Protokoll der Sitzung vom 04.02.2010

Daraufhin hat man gesagt: Gut, vielleicht können wir die Ziele auch ohne eine Grundgesetzänderung erreichen. Nach der Bundestagswahl hat man sich strategisch in einer anderen Situation befunden. Der vom Bundesar beitsministerium vorgelegte Gesetzentwurf hat letztlich gezeigt, dass wir ohne eine Grundgesetzänderung nichts erreichen können. Die Einschätzung des Bun desarbeitsministeriums, dass wir den Fortbestand der Optionskommunen ohne Grundgesetzänderung erhal ten könnten, wird sehr uneinheitlich beurteilt. Ich möch

te dies juristisch ganz elegant formulieren. Man könnte behaupten, dass dies juristisch zumindest zweifelhaft sei. Die neugeschaffenen Strukturen sollten nicht von vorneherein auf juristisch zweifelhafte Grundlagen ge stellt werden. Damit wird das Risiko eingegangen, dass sich das Bundesverfassungsgericht erneut damit be schäftigen muss. Irgendwann ist die Geduld der Men schen, die diese Hilfe benötigen, am Ende. Deswegen ist es richtig, nach eingehender Beurteilung dieses Ent wurfs eine Grundgesetzänderung anzugehen. Dies sollte jedoch nicht um jeden Preis geschehen.

Dazu gehört eben auch, dass die Basis nicht mehr der Gesetzentwurf sein kann, den der frühere Bundesar beitsminister vorgelegt hat. Vielmehr muss man jetzt auf der Basis der von uns gemeinsam, glücklicherweise auch von Ihnen, Frau Weikert, formulierten Konsens ziele zusammenkommen, die nach Ansicht der SPD, wie ich gehört habe, auch die Optionskommunen be treffen. Das ist eine Situation, die Hoffnung gibt.

Ich füge noch eines an. Dieses Thema zeigte zwischen den Parteien nur selten große Unterschiede. Die Trenn linie bestand und besteht hier vielmehr zwischen der Länderebene, die sich zu Recht in der Verpflichtung und Verantwortung sieht, die kommunalen Interessen wahrzunehmen, und der Bundesebene. Deswegen sollte von uns - ich komme auch zur Union, Herr Rin derspacher; ich bin da immer sehr ehrlich; Sie kennen mich - der Appell ausgehen, dass wir mit dem Land tagsbeschluss, den wir heute treffen, auch einen par teiübergreifenden Appell an die Bundesebene verbin den. Parteiübergreifend wurde damals auf Bundesebene eine Lösung ausgehebelt, die jetzt in der Verpflichtung steht, die Weichen, die wir gestellt haben, aufzunehmen und im Interesse der Kommunen umzu setzen. Wichtig ist, dass das schnell geht. Die Träger müssen wissen, ob sie eine neue Software in Auftrag geben müssen, ob sie Mietverträge verlängern müssen und wie es sich mit den Personalübergängen verhält.

Was die Optionskommunen betrifft, habe ich bereits gesagt: Wir wollen sie nicht nur politisch, sondern wir brauchen auch im Hinblick auf die Optionskommunen eine klare verfassungsrechtliche Grundlage und damit eine Grundgesetzänderung.

Insofern freue ich mich sehr, dass sich diese einheitli che Linie, wenn auch noch nicht ganz aus den Anträ gen, so doch aus den mündlichen Erläuterungen abgezeichnet hat.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Damit ist die Aussprache ge schlossen.

Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträ ge wieder getrennt.

Zum Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/3421 hat die Fraktion der Freien Wähler erklärt, dass ohne Num mer 3 abgestimmt werden soll. Wer diesem Dringlich keitsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Oppositionsfrakti onen der SPD, der GRÜNEN und der Freien Wähler. Gegenstimmen? - Das sind die Fraktionen der CSU und der FDP. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/3445 der SPD-Fraktion seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Es zeigt sich ein ähn liches Abstimmungsverhalten. Gegenprobe! - Dieses Stimmverhalten ist ebenfalls ähnlich. Damit ist auch dieser Antrag mit den Stimmen von CSU und FDP ab gelehnt. Zugestimmt haben die GRÜNEN, die SPD und die Freien Wähler.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/3447 - das ist der interfraktionelle Antrag der CSU- und der FDP-Fraktion - seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind alle Fraktionen des Hauses. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung einiger Freier Wähler ist der Antrag mit großer Mehrheit so angenommen.

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Sepp Daxenberger, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Steuerdatei kaufen (Drs. 16/3422)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Volkmar Halbleib, Susann Biedefeld u. a. und Fraktion (SPD) Mehr Steuergerechtigkeit: Steuerhinterziehern das Handwerk legen! (Drs. 16/3424)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Der erste Redner ist Herr Kollege Mütze vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Eigentlich hat sich der Antrag erledigt. Frau Merkel hat gesagt: Es ist okay. Herr Schäuble hat gesagt: Es ist okay. Der Ministerpräsident hat gesagt, auch er wolle die Daten-CD kaufen. Kollege König hat gesagt: Das ist okay.

