Protokoll der Sitzung vom 20.10.2011

- Ja. Bitte. - Ich darf Sie bitten, wieder Platz zu nehmen.

(Abgeordnete Erika Görlitz (CSU) setzt zur Erklärung an)

- Langsam, langsam, langsam. Man muss jetzt erst einmal erklären, was hier passiert. Ich bitte Sie noch einmal, Platz zu nehmen.

(Unruhe)

Es ist nach einer erfolgten Abstimmung jederzeit möglich, eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben. Frau Kollegin Görlitz wünscht, eine Erklärung zur soeben erfolgten Abstimmung nach der Zweiten Lesung abgeben zu dürfen. Das ist nach unserer Geschäftsordnung selbstverständlich zulässig. Deswegen erteile

ich Ihnen jetzt das Wort und bitte um Aufmerksamkeit, weil wir danach zur Abstimmung kommen. Bitte schön.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eine kurze Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten abgeben. Sie wissen, dass die Stimmkreisreform große Wellen im Vorfeld geschlagen hat und in manchen Wahlkämpfen eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat, gerade in der schwierigen Situation mit dem neu zu bildenden Stimmkreis Neuburg-Schrobenhausen, den ich außerordentlich begrüße. Hier gab es unterschiedliche Vorstellungen, wie der Zuschnitt sein könnte. Ich habe eine andere Meinung vertreten, und viele meiner Freunde vor Ort haben das auch getan. Deshalb habe ich im Ausschuss diesem Gesetzentwurf nicht zugestimmt.

Ich bin natürlich der Meinung, dass wir jetzt diese Änderung brauchen, um eine verfassungsgemäße Landtagswahl abhalten zu können. Ich sehe auch, dass das nicht einfach ist, nachdem sich die Opposition mehr oder weniger aus der Verantwortung zieht.

(Beifall bei der CSU - Widerspruch bei der SPD)

Wir brauchen ein positives Ergebnis, um eine verfassungsgemäße Wahl durchzuführen.

(Lebhafte Zurufe von der SPD und den GRÜNEN - Unruhe)

Deshalb werde ich dem Gesetzentwurf zustimmen; ich habe ihm auch vorhin zugestimmt.

(Beifall bei der CSU - Unruhe)

Das war die persönliche Erklärung von Frau Kollegin Görlitz.

Jetzt kommen wir zur namentlichen Abstimmung in der bereits erläuterten Form. Die Urnen sind dafür aufgestellt. Mit der Abstimmung kann jetzt begonnen werden. Dafür stehen fünf Minuten zur Verfügung.

(Namentliche Abstimmung von 15.53 bis 15.58 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die fünf Minuten für die Abstimmung sind um. Die Abstimmung ist geschlossen. Das Abstimmungsergebnis wird außerhalb des Plenarsaals ermittelt. Das Ergebnis geben wir später bekannt.

(Unruhe)

Wir fahren zwischenzeitlich in der Tagesordnung fort. Dafür bitte ich um Aufmerksamkeit.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 und 5 auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Dr. Paul Wengert, Angelika Weikert u. a. und Fraktion (SPD) zur Sicherung von Tariftreue und Mindestlohn, ökologischen Kriterien und Frauenförderung bei Auftragsvergaben des Freistaats und der Kommunen (Bayerisches Vergabegesetz - BayVG) (Drs. 16/6700) - Zweite Lesung

und

Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Thomas Mütze, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eines Bayerischen Gesetzes zur Sicherung von Tariftreue, Sozialstandards und Wettbewerb bei öffentlicher Auftragsvergabe (Bayerisches Tariftreue- und Vergabegesetz - BayTarifG) (Drs. 16/6854) - Zweite Lesung

Dazu eröffne ich jetzt die gemeinsame Aussprache. Die Redezeit beträgt 15 Minuten pro Fraktion.

(Unruhe)

Ich bitte um Aufmerksamkeit für die neuen Tagesordnungspunkte. Erster Redner ist Herr Kollege Dr. Beyer. Bitte schön, Herr Dr. Beyer, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen!

