Danke, Herr Kollege Aiwanger. – Jetzt hat Frau Kollegin Schulze vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte schön.
Egal, ob man es ständig nutzt oder nur ein bisschen, dieses Gerät hat unsere Gesellschaft verändert. Dieses Gerät ist für viele Menschen ihr Tor zur Welt. Ich kann mit meinen Freunden in den USA Kontakt halten. In Sekundenschnelle bekomme ich die neuesten Nachrichten auf mein Handy geschickt. Wenn ich mit der Bahn fahre, kann ich meine Lieblingsserie weiterschauen, wenn die Netzabdeckung steht. Gleichzeitig wird alles von meinem Smartphone getrackt. Manchmal hat man das Gefühl, das Handy weiß genauer, wo man ist, als man selbst.
Allein mit dem iPhone wurden 2016 132 Milliarden Euro umgesetzt. Das ist mehr, als BMW und fast so viel wie Siemens und die Münchener Rück zusammen umgesetzt haben. Das Smartphone ist im Moment das Sinnbild dafür, wie grundlegend die Digitalisierung unser Leben verändert.
Was früher nicht in der Zeitung stand, was nicht im Radio oder im Fernsehen lief, fand für die breitere Öffentlichkeit kaum statt. Wissen wurde über die Lehrerin vermittelt oder über den Meister im Betrieb. Wer die Autoritäten damals hinterfragen wollte, musste einen großen Aufwand betreiben. Diese Nadelöhre des Wissens und der Information sind weg. Die Informationen der Welt sind jetzt buchstäblich nur ein paar Mausklicks entfernt. Die Kunst besteht nun darin, die Qualität aus der Quantität zu filtern.
Die Digitalisierung verändert unsere Welt so grundlegend wie die industrielle Revolution vor 150 Jahren. Das haben wir heute schon ein paar Mal gehört. Angesichts dieser Umwälzungen ist Ihre Vision eines digitalen Bayerns, Herr Seehofer, merkwürdig oberflächlich und kleinkariert.
Sie schaffen Programme mit mehr oder weniger schicken Namen, Kompetenzzentren, Cluster – eben das, was Sie immer machen, wenn Sie Tatkraft beweisen
wollen. Sie machen sich auch viele Gedanken, wie man die Unternehmen in Bayern für die Digitalisierung ertüchtigen kann. Damit ist Ihr Förderprogramm Digitalbonus jetzt auch schon aufgebraucht. Aber das Wirtschaftliche – und das zu sagen, ist mir sehr wichtig – ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was die Digitalisierung bedeutet. Um die kulturellen Veränderungen machen Sie nämlich einen Bogen. Was macht es denn mit unserer Gesellschaft, wenn wir mit automatisierten Drohnentaxis von A nach B fahren, im Alter von Pflegerobotern umsorgt werden und mit einem Chip unter unserer Haut bezahlen? – Auch diese kulturellen Fragen sind höchst relevant. Dazu höre ich von Ihnen aber viel zu wenig.
Vielleicht glauben Sie ja, zu viel Veränderung überfordert die Menschen. Vielleicht sind Sie auch selbst überfordert.
Vielleicht haben Sie selbst Angst vor dem Wegfall von Autoritäten und Hierarchien, vor der neuen Offenheit und Transparenz einer digitalen Gesellschaft. – Das alles weiß ich nicht genau, ich kann es nur vermuten. Eines aber weiß ich, und lassen Sie mich hierfür ein Bild aus der Botanik verwenden; denn wir GRÜNE verstehen sowohl etwas von den natürlichen als auch von den digitalen Lebensräumen: Sie und Ihre CSURegierung sind digitale Flachwurzler.
Es reicht nämlich nicht, Hammer, Zange und Schraubenzieher gegen Platinen auszutauschen, um sich dann als Digitalisierungsversteher zu feiern. Die Digitalisierung, die künstliche Intelligenz, das Roboterzeitalter: Um damit als Gesellschaft klug und verantwortungsvoll umzugehen, braucht man starke Wurzeln. Man muss in die Tiefe gehen. Ich möchte, dass Bayern das digitalste Bundesland wird, in dem Menschen die Chancen der Digitalisierung sicher nutzen können.
Die Digitalisierung erleichtert unseren Alltag: Wissen ist nicht mehr exklusiv, die Lebensqualität vieler Menschen steigt, und mehr Beteiligung und Transparenz sind möglich. Sie verunsichert aber auch viele Men
schen, und es gibt Gefahren. Wir als Politikerinnen und Politiker müssen die Möglichkeiten nutzen, die Menschen mitnehmen und sie vor Gefahren schützen. Das ist unsere Aufgabe!
Es ist wichtig, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, wenn wir über Digitalisierung sprechen. Wir müssen die ganze Geschichte erzählen und dürfen nicht die wichtigsten und weniger schönen Kapitel weglassen. Wir brauchen ein Digitalministerium, das diese Themen bündelt und strategisch vorantreibt, und nicht das Kompetenzwirrwarr in Ihrer CSUStaatsregierung.