Die Steuerdatei wird also gekauft. Allein die Debatte hat dazu geführt, dass sich Menschen, die gemeint haben, ihnen gehe es jetzt an den Kragen, zum Beispiel in Nie

dersachsen, schon bei den Behörden gemeldet und Selbstanzeige erstattet haben. Es konnten schon Sum men von einer Million Euro an Steuermitteln in den Steuersäckel fließen.

Trotzdem bin ich und sind wir der Meinung, dass der Landtag das Thema "Steuerdatei kaufen" hier debat tieren muss. Denn die Länder müssen ihr Einverständ nis geben. Die Länder müssen sich schließlich an dem Kauf beteiligen. Wir hoffen natürlich auch, beteiligt zu sein, wenn Steuermittel in den bayerischen Landes haushalt zurückfließen.

Ich will nicht verschweigen, dass nicht alle meiner Kol leginnen und Kollegen den Antrag gut finden und ihm zustimmen werden. Diese haben große Probleme mit dem Datenschutz, der ihrer Meinung nach in dem Fall beeinträchtigt wird. Aber meine kritischen Kollegen sind auf jeden Fall glaubwürdiger als Politiker der CDU/ CSU, die bisher jedem Vorschlag zu V-Mann-Regelun gen oder Überwachungsvorschlägen und Computer ausspähungen begeistert zugestimmt haben. Sie haben auch nichts dagegen, wenn Hartz-IV-Empfänger ihren Kühlschrank öffnen müssen, damit sie nachwei sen können, dass sie nicht in einer Bedarfsgemein schaft leben, aber bezüglich mutmaßlicher Steuerbe trüger großen Stils haben sie ihre Schwierigkeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erläutere einige Argumente, die für einen Datenkauf sprechen.

Erstens. Jedermann und jedefrau ist zur Abgabe einer vollständigen Steuererklärung verpflichtet. Unterlässt er oder sie dies, macht er oder sie sich automatisch strafbar.

Zweitens. Steuerrechtlich muss jedes Finanzamt ernst haften Hinweisen auf Steuerhinterziehung nachgehen. Das Erscheinen auf einer CD ist keine Vorverurteilung, begründet aber einen Vorverdacht, der erhärtet oder ausgeräumt werden kann.

Drittens. Aus bürgerrechtlicher Sicht - das ist der Knackpunkt für einige meiner Kollegen - sind Kronzeu genregelungen oder Deals, wie sie jetzt bei dem be treffenden Informanten anscheinend überlegt werden, abzulehnen. Selbstverständlich müssen die Behörden auch die Grundrechte der Betroffenen berücksichtigen.

Das Bundesverfassungsgericht hat uns in dem Zusam menhang eine Drei-Sphären-Theorie an die Hand ge geben: Am stärksten ist die Intimsphäre geschützt; dann kommt die Privatsphäre; erst danach kommt die Geschäftssphäre. In der letztgenannten Sphäre ist das Strafverfolgungsinteresse am größten und sind die da tenschutzrechtlichen Bedenken weniger stark. Soweit

wir bisher wissen, stammen die anzukaufenden Daten zum überwiegenden Teil aus der letztgenannten Sphä re.

Bei der Daten-CD geht es nicht um irgendwelche dubi osen Zeugenaussagen, sondern um einfache Hinweise auf mögliche Tatbestände. Zudem hat niemand - ich habe solches jedenfalls nicht gelesen - dem Datenan bieter Straffreiheit für den Diebstahl zugesichert.

Viertens. Ist der Ankauf von Kriminalitätshinweisen mo ralisch verwerflich? Wir sagen: Nein. Steuerhinterzie hung ist ein Delikt. Jedes Nichtermitteln läuft auf Begünstigung und Verstoß gegen den Gleichheits grundsatz hinaus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Fünftens. Der Staat hat den Diebstahl nicht in Auftrag gegeben, und der Täter ist kein Amtsträger. Damit ist die Erhebung der Daten aus staatlicher Sicht völlig un problematisch; so sagt jedenfalls der Staatsrechtspro fessor Ambos aus Niedersachsen.

Ich komme zum Verwertungsverbot. Es wird gesagt, wir dürften die Daten nicht verwerten, da sie gestohlen seien. Die Frage des Verwertungsverbots ist meiner Meinung nach marginal. Illegal abgehörte Täter im Dro genmilieu werden verurteilt, nicht aufgrund des abge hörten Telefongesprächs, sondern aufgrund der da raufhin erfolgten Hausdurchsuchung.

Die Daten-CD ist also nicht der Beweis, sondern die sich anschließenden Untersuchungen werden gegebe nenfalls zu Tatbeständen.

