Protokoll der Sitzung vom 25.10.2017

Damit ist die Aussprache geschlossen, und wir kommen zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss für Umwelt und Verbraucherschutz empfiehlt die Ablehnung des Antrags. Wer entgegen dem Ausschussvotum dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und die SPD. Die Gegenstimmen, bitte. – CSU, FREIE WÄHLER und Kollege Felbinger (frak- tionslos). Enthaltungen? – Sehe ich keine. Kollege Muthmann (fraktionslos) hat jetzt nicht mit abgestimmt. Darf ich das so festhalten? – Okay. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Antrag der Abgeordneten Ruth Waldmann, Ruth Müller, Kathi Petersen u. a. und Fraktion (SPD) Gerechte Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung wiederherstellen (Drs. 17/17289)

Ich eröffne die Aussprache. Auch hier beträgt die Gesamtredezeit der Fraktionen 24 Minuten. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Sonnenholzner. Bitte schön.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Es ist – das mag der eine oder andere als Bedrohung empfinden – sicherlich nicht das letzte Mal, auch in dieser Legislaturperiode nicht, dass wir hier über das Thema "Gerechte Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung" sprechen; aber es ist ein weiterer Versuch, Ihnen, Kollegen und Kolleginnen von der Mehrheitsfraktion, das Thema nahezubringen. In der Tat ist die Frage, ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber anteilig den gleichen Betrag zur gesetzlichen Krankenversicherung leisten, in den Augen der Menschen in Deutschland und auch in Bayern ein wesentlicher Bestandteil des Themas "Soziale Gerechtigkeit".

Die Menschen empfinden es zu Recht als ungerecht, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr belastet werden. Ich sage es auch hier: Der Sündenfall ist im Wesentlichen von der SPD mit zu verantworten. Ich halte es nach wie vor für einen Sündenfall. Es stimmt auch, was vonseiten der GRÜNEN im Ausschuss gesagt worden ist: Die Situation war eben so, und wir hatten eine hohe Arbeitslosigkeit. Wenn man in Zukunft glaubt, solche Dinge tun zu müssen, wäre sicherlich eine zeitliche Begrenzung vernünftig. Dann müsste man nämlich nicht die heutige Diskussion führen. Dann könnte man in Zeiten prosperierender Wirtschaft tatsächlich wieder automatisch zu einer paritätischen Finanzierung der Versicherung zurückkehren. Ich sage auch, dass wir heute nicht von der Bürgerversicherung sprechen. Wir reden nur über die Rückkehr zur anteiligen Beitragsfinanzierung.

Kollege Holetschek, ich sage Ihnen das, damit Sie sich an mir nicht so abarbeiten müssen. In der Tat hat die Mehrheitsfraktion im Ausschuss ein zu Teilen richtiges Argument genannt: Arbeitgeber sind ja auch durch die Lohnfortzahlung oder zumindest durch die entsprechende Umlage belastet. Ja, das stimmt. Aber zur Wahrheit gehört selbstverständlich auch, dass auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur ihren Beitrag zur Krankenversicherung zahlen, sondern auch zu Zusatzbeiträgen und nicht unerheblichen Zuzahlungen zu Medikamenten, Heilmitteln und anderen Dingen herangezogen werden. Im Moment ist das zwar kaum der Fall, es ist aber gesetzlich vorgesehen. Ja, es gibt die Überforderungsklausel. Es ist aber immer noch so, dass der Patient und die Patientin mehr als den reinen Beitrag zahlen. Das gleicht sich sicherlich mit den Mehrzahlungen der Arbeitgeber aus. Kolleginnen und Kollegen von der CSU, deshalb kann uns dieses Argument nicht überzeugen.

Wir sagen auch: Eine Beitragssatzsteigerung von ungefähr 0,5 % ist keine unzumutbare Überlastung der Arbeitgeberseite, insbesondere in diesen Zeiten wirt

schaftlicher Stabilität. Herr Imhof, Sie schauen mich gerade an: Sie haben bei unserem gleichen Antrag im letzten Jahr gesagt, für die Rückkehr zur Parität sei die Zeit noch nicht reif. Ich hoffe, dass wenigstens heute für Sie die Zeit reif ist. Wir glauben in der Tat, es ist überfällig.

