Protokoll der Sitzung vom 05.04.2011

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜ- NEN)

Wozu eigentlich ein eigenständiger politischer Kurs? Wohl selten waren Meinungsbildungsprozesse so einfach gestrickt wie in den vergangenen zweieinhalb Jahren, während derer Sie auf dieser Regierungsbank sitzen.

Dieser blanke Populismus, auf den der Herr Ministerpräsident in Interviews auch noch unverhüllt stolz ist und den er als vermeintliche Bürgernähe postuliert, ist nichts anderes als ein Mangel an Verantwortung für die politische Zukunft unseres Landes.

Ich stelle fest: Diese Regierung ist alles andere als konservativ. Diese Regierung ist auch nicht liberal.

(Thomas Hacker (FDP): Auch nicht sozialdemokratisch!)

Diese Regierung ist die kurzatmige Zweckgemeinschaft einer politischen Beliebigkeit, wie man sie in Bayern bis dato nicht kannte.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

An die Stelle des Regierens ist das Hinterherhecheln hinter aktuelle Stimmungen und Strömungen getreten.

(Alexander König (CSU): Das hätten Sie wohl gern!)

Eines steht fest: Von den schwarz-gelben Koalitionsverträgen aus den Jahren 2008 und 2009 ist außer ein wenig verblasster Tinte nicht viel übrig geblieben. Aus dem Herbst der Entscheidungen im Jahre 2010 was ist daraus geworden? Wir wissen, dass es ein Herbst der Fehlentscheidungen war.

Das zunächst glühende Bekenntnis zum transatlantischen Wertebündnis im Bund ist einem wahltaktischen Manöver hin zu einer standpunktlosen Enthaltung in der Libyenfrage gewichen. Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz waren wichtiger als der ständige Sitz im UN-Sicherheitsrat.

(Georg Schmid (CSU): Das ist doch eine Rede für den Bundestag, aber wir sind hier im Bayerischen Landtag!)

Bei der Wehrpflicht, für die CSU und ihren Ministerpräsidenten noch im Frühjahr des vergangenen Jahres ein Markenzeichen, dauerte es nur wenige Tage, bis der Ministerpräsident, wie von oberfränkischer Zauberhand geleitet, umgefallen ist. Versprochen hat Schwarz-Gelb den Menschen im Land mehr Netto vom Brutto für alle; herauskamen Zusatzbelastungen für die Mehrheit, unter anderem durch die Kopfpauschale. Dafür gab es einige sündhaft teure Steuergeschenke für die Hotellerie, für schwerreiche Erben und gewinnstarke Finanzinstitute.

(Beifall bei der SPD - Georg Schmid (CSU): Damals war die SPD aber auch dafür!)

Einer musste mittlerweile die Konsequenzen aus dem Regierungschaos ziehen, nämlich Guido Westerwelle. Aber für die Bundeskanzlerin steht zu befürchten, dass der zweite unberechenbare Quälgeist und notorische Einzelspieler in der Berliner Regierungskoalition noch eine Weile CSU-Chef bleibt.

Jetzt - der Herr Ministerpräsident ist wenigstens am Rande darauf eingegangen - kommt die abrupte Kehrtwende in der Atompolitik. Noch im vergangenen Herbst hatten Union und Liberale mit ihrer Entscheidung für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke den von Rot-Grün herbeigeführten gesellschaftlichen Konsens in der Atomfrage ausgehebelt. Nun legt Horst Seehofer in der Energiepolitik den Schalter um, und Markus Söder ruft plötzlich zu einer Demonstration gegen sich selbst auf. Ausgerechnet diese beiden Herren, die im vergangenen Jahr noch ganz anders gesprochen haben als heute! Ich stelle fest: Wenn ein Verlust an politischer Glaubwürdigkeit zur Schrumpfung führen würde, dann könnten CSU und FDP gemeinsam unter dem Teppich Fallschirmspringen üben.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CSU)

Ein Blick in den Haushalt genügt, um zu sehen, dass Sie, Herr Ministerpräsident, es nicht ernst meinen mit Ihrer Energiewende. Kein einziger zusätzlicher Cent ist bereitgestellt. Im Gegenteil, Sie streichen für das Jahr 2012 das Klimaschutzprogramm. Alle diesbezüglichen Anträge der Opposition wurden von Ihnen abgelehnt.

Sie wollen angeblich die Brücke in das Zeitalter erneuerbarer Energien verkürzen. Doch ein Blick in den Haushalt zeigt: Sie stehen de facto mit beiden Beinen fest im Atomzeitalter. Deshalb besteht Ihr energiepolitisches Bekenntnis aus nichts anderem als ein paar

warmen Worten. Zur Erinnerung: Am 27. Juli vergangenen Jahres hatten Sie, Herr Seehofer, gesagt, es mache keinen Sinn, Atomkraftwerke abzuschalten, solange sie sicher sind. Und ein Zitat vom Februar 2011 lautet: "Solange die Kernkraftwerke unsere hohen Sicherheitsstandards erfüllen und solange sie für unseren Energiemix unverzichtbar sind, sollten wir sie am Netz lassen."

