Protokoll der Sitzung vom 17.10.2017

Antrag der Abgeordneten Bernhard Seidenath, Oliver Jörg, Jürgen Baumgärtner u. a. (CSU) Medizinermangel in Bayern verhindern XVII Verstärkte und fortlaufende Information der Studierenden über bestehende Ausbildungsmodelle durch die Hochschulen (Drs. 17/17384)

und

Antrag der Abgeordneten Bernhard Seidenath, Oliver Jörg, Jürgen Baumgärtner u. a. (CSU) Medizinermangel in Bayern verhindern XVIII Erstellung einer mittelfristigen Bedarfsprognose für die Sicherstellung einer flächendeckenden, wohnortnahen medizinischen Versorgung durch

niedergelassene Haus- und Fachärzte (Drs. 17/17385)

und

Antrag der Abgeordneten Bernhard Seidenath, Oliver Jörg, Jürgen Baumgärtner u. a. (CSU) Medizinermangel in Bayern verhindern XIX Zeitnahe Weiterentwicklung der Bedarfsplanung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (Drs. 17/17386)

und

Antrag der Abgeordneten Bernhard Seidenath, Oliver Jörg, Jürgen Baumgärtner u. a. (CSU) Medizinermangel in Bayern verhindern XX Fortsetzung der regionalen Anpassung der Bedarfsplanung durch die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) und die bayerischen Krankenkassen (Drs. 17/17387)

und

Antrag der Abgeordneten Bernhard Seidenath, Oliver Jörg, Jürgen Baumgärtner u. a. (CSU) Medizinermangel in Bayern verhindern XXI Bericht der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns über laufende Maßnahmen zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung und bestehende Hemmnisse (Drs. 17/17388)

und

Antrag der Abgeordneten Bernhard Seidenath, Oliver Jörg, Jürgen Baumgärtner u. a. (CSU) Medizinermangel in Bayern verhindern XXII Beratung für die Kommunen in Fragen der medizinischen Versorgung ausbauen (Drs. 17/17389)

und

Antrag der Abgeordneten Bernhard Seidenath, Oliver Jörg, Jürgen Baumgärtner u. a. (CSU) Medizinermangel in Bayern verhindern XXIII Betrieb von Praxen in unterversorgten Gebieten durch die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) (Drs. 17/17390)

und

Antrag der Abgeordneten Bernhard Seidenath, Oliver Jörg, Jürgen Baumgärtner u. a. (CSU) Medizinermangel in Bayern verhindern XXIV Sichere wirtschaftliche Berufsperspektive für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte in ländlichen Regionen (Drs. 17/17391)

und

Antrag der Abgeordneten Bernhard Seidenath, Oliver Jörg, Jürgen Baumgärtner u. a. (CSU) Medizinermangel in Bayern verhindern XXV Kommunales Engagement bei der wohnortnahen ärztlichen Versorgung - Hemmnisse beseitigen (Drs. 17/17392)

und

Antrag der Abgeordneten Bernhard Seidenath, Oliver Jörg, Jürgen Baumgärtner u. a. (CSU) Medizinermangel in Bayern verhindern XXVI Weitere Unterstützung der Reform der Organisation des Bereitschaftsdienstes durch die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns - Entlastung der Ärztinnen und Ärzte auf dem Land (Drs. 17/17393)

und

Antrag der Abgeordneten Bernhard Seidenath, Oliver Jörg, Jürgen Baumgärtner u. a. (CSU) Medizinermangel in Bayern verhindern XXVII Verbesserung des Sprachniveaus ausländischer Medizinerinnen und Mediziner (Drs. 17/17394)

Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind, dass ich jetzt nicht alle 27 Unterbetreffe vorgelesen habe.

(Zurufe: Doch!)