Herr Kollege Holetschek, Sie haben uns vor einigen Monaten gesagt, dass der Koalitionsvertrag der Großen Koalition der Rückkehr der Beitragssatzparität entgegensteht. Das ist nun aber nicht mehr so; denn inzwischen war Bundestagswahl, auch wenn deren Ergebnis weder Sie noch uns befriedigt. Sie sind nun dabei, einen neuen Koalitionsvertrag auszuhandeln, und haben hier in diesem Haus einen Partner sitzen, der das in Berlin tatkräftig unterstützen könnte. Ich finde im Übrigen, dass diese Diskussion – und inwiefern man hier Stellung nimmt – tatsächlich spannend ist. Ich glaube auch, dass das bei der FDP nicht auf offene Ohren stoßen wird. Aber immerhin wären es dann schon zwei von vier Partnern, die sich diesem sozialpolitischen Anliegen widmen. Wenn man die Union mitnähme, wären es sogar drei. Dieses Anliegen wäre es wert, dass dafür hier und heute mit Ihrer Zustimmung kraftvoll geworben würde. Das könnten Sie dann in die Koalitionsverhandlungen in Berlin einbringen.

Es gibt Menschen, die sagen, durch eine paritätische Finanzierung sei eine Senkung der Beitragssätze zu erreichen. Ich glaube das, ehrlich gesagt, nicht. Ich halte es auch für unseriös, jedes Mal, wenn die gesetzliche Krankenkasse ein bisschen Geld in der Reserve hat, von der Senkung des Beitragssatzes zu reden. Ich glaube, man kann Beitragssatzstabilität erreichen.

An dieser Stelle sei auch gesagt: Es ist falsch, über die Höhe der Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung zu diskutieren. Stattdessen müssen wir doch immer diskutieren: Was brauchen wir, was brauchen wir nicht? Wie viel Geld brauchen wir für die Behandlung von Patientinnen und Patienten? Dann kommt am Ende ein Beitragssatz heraus, der in gleicher Höhe anteilig von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu bezahlen ist. Das ist ein zukunftsfestes Konzept.

Ich werde nicht müde, auch heute um Ihre Zustimmung zu werben. Wenn Sie zustimmen, würde uns das im Interesse der Menschen in Bayern und in Deutschland freuen. Stimmen Sie nicht zu, sehen wir uns an dieser Stelle spätestens Anfang Juni wieder; denn dann dürfen wir diesen Antrag wieder stellen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Sonnenholzner. – Für die CSU-Fraktion hat nun Herr Kollege Holetschek das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Sonnenholzner, ich befürchte, wir sehen uns im Juli wieder. Ich will aber sagen, dass es mir sehr sympathisch ist, über das Thema Parität zu reden. Das ist nicht verkehrt. Gerade in diesen Zeiten, in denen die Menschen von den Themen Pflege und Gesundheit in hohem Maße bewegt werden, tun wir gut daran, auch einmal über die Grundlagen der Finanzierung zu sprechen. Ich komme jedoch im Moment noch nach wie vor zu einer anderen Schlussfolgerung. Das will ich nicht verhehlen.

Ich freue mich darüber, dass Sie das Thema so dargestellt haben, wie es tatsächlich gewesen ist. Es war tatsächlich die rot-grüne Bundesregierung, die das eingeführt hat. Das war ein Teil der Agenda 2010, die uns in unserem Land geholfen hat, wirtschaftlich gut dazustehen. Das muss man auch anerkennen. Ich glaube, das war damals die richtige Entscheidung. Der Kollege Leiner hat mal im Ausschuss gesagt, es gebe keinen Grund, sich zu schämen. Es ging um Arbeitsplätze, und also war das gut und auch richtig so.

Das ist tatsächlich ein wichtiges Thema, dem wir uns auch weiter annähern müssen. Wir müssen dieses Thema auch weiter im Blick haben. Ich halte die Rückkehr zur Parität aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht für den richtigen Weg. Ich glaube nämlich: Wir haben keine Überforderung. Das haben Sie ja teilweise auch so dargestellt. Es muss aber darum gehen: Überfordern wir die Menschen im Moment mit dieser Abweichung beim Zusatzbeitrag, oder überfordern wir sie nicht?

