Protokoll der Sitzung vom 11.11.2010

(Beifall bei den GRÜNEN)

An dieser Stelle ist es angebracht, den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei zu zitieren. Er kritisiert den Transport als Fanal einer fatalen politischen Irrfahrt. Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Konrad Freiberg, hält es für einen großen politischen Fehler, den mühsam errungenen Atomkonsens aufzukündigen. Die Polizei sei über Jahre personell geschwächt worden. Die intransparente, widersprüchliche und einseitige gönnerhaft erscheinende Politik der Regierung, so sagt er, treibe die Bürgerinnen und Bürger auf die Straße. Das kann ich nur unterstreichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir fordern, dass politische Entscheidungen auf der politischen Ebene getroffen und nicht auf dem Rücken der Polizistinnen und Polizisten ausgetragen werden. Die Kooperationslinie vor Ort - das möchte ich hier betonen - verdient ein großes Lob. Sie hat sehr dazu beigetragen, dass die Proteste so friedlich abgelaufen sind. Vonseiten der Demonstrierenden und vonseiten der Polizei hat es Agreements gegeben gerade bei den Sitzblockaden. Die Leute durften sich hinsetzen. Danach kam die Polizei zu dem vereinbarten Zeitpunkt mit der Frage: Wollt ihr freiwillig aufstehen? Sol

len wir euch wegtragen? In dieser Art und Weise mit der Situation umzugehen, das ist die richtige Deeskalation und Kooperation. Damit kommen wir weiter und nicht, wenn Sie alle Demonstrierenden in eine Gewaltecke stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es hat einen eingespielten Ablauf gegeben. Er hat sehr gut funktioniert. Auch die Sitzblockaden kann ich hier für verständlich und nachvollziehbar erklären. Wenn man die Gefahren der Atomenergie betrachtet und die noch immer nicht gelöste Endlagerfrage, dann ist so eine Sitzblockade, auch wenn man die Agreements im Hintergrund sieht, durchaus ein legitimes Mittel.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eigentlich hätte kein einziges Atomkraftwerk jemals ans Netz gehen dürfen. Jeder Häuslebauer muss nachweisen, dass die Erschließung und Entsorgung gesichert ist. Erst wenn die Endlagerfrage geklärt gewesen wäre, hätte man überhaupt in diese Richtung gehen dürfen, wenn überhaupt. Das ist nicht geschehen. Jetzt fällt uns dieses Problem auf die Füße, über Jahrtausende, wenn nicht noch für längere Zeiträume, Zeiträume, die von uns nicht überblickbar sind. Das ist verantwortungslose Politik, und der muss man sich entgegenstellen können - natürlich mit friedlichen Mitteln, das ist klar. Genauso wie es Kollege Schindler gesagt hat: Wir haben überhaupt keinen Bedarf, permanent betonen zu müssen, dass wir natürlich Gewalt etc. ablehnen. Das ist eine Selbstverständlichkeit; die muss man nicht immer wiederholen.

Sehr positiv kam für mich diese differenzierte Positionierung der Vertreter der Polizei rüber, die den ganzen Ablauf sehr präzise kommentiert haben, nicht zur Eskalation beigetragen haben, sondern dafür gesorgt haben, dass es soweit gut abgelaufen ist, bis auf diese Randfälle, die von der Polizei auf 1 % beziffert worden sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Tausendfreund. Die nächste Wortmeldung für die Staatsregierung: Herr Staatsminister Herrmann. - Nein, wir haben eine Zwischenbemerkung. Frau Kollegin Tausendfreund, würden Sie bitte noch einmal zum Mikrofon kommen für eine Zwischenbemerkung des Kollegen Ländner.

Ganz allgemein, nicht nur zu Ihnen, liebe Frau Kollegin: Mir scheint es schon sehr befremdlich, dass hier eine Diskussion, ausgelöst durch einen Dringlichkeitsantrag "Ja zur Demo

kratie,... Nein zur Gewalt", insbesondere Nein zur Gewalt gegen Polizeibeamte, dafür ausgenutzt wird, um für oder gegen Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke zu diskutieren.