Ich verweise insofern auf das Plenarprotokoll. – Ich eröffne die Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt 36 Minuten. Die Redezeit für die Staatsregierung ist dieselbe wie für die CSU-Fraktion. CSU 12 Minuten, SPD 9 Minuten, FREIE WÄHLER und GRÜNE jeweils 7,5 Minuten. Erster Redner ist Kollege Seidenath, bitte schön.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Deckung des Fachkräftebedarfs ist eines der drängendsten Themen in der Gesundheits- und Pflegepolitik. Hinsichtlich der Pflege ist das schon länger bekannt. Doch auch im ärztlichen Bereich droht ein Fachkräftemangel, gerade bei den niedergelassenen Ärzten, bei bestimmten Facharztgruppen, aber auch und gerade bei den Hausärzten, und hier insbesondere im ländlichen Bereich. Es geht hier um ein zentrales Zukunftsthema und um nicht mehr und nicht weniger als um eine eminent wichtige Aufgabe der Daseinsvorsorge.

Aktuell ist die Versorgung zwar noch gut; die Warnzeichen und Alarmsignale sind aber unübersehbar. Derzeit arbeiten in Bayern rund 9.000 Hausärzte mit einem Durchschnittsalter von 55 Jahren. Mehr als ein Drittel dieser Hausärzte wird in den nächsten acht

Jahren in den Ruhestand treten. Viele haben immer größere Schwierigkeiten, einen Nachfolger für die eigene Praxis zu finden. Dieses Problem wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, auch aufgrund des verständlichen Wunsches nach einer WorkLife-Balance, nach einer Teilzeittätigkeit, um Familie und Beruf gut kombinieren zu können. Es geht also darum, einen Medizinermangel in Bayern zu verhindern.

Aus diesem Grund haben wir ein Antragspaket mit 27 Anträgen geschnürt. Wir, insbesondere der Kollege Jürgen Baumgärtner, haben dazu unzählige Gespräche geführt. Wir haben versucht, alle Betroffenen einzubeziehen: die Kassenärztliche Vereinigung, die Landesärztekammer, den Hausärzteverband und die Wissenschaft. In dem Antragspaket, das wir heute beschließen wollen, haben wir alles gebündelt, was uns aktuell machbar und notwendig erscheint. Es ist ein wuchtiger Aufschlag. Wir haben dafür alles Pulver gezündet, das uns derzeit zur Verfügung steht.

Einer der wichtigsten Punkte dabei ist: Wir brauchen mehr Ärzte, insbesondere solche, die als Hausärzte und Hausärztinnen tätig sind. Deshalb brauchen wir vor allem mehr Medizinstudienplätze; denn der drohende Fachkräftemangel im ärztlichen Bereich ist hausgemacht. Wir hätten genug junge Menschen, die diesen Beruf ergreifen wollen, doch wir lassen sie nicht, weil es bundesweit zu wenige Medizinstudienplätze gibt. Hier muss nachgebessert werden. Die anderen Bundesländer müssen dem Beispiel und Vorbild Bayerns folgen und neue Studienplätze schaffen. Bayern erhöht die Zahl seiner Medizinstudienplätze mit der Fakultät Augsburg im Endausbau um 1.500 Plätze.

Mehr Studienplätze sind das eine. Zweitens muss die Allgemeinmedizin in der Ausbildung der Ärzte stärker betont werden. Wir wollen die Allgemeinmedizin auch in der Fort- und der Weiterbildung stärken. Mit diesem Anliegen befassen sich allein 17 der 27 Anträge. Weitere sieben Anträge befassen sich mit einer möglichst homogenen, zielgenauen und bedarfsgerechten Verteilung der Ärztinnen und Ärzte über das Land. Die gleichmäßige Verteilung ist sehr wichtig. Mit zwei weiteren Anträgen wollen wir die Attraktivität des Berufs steigern und so dazu beitragen, dass Ärzte auch in ihrem Beruf verbleiben.