Sie, Herr Seehofer, Sie ganz persönlich, waren eine treibende Kraft, damit die Laufzeiten der Atomkraftwerke in Deutschland verlängert wurden. Deshalb gehört zu einem glaubhaften Kurswechsel, den wir im Prinzip begrüßen würden, auch das Eingeständnis früherer Fehleinschätzungen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben die Chance verpasst, dies heute hier deutlich zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Ich könnte noch eine Vielzahl von Zitaten der Herren Söder, Zeil oder Hacker bringen, erspare mir das aber angesichts der Kürze der Redezeit.

Erstaunlich ist allerdings, dass ausgerechnet Sie, Herr Ministerpräsident, nun zu einem neuerlichen gesellschaftlichen Konsens aufrufen, den Sie selbst mit einer zentralen Entscheidung Ihres "Herbstes der Entscheidungen" aufgekündigt hatten. Heute kündigen Sie an, Sie wollten Gespräche mit allen im Bayerischen Landtag vertretenen Fraktionen führen, also ausgerechnet mit jenen Vertretern der Opposition, die von Ihnen noch vor wenigen Wochen als ideologisch verblendet, als politische Phantasten und Ökospinner beschimpft und verunglimpft wurden. Nun suchen Sie ausgerechnet Unterstützung und Hilfe bei denjenigen, die Sie noch im vergangenen Atomherbst politisch erbittert bekämpft haben. Jetzt sollen Ihnen ausgerechnet SPD, FREIE WÄHLER und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN dabei behilflich sein, die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Das ist ein schlechter Scherz der Geschichte.

(Beifall bei der SPD)

Wir fragen uns, mit wem wir denn als Opposition die Gespräche führen sollen. Vielleicht mit Herrn Michelbach von der CSU-Mittelstandsvereinigung oder vielleicht mit Erwin Huber, der noch vor einigen Tagen flammende Plädoyers für die Atomkraft gehalten hat?

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Und für die Landesbank!)

Unsere Forderungen sind klar. Wir fordern, den acht ältesten Atomkraftwerken in Deutschland endgültig die Betriebserlaubnis zu entziehen, darunter auch Isar 1, und die Anlagen, die derzeit im Zuge des Moratoriums der Bundesregierung vom Netz genommen werden, für immer stillzulegen. Die Laufzeitverlängerung für alle anderen AKWs muss rückgängig gemacht werden. Das sind unsere Bedingungen, wenn wir in ein Gespräch eintreten sollen.

(Beifall bei der SPD)

Richtig ist: Wir brauchen eine stärkere Förderung der erneuerbaren Energien und der dazu notwendigen Netze und Speichertechnologien. Aber nichts davon ist in Ihrem Haushalt zu finden.

Wir müssen einen sehr viel stärkeren Akzent auf die dezentrale Energieversorgung legen, bei der unseren Kommunen eine besondere Bedeutung zukommt. Die Bevölkerung soll vor Ort dort beteiligt werden, wo es möglich ist, beispielsweise bei Bürgerwindparks oder Bürgersolarkraftwerken.

Wir sind überzeugt: Der Umbau der Energieversorgung eröffnet neue Chancen für die Wirtschaft und für neue Arbeitsplätze. Bayern und Deutschland können massiv vom Export von Umwelt- und Effizienztechnologien profitieren. Deshalb müssen wir den Weg beschreiten, Herr Ministerpräsident, den Sie in den letzten Wochen in zum Teil erfreulicher rot-grüner Terminologie beschritten haben. Aber Worte allein reichen nicht. Dieser Haushalt, den wir in diesen Tagen beraten, ist ein energiepolitischer Anachronismus, der nichts mit Ihren warmen Worten zu tun hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

So müssen wir befürchten, dass Ihren Ankündigungen wieder einmal nichts anderes folgt als Tatenlosigkeit, wie es auch in anderen Bereichen beispielhaft ist.

Noch vor gar nicht allzu langer Zeit haben Sie die Integration zu einem zentralen Thema Ihrer Politik gemacht. Sie sagten, es sei für Sie das zentrale Thema. Beim "Politischen Aschermittwoch" der CSU in Passau und heute bei Ihrer Rede im Bayerischen Landtag fand sich nicht ein Wort dazu, obwohl sie doch angeblich von zentraler Bedeutung für unser Land ist.

Die Art und Weise, Herr Ministerpräsident, wie Sie im vergangenen Jahr nach monatelangem Schweigen das Thema in die bayerische Öffentlichkeit eingeführt haben, spricht Bände. Zuerst hatte es den Anschein, als wollten Sie sich überhaupt nicht an der Debatte beteiligen. Die Debatte tobte über mehrere Wochen hinweg in den Medien und lief insbesondere auch in der Sozialdemokratie nicht immer so, wie wir uns das

in Bayern gewünscht hätten. Sie haben geschwiegen und dann plötzlich ein Interview gegeben - klassisch Seehofer! -, in dem Stimmung gemacht wird gegen Zuwanderer, insbesondere mit muslimischem Hintergrund, wobei in Kauf genommen wird, dass damit der gesellschaftliche Zusammenhalt in unserem Lande beschädigt wird.

