Protokoll der Sitzung vom 15.03.2012

- Auch die Kathrin Sonnenholzner hat noch 15 zu vergeben.

Von daher gehen wir insgesamt statistisch zu häufig zum Arzt. Bei der Frage, woran das liegt, muss die Praxisgebühr separat behandelt werden. Man darf das nicht nur als Flatrate-Funktion sehen. Die Bürger in Norwegen gehen statistisch viermal im Jahr zum Arzt. Mir scheint der Gesundheitszustand der Norweger aber nicht so zu sein, dass sie schon dem Siechtum verfallen sind. Insofern müssen wir der Beratung und Begleitung chronischer Patienten durch andere Gesundheitsberufe eine viel stärkere Rolle zuweisen, damit die Häufigkeit der Arztbesuche zurückgeht und für alle eine qualifizierte Behandlung im Falle einer Erkrankung erfolgt.

Wir stimmen dennoch dem Antrag der FREIEN WÄHLER zu. Bezüglich des Antrags der SPD ist zu sagen,

dass auch wir die Praxisgebühr abschaffen wollen. Wir sind der Meinung, dass es nicht sinnvoll ist, die Beitragssätze um 0,1 % zu senken, weil das gerade eine Summe von 1,91 Euro durchschnittlich ausmacht. Das ist lächerlich, weil es das Kraut nicht fett macht. Die Diskussion darüber wabert, weil darüber in Berlin entsprechend diskutiert wird. Wir werden uns beim Antrag der SPD der Stimme enthalten, weil mir der letzte Punkt, den Überschuss im Gesundheitsfonds zu belassen, widerstrebt. Nach meiner Auffassung gehört der Gesundheitsfonds abgeschafft. Ich will nicht, dass der Gesundheitsfonds weiter existiert.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Die Beitragsautonomie der Kassen muss wiederhergestellt werden und ein Wettbewerb zwischen den Kassen erfolgen. Der Einheitsbeitrag gehört abgeschafft. Ich weiß, dass auch die SPD das nicht will und wir die Bürgerversicherung gemeinsam auf den Weg bringen wollen. Ich möchte dokumentieren, dass wir an diesem bürokratischen Monster, das wir im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschaffen können, nicht festhalten wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt haben wir eine ordnungsgemäß angemeldete Zwischenbemerkung. Bei mir leuchtet ein rotes Licht, und wenn ich draufdrücke, hat Frau Julika Sandt für Ihre Zwischenbemerkung das Wort. Bitte schön.

Frau Schopper, habe ich Sie eben richtig verstanden? Sie haben von der Bürgerversicherung gesprochen und gleichzeitig gesagt, Sie wollten mehr Wettbewerb bei den Krankenkassen. Die Bürgerversicherung ist doch eine totale Einheitsversicherung, bei der es überhaupt keinen Wettbewerb und keine Entscheidungsmöglichkeiten gibt.

Frau Schopper, bitte.

Da müssten Sie vielleicht einmal nachlesen. Das täte gut. Es ist nicht so, dass die Bürgerversicherung auf der Wettbewerbsseite und der Beitragsseite einen Einheitsbeitrag umfasst. Wir wollen mehrere Beitragsarten einbeziehen. Wir wollen Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung und anderes, was noch an Geld da ist, in das Beitragsaufkommen einbeziehen. Der Wettbewerb zwischen den Kassen, ein altes Credo der GRÜNEN, ist mit der Einführung des Gesundheitsfonds abgeschafft worden. Das steht nicht im Widerspruch zu dem, dass wir gemeinsam - auch die SPD ist nicht anderer Meinung - in der Einführung der Solidarischen

Bürgerversicherung den Weg der Zukunft sehen, der auch kommen wird.

Weitere Zwischenbemerkungen sind nicht angezeigt. Wir fahren in der Debatte fort mit Herrn Kollegen Dr. Bertermann von der FDP-Fraktion. Bitte schön.

(Vom Redner nicht auto- risiert) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, in der Diskussion müssen wir uns auf die Praxisgebühr konzentrieren. Es geht nicht um die Finanzierung und die Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitssystems, sondern es geht ganz klar um die Frage: Praxisgebühr Ja oder Nein, und zwar mit allen Indikationen. Frau Sonnenholzner, Sie haben zu mir gesagt: Geben Sie doch Ihrem Herzen einen Stoß, spielen Sie den Gauck.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): Das habe ich nicht gesagt!)