Lassen Sie mich noch ein Wort zur Finanzierung sagen. Wir beschließen die Anträge in der Regel mit dem Zusatz "im Rahmen vorhandener Stellen und Mittel". Das geht nicht anders, da es die Regel gibt, dass wir Anträge in finanzierter Form beschließen müssen. Aber allein für den Bereich des Gesundheitsministeriums wurden für den Nachtragshaushalt rund

sechs Millionen Euro beantragt, um die Maßnahmen des Antragspakets zu unterfüttern. Wir tragen deshalb unser Anliegen auch in die Haushaltsberatungen. Die Aufgabe geht also auch nach dem heutigen Tag weiter.

Zum Schluss bitte ich Sie darum, den Anträgen zuzustimmen. Ich sage ganz offen: Mir ist weiterhin nicht erklärlich, warum die SPD sich außer bei den bloßen Berichtsanträgen diesen Anträgen verweigert hat. Schließlich geht es um die Patientinnen und Patienten in unserem Land. Es geht um uns alle. Es geht um Daseinsvorsorge. Wir müssen jetzt die Weichen stellen, damit in zehn Jahren die ersten Erfolge sichtbar sind. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Kollege Seidenath. – Für die SPD-Fraktion darf ich Frau Kollegin Sonnenholzner das Wort erteilen. Bitte schön.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Kollege Seidenath, ich sehe es als Versagen meiner pädagogischen Fähigkeiten, dass ich es Ihnen im Ausschuss nicht erklären konnte.

(Bernhard Seidenath (CSU): Ich habe es nicht verstanden!)

Ich tue das jetzt noch mal. Aber ich kann Ihnen versichern, dass nicht nur wir diese Anträge nicht gut finden, sondern auch sehr viele Leute aus der Selbstverwaltung, von der Sie gerade gesprochen haben. Sie sind darüber hinaus auch nicht der Meinung, dass uns diese Anträge auch nur einen Schritt weiterbrächten.

In der Tat ist der Fachkräftemangel eines der wichtigen, wenn nicht das wichtigste Thema im Bereich der Medizin, mit dem sich nicht nur die Politik, sondern die Gesellschaft insgesamt auseinanderzusetzen hat. Es geht nicht nur um Ärzte und Ärztinnen, es geht auch um die Pflegekräfte. Es geht um die Physiotherapeuten, um die Psychotherapeuten, um die OTAs, um die MTAs und um alle anderen medizinischen Berufsgruppen; denn dort haben wir überall zunehmend Schwierigkeiten. Deswegen ist die erste Aufgabe, dass wir uns dafür einsetzen, dass wir junge Menschen für diese Berufe begeistern und dass wir sie einer Ausbildung zuführen. Die zweite Aufgabe ist, dass wir sie nach ihrer Ausbildung dorthin bringen, wo Bedarf besteht, nämlich flächendeckend in das ganze Land Bayern. Auch das ist nicht trivial, weil man sie an vielen Stellen nicht dorthin zwingen kann, wo gerade die Fachkräfte benötigt werden. Dabei ist die Landespolitik an vielen anderen Stellen gefragt, zum Bei

spiel im Hinblick auf Kinderbetreuung, Schulen und kulturelle Angebote, um den ländlichen Raum attraktiver zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Außerdem müssen wir Vorsorge treffen, um die Strukturen zukunftsfest zu machen. Als Allererstes müssen wir uns endlich darum kümmern, ein integriertes Konzept für die Notfallversorgung aufzustellen. Der Anfang ist gemacht; aber es ist lange noch nicht ausreichend. Wir werden uns auch über die Zukunft des Rettungsdienstes unterhalten müssen. Wir werden uns nicht nur darüber unterhalten müssen, sondern endlich auch Maßnahmen auf den Weg bringen müssen – wir von der SPD in Berlin leider nicht mehr, aber Sie von der CSU dort immer noch –, um die sektorenübergreifende Versorgung zu stärken und um die Hemmnisse zwischen Krankenhäusern und dem ambulanten Bereich zu beseitigen. Das Problem ist doch, dass dort, wo die ambulanten Strukturen wegbrechen, Probleme in der stationären Versorgung bestehen, weil wir dort Krankenhausstandorte nicht wirtschaftlich betreiben können. Von all dem lesen wir in Ihrem Antragspaket nichts. Doch die Situation ist in der Zukunft tatsächlich dramatisch.