Wenn wir über Parität insgesamt reden, reden wir bitte über alle relevanten Fragen. Sie haben das fairerweise mit dargestellt: Beim Arbeitgeber kommen mit Geldfortzahlung im Krankheitsfall, gesetzlicher Unfallversicherung und vielem anderen mehr am Ende 11,6 Prozentpunkte heraus, beim Arbeitnehmer 8,6. Das ist der Unterschied. Ich muss also sagen: Der Arbeitgeber zahlt am Ende immer noch mehr als der Arbeitnehmer. Das muss man im Gesamten betrachten. Es geht wirklich um die Frage, ob die Menschen im Moment durch das bestehende System überfordert werden oder ob wir damit nicht auch die Prosperität ein Stück weit mit absichern. Dies gilt für das Thema Arbeitsplätze und alles, was damit zusammenhängt. Ich glaube deswegen, dass es sich um keine Überforderung handelt.

2016 hatten wir bei den Krankenversicherungen ein Plus von 1,6 Milliarden Euro; wir hatten im ersten Quartal 2017 einen Überschuss von 612 Millionen Euro; wir haben eine Finanzreserve von 17,5 Milliarden Euro. Das alles sind Parameter, die dafür sprechen, dass wir hier nichts zu ändern brauchen. Man darf auch das zarte Pflänzchen des Wettbewerbs der Kassen untereinander nicht vergessen. Nach wie vor gibt es ein Sonderkündigungsrecht. Wenn man in einem Bereich raus will, kann man sich für diesen Bereich anderswo versichern. Die Tendenz geht sogar dazu, den Zusatzbeitrag um 0,1 Prozentpunkte abzusenken. So sieht die finanzielle Lage insgesamt aus.

Das Fazit, das ich hier ziehen möchte: Wir werden beim Thema Parität sehr genau hinschauen. Ich bin froh, dass unsere Ministerin bei den entsprechenden Sondierungsgesprächen mit dabei ist. Man wird sicherlich sehr genau überlegen, was man in einen Koalitionsvertrag mit hineinschreibt. Wo könnte möglicherweise eine Schwelle sein, ab der man das Thema aufgreifen und dann auch handeln müsste?

Ich fände es allerdings insgesamt interessanter, wenn wir uns über die gesamten gesetzlichen Grundlagen der Finanzierung unterhielten. Sie haben das Thema Bürgerversicherung von sich gewiesen. Uli Leiner hat im Ausschuss damals gesagt: Parität ist der erste Schritt in die Bürgerversicherung. Das war sein Zitat vom 04.07.2016. Ich will die Bürgerversicherung nach wie vor nicht. Ich bin der Meinung, dass dadurch nichts besser würde. Es würde nur teurer und würde das System insgesamt nicht befördern. Wenn ich das Zitat der GRÜNEN berücksichtige, kann man das Thema der Bürgerversicherung aber politisch nicht ganz ausblenden.

Ich hätte gerne, dass wir uns über das Gesamtsystem unterhalten. Das schließt auch das System der Selbstverwaltung und den gemeinsamen Bundesausschuss mit ein sowie die Frage, was man hier tun könnte. Wir müssten uns auch über den Morbi-RSA und eine Regionalkomponente unterhalten, also über die Frage, wie man die Kosten in Ballungsräumen und ländlichen Räumen aneinander angleichen könnte. Neben vielen anderen Themen, die heute nicht zur Debatte stehen, sind das ganz wichtige und zentrale Themen.

Aber insofern darf ich Ihnen versichern: Wir wollen dieses Thema im Fokus haben – da spreche ich auch Hermann Imhof an, der das richtigerweise damals gesagt hat –, aber wir glauben, dass es zum jetzigen Zeitpunkt nicht notwendig ist, weil keine Überforderung vorliegt. Wir wollen die Wirtschaft im Auge behalten. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Wirtschaftspolitik ist auch eine gute Sozialpolitik. Wenn

die Menschen Beschäftigung haben sowie in Lohn und Brot stehen, funktioniert tatsächlich auch der Sozialstaat – nicht umgekehrt. Wir müssen erwirtschaften, was wir uns leisten.

In diesem Sinne sage ich herzlichen Dank dafür, dass Sie den Antrag aufgerufen haben. Es lohnt sich immer, über das Thema zu sprechen, aber wir werden den Antrag heute ablehnen. Ich freue mich auf die nächste Diskussion im Juli.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Kollege Holetschek. – Frau Kollegin Sonnenholzner hat eine Zwischenbemerkung. Bitte schön.

