Protokoll der Sitzung vom 15.03.2012

Der Umgang mit unseren alten Menschen ist eine Frage der Würde und des Anstands in einem wohlhabenden Land wie Bayern. Auch daran müssen wir uns messen lassen.

Aber nicht nur Rentnerinnen und Rentner, sondern auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind immer mehr von Armut bedroht. 1,64 Millionen Menschen in Bayern sind armutsgefährdet. Nehmen Sie das zur Kenntnis. Seit den letzten Jahren sind es wieder 30.000 Menschen mehr, die armutsgefährdet sind. Sie sagen, das sei keine signifikante Steigerung. Ich sage Ihnen: Diese 1,64 Millionen Kinder, Jugendliche, Eltern, Rentner sind zu viel in einem wohlhabenden Bayern, wenn sie nicht wissen, wie sie die nächsten Monate über die Runden kommen sollen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das ist kein Erfolg, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein beschämendes Zeugnis für diese Regierung.

Wir werden uns mit dieser Armut nicht abfinden, liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade weil Armut besonders gravierende und nachhaltige Auswirkungen auf das ganze Leben hat, auf das Selbstbewusstsein der Menschen, auf die Bildung, auf die gesellschaftliche Teilhabe, auf die Ernährung, auf die Gesundheit, auf die Berufswahl und die gesamte spätere Lebensqualität. Armut ohne konsequentes politisches Gegensteuern widerspricht der Bayerischen Verfassung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und genau das haben Sie in den letzten Jahren getan, auch wenn Sie es immer wieder verschweigen wollen. Deshalb, verehrte Frau Staatsministerin, werden wir zur Bekämpfung von Armut eine Kindergrundsicherung einführen. Mit einer Kindergrundsicherung von rund 500 Euro pro Monat können wir Kinder vor Armut bewahren, den Kindern unabhängig vom Einkommen der Eltern einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Gesundheit und Freizeit ermöglichen.

Ein weiteres Thema, das nie in Ihrer Berichterstattung vorkommt: Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer mehr. Sie sagen, es sei Leitprinzip, eine optimale Teilhabe am Wohlstand zu ermöglichen. Auch hier, Frau Staatsministerin, haben Sie versagt eine reine Worthülse, nichts als heiße Luft. Die Wahrheit ist in Bayern: Nicht nur regional gibt es deutliche

Wohlstandsunterschiede; insgesamt öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich in Bayern immer weiter.

Während die Einkommen aus Vermögen und Unternehmertätigkeit innerhalb der letzten zehn Jahre real um ein gutes Drittel angestiegen sind, sind Löhne und Gehälter im selben Zeitraum um 4 % gesunken und lagen 2009 unter dem Niveau von 2003. Soll das ein Erfolg sein, liebe Kolleginnen und Kollegen? Wenn die eine Seite immer reicher, die andere immer ärmer wird, dann ist das kein Erfolg, sondern ein beschämendes Zeugnis einer Staatspolitik sowohl im Bund als auch hier in Bayern.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Traurige Tatsache ist, dass Familien mit Kindern in Bayern ein deutlich unterdurchschnittliches Wohlstandsniveau haben. Sie reden hier vom Familienland Nummer eins. Die Wahrheit ist: Mit jedem Kind sinkt das Wohlstandsniveau einer Familie um rund zehn Prozentpunkte, meine Damen und Herren, und am schlechtesten geht es dabei den Alleinerziehenden. Frauen verdienen allgemein rund ein Viertel weniger als ihre männlichen Kollegen. Und dann reden Sie hier von Familienland Nummer eins! Das ist nichts anderes als der Versuch, den Menschen Sand in die Augen zu streuen und die Wahrheiten auch in Bayern zu verschleiern.

(Zuruf von der CSU)

Die Ungleichbehandlung von Regionen bzw. die nicht gleichwertigen Lebensverhältnisse sind auch so ein Thema, das man ansprechen muss und das in Ihren wunderschönen Worten selten vorkommt. Sie sagen, das mittlere Wohlstandsniveau unterscheidet sich in den bayerischen Regionen nur noch um drei Prozentpunkte. Im Sozialbericht steht, dass sich die soziale Lage in Bayern regional völlig unterschiedlich darstellt - seit Jahren übrigens; das ist nichts Neues.

