Protokoll der Sitzung vom 18.04.2012

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Dr. Karl Vetter u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Hausarztversorgung sicherstellen Weiterbildungsverbünde für Allgemeinmedizin unterstützen (Drs. 16/12196)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Kathrin Sonnenholzner, Sabine Dittmar u. a. und Fraktion (SPD) Hausärztliche Versorgung sichern Weiterbildungsverbünde stärken (Drs. 16/12210)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Georg Schmid, Karl Freller, Oliver Jörg u. a. und Fraktion (CSU), Dr. Otto Bertermann, Dr. Andreas Fischer, Tobias Thalhammer u. a. und Fraktion (FDP)

Hausarztversorgung in den ländlichen Regionen weiter verbessern - aber richtig! (Drs. 16/12211)

Bevor ich dem Redner das Wort erteile, darf ich Sie bitten, die Gespräche entweder nach draußen zu verlagern, oder einzustellen und am besten den Platz einzunehmen. Das würde uns besonders freuen. Bitte schenken Sie dem Redner Ihre volle Aufmerksamkeit.

Herr Kollege Dr. Vetter, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Der letzte Dringlichkeitsantrag auf der Tagesordnung ist eigentlich relativ einfach, klar und konkret. Das ist nicht der erste Antrag der FREIEN WÄHLER zur Sicherstellung oder Verbesserung der hausärztlichen Versorgung in Bayern. Im Dezember 2010 haben wir bereits einen ähnlichen Dringlichkeitsantrag gestellt. Dieser ist leider abgelehnt worden. Ein weiterer Antrag, den wir im Juli 2011 zum Thema gestellt haben, ist ebenfalls abgelehnt worden.

Der Titel des aktuellen Dringlichkeitsantrags lautet: "Hausarztversorgung sicherstellen - Weiterbildungsverbünde für Allgemeinmedizin unterstützen". Wenn wir nicht so schlechte Erfahrungen in diesem Hohen Hause gemacht hätten, könnte ich meinen Vortrag bereits beenden und zur Abstimmung übergehen. Ich befürchte jedoch, dass wir auch heute nicht problemlos beraten werden.

Im Übrigen möchte ich anmerken, dass wir seit über einem Jahr darüber reden, dass es in Bayern nach wie vor keine Hausarztverträge gibt.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Peinlich genug!)

Ich habe den Eindruck - damit möchte ich es bewenden lassen -, dass vor allem die Menschen im ländlichen Raum der Staatsregierung nicht genügend wert sind, um entsprechend zu handeln und die benötigten Gelder zur Verfügung zu stellen. Die Fakten sind bekannt: 23 % der Hausärzte in Bayern sind älter als 60 Jahre. Auf einen Hausarzt kommen 1.666 Einwohner, obwohl die KVB ein Verhältnis von einem Hausarzt zu 1.500 Einwohnern empfiehlt. Die Zahlen im ländlichen Raum sind deutlich schlechter als in München.

Wir stellen diesen Dringlichkeitsantrag heute deswegen, weil sich die jungen Mediziner relativ wenig für Allgemeinmedizin interessieren. Was kann man tun? Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die jungen Medizinstudenten oder Absolventen dazu bringen, sich stärker für die Allgemeinmedizin zu interessieren. Wir müssen Lehrstühle für Allgemeinmedizin an den bay

erischen Universitäten schaffen. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wir haben in Bayern einen Stiftungslehrstuhl, der von der AOK und der KVB zusammen finanziert wird. In Deutschland gibt es 18 Lehrstühle. Bayern ist ein Flächenstaat, und daher sehen wir allein aus diesen zwei Zahlen, dass es zu wenige sind. Es stellt sich die Frage, warum wir in Bayern hinterherlaufen. Warum tut die Staatsregierung seit Jahren und Jahrzehnten nichts in dieser Richtung? In Bayern ist ein zweiter Lehrstuhl geplant, aber für diesen zweiten, in Erlangen geplanten Lehrstuhl gibt es meines Wissens nicht einmal eine Ausschreibung. Es stellt sich die Frage, warum das so ist.

