Protokoll der Sitzung vom 07.05.2009

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 20. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben wie immer um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde wie immer erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch zwei Geburtstagsglückwünsche aussprechen; einen halbrunden Geburtstag feierte am 23. April Herr Kollege Reinhard Pachner. Herzlichen Glückwunsch!

(Allgemeiner Beifall)

Heute hat außerdem der Staatssekretär Dr. Bernd Weiß Geburtstag, der aber noch nicht da ist. Da muss dann später noch gratuliert werden. Auf jeden Fall von dieser Stelle aus herzliche Glückwünsche - an die beiden Geburtstagskinder.

Dann begrüßen wir eine Besuchergruppe oben, die erste des Tages, nämlich eine Besuchergruppe aus Rosenheim von der Frau Kollegin Noichl. Auch bei uns herzlich willkommen.

Dann kann ich jetzt Tagesordnungspunkt 1 aufrufen:

Regierungserklärung der Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten zum Thema: "Mit Europa die Krise bewältigen: Stärke und Geschlossenheit durch Neuausrichtung der EU"

Jetzt darf ich vielleicht parteiübergreifend, Herr Kollege Schneider, feststellen: Wenn ich sehe, dass der Herr Ministerpräsident schon da ist, dann könnten sich die Fraktionen daran ein Beispiel nehmen und bei diesem wichtigen Thema eigentlich auch schon anwesend sein.

(Beifall - Harald Güller (SPD): Wir sind da!)

Ich erteile hiermit Frau Ministerin Müller das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Europawoche ist es wichtig, daran zu erinnern, dass Europa eine beispiellose Erfolgsgeschichte ist, zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger.

Bei aller berechtigten Kritik an der einen oder anderen Entscheidung aus Europa: Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass die Europäische Union und ihr Erfolgsmodell Binnenmarkt Stabilitätsanker sind, auch für Deutschland und Bayern. Ohne die Europäische

Union, ohne den Euro würde unser Land, würden unsere Bürger von der Krise weitaus stärker belastet. Der große europäische Binnenmarkt mit 500 Millionen Menschen schützt und stabilisiert. Das gilt gerade für Bayern, das jeden zweiten Euro im Export verdient. Die gemeinsame Eurozone verhindert unter anderem Währungsrisiken.

Deshalb verwundert es nicht, dass andere Wirtschaftsräume die europäische Integration als Vorbild für die eigene Entwicklung nehmen. In Asien ist die Europäische Union für ASEAN das große politische und wirtschaftliche Vorbild. In Amerika ist die Europäische Union Vorbild für die Mercosur-Staaten. Die Afrikanische Union orientiert sich an dem Modell der Europäischen Union. Im Golf ist die Europäische Union Vorbild für den Golf-Kooperationsrat, der sich bis zum Jahr 2010 sogar das Ziel der Schaffung einer gemeinsamen Währung gesetzt hat. Ich glaube, das ist auch ein Zeichen dafür, welch ein Stabilitätsanker und welches Vorbild die Europäische Union mittlerweile geworden ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sicher, wir alle sind uns einig, dass die künftigen Herausforderungen ein geschlossenes Vorgehen der Europäischen Union nach außen erfordern.

In der Europawoche möchte ich auch daran erinnern, dass es ein langer und teilweise steiniger Weg war, den die Europäische Union von den Anfängen als Wirtschaftsgemeinschaft bis zur heutigen Europäischen Union gehen musste, um ein Erfolgsmodell mit Vorbildcharakter zu werden. In den ersten Jahrzehnten nach dem Abschluss der Römischen Verträge war es eine noch lebendige Erinnerung an zwei Weltkriege und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Zwänge, die jeden von der europäischen Idee überzeugte. Heute sind es die Zwänge einer globalisierten Welt, die einen Mitgliedstaat alleine überfordern würden. Gerade in diesem Jahr fällt unsere Aussprache zur europäischen Integration in eine Phase, die von vielen Unsicherheiten geprägt ist. Europa bewährt sich derzeit auch in der Finanz- und Wirtschaftskrise und in vielen anderen Bereichen.