(Unruhe)

Es wäre schön, Herr Kollege Dr. Bertermann, wenn wir uns einem so wichtigen Thema in der gebotenen Ruhe, Unaufgeregtheit und Konzentration widmen könnten. - Herzlichen Dank dafür!

Seit Aufhebung des Bayerischen Bauaufträge-Vergabegesetzes, das vom Jahr 2000 datierte, im Jahr 2009, das im Übrigen durch das Innenministerium vorauseilend sozusagen per Dekret an die Kommunen zur Nichtanwendung erklärt worden war - ein in Bayern sicherlich einmaliger Vorgang -, gibt es bei uns keine gesetzliche Regelung mehr zur Durchsetzung von Tariftreue, von Mindestlöhnen und von Guter Arbeit im öffentlichen Auftragsverfahren in Bayern.

Ich sage für die SPD: Es war, so glaube ich, der Wirtschaftsminister - vielleicht war es auch Ihr Vorgänger, Herr Huber -, der nicht so genau wusste, was "Gute Arbeit" ist. Einer von Ihnen beiden hat vorhin in der Diskussion über die dritte Startbahn gefragt, was

"Gute Arbeit" denn überhaupt sei. Ich komme darauf zurück.

Wir stellen fest: Öffentliche Auftraggeber sind in besonderer Weise dafür verantwortlich, dass diese Grundsätze beachtet werden. Es ist geradezu eine Pflicht des Staates und der öffentlichen Auftraggeber, die Arbeitnehmer vor Billiglöhnen zu schützen und faire Unternehmer - das ist der zweite Punkt - vor Dumpingkonkurrenz zu schützen. Wenn der Staat als Auftraggeber am Ende diejenigen bevorzugt, die sich über Billiglöhne als Bieter Wettbewerbsvorteile verschaffen, und hinterher die Niedriglöhne aus öffentlichen Mitteln aufstockt, unterstützt er die Schmutzkonkurrenz und leistet Beihilfe zum unfairen Wettbewerb. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Die Hans-Böckler-Stiftung hat im Sommer 2011 in einer Übersicht ermittelt, dass derzeit zwölf von sechzehn Bundesländern für das Vergabewesen bereits ein Tariftreuegesetz haben oder unmittelbar vor dessen Verabschiedung stehen. Sie finden in diesen Gesetzen drei unterschiedlich ausgeprägte Kernelemente einer europarechtskonformen Regelung. Seit dem Rüffert-Urteil wissen wir, was möglich ist und was nicht.

Erstens sind Mindestlöhne für die Leistungen verbindlich zu machen, für die sie das Arbeitnehmerentsendegesetz zur Anwendung bringt. Das sind Abfallwirtschaft, Baugewerbe - natürlich ein wichtiger Bereich -, Dachdeckerhandwerk, Elektrohandwerk, Gebäudereinigung, Maler- und Lackiererhandwerk, Pflege- und Wäschereidienstleistungen. Bei allen diesen Dienstleistungen tritt auch der Staat in großem Umfang als Auftraggeber auf.

Zweitens werden spezifische Tariftreue-Regelungen für den Nahverkehr, insbesondere für den schienengebundenen Personennahverkehr gefordert. Ich möchte plastisch machen, worum es geht. Der Freistaat Bayern bekommt jedes Jahr vom Bund über 1,1 Milliarden Euro, die er unter der Ägide der Bayerischen Eisenbahngesellschaft, einer hundertprozentigen Tochter des Freistaates, an Eisenbahnverkehrsunternehmen ausgibt. Wer diese Materie ein bisschen kennt, weiß, dass dort im Rahmen des Vergabewesens die Lohnkonkurrenz unerträglich geworden ist. Unser Gesetzentwurf sieht vor, dass für alle diese Unternehmen repräsentative Tarifverträge gelten, damit nur mehr mit der Qualität und nicht mehr über den Preis konkurriert werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Drittens soll ein vergabespezifischer Mindestlohn eingeführt werden.