Wenn wir davon ausgehen, dass irgendwann einmal an allen Universitäten, also auch in Regensburg, solche Lehrstühle eingerichtet sind, dann ist als Nächstes wichtig, unsere jungen Mediziner auf die Niederlassung als Allgemeinmediziner und Hausarzt vorzubereiten. Dazu sind die Weiterbildungsverbünde wichtig. Diese Weiterbildungsverbünde - es gibt schon einige in Bayern - müssen aus unserer Sicht, aus Sicht der FREIEN WÄHLER, qualitativ hochwertig sein und von den Lehrstühlen studienbegleitend organisiert werden. Die Medizinstudenten müssen von den Lehrstuhlinhabern an die Allgemeinmedizin herangeführt werden. Deshalb halten wir es für wichtig, diese Weiterbildungsverbünde an den Universitäten anzusiedeln. Im Übrigen gibt es sie bereits an der Technischen Universität in München. Soweit ich weiß, gibt es dort Weiterbildungsverbünde, die jedoch nicht vom Staat bezahlt werden. Es handelt sich um eine freiwillige Leistung der TU München.

Betrachten wir als Beispiel die Uni Heidelberg in Baden-Württemberg. An der Uni Heidelberg gibt es 30 Weiterbildungsverbünde. Das Land Baden-Württemberg unterstützt diesen Weiterbildungsverbund an der Uni Heidelberg mit 250.000 Euro, und zwar nicht als Anschubfinanzierung, sondern pro Jahr. Dorthin müssen wir in Bayern auch kommen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

An der TU München gibt es, soweit ich weiß, zehn Weiterbildungsverbünde, aber auf ehrenamtlicher Basis. Diese sind gefährdet.

Die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung ist staatliche Aufgabe. Deshalb muss die Bayerische Staatsregierung Mittel bereitstellen, um den Bestand zu sichern. Weiterbildungsverbünde dienen weder der Wirtschaft noch der Lehre. Die Universitäten können es aus finanziellen Gründen nicht übernehmen. Ich bitte also, unserem Antrag einfach zuzustimmen. Es ist ein Antrag, mit dessen Umsetzung man endlich einmal konkret in Bayern etwas für die ärztliche Ver

sorgung, vor allem auf dem flachen Land, tun kann. Ich bin gespannt, welche Ausflüchte heute wieder kommen, damit Sie vielleicht unserem Antrag nicht zustimmen müssen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Zum Antrag der CSU und der FDP: Dieser Antrag ist mit heißester Nadel gestrickt. Wenn man ihn durchliest, stellt man fest, dass er am Thema der Weiterbildungsverbünde völlig vorbeigeht. Es ist ein allgemeiner Antrag, ein Wischiwaschi-Antrag, nach dem Motto: "im Rahmen vorhandener Mittel", "wenn wir einmal Zeit haben". Es ist ungefähr so, als wenn ich den damaligen Gesundheitsminister Söder aufgefordert hätte, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten auch um Gesundheitspolitik zu kümmern. Auch das hätte nicht hingehauen.

(Harald Güller (SPD): Das hat auch in Wirklichkeit nicht hingehauen!)

- Das hat auch nicht hingehauen.

Der Antrag der CSU ist meines Erachtens mit heißer Nadel gestrickt. Er ist eigentlich ein Armutszeugnis für Ihre Fraktion. Er ist aber nun einmal auf dem Tisch.

(Dr. Thomas Zimmermann (CSU): Warum ist er mit heißer Nadel gestrickt?)

Wir werden ihn - das hängt etwas von der Diskussion ab - trotzdem unterstützen, weil die darin angesprochenen Themen wichtig sind. Er hat mit der Thematik der Weiterbildungsverbünde jedoch überhaupt nichts zu tun. Ich muss überhaupt fragen, wie so etwas beim Landtagsamt durchgeht.

Zum Antrag der SPD: Dieser Antrag geht genau in dieselbe Richtung, es ist derselbe Antrag, und er enthält auch eine konkrete Zahl. Diesen Antrag werden wir unterstützen.

Bitte unterstützen Sie auch unseren Antrag, den Antrag der FREIEN WÄHLER.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Bevor wir in der Rednerliste fortfahren, gebe ich das Ergebnis der beiden namentlichen Abstimmungen bekannt.

