, die jeweils in namentlicher Form erfolgen sollen, beantragt hat.

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Als erste Rednerin hat Frau Kollegin Ackermann vom BÜND

NIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Guten Morgen, Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich, wenn auch vor fast leeren Rängen, an meinem letzten Tag im Landtag noch einmal zu einem Thema reden kann, das mich in den zehn Jahren meiner Landtagstätigkeit stets begleitet hat und mir immer ein sehr wichtiges Anliegen war, nämlich zur Asyl- und Flüchtlingspolitik. Wir haben in diesen Jahren sehr viele Anträge gestellt und sehr viele parlamentarische Initiativen gestartet. Wir haben eine Tour durch alle Gemeinschaftsunterkünfte – von uns Lagertour genannt – gestartet, um uns von den Verhältnissen vor Ort zu überzeugen. Aus den erschreckenden Erkenntnissen, die wir gewonnen haben, haben sich unsere Initiativen gespeist.

In den ersten fünf Jahren gab es keinerlei Verbesserungen, in den zweiten fünf Jahren, also in der laufenden Legislaturperiode, gab es, wenn auch nur marginale, Verbesserungen. Die Politik ist nach wie vor eine Abschreckungspolitik, und wir haben keine Willkommenskultur.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Dies ist nicht zuletzt einem Halbsatz in der Asyldurchführungsverordnung geschuldet. Dieser Halbsatz lautet sinngemäß: Man soll die Rückkehrbereitschaft der Flüchtlinge fördern. - Das ist sehr vornehm ausgedrückt. Eigentlich ist damit gemeint: Die Verhältnisse, unter denen Flüchtlinge und Asylsuchende in diesem Land leben sollen, sollen so ausgestaltet sein, dass sie lieber in das Heimatland, aus dem sie aus unterschiedlichsten Gründen geflohen sind, zurückkehren, als hierzubleiben. Das ist aus unserer Sicht eines reichen, eines humanitären und eines christlichen Staates nicht würdig.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben lange dafür gekämpft, dass dieser Halbsatz gestrichen wird, leider ohne Erfolg; denn der politische Wille dazu hat gefehlt. Jetzt, kurz vor der Wahl, kommt anscheinend Bewegung in die Sache. Es ist eine Taktik, dass man kurz vor der Wahl alle Probleme, die sich vielleicht dem erhofften Wahlerfolg in den Weg stellen könnten, abräumt. Auch Ministerpräsident Seehofer hat natürlich erkannt, nicht zuletzt aufgrund des Hunger- und Durststreiks der Flüchtlinge auf dem Münchner Rindermarkt, dass dieser Satz möglicherweise nicht mehr ganz zeitgemäß ist. Er hat gesagt: Ich möchte, dass dieser Satz wegkommt; wir als Staatsregierung betreiben eine solche Politik nicht. Die CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion, willige Ge

folgsleute von Herrn Seehofer, sind sofort umgeschwenkt. Zehn Jahre haben sie den erwähnten Halbsatz verteidigt, als ob er in Stein gemeißelt wäre.

(Tobias Thalhammer (FDP): Wir nicht!)

Ein hoher Beamter des Sozialministeriums hat mir einmal gesagt – damit hat er die Flüchtlinge gemeint -: Diese Leute wollen wir nicht integrieren. Das war bisher die Linie. Jetzt lese ich in dem nachgezogenen Dringlichkeitsantrag der CSU und der FDP, dass der Landtag begrüßen möge, dass der letzte Halbsatz von § 7 Absatz 5 Satz 3 der Asyldurchführungsverordnung gestrichen wird. Dazu muss ich schon sagen: Schwach.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn das der politische Wille der Koalition wäre, wenn das der politische Wille der Parlamentarier wäre, warum machen Sie das nicht aus eigener Initiative? Warum warten Sie erst, bis die Staatsregierung irgendetwas unternimmt?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Erst jetzt begrüßen Sie es. Das ist nicht Parlamentarismus, das ist Gefolgschaft, und das ist aus meiner Sicht falsch verstandene Demokratie.

Trotzdem scheint es so zu sein, als ob es ein Einlenken gäbe. Da wir aber gebrannte Kinder sind, wollen wir es heute ganz genau wissen. Deshalb stellen wir die Forderung in unserem Dringlichkeitsantrag, diesen Halbsatz zu streichen, zur namentlichen Abstimmung. Wir wollen wissen, wer in diesem Parlament dies wirklich will.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Herr Ministerpräsident Seehofer hat gesagt, die Staatsregierung betreibe eine solche Politik nicht. Lieber Herr abwesender Ministerpräsident, da muss ich Ihnen sagen: Sie betreiben eine solche Politik doch. Sie betreiben genau eine solche Politik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben die Essenspakete bis heute mit Zähnen und Klauen verteidigt, auch wenn die Frau Sozialministerin jetzt plötzlich behauptet, es wäre durchaus möglich, eine andere Regelung zu treffen. Ich kann mich an unzählige Debatten im Sozialausschuss erinnern, in denen mir der geschätzte Kollege Seidenath jedes Mal gesagt hat, wir würden uns rechtswidrig verhalten, wenn wir die Essenspakete abschaffen

würden. Bis jetzt wurde dies mit Zähnen und Klauen verteidigt.