Der Gesetzentwurf auf Drucksache 16/6700, den wir als erste Fraktion in dieser Legislaturperiode vorgelegt haben, enthält alle drei genannten Kriterien. Er sieht einen vergabespezifischen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro vor. Er sieht eine Weitergabe dieser Verpflichtung an Nachunternehmer und Verleihfirmen vor, wenn die Auftragnehmer dort Personal ausleihen. Das Wort ist schlimm genug, der Vorgang ist mittlerweile uferlos geworden. Alle am Auftrag und dessen Erfüllung beteiligten Unternehmen werden in die Verpflichtung einbezogen.

Zusätzlich sollen soziale, umweltbezogene und innovationsbezogene Kriterien im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand vorgeschrieben werden können und aus der Leistungsbeschreibung ersichtlich sein. Außerdem haben wir konkrete gesetzlich beachtenswerte Schutzgüter definiert. Das sind zum einen ökologische Kriterien, also Kriterien einer umweltverträglichen Beschaffung. Für größere Aufträge haben wir die Verpflichtung vorgesehen, Maßnahmen zur Frauenförderung, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zur Gleichbehandlung nachzuweisen. Nicht zuletzt ist uns auch eine bevorzugte Vergabe an die Betriebe wichtig, die ausbilden. Auch hierfür ist der SPNV ein Beispiel. Betriebe, die nicht ausbilden, sind billiger und bekommen eher den Zuschlag. Betriebe, die ausbilden, bekommen keinen Zuschlag. Damit muss Schluss sein.

(Beifall bei der SPD)

Alles in allem legt Ihnen die SPD-Fraktion das modernste Vergabe- und Tariftreuegesetz in Deutschland vor. Ich bitte Sie auch heute, über den einen oder anderen ideologischen Schatten zu springen und diesem Gesetz zuzustimmen.

Ich sage auch gleich, dass die GRÜNEN uns nachfolgend einen sehr ähnlichen, teilweise wort- und inhaltsgleichen - das ist nicht abwertend gemeint - Gesetzentwurf vorgelegt haben. Er unterscheidet sich in einem Punkt: Die Frauenförderung ist bei den GRÜNEN nur dann ein ausschlaggebendes Kriterium, wenn die Angebote wirtschaftlich gleich sind. Hier sind wir weiter. Ich erinnere an den letzten Montag. Drei leibhaftige Bundesministerinnen standen beim Thema Frauenförderung vor den Kameras. Sie waren sich nicht ganz so einig wie GRÜNE und SPD, aber immerhin sind wir auf der Höhe der Zeit. Wir haben gestern in guter Gemeinschaft die Gesetzentwürfe vorgestellt. Lieber Herr Kollege Runge, es hätte eures Antrags nicht bedurft, weil wir schneller waren. Wenn

ihr aber einen guten Gesetzentwurf vorstellt, werden wir ihm zustimmen. Das können wir signalisieren.

Zur CSU ein interessanter Hinweis: Zu diesem wichtigen Thema gab es im Ausschuss keine Wortmeldung seitens der CSU. Das ist mir bei der Vorbereitung aufgefallen. Herr Kollege Huber, der jetzt nicht hier sein kann, hat die Abstimmung souverän geleitet, sich aber sonst herausgehalten. Auch kein anderes Mitglied der CSU hat geredet. Deshalb wird es auf den Kollegen Unterländer ankommen, der heute allerdings auch nicht da ist. Es ist schon interessant, dass sich Herr Unterländer als CSA-Vorsitzender zusammen mit DGB-Chef Matthias Jena vor die Presse stellt und erklärt - ich zitiere wörtlich:

- die CSA, das ist die Arbeitnehmerorganisation der CSU, die ich im Übrigen sehr schätze

schlagen eine gesetzliche Lohnuntergrenze ersatzweise für alle Fälle vor, wo es TarifvertragAllgemeinverbindlichkeit und Mindestarbeitsbedingungsgesetz nicht gibt.

Dann kommt ein wunderbarer Satz, von dem man annehmen könnte, dass ihn Herr Unterländer erfunden hat; er stammt aber von uns:

Die Beschäftigten müssen von ihrer Erwerbsarbeit leben können.