Lassen Sie mich mit dem Thema Schule anfangen. Vor manchen bayerischen Schulen sollte man Tafeln mit dem Hinweis aufstellen: Achtung, Sie verlassen die digitale Welt!
Kaum eine bayerische Schule hat einen leistungsfähigen Internetanschluss, von zeitgemäßen Geräten ganz zu schweigen. Das Wissen wird von einer Lehrkraft vermittelt, die vor der Klasse steht. Handys sind verboten.
Die Schülerinnen und Schüler müssen selbstständig den Zugang zur digitalen Welt über WhatsApp, Instagram, YouTube und das Internet finden. Die Schule hilft ihnen dabei nicht.
(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Sie wissen gar nicht, wovon Sie reden! – Christine Kamm (GRÜNE): Natürlich wissen wir das! – Unruhe – Glocke des Präsidenten)
Wie sollen die Kinder einen souveränen und kritischen Umgang mit der digitalen Welt lernen, wenn das Thema in den Lehrplänen des Kultusministeriums kaum eine Rolle spielt?
(Beifall bei den GRÜNEN – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Völlig abwegig! – Ministerpräsident Horst Seehofer: Tiefwurzler!)
Für die digitale Welt brauchen wir Kreativität und starke Persönlichkeiten, die gelernt haben, kritisch zu denken, und die auch außerhalb eingefahrener Wege denken und handeln. Wir brauchen Menschen, die im Team arbeiten können. Wir brauchen Menschen, für die kulturelle Grenzen keine unüberwindbaren Schranken sind. Wir brauchen Menschen, die Unsicherheiten auch einmal aushalten können und keine Angst haben zu scheitern. In diesem Bereich tun wir einfach viel zu wenig.
Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, warum viele erfolgreiche IT-Gründer MontessoriSchüler sind bzw. waren? – Hier wären die GoogleGründer Larry Page und Sergey Brin, der AmazonChef Jeff Bezos oder Jimmy Wales, der WikipediaGründer zu nennen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die nächste große IT-Gründung durch eine Frau erfolgen wird. Das möchte ich an dieser Stelle kurz erwähnen.
Diese Männer und viele Frauen haben an den Montessori-Schulen Folgendes gelernt: Die MontessoriSchulen nehmen die Schülerinnen und Schüler als eigenständige Personen mit individuellen Fähigkeiten ernst und sehen sie als Individuen. Die Schülerinnen und Schüler werden als Individuen gesehen und nicht einfach in ein Notenraster gepresst. An den regulären Schulen dürfen viele Kinder nach der vierten Klasse nicht einmal das Gymnasium besuchen, wenn sie mit den Noten Pech haben.
Wir müssen mehr darauf schauen, was die Kinder können. Wir müssen mehr auf Kreativität und Vertrauen und weniger auf Pflichterfüllung und Kontrolle setzen. Das ist der Schlüssel zu guter Bildung in der digitalen Welt.
Es gibt keine Chancengerechtigkeit ohne gute Bildung für alle. Eigentlich ist diese Erkenntnis weder neu noch originell. Aufgrund Ihrer Reaktionen war es aber richtig und gut, dass ich das heute noch einmal erwähnt habe. Das muss man in diesem Hause so lange sagen, bis auch Sie es endlich verstanden haben.
Gute Bildung ist in der analogen Welt wichtig und in der digitalen erst recht. Wir müssen jetzt handeln, um zu verhindern, dass die soziale Spaltung durch die digitale Spaltung vertieft wird. Endlich wird Informatik zum Pflichtfach. Das war übrigens eine Forderung, die wir, die GRÜNEN, schon lange gestellt haben. Wir müssen aber noch mehr machen. Wir müssen die Medienkompetenz dringend stärken. Wir müssen digitales Wissen vermitteln, die Schulen und Lehrkräfte besser ausbilden, ausstatten und ertüchtigen, und zwar im großen Stil und nicht nur mit ein bisschen Kosmetik.
Lassen Sie mich auf den Arbeitsmarkt schauen. Standardisierte Arbeit wird durch Algorithmen, Automatisierung und Robotik ersetzt. Es stehen nicht nur die Blue-Collar-Jobs auf dem Spiel, sondern auch die Berufe bei Banken, Versicherungen und in der Industrie. Niemand kann heute mit Gewissheit sagen, ob die Digitalisierung unter dem Strich mehr Arbeitsplätze bringen oder kosten wird. Wir wissen aber ganz sicher, dass sich die Arbeit bereits verändert hat und sich weiter verändern wird. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen abhängiger und selbstständiger Tätigkeit sowie zwischen Selbstbestimmung und Selbstausbeutung können und werden noch weiter verschwimmen. Es ist jetzt allerhöchste Zeit, sich Gedanken über die Folgen zu machen.