Dass es Ihnen, Herr Ministerpräsident, offensichtlich nur darum geht, die Meinungshoheit über die Stammtische in Bayern zurückzuerobern, haben Sie beim "Politischen Aschermittwoch" in Passau ein weiteres Mal bewiesen. Nicht etwa hier im Hohen Hause kündigen Sie an, die Bayerische Verfassung verändern zu wollen - auch heute nicht -, nicht etwa mit einer konkreten seriösen Gesetzesinitiative suchen Sie die Debatte mit den Fraktionen im Bayerischen Landtag, deren Zustimmung Sie für eine Verfassungsänderung benötigen. Nein, bei einer bierseligen Rede beim "Politischen Aschermittwoch" schießen Sie aus der Hüfte. Sie hatten zu Beginn Ihrer Amtszeit einen neuen politischen Stil auch gegenüber dem Parlament versprochen. Was damit gemeint war und was davon zu halten ist, das wissen wir jetzt.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Es ist nicht weit her damit!)

Das ist ganz gewiss nicht der Stil, den wir uns hier im Hohen Hause von Ihnen wünschen, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der SPD)

Bei einem Blick in den Haushalt wird auch deutlich, dass Sie es mit der Integration eben nicht ernst meinen. Seit Ihren unzähligen Initiativen in Bierzelten und gegenüber den bayerischen Medien dachte man, da tut sich etwas. - Nichts von alledem, kein einziger Integrationskurs in Bayern mehr, kein einziger zusätzlicher Sprachförderungskurs in den Vorschulen, in den Kindertagesstätten - im Gegenteil, Sie nehmen hier sogar noch Kürzungen vor -, kein einziger zusätzlicher Erzieher oder sozialpädagogischer Betreuer mit Migrationshintergrund. All das gibt es in Ihrem Haushalt nicht. Deshalb sage ich: Nach den Integrationsdebatten im vergangenen Jahr müssen wir doch jetzt dazu übergehen, zu handeln und auch gesetzgeberisch tätig zu werden.

Deshalb hat meine Fraktion ein Integrationsgesetz in den Bayerischen Landtag eingebracht, das bereits in Erster Lesung behandelt wurde. Voraussetzung für eine gelungene Integration sind für uns nämlich klare Zielsetzungen und eine Willkommenskultur mit festen Regeln. Integration bedeutet für uns Chancengleichheit und die Möglichkeit zur Teilhabe aller am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben,

unabhängig von der sozialen Herkunft und unabhängig von der Religionszugehörigkeit. So sieht unser Gesetzentwurf im Bildungsbereich insbesondere ein verpflichtendes Kindergartenjahr vor Schulbeginn vor, in dem Deutsch ein pädagogischer Schwerpunkt ist. Auch sollen Kinder ohne Deutschkenntnisse nicht in die Schule kommen, sondern so lange ausschließlich und intensiv in Deutsch unterrichtet werden, bis sie in der Schule mithalten können. Die SPD fordert in diesem Gesetzentwurf die verpflichtende Einrichtung von Integrationsbeiräten in Kommunen ab 30.000 Einwohnern und die Einführung des kommunalen Wahlrechts auch für Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger.

(Beifall bei der SPD)

Leitgedanke unseres Gesetzentwurfs ist das, was auch Sie einfordern, nämlich das Prinzip von Fördern und Fordern. Leitgedanke ist die Formulierung von Bundespräsident Johannes Rau, der bereits vor zehn Jahren in einer bemerkenswerten Rede eine neue Anstrengung für das Zusammenleben aller Menschen in Deutschland ohne Angst und ohne Träumereien gefordert hat.

Herr Ministerpräsident, ich fürchte, Sie bleiben mit Ihren Einlassungen zur Integration ein gutes Stück hinter dem zurück, was für eine seriöse Debattenkultur in Bayern nötig wäre. Wenn Sie im Haushalt schon nicht die notwendigen Mittel für verstärkte Integrationsbemühungen bereitstellen wollen, so lautet unser Wunsch: Schütten Sie nicht noch Öl ins Feuer. Sie tragen Verantwortung für die Menschen im Land, im Übrigen auch für jene ohne deutschen Pass. Deshalb wünsche ich mir zur Mitte der Legislaturperiode an dieser Stelle von Ihnen deutlich mehr den Ministerpräsidenten und deutlich weniger den CSU-Parteivorsitzenden.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Nicht nur Mittel für die Integration werden nicht bereitgestellt. Der Ministerpräsident hat heute so getan, als sei der Haushalt, den wir hier behandeln, ein Kraftpaket. Richtig ist: Es ist ein abgemagerter Haushalt, weitgehend saft- und kraftlos infolge schwarz-gelber Steuergeschenke und des Landesbankdesasters.