Zum Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Rinderspacher, Schuster, Dr. Beyer und anderer und Fraktion (SPD) betreffend "Rauchwarnmelderpflicht zügig umsetzen", Drucksache 16/12195: Mit Ja haben 34 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 89 Abgeordnete gestimmt. Es gab 32 Stimmenthaltungen. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 4)

Zum Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Georg Schmid, Renate Dodell, Erwin Huber und anderer und Fraktion (CSU), sowie der Abgeordneten Dr. Andreas Fischer, Dietrich Freiherr von Gumppenberg, Tobias Thalhammer und anderer und Fraktion (FDP) betreffend "Rauchwarnmelder zum Standard in ganz Bayern machen", Drucksache 16/12209: Mit Ja haben 115 Abgeordnete gestimmt, mit Nein hat 1 Abgeordneter gestimmt, Stimmenthaltungen gab es 36. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag angenommen.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 5)

Wir fahren in der Debatte fort. Für die SPD-Fraktion ist die nächste Rednerin Frau Sabine Dittmar. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns in der Tat zum wiederholten Mal mit der hausärztlichen Versorgung. Ich denke aber, dass das auch dringend notwendig ist. Herr Kollege Vetter hat die Zahlen genannt, und ich muss sie nicht wiederholen. Hinsichtlich der primärärztlichen Versorgung wird in den nächsten zehn Jahren eine Versorgungslücke auf uns zurollen, über die wir uns noch wundern werden.

Den vorgelegten Anträgen, die sich in der Hauptsache mit den Weiterbildungsverbünden beschäftigen, werden wir zustimmen. Das gilt auch für den Antrag der CSU, obwohl er uns in den Punkten 2 und 3 nicht weit genug geht. Man muss jedoch sagen, dass die Forderungen besser sind als der Ist-Zustand. Wir haben in unserem Antrag explizit die Bereitstellung von finanziellen Mitteln im Umfang von 200.000 Euro für das Institut für Allgemeinmedizin an der TU München gefordert. Die Zahl ist deshalb explizit genannt, weil sie mit den Verantwortlichen besprochen worden ist. Die Finanzausstattung wird dringend benötigt, damit nicht nur die erfolgreiche Koordination und Organisation von bisher zehn bestehenden Weiterbildungsverbünden gewährleistet werden kann, sondern darüber hinaus weitere Verbünde organisiert werden können.

Wir schlagen vor, die 200.000 Euro aus den Mitteln zu nehmen, die im Titel "Zuschüsse an Sonstige zur Förderung des Gesundheitsstandorts" zur Verfügung stehen. Hinter dieser Titelgruppe verbergen sich 4 Millionen Euro, die Ihr Vorgänger, Herr Minister Huber, Herr Minister Söder, der damals noch für Gesundheit zuständig war, uns in seiner Regierungserklärung angekündigt hat. Es ist ein Sondertopf zur Förderung der allgemeinmedizinischen Versorgung. Wir meinen, dass in diesem Zusammenhang das Geld gut aufgehoben wäre.

Die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin gestaltet sich in der Tat oft recht kompliziert; denn man hat wechselnde Fachgebiete und einen häufigen Wechsel der Arbeitgeber, oftmals aber auch Leerzeiten zwischen den Ausbildungsabschnitten. Deshalb ist es umso wichtiger, dass diese Weiterbildungsverbünde eine Organisation, Planungssicherheit, strukturierte Rotation und vor allem eine feste Vergütung über alle Ausbildungsabschnitte garantieren. Das ist von unschätzbarem Wert.

Leider gibt es diese Verbünde noch nicht flächendeckend. Vor allem in Schwaben, in der Oberpfalz sowie in Ober- und Unterfranken bestehen erhebliche Lücken. Bei mir zu Hause im Landkreis Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld ist vor vier Wochen ein solcher Verbund gegründet worden. Ich habe mich mit Kollegen unterhalten, und sie haben das Dilemma aufgezeigt: Der Verbund ist jetzt zwar da. Aber weit und breit ist kein Kollege in Sicht, der sich ausbilden lassen will. Gespräche mit Kollegen in Oberfranken zeigen ein ähnliches Bild. Allerdings gibt es in Oberbayern durch das Engagement von Professor Schneider sehr gut laufende Weiterbildungsverbünde. Genau dies untermauert unsere Forderung nach einem Lehrstuhl für Allgemeinmedizin an allen bayerischen medizinischen Fakultäten. Das ist im Übrigen auch Kabinettsbeschluss. Wir warten schon seit zwei Jahren auf die Umsetzung. Ich bin auf den von der CSU-Fraktion geforderten Bericht der Staatsregierung und vor allem auf den Zeitplan gespannt. Wenn die Hochschulen aus welchen Gründen auch immer, das müssen wir heute nicht diskutieren - kein Interesse daran haben, einen Lehrstuhl zu installieren, dann sollte sich die Politik vermehrt einmischen und das Ganze zur Chefsache machen.

