Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen, damit ich die Sitzung eröffnen kann. Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 44. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Diese wurde wie immer erteilt.
Ministerbefragung gem. § 73 GeschO auf Vorschlag der FDP-Fraktion "EuGH-Urteil zum Datenschutz: Wie kann am schnellsten und am zweckmäßigsten die 'völlige Unabhängigkeit' für die im nichtöffentlichen Bereich zuständigen Datenschutzbehörden hergestellt werden?"
Zuständig für die Beantwortung ist der Staatsminister des Innern. Ich darf ihn bitten, an das Rednerpult zu kommen. Zunächst darf ich Herrn Dr. Fischer das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, Herr Ministerpräsident, Herr Staatsminister, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren haben wir zahlreiche Datenschutzskandale erlebt. 500 Filialen einer Supermarktkette wurden illegal videoüberwacht. Bei der Telekom wurden Daten von 17 Millionen Kunden gestohlen. Bei der Deutschen Bahn wurde der MailVerkehr von 70.000 Mitarbeitern überwacht.
Diese Vorfälle zeigen: Datenschutz ist das zentrale Bürgerrecht des 21. Jahrhunderts. Für uns, die bayerische FDP, ist Datenschutz eine Herzensangelegenheit. Wir freuen uns, dass wir von vielen Seiten immer wieder Zustimmung erfahren. Seit unserer Regierungsbeteiligung ist ebenfalls eine Trendwende erkennbar. Deswegen möchten wir das Thema Datenschutz heute zum Gegenstand unserer Ministerbefragung machen.
Am 9. März 2010 ist ein aktuelles Urteil ergangen. Laut Europäischem Gerichtshof - EuGH - sind die für den nicht öffentlichen Bereich zuständigen Datenschutzbehörden der deutschen Bundesländer nicht unabhängig genug, da sie unter staatlicher Aufsicht stehen. Das widerspricht einer Datenschutzrichtlinie der EU. Der entscheidende Punkt ist dabei, dass nicht nur die Fachaufsicht, sondern auch die Rechtsaufsicht für europarechtswidrig erklärt wurde. Das heißt - damit möchte ich gleich mögliche Einwände der Opposition vorwegnehmen -, dass alle Bundesländer derzeit europarechtswidrige Regelungen haben. Uns liegt kein bayernspezifisches Problem vor.
Vor einem Jahr hat der Gesetzentwurf der GRÜNEN diese Rechtsaufsicht nach wie vor vorgesehen. Jetzt liegt das Urteil vor. Deswegen ist jetzt der richtige Zeitpunkt, darüber zu diskutieren, wie wir die Datenschutzaufsicht schlagkräftiger und europarechtskonform ausgestalten können.
Daher frage ich Sie, Herr Staatsminister: Wie kann am schnellsten und am zweckmäßigsten die völlige Unabhängigkeit für die im nicht öffentlichen Bereich zuständigen Datenschutzbehörden hergestellt werden? Dies möchte ich etwas präzisieren. Ist es möglich, den Datenschutz für den öffentlichen und nicht öffentlichen Bereich unter dem Dach des Landesdatenschutzbeauftragten zusammenzuführen? Wenn ja, sehen Sie dabei positive Synergieeffekte? Ich denke in diesem Zusammenhang insbesondere an Personal- und Sachmittelausstattung. Welche weiteren Vorteile bietet der Wegfall der schwierigen Grenzziehung zwischen öffentlichem und nicht öffentlichem Datenschutz? Ich präzisiere weiter: Gibt es bereits ein Konzept in Ihrem Haus zur Zusammenlegung der beiden Datenschutzbehörden?
Herr Kollege Dr. Fischer, vielen Dank für diese Frage, die uns in den nächsten Monaten intensiv beschäftigen wird. Durch das EuGH-Urteil sind zweifellos schwierige und sehr diffizile verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen worden. Zum einen geht es um das Thema Datenschutz, das Sie völlig zutreffend beschrieben haben, zum anderen geht es um althergebrachte Grundsätze des Verfassungsrechts in Deutschland. Beides unter ein Dach zu bringen, ist offensichtlich nicht so einfach. Die Exekutive hat insbesondere gegenüber dem Parlament die Verantwortung für die Eingriffsverwaltung.