Deshalb brauchen wir auch in Zukunft ein starkes Europa, ein Europa, das Perspektiven aufzeigt. Grundlage dafür ist die Unterstützung durch die Bürgerinnen und Bürger. Nachhaltig erreichen wir Stärke und Geschlossenheit durch eine Neuausrichtung der Europäischen Union. Dieser Leitgedanke fordert deshalb dreierlei:

Zum Ersten muss die Akzeptanz Europas bei den Bürgern durch Verdeutlichung der Herausforderungen, vor denen Europa heute steht und in denen es sich bewährt, verbessert werden. Zum Zweiten ist die Akzep

tanz Europas dadurch zu verbessern, dass Fehlentwicklungen nicht hingenommen werden. Wer einen Fehler nicht korrigiert, begeht sogleich einen weiteren. Zum Dritten ist die Akzeptanz dadurch zu verbessern, dass institutionell, geografisch und finanziell die richtigen Weichenstellungen für die Zukunft erfolgen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa überzeugt als globaler Akteur in der Krise. In der Finanzkrise hat die Europäische Union Einigkeit bewiesen. Europa hat es geschafft, im Rahmen der G 20 mit einer Stimme zu sprechen. Das war der Schlüssel zum Erfolg: Bei dem Treffen der G-20-Staaten konnten die Europäer ihre Position in den Verhandlungen weitgehend durchsetzen. Unsere Vorstellungen von einer besseren Regulierung und Aufsicht überzeugten mehr als ein Festhalten am Laissez-faire amerikanischen Vorbildes.

Es zeigt sich in der Wirtschaftskrise, dass das kontinentaleuropäische Wirtschaftsmodell besser auf Krisen vorbereitet und für die Zukunft gerüstet ist als manche Ausprägungen des anglo-amerikanischen Modells. Das europäische Modell baut auf einer nennenswerten eigenen Produktion mit einem leistungsfähigen Mittelstand auf. Es ist wesentlich krisenresistenter als ein Modell, das rein auf Dienstleistungen setzt. Das deutsche Modell der Sozialen Marktwirtschaft schafft Stabilität durch sozialen Ausgleich und die nötigen regulierenden Leitplanken für unternehmerisches Handeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen in allen Ländern der Europäischen Union eine Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft. Freiheit und Verantwortung sind gleichermaßen zu sehen. Wir brauchen eine Balance und wollen Chancengerechtigkeit für alle in allen europäischen Staaten.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Europa hat in der Krise klug gehandelt: Die Europäische Union hat sich auf eine Koordinierung der nationalen Konjunkturprogramme der Mitgliedstaaten beschränkt und gerade nicht zentralistisch entschieden; denn die Probleme der Mitgliedstaaten sind trotz gemeinsamer Ursachen unterschiedlich und werden am besten mit maßgeschneiderten Paketen angegangen. Ich halte es für absolut richtig, dass sich Brüssel darauf konzentriert, Wettbewerbsverzerrungen durch die nationalen Konjunkturprogramme zu verhindern. Hilfen für die Wirtschaft sind in der Krise notwendig. Dies darf aber nicht zu nationalstaatlichem Protektionismus führen. Gerade der Exportweltmeister Deutschland und hier insbesondere Bayern haben ein existenzielles Interesse an einem funktionierenden Binnenmarkt. Schließlich gehen über 60 % der bayerischen Exporte ins europäische Ausland. Auch hier profitieren wir von der Erweiterung der Europäischen Union um die mittelund osteuropäischen Länder, denn seit 2004 ist dort der

Handel um 65 % gestiegen, überdimensional im Vergleich mit allen anderen Exporten, die wir zu verzeichnen haben. Wir sehen also: Europa hat enorme Chancen.

Entscheidende Voraussetzung für die Bewältigung der Rezession, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine funktionierende Wirtschafts- und Währungsunion.

Bayern hat sich stets für einen stabilen Euro eingesetzt. Ein starker Euro ist auch die Voraussetzung für die Vorteile der gemeinsamen Währung: niedrigere Zinsen, Wegfall des Wechselkursrisikos, Schutz vor Währungsspekulationen und Inflation. Er schützt die Interessen der Sparer und er schützt die Interessen unserer Rentner.

Mitgliedstaaten, die der Eurozone noch nicht angehören und wirtschaftlich in Schwierigkeiten sind, möchten jetzt möglichst schnell auch den Euro einführen und Teil der Eurozone sein. Ein Beitritt zur Eurozone darf aber keine politische Entscheidung sein. Die Beitrittskriterien müssen strikt eingehalten werden. Auch deshalb lehne ich vorschnelle Beitritte in die Eurozone ab.

(Beifall bei der CSU)

Für mich steht auch fest: Eine Aufweichung unserer gemeinsamen Währung darf es nicht geben! Für uns haben die Stabilität des Euro und die Sicherheit der Ersparnisse unserer Bürger absolute Priorität.

Die Krise trifft zudem diejenigen Mitgliedstaaten besonders hart, die in den vergangenen Jahren Strukturreformen "versäumt" haben. Sie kommen in einen Teufelskreislauf aus Wirtschaftseinbruch und Haushaltsschieflagen, Steuerausfällen und Staatsverschuldung.