Deshalb fordern wir einen Lehrstuhl für die Allgemeinmedizin für jede medizinische Fakultät und, verbunden damit, die Einrichtung von Koordinationsstellen für die Weiterbildungsverbünde, ähnlich dem Beispiel Baden-Württembergs mit der VerbundweiterbildungPlus. In Baden-Württemberg wird das übrigens nicht aus dem Hochschuletat allein finanziert, sondern mit erheblicher Beteiligung des Ministeriums für den ländlichen Raum und den Verbraucherschutz.

Allerdings nützen alle Weiterbildungsverbünde nichts, wenn wir, wie Herr Kollege Dr. Vetter bereits angedeutet hat, nicht schon im Studium die Weichen stellen und das Interesse an der echten Königsdisziplin der Medizin wecken. Deshalb sehe ich mit großer Spannung und Erwartung dem 11. Mai entgegen, an dem sich der Bundesrat erneut mit der Approbationsordnung für Ärzte beschäftigen wird. Ich bin gespannt, was darin zu den versorgungsorientierten Inhalten stehen wird und ob die Allgemeinmedizin freiwillig

oder verpflichtend in das praktische Jahr einbezogen wird.

Wir halten es für notwendig, dass Studenten über einen längeren Zeitraum in einer Hausarztpraxis arbeiten angesichts des Stellenwerts, den die primärärztliche Versorgung in unserer Gesellschaft haben muss, und angesichts dessen, dass man hier für die verschiedenen Versorgungsebenen ein anderes Verständnis bekommt. Wir wundern uns, warum Bayern dem Änderungsantrag von Nordrhein-Westfalen im Bundesrat nicht zugestimmt hat. Der 11. Mai wird also, wie gesagt, spannend. Wir wissen auch, dass es im Bundesrat zwischen dem Gesundheitsausschuss und dem Kulturausschuss Konflikte gab. Aber ich warte voller Hoffnung auf das Ergebnis des 11. Mai.

Ich habe noch ein bisschen Redezeit. Deshalb möchte ich auch das Zulassungsverfahren zum Studium ansprechen. Dieser Punkt hängt unmittelbar mit den Hochschulen zusammen. Die Studierendenauswahl muss neben der Abiturnote auch die soziale und die berufliche Kompetenz berücksichtigen. Solange wir in Bayern zu über 50 % die Abiturnote gewichten, kommen wir da nicht weiter. Ich möchte Ihnen folgenden Fall aus meiner Bürgersprechstunde vor 14 Tagen erzählen: Damals kam eine junge Frau mit einem AbiSchnitt von 1,9, also eigentlich nicht schlecht, die keinen Studienplatz bekam. Anschließend machte sie die Ausbildung zur Gesundheitspflegerin und schloss mit 1,0 als Jahrgangsbeste ab, bekam aber wieder keinen Studienplatz für Medizin. So etwas darf es nicht geben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich musste zum Beispiel im "Ärzteblatt" lesen, dass ein Famulant in der Allgemeinmedizin das alles zwar sehr interessant und abwechslungsreich findet, aber niemals als Hausarzt arbeiten würde, weil er da - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, da fällt einem der Unterkiefer nach unten - zu nahe am Patienten sei. Dazu muss ich sagen: Irgendetwas stimmt an unserem Auswahlverfahren nicht. Deshalb ist mein Appell an die Staatsregierung, endlich entsprechende Auswahlverordnungen vorzulegen. Rheinland-Pfalz hat es getan. Dort wird der AbiSchnitt nur noch mit 30 % gewichtet.

Herr Minister Heubisch und Herr Minister Huber, das liegt in Ihren Händen. Im CSU-Antrag heißt es vollmundig: Hausarztversorgung in ländlichen Regionen weiter verbessern. Aber dazu gehört mehr als die Nachwuchsgewinnung. Die im Antrag aufgeführten Punkte sind wichtig. Aber wir müssen natürlich auch über die Rahmenbedingungen und über die Infrastruktur reden, angefangen von der Kita über den