Zudem hat sich - das konnten wir heute nachlesen herausgestellt, dass es selbst in der Schweiz dazu ein höchstrichterliches Urteil gibt, welches die Verwertung erlauben würde. Die Schweiz musste in den letzten Tagen einiges an Schlägen einstecken. Da ist von Staatshehlerei die Rede. Kollege König wirft der Schweiz aktive Beihilfe zu Steuerhinterziehung vor.

Ich will das gar nicht kommentieren, sondern darauf nur mit den Worten eines Schweizer Publizisten antworten: Wie aber kommen wir - die Schweizer - dazu, uns zu empören, wenn die Deutschen etwas zurückkaufen, das ihnen ohnehin gehört? - Dem ist nichts hinzuzufü gen.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. Für die SPD-Fraktion darf ich als Nächs ten den Kollegen Volkmar Halbleib ans Mikrofon bitten.

Herr Präsident! Liebe Kolle ginnen und Kollegen! Ich glaube, es geht um einen sehr wichtigen Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN und um einen noch wichtigeren Dringlichkeitsantrag der SPD, weil dieser über das hinausgeht, was die GRÜNEN be antragen.

Beide Anträge und auch die Debatte sind aus meiner Sicht heute zwingend notwendig, weil wir nicht nur Klar heit darüber brauchen, in welchem Umfang und in wel chem Rahmen der Staat Daten von Steuerhinterzie hungen kauft, sondern auch darüber, wie die konsequente Bekämpfung der Steuerkriminalität in der Bundesrepublik und speziell im Freistaat Bayern aus schaut und wie es um den gerechten Steuervollzug auch im Freistaat Bayern bestellt ist.

Die Debatte ist auch deswegen notwendig, weil wir bei der Diskussion eine wahre Kakophonie von Stellung nahmen aus dem Bereich der CDU und auch der CSU hatten. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder hat davon abgeraten, diese Daten zu erwerben, und es gab eine Aussage von Karl Theodor von und zu Guttenberg gegenüber der "Neuen Zürcher Zeitung", die da lautet: Ich persönlich habe ein Problem damit.

Inwieweit die persönliche Betroffenheit von von und zu Guttenberg hier im Raume steht, weiß ich nicht, aber es war zumindest eine Aussage, die mich befremdet hat. Ich erwarte von verantwortlichen Politikerinnen und Politikern eine klare Stellungnahme dazu, dass Steu erhinterziehung nicht nur den Staat schädigt, sondern die Moral unserer Gesellschaft untergräbt und dass die Bekämpfung der Steuerhinterziehung auch eine zent rale moralische Aufgabe der Politik ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich erwarte auch eine klare Stellungnahme dazu, dass Steuerhinterziehung national und international vehe ment zu bekämpfen ist und dass rechtsfreie Räume in diesem Bereich nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu beseitigen sind. Ich erwarte ein klares Bekenntnis dazu, dass der Staat wie bei anderen Kriminalitätsfeldern, bei denen es um viel Geld geht, nämlich bei der Organis ierten Kriminalität und bei der Drogenkriminalität, auch hier darauf angewiesen ist, mit Personen zusammen zuarbeiten, die ihr Wissen illegal erworben haben. Dass für Steuerhinterziehung etwas anderes gelten soll als für organisierte Kriminalität oder Drogenkriminalität will mir, ehrlich gesagt, nicht einleuchten, es sei denn, der Eindruck ist immer noch da, dass Steuerkriminalität ein harmloses Delikt ist. Dagegen müssen wir gemeinsam antreten.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt viele Beispiele für die Verpflichtung des Staates zur Verbrechensbekämpfung auch in Kooperation mit Straftätern. Kronzeugenregelungen sind bekannt, ebenso die Arbeit von V-Leuten, der Ankauf von Infor mationen, im Übrigen auch der Ankauf von Informatio nen für den laufenden Steuervollzug auch hier im Freistaat Bayern. Es ist im Inland gang und gäbe, dass von den Steuerbehörden Informationen aufgekauft werden. Zu nennen ist auch die Beschaffung von Infor mationen über den Verfassungsschutz.

Also die Bedenken sind aus meiner Sicht wenig ver ständlich, denn jedem Bürger, der von einem Strafver fahren betroffen ist, das auf solche Beweise gestützt wird, wie sie hier im Raum stehen, stehen umfassende Rechtsmittel zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Strafverfolgung zu, bis hin zum Bundesverfassungsge richt. Es ist nicht so, dass vorher keine Prüfung der Verfassungsgemäßheit stattgefunden hat, und zwar sowohl beim Bundesministerium der Finanzen wie auch - ich habe das in der "FAZ" gelesen - beim Staats ministerium der Finanzen.

Ich hätte mir hier Klarheit auch in den Aussagen von von und zu Guttenberg und Volker Kauder gewünscht. Die "Süddeutsche Zeitung" hat geschrieben - dem habe ich nichts hinzuzufügen -: "Alle haben sie gemerkelt. Nur Merkel nicht." Eine treffende Bemerkung, wie ich finde.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)