Das ist eine Nummer zu groß für mich. Ich spiele nicht in der Champions League, ich bin ein einfacher Abgeordneter in diesem Hause, und als einfacher Abgeordneter fühle ich mich in diesem Hause sehr wohl.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): Ich habe gesagt, nehmen Sie sich an Herrn Rösler ein Beispiel!)

Ich werde sachlich zu dem Thema Stellung nehmen und ein paar politische Anmerkungen machen. Anschließend werde ich kurz darauf zurückkommen, was das für die Praxisgebühr bedeutet. Ich finde, der Antrag der FREIEN WÄHLER ist populistisch; denn die Praxisgebühr gibt es seit 2004. Sie hätten seit 2004 schon viele Jahre Gelegenheit gehabt, die Praxisgebühr abzuschaffen.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): Nein, das hätten sie nicht!)

Jetzt kommen Sie auf diese Idee, weil die Abschaffung der Praxisgebühr ein Thema ist, das die Bürger in Deutschland bewegt. Es ist ein bundespolitisches Thema und betrifft das SGB V. Die Frage ist, was können wir im Landtag konkret machen? - Wir könnten eine Initiative im Bundesrat starten.

Eine Bemerkung möchte ich vorab machen: Das Geld, über das wir reden, gehört den Versicherten. Das Geld gehört nicht den Politikern, das Geld gehört auch nicht den Krankenkassen.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Wir verwalten das Geld nur treuhänderisch und müssen mit dem Geld der Bürger und der Versicherten

sorgfältig umgehen. Wir können uns nicht einfach bedienen, wir müssen uns überlegen, was wir mit dem Geld der Bürger machen. Das ist doch die Verantwortung, die wir als Parlamentarier haben.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Da gibt es die Begehrlichkeiten beispielsweise von Herrn Schäuble oder von den Leistungserbringern. Das alles sind doch nur Menschen, die sich an dem Geld bedienen wollen, das die bayerischen Bürger erarbeitet haben. Das darf nicht sein, das will ich nicht.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): Warum lehnen Sie dann unseren Antrag ab?)

Nun zum Thema Praxisgebühr: Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wem wir die Grausamkeiten wie die Praxisgebühr, die Zuzahlung zu den verschreibungsfreien Medikamenten, die Selbstbeteiligung bei den Medikamenten zu verdanken haben. Wer hat das für uns in die Wege geleitet? Wer ist schuld daran, dass den Bürgerinnen und Bürgern in die Tasche gegriffen worden ist? - 2004 gab es eine rot-grüne Regierung. Es gab zwar den Bundesrat, aber es war doch die Entscheidung der SPD, die Praxisgebühr einzuführen, eine Selbstbeteiligung von 10 % anzusetzen und verschreibungsfreie Medikamente nicht mehr zu erstatten. Das heißt, hier wurde eine reine Kostendämpfungspolitik zu Lasten unserer Bürger gemacht. Das ist die Schuld von Rot und Grün, und die können Sie nicht dem Bundesrat in die Schuhe schieben.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Der Bundesrat hätte über das Parlament überstimmt werden können. Es ist Ihre Schuld, dafür tragen Sie die Verantwortung. Sie greifen wie in Nordrhein-Westfalen den Leuten in die Tasche.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): Sie haben immer noch nicht verstanden, wie das System funktioniert! - Peter Meyer (FREIE WÄHLER): In Nordrhein-Westfalen habt ihr euch gut verhalten!)

Sie erhöhen die Steuern und arbeiten mit dem Geld so, als würde es Ihnen gehören. Dabei ist es das Geld, das die Bürger hier in Bayern verdient haben.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Jetzt haben wir die ungewöhnliche Situation, dass wir 20 Milliarden Euro Plus in der gesetzlichen Krankenversicherung haben. In den Jahren zuvor haben wir immer nur rote Zahlen geschrieben und ein Defizit gehabt. Als Schwarz-Gelb in Berlin angetreten ist, hatten wir neun Milliarden DM. Wir mussten sparen. Wir

haben gespart. Jetzt haben wir zum ersten Mal ein Plus von 20 Milliarden Euro. Das ist doch ein Erfolg der liberalen Politik. Den kann man doch nicht einfach wegdiskutieren. Warum haben wir so viel Geld auf der hohen Kante, um es flapsig auszudrücken? - Wir haben eine gute Konjunktur, wir haben fleißige Bürger, die gearbeitet haben. Wir hatten die exzellente Sparpolitik von Schwarz-Gelb, und wir haben durch den Druck auf die Arzneimittelpreise Kosten sparen können. Das alles hat dazu beigetragen, dass wir jetzt in einer Lage sind, in der von allen Seiten Begehrlichkeiten auftreten.