In Oberfranken ging die Erwerbsarbeit zwischen 2000 und 2008 um fast 4 % zurück, obwohl sie in anderen Regionen Bayerns, in anderen Regierungsbezirken anstieg. Insgesamt liegt die Arbeitslosenquote in Ober- und Mittelfranken deutlich über dem Landesdurchschnitt, liebe Kolleginnen und Kollegen, und fast doppelt so viele Menschen -

(Thomas Hacker (FDP): Von 2008 bis 2010 ist sie gesunken, und es gibt nur noch 0,5 % Differenz bei der Arbeitslosigkeit!)

- Sie haben keine Ahnung, Herr Hacker, weil sich der Sozialbericht genau auf diese Jahre bezieht.

Fast doppelt so viele Menschen wie im übrigen Landesdurchschnitt waren dort langzeitarbeitslos. Infolgedessen bezogen in Mittelfranken 6,6 % und in Oberfranken 5,7 % der Bevölkerung Transferleistungen der sozialen Mindestsicherung. Für ganz Bayern liegt dieser Durchschnitt bei 4,9 %. Und da reden Sie von gleichen Lebensverhältnissen in Bayern. Gerade bei diesem Thema haben Sie in den letzten Jahren komplett versagt, wobei dies nicht neu ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD - Thomas Hacker (FDP): Das Schlimme ist: Sie glauben es auch noch!)

Dabei ist es gerade die CSU, die sich gerne als Partei des ländlichen Raumes verkauft und dem Spitzenkandidaten der SPD großstädtischen Zentralismus vorwirft, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zuruf des Abgeordneten Thomas Hacker (FDP))

Fakt ist, dass es die Regierungskoalition vom Ersten Sozialbericht an bis heute nicht geschafft hat, gleichwertige Lebensverhältnisse in Bayern herzustellen. Sie haben dafür nach wie vor keinerlei Konzepte!

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte ein weiteres Thema aufgreifen, das auch immer so als Leuchtturm dargestellt wird: die Kinderund Ganztagsbetreuung. Ich gebe gerne zu, dass Sie in den letzten Jahren mehr investieren, und das ist gut so, das ist richtig. Aber man muss schon auch in dieser Frage einen kleinen Blick in die Historie dieser Debatte werfen.

(Zuruf von der CSU: Jetzt rückwärts!)

Jahrzehntelang hat sich die CSU aus ideologischen Gründen gegen die Erkenntnis gewehrt, dass Kinderbetreuung eine wichtige familienpolitische Ergänzung ist. Jahrelang haben Sie negiert, dass wir Kinderbetreuung brauchen. Damit haben Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsparteien, die Realität der modernen Arbeitswelt in Bayern ebenso verkannt

(Zurufe von der CSU und der FDP: Ach, ach, ach!)

wie die Wünsche junger Familien und gut ausgebildeter Mütter.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Genau wegen dieses ideologisch motivierten Dornröschenschlafs hat sich bis heute ein enormer Nachholbedarf aufgestaut, dem Sie nicht nachkommen. Der Herr Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklä

rung vom 11. November 2009 vollmundig erklärt: Im Jahr 2012 wird für jedes dritte Kind unter drei Jahren ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen.

(Ministerpräsident Horst Seehofer: Übertroffen!)

Zitat: Damit erreichen wir die prognostizierte Bedarfsdeckung ein ganzes Jahr schneller als geplant. - Ich würde gerne sagen: Knapp daneben ist auch daneben, lieber Herr Ministerpräsident. Nein, Sie liegen eben nicht knapp, sondern meilenweit daneben.

(Beifall bei der SPD)

Lesen Sie einmal die Berichte und offiziellen Zahlen des Statistischen Landesamts. Die Betreuungsquote in Schwaben liegt 2012 bei 15,6 %, in Niederbayern bei gerade einmal 14,5 % der Kinder unter drei Jahren. Da darf ich Ihnen schon die Wahrheit ins Stammbuch schreiben. Lediglich die Landeshauptstadt München liegt zum selben Zeitpunkt mit einem Versorgungsgrad von 27 % über dem Bundesdurchschnitt und weit über dem Landesdurchschnitt, auch wenn Sie es nicht glauben wollen und immer wieder abstreiten.