Was wir hier brauchen, ist die richtige Mischung aus Eigenverantwortung und Solidarität, und deshalb muss jeder Mitgliedstaat selbst für gesunde öffentliche Finanzen und die richtigen sozial- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sorgen. Das heißt: Ein Mitgliedstaat wie Deutschland kann nicht für die Schulden anderer Mitgliedstaaten einstehen!

(Beifall bei der CSU und Abgeordneten der FDP)

Hierfür brauchen wir die internationale Gemeinschaft. Wir müssen uns von starren Beharrungskräften verabschieden, wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz. Ohne kurz- und mittelfristige Hilfen, ohne internationale Solidarität wird es in der nächsten Zeit mit Sicherheit nicht gehen. Ich sehe bei einer Krise, die ihren Ursprung im internationalen, den Globus umspannenden Finanzverkehr hat, eine primäre Verantwortung eben dieser internationalen Gemeinschaft. Diese verfügt mit

dem IWF über ein bewährtes Instrument, um Not leidenden Staaten zu helfen. Es ist deshalb zu begrüßen, dass auf dem Gipfeltreffen des Europäischen Rates und der G 20 die Mittel des IWF für die Krisenhilfe aufgestockt wurden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa ist für Deutschland und Bayern ein absoluter Gewinn.

Die Bedeutung der europäischen Integration für unseren Kontinent geht längst über die ursprüngliche Idee hinaus, als Garant für Frieden zu wirken. Die europäische Einigung hat zum Zusammenwachsen unseres Kontinents geführt. Fünf Jahre nach der Osterweiterung zeigt sich, dass die Erweiterung ein historisch, politisch und wirtschaftlich wichtiger Schritt war. Der einst unüberwindliche Eiserne Vorhang ist mittlerweile Vergangenheit. Alle in der Grenzregion wissen, welche Erleichterung es war, als die Mauern gefallen sind, als wir die Erweiterung vollzogen hatten, als auch der Schengenraum vergrößert worden ist. Ich kann nur ganz einfach sagen: Es war für uns ein echter Zugewinn und natürlich auch ein Schritt in ein geeintes Europa der 27, das wir heute haben.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Bayern ist mit der Erweiterung geografisch zurück in das Zentrum Europas gerückt, einem Binnenmarkt mit knapp 500 Millionen Menschen. Bayern wurde zu einer europäischen Drehscheibe, die wirtschaftlich enorm von dem vergrößerten Europa profitiert. Das bedeutet unter anderem auch mehr Wirtschaftswachstum, steigenden Wohlstand und weitaus sicherere Arbeitsplätze.

Die Zahlen sprechen für sich. Die Ausfuhren bayerischer Unternehmen in die neuen zehn Mitgliedsstaaten sind seit dem Jahr 2004 - ich habe es vorhin gesagt um rund 65 % gestiegen und damit doppelt so stark wie die bayerischen Exporte insgesamt. Die Ausfuhren in die Slowakei, nach Lettland, Estland und Malta haben sich in den letzten fünf Jahren sogar mehr als verdoppelt.

Export bedeutet aber auch Transport, und alle in den Grenzregionen wissen, dass es dringend erforderlich ist, dass wir die transeuropäischen Netze mit hoher Priorität ausbauen. Die Eisenbahnachse Berlin - Palermo, den Brenner-Basistunnel und seine Zulaufstrecken sehe ich als vorrangige Aufgaben an. Aber auch die Ost-West-Verbindung ist für Bayern von essenzieller Bedeutung. Die europäische Magistrale von Paris nach Budapest muss so schnell wie möglich fertiggestellt werden.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Wenn ich von besseren Anbindungen an den Osten rede, muss ich ganz einfach sagen, dass es absolut falsch war, dass sich die Bahn aus dem ostbayerischen Raum verabschiedet hat, dass es dort keinen Fernverkehr mehr gibt, dass wir dort einen weißen Fleck haben, dort nur noch regionale Bahnen fahren, die von Bayern bestellt und von Bayern auch bezahlt werden.

(Beifall bei der CSU - Zurufe von der SPD)

Eine Fernverbindung Richtung Prag ist auf jeden Fall ausbaufähig. Wir müssen ganz einfach sagen, dass es heute, im 21. Jahrhundert, nicht mehr hinnehmbar ist, dass wir für eine Strecke von München nach Prag sechs Stunden benötigen

(Harald Güller (SPD): Richtig!)

und dass dabei viermal die Lokomotive gewechselt werden muss, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CSU und der FDP - Georg Schmid (CSU): Wo sie recht hat, hat sie recht, die Frau Ministerin!)

Wir brauchen den Ausbau der gesamten transeuropäischen Netze: Schiene, Straße, aber auch die Wasserstraße.

(Anhaltende Zurufe von der SPD)

Die Donau ist eine zentrale

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)