Die Essenspakete – ich habe sie immer als Zwangsernährung bezeichnet – sind eine Vorgabe, was Flüchtlinge, die zu uns kommen, essen sollen. Diejenigen, die zu uns kommen, sind übrigens keine Dummerle, die nicht wissen, was sie essen könnten. Darunter sind hoch gebildete Leute. Das sind Menschen, die bis dahin ihren Lebensunterhalt selbst bestritten haben, die es nach schwieriger Flucht bis hierher geschafft haben. Und Sie wollen ihnen vorschreiben, was sie zu essen haben! Das ist, nebenbei bemerkt, noch viel teurer, als wenn sie ihr Essen selber einkaufen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben diese Flüchtlinge jahrelang in Lager eingesperrt. "Gemeinschaftsunterkunft" ist ein beschönigender Begriff. Das waren Baracken, das waren Hütten, das war Enge, das waren unhygienische Verhältnisse. Dort mussten manche Flüchtlinge 10 bis 15 Jahre ausharren. Dort sind Kinder geboren und aufgewachsen. Deren Heimat ist das Flüchtlingslager. – Herzlichen Glückwunsch Bayern, kann ich da nur sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In diesen Lagern wurde eine vollkommen unzureichende Sozialbetreuung geleistet. Ich habe es einmal durchgerechnet. Pro Woche gab es pro Flüchtling circa eine Stunde Sozialbetreuung. Man stelle sich vor, was das für Menschen sind, die da kommen. Sie sind traumatisiert, sie sind krank, sie sind der Sprache nicht mächtig, sie kennen sich in unserem Land nicht aus. Die Sozialarbeiter haben dann eine Stunde zur Verfügung. In dieser Stunde können sie bestenfalls Anträge für die Leute ausfüllen, aber sie können keine menschliche Unterstützung leisten, sie können ihnen nicht helfen. Die medizinische Betreuung war ebenso katastrophal.

Ein ganz trauriges Kapitel sind die völlig überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen. Ich war erst am vergangenen Montag wieder in Zirndorf. Für 500 Flüchtlinge ist die Einrichtung ausgelegt, 900 werden untergebracht. Die Garagen, die Gebetssäle, alles ist mit Matratzenlagern vollgestopft. Viele Kinder sitzen dort und schauen die Besucher hilfesuchend an. Ich bin mir richtig schäbig vorgekommen, weil ich ihnen in diesem Moment nicht helfen konnte.

Und es geht so weiter. Eine Aussage eines Betreuers in Zirndorf lautete: Auf diesem Gelände leben wahrscheinlich noch viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, aber wir kennen sie noch nicht; wir wis

sen gar nicht, wo sie sind; sie hatten noch keine Gelegenheit, sich bei uns zu melden, weil die Verwaltung komplett überlastet ist.

Das sind die Zustände in den Aufnahmeeinrichtungen. Aber seit Jahren weigern Sie sich, eine dritte Erstaufnahmeeinrichtung zu errichten, seit Jahren weigern Sie sich, die Menschen, die aus der Erstaufnahme herauskommen, dezentral unterzubringen, und schaffen somit künstlich die drangvolle Enge in der Erstaufnahme. Auch das ist politisch gewollt.

So sind die Zustände im Moment. Das ist dem Anliegen geschuldet, das aus dem vorhin zitierten Satz hervorgeht, die Rückkehrbereitschaft solle gefördert werden. geschuldet. Mich würde es sehr freuen, wenn sich das jetzt ändern würde. Mich würde es sehr freuen, wenn es gegenüber den Menschen, die zu uns kommen, künftig eine andere Haltung gäbe, wenn ein Paradigmenwechsel in Bayern eintreten würde.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Papst geht mit gutem Beispiel voran. Der Papst, der der Christlich-Sozialen Union ansonsten ja so nahesteht, hat Ihnen vorgemacht, wie es geht. Seine erste Reise hat er nach Lampedusa gemacht. Er hat die Menschen betrauert, die im Mittelmeer zu Tausenden ums Leben kommen, weil das reiche Europa sie nicht aufnehmen will, weil ihre Boote untergehen, weil sie von der Küstenwache abgedrängt werden. Er hat einen Kranz ins Mittelmeer geworfen und hat ihrer gedacht. Das war übrigens, falls Sie es noch nicht verstanden haben, auch ein Appell an Sie, diese Menschen barmherziger zu behandeln,

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

endlich auch das Christentum, das Sie in Ihrem Parteinamen tragen, auch diesen Menschen zuteil werden zu lassen, gemäß dem Wort von Jesus: Was du dem Geringsten meiner Brüder tust, das hast du mir getan. Danach könnten Sie jetzt einmal handeln, danach könnten Sie jetzt Ihre Politik ausrichten. Das wäre ein toller Schritt und würde mich sehr freuen.

Die Ankündigung von Herrn Seehofer freut mich auch. Der halbherzige Dringlichkeitsantrag der CSU geht zumindest nicht in die falsche Richtung. Was jetzt noch fehlt, sind konkrete Schritte der Umsetzung. Daran werden Sie sich auch messen lassen müssen. Der Worte sind genug gewechselt. Jetzt geht es darum, die Lebensbedingungen für Flüchtlinge auch tatsächlich zu verbessern. Deshalb sind uns die zwei namentlichen Abstimmungen so wichtig. Zuerst fragen wir: Wer ist damit einverstanden, dass dieser unsägliche Satz aus der Asyldurchführungsverordnung –

DV Asyl - gestrichen wird? Zweitens fragen wir: Wer ist bereit, den Worten auch Taten folgen zu lassen und tatsächlich humanitäre Verbesserungen für Flüchtlinge in Bayern umzusetzen?