(Zuruf der Abgeordneten Simone Tolle (GRÜNE))

Ich finde es auch befremdlich im Zusammenhang mit der vorherigen Diskussion zu den Polizeibeamten. Ich stelle eindeutig fest, wenn wir darüber diskutieren, muss wirklich einmal gesagt werden: Was in Gorleben abgegangen ist, hat die Polizeibeamtinnen und die Polizeibeamten bis an die Schmerzgrenze belastet. Eine politische Grundlage kann nie Ursache sein für Gewalt, für das Abschneiden von der Versorgung und für zynische Bemerkungen, wenn Polizeibeamte keine Verpflegung nachgeführt bekommen, Bemerkungen, auch im Fernsehen, die lauten: Das hätte die Polizei anders organisieren sollen. - Das wollte ich hier einmal feststellen.

(Beifall bei der CSU)

Sehr geehrter Herr Ländner, ich glaube, Sie haben gerade nicht zugehört oder Sie haben die Problematik nicht verstanden.

(Manfred Ländner (CSU): Eine andere Problematik!)

Herr Ländner, Sie haben diesen geringen Anteil an Gewalt, der natürlich zu verurteilen ist, zum Anlass für Ihren Antrag genommen,

(Erwin Huber (CSU): Das haben Sie bisher aber nicht verurteilt!)

um den gesamten Widerstand gegen die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke in Misskredit zu bringen. Das ist zynisch.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist das vornehmste Recht der Bürgerinnen und Bürger, auf die Straße zu gehen und gegen Entscheidungen, die sie für nicht richtig halten, die auch nicht nachhaltig sind, die nachfolgende Generationen gefährden etc. pp. zu demonstrieren. Natürlich muss dann ein Polizeieinsatz koordiniert werden. Das ist auch klar. Die Masse an Leuten haben Sie durch die Aufkündigung des Atomkompromisses auf die Straße gebracht, wie es von der Gewerkschaft der Polizei sehr deutlich gesagt worden ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. Jetzt erhält Herr Staatsminister Herrmann das Wort. Bitte schön.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Tagen in der Tat erschreckende Nachrichten anlässlich des Castor-Transports nach Gorleben zur Kenntnis nehmen müssen. Ich meine damit nicht nur die gezielten Versuche, zum Beispiel Bahndämme zu beschädigen, auf denen immerhin radioaktive Gefahrgüter transportiert werden sollten, was gleichermaßen hochgefährlich wie strafbar ist. Ich meine auch die Taten, die die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Einsatz vor Ort betrafen. Gegen sie wurden Signalmunition und Feuerwerkskörper eingesetzt. Gegen Polizeibeamte wurde mit Schlagstöcken, mit Holzlanzen, mit Steinen und Reizstoffen vorgegangen.

(Erwin Huber (CSU): Hört, hört!)

Polizeibeamte wurden durch Blockaden über längere Zeiträume von jeder Versorgung, auch mit Wasser und Lebensmitteln, abgeschnitten. Ich will das ausdrücklich sagen. Demonstranten haben vorsätzlich dafür gesorgt, dass Polizeibeamte nicht versorgt und nicht ernährt werden konnten. Anschließend zu sagen, "Ach, wie schlimm ist es den Polizeibeamten ergangen!", ist in der Tat pure Heuchelei, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Es wurden Einsatzfahrzeuge angegriffen, es wurde auch versucht, ein Fahrzeug in Brand zu setzen. Scheiben wurden eingeschlagen, Reifen zerstochen. Und wenn Sie von einem speziellen Polizeifahrzeug sprechen, liebe Frau Tausendfreund, dann sollten Sie auch ansprechen, dass es nicht nur um das Fahrzeug ging, sondern dass versucht wurde, ein Fahrzeug in Brand zu setzen, in dem Polizeibeamte saßen. Meine Damen und Herren, das grenzt an Mordversuch. Das will ich ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Und dann wurden reihenweise, tagelang, kilometerlang Straßen in der Umgebung mit sogenannten Krähenfüßen versetzt. Das heißt, es werden Stahlsplitter auf die Fahrbahn gestreut, und es wird in Kauf genommen, dass jedes Fahrzeug - es muss nicht eines von der Polizei sein -, das über diese Straße fährt, nicht nur kaputte Reifen hat, sondern auch jeder Zivilbürger, der zufällig vorbeikommt, auf diese Weise zu Schaden kommen kann.