Im Übrigen verlieren Sie selbst beim Thema Ärztemangel kein Wort über Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus. Es ist wichtig, Ärztinnen und Ärzten, die frisch ausgebildet sind, die Angst vor der Verantwortung zu nehmen, die ihnen dort aufgebürdet wird. Sie sehen nicht mehr, dass sie künftig Familie und Beruf vereinbaren können. Das gilt übrigens nicht nur für die Frauen, sondern das gilt auch für die wenigen männlichen Absolventen des Medizinstudiums. Dort gibt es nämlich nur noch 30 % Männer. Aber auch diese meinen das. Sie haben Angst vor den Belastungen durch Wochenend- und Nachtdienste.

Sie haben dieses Antragspaket im Ausschuss einen großen Wurf und heute einen wuchtigen Aufschlag genannt, bei dem Sie alles Pulver verschossen haben. Das ist nun wirklich eine echte Drohung; denn wenn Sie als Regierungspartei kein Pulver mehr haben, weiß ich auch nicht, wie es mit der Gesundheitsversorgung in diesem Lande weitergehen soll.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben 27 Anträge vorgelegt. Die Kollegin Ruth Waldmann, die sich im Ausschuss damit befasst hat, hat beim Durchzählen festgestellt, dass Sie sich in 21 dieser 27 Anträge an den Bund, an die Organe der Selbstverwaltung wenden, also an die Krankenkassen, die Ärztekammer, die Kassenärztliche Vereinigung und den Gemeinsamen Bundesausschuss. Übrigens bringen Sie damit diesen Organisationen einen

relativ hohen Misstrauensvorschuss entgegen; denn diese haben bisher nicht alles falsch gemacht. Ich schätze, der eine oder andere fühlt sich an dieser Stelle deutlich von Ihnen belehrt.

Außerdem haben Sie einige Berichtsanträge eingebracht. Berichtsanträgen stimmen wir immer zu, weil es immer wichtig ist, dass der Ausschuss sich zusätzliches Wissen verschafft. Die Inhalte der anderen Anträge wollen Sie in der Tat "im Rahmen vorhandener Stellen und Mittel" beschließen. Solange wir nicht sehen, dass es sich anders verhält, werden wir nicht zustimmen.

Ich erkläre das am Beispiel von zweien Ihrer Anträge. Sie beantragen zum Beispiel die Verstetigung der Stellen für das Kommunalbüro. Da braucht es mehr als eine Verstetigung; denn die zwei Menschen, die dort bei der Beratung der Kommunen zur medizinischen Versorgung eine hervorragende Arbeit leisten, arbeiten sich jetzt schon halb tot. Da braucht es nicht eine Verstetigung, sondern da braucht es deutlich mehr Stellen.

Gleichermaßen gilt das für die Lehrstühle für Allgemeinmedizin. Sie steigen zu einem Zeitpunkt ein, zu dem wir schon einige haben. Die SPD-Fraktion müht sich seit Jahren mit der Forderung ab, an jeder Universität mit einer medizinischen Fakultät einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin zu bekommen. Das geht aber nicht im Rahmen vorhandener Stellen und Mittel. Zynischerweise schreiben Sie auch noch: "mit adäquater Ausstattung". Natürlich muss der adäquat ausgestattet sein; aber dazu braucht es eben auch Geld, und das müssen Sie in den Haushalt einstellen. Solange wir das nicht sehen, werden wir dem nicht zustimmen.