Die Beantwortung der Frage, welche Maßnahmen die Staatsregierung in der Zukunft ergreifen werde, ist abhängig von dem Vorgehen auf Bundesebene. Wir sind mit dem Bund in Kontakt. Sicherlich werden wir uns auf der nächsten Innenministerkonferenz im Mai im Kreis der Länderinnenminister und des Bundesinnenministers darüber aussprechen. Zuvor hat der Bundesinnenminister im April zu einer Besprechung in Berlin auf Fachebene eingeladen.
Der Datenschutzbeauftragte, der vom Landtag gewählt worden ist, um die Behörden des Freistaats Bayern zu kontrollieren - das gilt ebenso auf Bundesebene für den Bundesdatenschutzbeauftragten -, repräsentiert eine reine Beobachter- und Kontrollinstanz, die selbst keine
Entscheidungen zu treffen hat. Darin besteht zweifellos die Problematik. Der Datenschutzbeauftragte kann dem Landtag nur berichten oder gegenüber der Staatsregierung eine Mahnung aussprechen bzw. in der Öffentlichkeit anmahnen. Dem Parlament allein obliegt es, Konsequenzen zu ziehen. Der Datenschutzbeauftragte berichtet, wenn er etwas beanstandet, kann jedoch selbst gegenüber einer Behörde keine Weisungen erteilen, nach dem Motto: "Das ist falsch. Das muss geändert werden." Die Entscheidungskompetenz darüber, was anschließend zu tun ist, bleibt bei der Staatsregierung.
Für die Kontrolle in dem sogenannten nicht öffentlichen Bereich, also für die Datenschutzaufsicht, die zum Beispiel bei den von Ihnen erwähnten Firmen die Einhaltung des Datenschutzes überwacht, besteht ein typisch staatliches Amt mit Exekutiv- und Eingriffsbefugnissen. Dieses Amt kann zum Beispiel zu der bestimmten Lebensmittelkette gehen und sagen: "Die hier installierte Kamera ist nicht zulässig; die muss sofort abmontiert oder zumindest abgeschaltet werden." Das ist ein völlig anderes staatliches Vorgehen.
Für alle derartigen Eingriffsbefugnisse gilt seit jeher ein Verfassungsgrundsatz, nach dem ein Minister - je nachdem, welchem Ressort diese Aufgabe zugeordnet ist für das Handeln der Behörde in Bayern genauso wie auf Bundesebene geradesteht und die Dinge gegebenenfalls vor dem Parlament zu verantworten hat. Gegebenenfalls kann es auch zu Schadensersatzprozessen und Ähnlichem mehr kommen.
Es gibt also zwei völlig unterschiedliche Arten des Vorgehens. Deshalb ist es nicht so einfach, beides unter ein Dach zu bringen.
Es gibt ganz unterschiedliche Möglichkeiten, zu einer Lösung zu kommen. Ich will nur zu den Grundansätzen etwas sagen.
Erstens. Der Bund hat ohnehin theoretisch die Möglichkeit, das Ganze an sich zu ziehen und per Bundesrecht alles unmittelbar zu regeln bzw. eine bundesunmittelbare Behörde einzurichten. Ich befürworte dies natürlich nicht; darüber sollte es keine Missverständnisse geben. Aber die Grundentscheidung wird der Bund angesichts des neuen Urteils treffen müssen.
Zweitens. Es gibt natürlich die Möglichkeit, die Sie, Herr Kollege Fischer, in Ihrer Frage genannt haben: unter dem Dach des Landesdatenschutzbeauftragten eine Zusammenführung zu machen. Wenn man sich auf der einen Seite auf eine reine Kontroll- und Überwachungsfunktion beschränkt und die Exekutiv-, Anordnungsund Eingriffsbefugnisse - auch die Befugnis, Geldbußen oder Ähnliches zu verhängen - einer anderen Behörde überlässt, dann hat man zwar auf der einen
Seite eine Zusammenfassung, aber auf der anderen Seite eine andere Behörde mit den Dingen beauftragt.
Dies ist sorgfältig zu überlegen und abzuwägen. Jedenfalls muss eine Behörde, die zum Beispiel einen Bußgeldbescheid oder einen anderen Eingriffsbescheid erlässt, unter irgendeiner Verantwortung stehen. Sie darf nicht in einem freien Raum agieren.
Über diese Dinge werden wir also reden. Wir werden uns länderübergreifend zusammensetzen. Ich denke, in den nächsten Monaten werden wir ein vernünftiges Konzept ausarbeiten. Ich sage aber ganz deutlich: Es bedarf sehr intensiver Diskussion.
Schließlich darf ich etwas zu der Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs des bayerischen Landesdatenschutzbeauftragten sagen. Diese Zuständigkeit ist im Moment in der Bayerischen Verfassung so konkret beschrieben, dass wohl auch nach Auffassung des Datenschutzbeauftragten eine Zuordnung weiterer Aufgaben zu seinem Bereich einer Änderung der Bayerischen Verfassung bedürfte. Auch dies muss bei einer Konzeption für die künftige Regelung bedacht werden.
Vielen Dank Herr Staatsminister, ich habe noch eine Nachfrage. In dem Urteil ist der Begriff der "völligen Unabhängigkeit" verwendet worden. Halten Sie im Hinblick auf diesen Begriff eine Dienstaufsicht nach wie vor für zulässig? Wenn ja: Wie müsste die Ausgestaltung der Dienstaufsicht aussehen? Und von wem darf sie wahrgenommen werden?
Die Frage der Dienstaufsicht wird in dem EuGHUrteil nicht eigens angesprochen. Sie bleibt insofern offen. Im Bereich der Justiz ist es bei uns seit jeher selbstverständlich, dass unter Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit der Gerichtspräsident die Dienstaufsicht über die Richter ausübt, zum Beispiel hinsichtlich dessen, ob sie ihren Aufgaben überhaupt nachkommen. In dieser Hinsicht muss es natürlich eine Aufsicht geben. Ich gehe aber davon aus, dass die Dienstaufsicht insoweit nicht im Widerspruch zur "völligen Unabhängigkeit" des Datenschutzbeauftragten steht.
Nach unserem gegenwärtigen Rechtsverständnis gehe ich auch davon aus, dass beispielsweise die Frau Landtagspräsidentin im Auftrag des Parlaments die Dienst
Frau Präsidentin! Herr Staatsminister, die aktuelle Situation ist ebenso bekannt wie die verfassungsrechtlichen Fragen, die wir spätestens in der Debatte um unseren GRÜNEN-Gesetzentwurf hinreichend diskutiert haben. Dabei sind die damit zusammenhängenden Probleme deutlich geworden. Uns allen war zum damaligen Zeitpunkt aber auch bekannt, dass die Klage beim EuGH anhängig war. Ich, die ich mir die Richtlinie gut angeschaut habe, war sicher, dass wir gewinnen würden; so ist es dann auch gewesen.
Sie gehen hier etwas blauäugig in die Debatte und sagen: Das müssen wir in den nächsten Monaten abwägen. Dies erstaunt mich. Ich möchte von Ihnen natürlich schon ein bisschen konkreter wissen, in welcher Richtung Sie diese Debatte führen möchten. Ich möchte sehr wohl wissen, ob es konkrete Auswirkungen auf das Landeszentrum für Datenschutz in Ansbach bei der Regierung von Mittelfranken geben wird.
Ich möchte natürlich wissen, ob Sie in Richtung einer Zusammenlegung von öffentlichem und nicht öffentlichem Bereich diskutieren. Es reicht nicht aus, dass Sie darauf hinweisen, dass wir eine Verfassungsänderung brauchen; das weiß auch ich.
Ich möchte natürlich wissen, welche Konsequenzen Sie aus dem Urteil gegebenenfalls für den öffentlichen Bereich ziehen. Da muss man genau hinsehen. Sie haben es bereits angesprochen.
Ich möchte sehr wohl auch wissen, ob die Unabhängigkeit der Kontrollstelle eine autonome Haushaltsführung und eine eigene Personalhoheit umfasst. Die Frage nach dem Dienstrecht gehört ebenfalls dort hinein.
Ich möchte natürlich weiterhin wissen, ob vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH die Mitarbeiter, die in einer solchen Kontrollstelle sitzen, zukünftig verbeamtet sein können.