Nur mithilfe des starken Polizeieinsatzes war es möglich, die Vielzahl dieser versuchten Straftaten zu unterbinden, damit sie sich letztendlich nicht dramatisch ausgewirkt haben.

Ich sage ganz deutlich, meine Damen und Herren, dass es auch für mich erschreckend war, dass die unerträglichen Gewalttaten in der Medienberichterstattung aus meiner Sicht viel zu wenig thematisiert wurden und dass ich die eine oder andere Sendung auch im Fernsehen erleben musste, wo von der vermeintlichen Geschicklichkeit oder raffinierten Taktik derjenigen berichtet wurde, die Bahndämme beschädigten und Polizisten verletzen wollten. Meine Damen und Herren, wenn ich daran denke, dass wir am kommenden Samstag wieder mit einer schlimmen Demo von Neonazis in München zu rechnen haben, dann sage ich schon: Wenn sich die Neonazis am kommenden Samstag der gleichen Mittel bedienen würden, was keiner von uns hoffen will, dann wären die GRÜNEN die Ersten, die zu Recht von einer unerträglichen Gewalteskalation in unserem Land reden würden. Ich werfe Ihnen vor, dass Sie bei solchen Dingen mit zweierlei Maß messen, weil Sie immer mehr - Frau Tausendfreund, das ist in Ihrer Wortmeldung deutlich geworden - in diese Richtung gehen: Der Zweck heiligt die Mittel.

(Beifall bei der CSU)

Wenn Ihnen das Ziel dieser Leute sympathisch ist, dann sind Sie unterwegs, derartige Gewalt letztlich zu rechtfertigen. So kann es nicht gehen.

(Zuruf der Abgeordneten Margarete Bause (GRÜNE))

Ich bin dem Kollegen Schindler dankbar, dass er sich unmissverständlich geäußert hat. Für Gewalt gibt es keinerlei Rechtfertigung in unserem Land, egal welches politische Ziel verfolgt wird.

(Beifall bei der CSU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?

Ja bitte.

Sehr geehrter Herr Minister, mich interessiert, wo bei Ihnen Gewalt eigentlich losgeht. Sie sprechen gerade von einer großen Demo und werfen alles auf einen Haufen. Ich war selbst vier Tage im Wendland.

(Zurufe von der CSU: Oho!)

Ich saß auf der Straße, ich saß auf der Schiene. Ich habe von diesen Gewaltexzessen, von denen Sie da sprechen, so gut wie gar nichts mitbekommen. Die Polizei hat dermaßen besonnen reagiert, so besonnen wie noch nie bei solchen Demos; das muss man einmal ganz offen sagen.

Entschuldigen Sie: Ist das eine Frage?

Ich möchte von Ihnen wissen - das ist die Frage -: Wo geht Gewalt los? Ist Gewalt bereits eine friedliche Sitzblockade auf der Schiene, wo Menschen von ca. 12 bis 70 Jahren quer durch alle Schichten auf der Schiene friedlich sitzen und sich widerstandslos wegtragen lassen, oder ist für Sie Gewalt eine unangemeldete Demo? Ist das für Sie Gewalt? Was ist für Sie Gewalt?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dass dieser Angriff auf ein Polizeifahrzeug nicht zu rechtfertigen ist, da sind wir uns doch alle einig hier im Haus. Das ist doch selbstverständlich. Die Anwendung von Leuchtmunition gegen Polizeieinsätze ist zu verurteilen. Das ist doch selbstverständlich, das verteidigt doch kein Mensch hier in diesem Haus. Ist doch selbstverständlich! Wo geht für Sie Gewalt los bei einer Demo? Das möchte ich wissen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister.