Protokoll der Sitzung vom 06.07.2017

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte, die Plätze einzunehmen. Ich eröffne die 107. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am vergangenen Montag ereignete sich auf der Autobahn A 9 nahe Münchberg in Oberfranken ein schrecklicher Busunfall, bei dem 18 Menschen ums Leben kamen. Die 30 Überlebenden wurden zum Teil schwer verletzt. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und den Angehörigen, die ihre Nächsten auf so tragische Weise verloren haben. Ihnen wünschen wir Kraft und Beistand. Ebenso denken wir an die zahlreichen Verletzten, denen wir eine baldige und möglichst vollständige Genesung wünschen. Unser besonderer Dank gilt allen Helferinnen und Helfern, darunter vielen Ehrenamtlichen, die bei diesem schweren Unfall im Einsatz waren. Wir hoffen, dass die Ursachen des Unfalls rasch geklärt werden können, um daraus gegebenenfalls Folgerungen für die Zukunft ziehen zu können. – Sie haben sich von Ihren Plätzen erhoben, ich danke Ihnen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch zwei Geburtstagsglückwünsche aussprechen. Jeweils einen runden Geburtstag feierten am 2. Juli Herr Kollege Prof. Dr. Gerhard Waschler und am 4. Juli Frau Kollegin Petra Dettenhöfer.

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg für Ihre parlamentarischen Aufgaben.

Außerdem darf ich auf der Ehrentribüne den Herrn Präsidenten der Landeszentrale für neue Medien, Herrn Staatsminister a. D. Siegfried Schneider, herzlich willkommen heißen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten "BAYERN DIGITAL II"

Das Wort hat der Herr Ministerpräsident Horst Seehofer. Bitte schön, Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Prozess der Digitalisierung hat im Grunde bereits vor vielen Jahren begonnen. Inzwischen durchdringt er alle Bereiche von Staat und Gesellschaft in Produktion, Wirtschaft und Verwaltung, im Arbeits- und Privatleben. Er schreitet mit einer Geschwindigkeit voran, die es zuvor noch nie gegeben hat. Es handelt sich um eine historische Revolution, der sich kein einzelnes Land, kein Unternehmen und im Grunde auch kein Bürger entziehen kann. Es hängt allein von uns ab, ob wir daraus das Beste für uns machen oder passiv zuschauen, wie andere die Welt verändern. Ich bin überzeugt, dass mit der Digitalisierung immense Chancen für Bayern und seine Bürger verbunden sind. Deshalb werden wir diese Chancen als Bayerische Staatsregierung auch weiterhin mutig ergreifen und entschlossen nutzen.

(Beifall bei der CSU)

Wir sind auf diesem Feld gut; aber das Ziel ist, dass Bayern auch hier Weltspitze werden muss. Fortschritt und Innovation gibt es seit Menschengedenken. Fast immer waren sie am Anfang umstritten. Der amerikanische Gelehrte Warner Bloomberg hat vor vielen Jahrzehnten Folgendes geschrieben: "Die automatisierungsbedingte Arbeitslosigkeit wird sehr groß, von Dauer und absolut beispiellos im Ausmaß ihrer Wirkungen." – Das war 1955. Heute wissen wir: Die Untergangsszenarien waren voreilig. Maschinenstürmer einerseits und Kulturpessimisten andererseits hat es beide immer gegeben, und beide lagen immer falsch. Fortschritt und Innovation sind dann am Ende erfolgreich, und zwar immer erfolgreich, wenn sie das Leben von Menschen verbessert und bereichert haben. Deshalb, meine Damen und Herren, wollen wir, dass digitaler Fortschritt und Innovation immer im Dienst der Menschen stehen, dass sie die Arbeitswelt humaner machen, die Umwelt schützen, die Gesundheitsversorgung verbessern und die Lebensqualität erhöhen. Die Linie der Bayerischen Staatsregierung gilt: Nicht blinder Fortschrittsglaube, sondern ein Fortschritt mit menschlichem Maß ist und bleibt unser Leitbild.

(Beifall bei der CSU)

In den nächsten Jahren entscheidet sich, wer bei der Digitalisierung ganz vorne mit dabei ist. Dafür müssen wir jetzt die richtigen Voraussetzungen schaffen. Bay

erns Zukunft wird vornehmlich auf diesem Feld entschieden. Es geht schlicht und einfach darum, ob wir selbst das Heft in der Hand behalten oder ob andere für uns und über uns entscheiden. Wer in der Welt unterwegs ist, weiß, dass andere nicht schlafen und wir hier weltweit einem sehr dynamischen Wettbewerb ausgesetzt sind. Die Voraussetzungen für diesen digitalen Aufbruch sind in Bayern bestens. Wir stehen wirtschaftlich wie finanziell blendend da. Wir können dieses digitale Zeitalter aus einer Position der Stärke heraus gestalten. Vor dem Hintergrund, dass es bei jeder politischen Entscheidung immer Zweifel gibt, ob man dafür Finanzen aufwenden darf, sage ich Ihnen: Wir müssen jetzt in die digitale Zukunft investieren.

(Zuruf von den FREIEN WÄHLERN: Wir hätten schon! Zu spät!)

Wenn wir das jetzt nicht tun, dann müssen wir später die sozialen Folgen von Versäumnissen mit wesentlich mehr Aufwand finanzieren.

(Beifall bei der CSU)

Es ist also besser, jetzt die Zukunft zu sichern, anstatt später die Reparatur von Versäumnissen zu finanzieren.

Ich will auch etwas zur Organisation der Staatsregierung auf diesem wichtigen Feld für die Zukunft sagen. Personalia sind für Tratsch bestens geeignet. Deshalb treffe ich drei klare Feststellungen:

Erstens. Jede Ministerin und jeder Minister der Bayerischen Staatsregierung leisten seit Jahren auf dem Feld der Digitalisierung vorzügliche Arbeit.

(Beifall bei der CSU)

Die beiden Hauptverantwortlichen sind Ilse Aigner und Markus Söder. Er ist für die Infrastruktur und als CIO zuständig, Ilse Aigner für die Anwendung der Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft.

Zweitens: Ich habe lange erwogen, ob es für dieses Themenfeld einen eigenen Minister oder eine eigene Ministerin geben soll, bin aber am Ende zu der gleichen Entscheidung gekommen, die auch die Bundesregierung in Berlin für ihren Verantwortungsbereich getroffen hat. Es wird in Bayern keinen Digitalminister geben. Der Grund ist einfach: Wie soll ein digitales Klassenzimmer durch einen Digitalminister organisiert werden, wenn dieser nicht gleichzeitig die Zuständigkeit für die Bildung und damit für die Schulen innehat?

(Beifall bei der CSU)

So kann man es auf allen Feldern durchdeklinieren. Daher habe ich mich entschieden, von diesem Gedanken Abstand zu nehmen.

Das Dritte: Es gibt ungewöhnlich viele Schnittstellen zwischen den Ministerien, aber auch nach außen. Deshalb sind wir dabei, eine Stabsstelle in der Staatskanzlei einzurichten. Die politische Verantwortung liegt bei deren Leiter, Staatsminister Dr. Marcel Huber. Er wird in enger Abstimmung mit mir die Entwicklung der Digitalisierung in den nächsten Jahren begleiten und koordinieren. Vor allem wird er dafür sorgen, dass externer Sachverstand immer wieder in unser politisches Tun auf höchster Ebene einfließt. Der Masterplan zur Digitalisierung, über dessen Schwerpunkte ich Ihnen heute berichte, ist von ihm – natürlich gemeinsam mit allen Ministern – erarbeitet worden. Ich möchte ihm dafür sehr herzlich danken.

(Beifall bei der CSU)

Unsere Strategie für die Zukunft lautet: BAYERN DIGITAL. Den ersten Teil haben wir fast abgewickelt. Im Zeitraum 2015 bis 2018 investieren wir insgesamt 2,5 Milliarden Euro in die Digitalisierung in Bayern. Das ist ein Kraftakt für den digitalen Aufbruch in Unternehmen, Hochschulen, Schulen und Verwaltung. Allein für den Breitbandausbau standen bzw. stehen bis zu 1,5 Milliarden Euro bereit. Schon heute erreichen wir 97 % der Kommunen. Unser Ziel lautet: Im nächsten Jahr hat jede Gemeinde im Freistaat schnelles Internet.

Wir vernetzen Stadt und Land, bayerischen Mittelstand und globale Märkte, Forschung und Anwendung, Verwaltung und Bürger, Ärzte und Patienten. Das ist eine riesige Investition, wie ich sie von keinem anderen Bundesland kenne. Wir stellen die Infrastruktur für schnelles Internet flächendeckend zur Verfügung.

Ich nenne die digitalen Gründerzentren, die es in jedem Regierungsbezirk gibt, und den Wachstumsfonds Bayern für Wagniskapital. Das ist für Startups ungeheuer wichtig.

Ich nenne das Zentrum Digitalisierung.Bayern mit Sitz in Garching – ein Aushängeschild unseres Freistaates. Es handelt sich um eine zentrale Forschungs-, Kooperations- und Gründungsplattform. Zu den zahlreichen Maßnahmen gehören die Schaffung von 20 neuen Professuren und die Vernetzung der Digitalisierungsbemühungen im gesamten Land.

Besonders wichtig: Wir stärken Sicherheit und Datenschutz mit dem Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit.

Dieses Programm – wir nennen es BAYERN DIGITAL I – ist am Laufen bzw. weitgehend umgesetzt.

Jetzt zünden wir die nächste Stufe. Im Zeitraum 2018 bis 2022 sind weitere 3 Milliarden Euro und rund 2.000 Stellen vorgesehen. Dieses Projekt heißt BAYERN DIGITAL II. Es umfasst ein Zehn-Punkte-Programm, das vom Kabinett bereits verabschiedet worden ist. Ich möchte dem Parlament vier große, aber auch ehrgeizige Ziele erläutern.

Erstens: Superschnelles Internet für jeden! Wir werden die Infrastruktur für die Gigabit-Gesellschaft bis zum Jahr 2025 schaffen; dieser Planungszeitraum ist identisch mit dem der Bundesregierung.

Die Basis eines jeden Erfolgs in der Digitalisierung ist eine leistungsstarke, sichere und überall zugängliche Infrastruktur. Wir haben 2011 begonnen. Damals stand – zu Recht – die Sicherung der Grundversorgung im Mittelpunkt. Wir sprachen hier im Bayerischen Landtag von 1 Megabit; das war vor wenigen Jahren die Grundversorgung. Im Laufe der Zeit kam es immer wieder zu Erweiterungen, auf 30 Megabit, 50 Megabit und darüber hinaus. Bis 30 Megabit hat die Europäische Union ihre Förderung entsprechend angepasst. Jetzt beginnt das Gigabit-Zeitalter. Es geht also um Geschwindigkeiten ab 1 Gigabit pro Sekunde aufwärts. Das ist für einen hochmodernen, leistungsstarken Staat wie Bayern unverzichtbar.

Wir wollen 1 Milliarde Euro in modernste Glasfasernetze investieren. Wir planen 40.000 zusätzliche WLAN-Hotspots. Wir wollen den 5G-Mobilfunk ermöglichen.

Meine Damen und Herren, dazu brauchen wir zweierlei: nicht nur unseren Willen in Bayern und den Einsatz von Milliarden Euro, sondern auch die Unterstützung durch die Europäische Kommission. Das europäische Recht ist insoweit hinderlich. Gegenwärtig ist eine Förderung dann nicht mehr zulässig, wenn eine Geschwindigkeit von 30 Megabit pro Sekunde erreicht ist. Ich habe bereits dargelegt, dass ein weiterer Ausbau unbedingt notwendig ist. Die Begrenzung der Fördermöglichkeit stellt heute ein nicht zu überwindendes Hindernis dar. Die Kommission beruft sich auf die Regeln für den Binnenmarkt und hat noch nicht entschieden, wie es mit der Unterstützung des Einstiegs in die Gigabit-Gesellschaft weitergehen soll.

Ich stelle immer wieder fest, dass sich die Europäische Kommission in unglaublicher Kleinkrämerei mit den Regeln innerhalb der Europäischen Union befasst. Dabei wäre es die wichtigste Aufgabe der Europäischen Kommission, die Position der Europäischen Union gegenüber den Amerikanern, den Chinesen und den Russen zu definieren, damit Europa in seiner

Gänze gegenüber diesen Staaten wettbewerbsfähig bleibt. Das wäre die eigentliche Aufgabe der Kommission.

(Beifall bei der CSU)

Klar ist, dass die Herkulesaufgabe des Glasfaserausbaus bis zum Jahr 2025 nur von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam bestritten werden kann. Da es um einen dreistelligen Milliardenbetrag geht, ist ein Zusammenwirken unerlässlich. Auch ein kraftvoller Beitrag des Bundes ist unverzichtbar.

Ich bin froh, dass die Bundeskanzlerin, der Bundesverkehrsminister, der in der Bundesregierung für den Bereich Digitalisierung zuständig ist, und der Bundesfinanzminister angekündigt haben, im nächsten Jahr die 5G-Lizenzen zu versteigern. Versteigerungen von Mobilfunklizenzen gab es bereits; damit waren hohe Erlöse für die öffentliche Hand verbunden. Wir sind uns einig, dass die Erlöse der anstehenden Versteigerung vornehmlich in den Glasfaserausbau in der Bundesrepublik Deutschland investiert werden. Ich glaube, das ist eine gute Botschaft. Sie wird auch realisiert, und sie wird uns einen erheblichen Rückenwind geben, wenn es um den flächendeckenden Ausbau der Glasfasernetze geht. Wir wollen das digitale Zeitalter im Laufschritt erobern, und zwar im Zusammenwirken – ich sage es noch einmal – zwischen Bund, Land und Kommunen. Das ist die erste, die wichtigste Botschaft. Uns helfen alle Ideen zur Anwendung der Digitalisierung wenig, wenn wir die dafür erforderliche Infrastruktur, und zwar nach dem jeweiligen Stand der Technik, nicht zur Verfügung haben.

Meine Damen und Herren, wenn wir heute über Gigabit und Glasfaser reden, ist dies keine Kritik an der Vergangenheit. Solche Entwicklungen erfolgen in Schritten. Es gibt nicht die große Sprunginnovation. Diese gibt es übrigens beinahe nirgendwo. Ich war ja jahrelang auch für die Pharmaindustrie zuständig. Auch dort entwickeln sich die Dinge in Forschung und Anwendung Schritt für Schritt. Es war alles notwendig, was wir in der Vergangenheit getan haben. Jetzt ist das Zeitalter von Gigabit angebrochen. Hierfür muss die Infrastruktur zur Verfügung stehen.

Meine Damen und Herren, das Zweite ist: Sicher leben in einer digitalen Welt. Wir investieren weitere 2 Milliarden Euro im Zeitraum von 2018 bis 2022 in digitale Zukunftsprojekte. Dazu gehört an erster Stelle die IT-Sicherheit. Die Internetkriminalität ist weiter auf dem Vormarsch. Die jüngsten weltweiten Cyberattacken trafen Krankenhäuser, Energieversorger und die Staatsverwaltung. Das ist eine neue existenzielle Bedrohung für unser Gemeinwesen, aber auch für jeden Einzelnen. Der Schutz der Privatsphäre ist und bleibt

ein Grundbedürfnis. Deshalb erweitern wir den bayerischen Markenkern Sicherheit: Bayern wird Hochburg bei der IT-Sicherheit.

(Beifall bei der CSU)