Nun ist die Frage, was wir mit dem vielen Geld machen. Dazu wurden schon viele Vorschläge gemacht. Ich glaube, die Praxisgebühr abzuschaffen, ist ein möglicher Weg. Warum? - 2004 haben wir die Praxisgebühr eingeführt, damit sie eine Lenkung erzielt. Sie sollte die Anzahl der Arztbesuche reduzieren. Das ist nicht gelungen.

(Peter Meyer (FREIE WÄHLER): Richtig!)

Wir haben also ein Gesetz und müssen feststellen: Es, hat nicht erreicht, was wir beabsichtigt haben. Das ist das Erste. Wir fragen doch immer nach der Glaubwürdigkeit in der Politik. Hier stellen wir fest: Dieses Gesetz hat nicht erreicht, was wir erreichen wollten. Deshalb muss man über das Gesetz nachdenken. Das ist eine ehrliche, eine glaubhafte Antwort.

Zweitens. Nun spreche ich vor allem meine Freunde von der CSU an. Ich persönlich glaube, dass die Praxisgebühr unsozial ist.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): Ach, eine völlig neue Erkenntnis!)

Sie ist unsozial, weil Reiche und Arme den gleichen Beitrag zahlen.

(Sabine Dittmar (SPD): Aber für die Kopfpauschale sein!)

Ich schließe mich den Ausführungen meiner Vorredner an. Arme Menschen, die die Praxisgebühr bezahlen müssen, werden dadurch unter Umständen daran gehindert, eine Arztpraxis aufzusuchen. Damit verlängern sie ihre Krankheit und werden letzten Endes schlechter behandelt. Es liegen Untersuchungen darüber vor, die man als Fakten wahrnehmen muss.

Drittens. Die Bürokratie ist angemahnt worden. Von den zehn Euro, die wir einziehen, entfallen mindestens fünf Euro auf die Bürokratie. Das heißt, wir müssen fünf Euro in den Wind schreiben. Insgesamt gesehen denke ich, die Diskussion um die Praxisgebühr ist auch eine Diskussion über die Selbstbeteilung der

Menschen am Gesundheitssystem. In meinen Augen sollte diese Selbstbeteiligung sozial verträglich sein. Wir dürfen die Diskussion um die Praxisgebühr nicht auf verletzte Eitelkeiten bauen. Verletzte Eitelkeiten dürfen keine Rolle spielen. Ich denke, wir müssen die Praxisgebühr in einen größeren Zusammenhang stellen. Wir müssen die Bürger entlasten, und diesen Weg müssen wir konsequent gehen.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich bin gleich fertig. Lassen Sie mich konkret auf die Diskussion über die Praxisgebühr eingehen: In Berlin verhandeln wir derzeit über drei Möglichkeiten. Erstens verhandeln wir mit Herrn Schäuble über die komplette Abschaffung. Zweitens überlegen wir eine Belastung nur bei der Behandlung von Zahnärzten, und drittens überlegen wir die Belastung von Besuchen beim Zahnarzt, beim Hausarzt oder beim Facharzt. Das sind Rechenbeispiele; denn wir sind nicht allein in der Koalition und können deshalb nicht allein eine Entscheidung treffen. Wir müssen uns mit CDU und CSU einigen. Solange wir uns aber nicht geeinigt haben, müssen wir davon Abstand nehmen, solange können wir die Praxisgebühr nicht abschaffen. Wir haben im Koalitionsvertrag den Auftrag, die Praxisgebühr zu entbürokratisieren. In meinen Augen wäre die beste Entbürokratisierung die Abschaffung der Praxisgebühr. Dann hätten wir nämlich überhaupt keine Bürokratie in diesen Dingen.

(Beifall bei der FDP)

Für mich liegt der Fehler aber nicht in der Praxisgebühr, sondern im Gesundheitssystem. Finanznot und Spardiktat sind in diesem System vorprogrammiert. Ich meine aber, meine Damen und Herren, wenn das Geld vom Volk kommt, dann muss das Geld auch an das Volk zurückgegeben werden.

Den Antrag der FREIEN WÄHLER lehne ich ab, weil er zu kurz greift. Wir haben noch andere Möglichkeiten. Den Antrag der SPD lehne ich ab, weil das Geld im Gesundheitsfonds bleiben soll.

(Beifall bei der FDP - Hans Joachim Werner (SPD): Nein, weil der Antrag von der SPD ist!)