In einer Zeit, in der die Kinderbetreuung immer wichtiger wird, setzen Sie, Frau Staatsministerin, lieber auf das Betreuungsgeld. Sie begründen dies mit der Wahlfreiheit, die Eltern haben sollen und die frei entscheiden sollen, ob sie ihr Kind zu Hause, in einer Krippe oder bei einer Tagesmutter betreuen lassen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: Wo bleibt denn in Gottes Namen die Wahlfreiheit einer Familie mit einem Durchschnittseinkommen oder gar mit einem geringen Einkommen, die die Betreuung ihrer Kinder mit 100 oder 150 Euro im Monat sicherstellen will?

(Beifall bei der SPD)

Diese Familien können kaum die Nachhilfe oder das Pausenbrot ihrer Kinder bezahlen. Diesen Familien helfen Sie mit einem Betreuungsgeld überhaupt nicht. Es ist ein Geschenk für wenige Familien, ein teures Geschenk, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie ich finde. Bundesweit 2,2 Milliarden Euro wollen Sie für Betreuungsgeld ausgeben. Ich bin der Meinung: Stecken Sie dieses Geld in Kinderbetreuungsinfrastruktur! Dann wären Sie besser bedient und sachlicher unterwegs.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nur einige Defizite, die der Bericht zur sozialen Lage in Bayern feststellt. Diese Defizite sind seit Jahren bekannt.

Frau Staatsministerin, darf ich Sie daran erinnern, dass es in Ihrem Ressort um Menschen geht, die soziale Probleme haben, und um nichts anderes? Es geht um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die trotz eines Vollzeitjobs von ihrem Einkommen nicht mehr leben können. Sie schreiben, Sie hätten eine Vision und Bayern biete beste Chancen für alle, die hier leben. Es sind aber keine besten Chancen für die ältere Generation, für die älteren Menschen, die nach 40 Jahren Berufstätigkeit Wohngeld beantragen müssen, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen können. Auch das ist die bittere Realität in Bayern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Zudem geht es um das völlig ungelöste Megathema Pflegebedürftigkeit. Warum, Frau Staatsministerin, kämpfen Sie nicht sichtbarer und lautstark für eine angemessene Berücksichtigung der demenzkranken Menschen bei der Finanzierung der Pflegeleistung? Das wären beste Chancen für die betroffenen Pflegebedürftigen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist doch geradezu ein Armutszeugnis, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Finanzierung einer menschenwürdigen Pflege in Bayern vom Geldbeutel der Pflegenden und Angehörigen abhängt. Das darf doch nicht wahr sein! Auch das ist die Realität in Bayern, die Sie immer wieder verschweigen. Das ist beschämend und eine Bankrotterklärung Ihrer Sozialpolitik.

(Beifall bei der SPD)

Es sind keine besten Chancen für die Kinder Alleinerziehender, denen das Armutsrisiko häufig schon mit in die Wiege gelegt wird. Armut ist in Bayern vererbbar. Auch das ist die bittere Wahrheit, die Sie immer wieder verschweigen, mit all ihren negativen Auswirkungen auf Gesundheit, Bildungsweg und gesellschaftliche Teilhabe.

Sie reden immer von Lebensentwürfen. Alleinerziehende, liebe Frau Staatsministerin, haben den niedrigsten Wohlstand aller Bevölkerungsgruppen. Mit 41 % sind die alleinerziehenden Menschen, Mütter und Väter, die armutsgefährdetste Gruppe in ganz Bayern. Auch das ist die bittere Wahrheit, die Sie immer wieder verschweigen.

(Beifall bei der SPD)

Diese Zahlen und Prozentwerte in den Tabellen des Sozialberichts sagen, allein betrachtet, nichts, aber auch gar nichts über die Unsicherheit, die Sorgen und das Leid dieser Menschen aus. Den Betroffenen hilft es nicht, wenn Sie, Frau Haderthauer, immer wieder

betonen, dass Bayern den materiell höchsten Wohlstand hat. Umgeben von Wohlstand und Erfolg sind Armut und Hilfsbedürftigkeit noch demütigender als von Haus aus.

(Beifall bei der SPD)