Dann möchte ich noch etwas wissen. Sie haben von "ein paar Monaten" gesprochen. Das reicht nicht aus. Ich möchte wissen: Wann sorgen Sie in Bayern für klare Verhältnisse? Genau diese klaren Verhältnisse mahnen wir hier an. Das tun wir ebenso wie die SPD, die Freien Wähler, in Teilen auch die FDP, obwohl sie den Kabinettsbeschluss vom 10. Februar bezüglich Spaltung der Datenschutzaufsicht mitgetragen haben. Wie
Frau Kollegin Stahl, ich bitte zunächst einmal zu berücksichtigen, dass wir das, was wir im nicht öffentlichen Bereich konkret vollziehen, auf der Grundlage des Bundesdatenschutzgesetzes tun.
Das heißt zunächst einmal, und da helfen mir Ihre ansonsten wohlfeilen Äußerungen überhaupt nicht weiter: Der Bund muss das Bundesdatenschutzgesetz ändern, bevor wir insgesamt zu einem anderen Vollzug kommen. Wir befinden uns hier nicht in einem Bereich völliger bayerischer Rechtshoheit, sondern hier vollziehen wir Bundesrecht. Das ist der momentane Stand. Es geht nicht nur um die Frage, an welchem Ort welche Behörde sitzt, sondern letztlich geht es um eine inhaltlich klare Strukturierung.
Im Rahmen einer Fach- und Rechtsaufsicht vollziehen wir ganz klar den Wortlaut des Bundesdatenschutzgesetzes. Das heißt also: Erst einmal muss der Bundesgesetzgeber das Bundesdatenschutzgesetz in diesem Punkt ändern und der Rechtsprechung des EuGH anpassen. Darüber wird der Bund sinnvollerweise mit den Ländern reden. Erst im Vollzug eines so geänderten Bundesdatenschutzgesetzes können wir zu einem anderen Vollzug in Bayern übergehen.
Bezüglich der Ausgestaltung geht die Unabhängigkeit in bestimmten Fragen, die Sie aufgeworfen haben - ich sage es so, wie ich das EuGH-Urteil verstehe -, wohl kaum über das hinaus, was heute bei den Gerichten als Selbstverständlichkeit gilt.
Sie haben die Haushalts- und Personalhoheit angesprochen. Bei unseren Gerichten gibt es natürlich in hohem Maße eine Unabhängigkeit. Aber über welchen Haushalt beispielsweise das Amtsgericht München oder das Oberlandesgericht München in seinem Geschäftsbereich verfügt, entscheidet im Prinzip immer noch der Bayerische Landtag. Über die Frage, wie viele Richter es im Geschäftsbereich des Justizministeriums insgesamt gibt und wie diese auf die verschiedenen Bereiche verteilt werden, entscheidet ebenfalls der Bayerische Landtag. Es kann sicherlich nicht angehen, dass ein Datenschutzbeauftragter selbstständig darüber entscheidet, wie viele Mitarbeiter er hat und wie hoch sein Etat ist. Da muss man die Kirche schon im Dorf lassen, wenn man derartige Fragen vernünftig interpretieren will. Über diese Dinge wird jetzt gemeinsam zwischen Bund und Ländern geredet.
Was schließlich die jetzige staatliche Stelle in Ansbach anbetrifft, haben wir diese ganz bewusst, bekanntermaßen auch aus strukturellen Gründen, wie wir das bei
Der Strukturgesichtspunkt hat nichts mit dem EuGHUrteil zu tun, aber er hat für mich persönlich bei den weiteren Überlegungen, wie man Datenschutzaufsicht strukturieren kann, eine hohe Bedeutung.
Herr Staatsminister, meine Damen und Herren! In der Tat ist die Diskussion über diese jetzt vom EuGH entschiedene Frage nicht ganz neu. Ich möchte schon daran erinnern, dass wir diese Diskussion im Rechtsausschuss des Landtags mehrfach geführt haben und dass uns der Umstand, dass es in Bayern - aber zugegebenermaßen nicht nur in Bayern - verschiedene Stellen für die Kontrolle der Einhaltung des Datenschutzes gibt, veranlasst hat, dafür zu sorgen, dass zum ersten Mal überhaupt auch die Ansbacher Dienststelle einen Bericht über ihre Tätigkeit im Bayerischen Landtag gibt. Wir haben in diesem Zusammenhang immer angekündigt, dass wir uns mittelfristig eine Fusionierung der beiden Stellen durchaus vorstellen können.