Zwei Minuten, geschätzter Herr Kollege, reden Sie und ich jeweils heute noch weiter.

Ich führe gerne Diskussionen über die gesamte Finanzierung, zum Beispiel auch über die spannende Frage, ob es vernünftiger wäre, Kranken- und Pflegeversicherung in einem zu machen, um die Schnittstellen zu bereinigen.

Ich glaube, ich muss Ihnen Folgendes nicht sagen, aber ich sage es fürs Protokoll: Wir hatten die paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung über einhundert Jahre lang. Sie wurde von Herrn Bismarck eingeführt.

Die Bürgerversicherung spielte dabei keine Rolle. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Deswegen habe ich betont: Selbstverständlich steht die SPD weiterhin für die Bürgerversicherung. Dies ist in Berlin jedoch nicht durchsetzungsfähig. Wir halten sie nach wie vor für das bessere Modell. Aber die Rückkehr zur Parität hat objektiv nichts mit der Bürgerversicherung zu tun.

Wie gesagt: Dass der Kollege Leiner ausführt, das sei für ihn der erste Schritt, mag sein. Aber hier geht es ausschließlich darum. Sie haben gesagt, die Leute seien jetzt nicht überfordert. Die Abkehr von der Parität geschah jedoch genau in den Zeiten, in denen die Wirtschaft überfordert war oder überfordert schien.

Sie sagen: Jetzt, da die Wirtschaft prosperiert, brauchen wir das nicht, denn jetzt ist niemand überfordert. Wir schauen einmal, ab welcher Schwelle wir das brauchen. – Soll das dann sein, wenn es der Wirtschaft wieder schlecht geht? Da beißt sich die Katze in den Schwanz; denn das haben Sie vorher schon abgelehnt.

Sie werden im Ausschuss schon gelegentlich gemerkt haben: Geduld gehört nicht zu meinen größten Stärken. Ich höre jetzt zum dritten Mal innerhalb von eineinhalb Jahren: im Moment nicht. – Wir sollten uns vielleicht über die Definition des Begriffs "Moment" unterhalten; denn ein Moment ist für mich eine sehr kurze Zeitspanne.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank für die Frage. – Ich glaube: In der Opposition braucht man viel Geduld.

(Heiterkeit bei der CSU)

Ich durfte von 1998 bis 2002 dem Deutschen Bundestag angehören. Ich musste mich auch vier Jahre lang in Geduld üben

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): Ich würde Ihnen noch deutlich länger gönnen!)

und weiß es sehr zu schätzen, dass ich hier gestalten darf und Dinge in die richtige Richtung bewegen darf.

Ich habe beim Thema Bürgerversicherung, Frau Kollegin, nur den Kollegen Uli Leiner zitiert, nichts anderes. Das muss legitim sein. Er hat damals im Ausschuss gesagt, für ihn sei es der erste Schritt. RotGrün hat damals die Abweichung von der Parität beschlossen. Darüber brauchen wir uns jetzt nicht zu streiten.

Ich halte es für durchaus möglich, dass wir dieses Thema weiterhin angehen müssen, aber ich meine, dass es in der jetzigen Situation nicht angebracht ist – auch nicht in der heutigen Zeit, in der die Wirtschaft zwar funktioniert, in der ich aber nicht sehen kann, dass Arbeitnehmer und Rentner tatsächlich überfordert sind. Wir haben ein Plus von 17,5 Milliarden Euro bei den Krankenversicherungen. Wir können den Zusatzbeitrag absenken.

Dann muss man fairerweise über Parität insgesamt reden. Man muss das Paket aufschnüren und schauen, was die Arbeitgeber wirklich mit allem Drum und Dran leisten, sowie einen fairen Ausgleich finden.

Dieses Thema bearbeiten vielleicht zukünftige Koalitionäre in Jamaika, sodass wir es im Landtag noch auf anderer Ebene diskutieren können.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): Jamaika ist ganz weit weg!)

8.000 km, glaube ich.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Kollege Holetschek. – Für die Fraktion der FREIEN WÄHLER spricht jetzt Kollege Prof. Bauer. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist eine spannende Diskussion. Ich will gleich auf das eingehen, was Herr Holetschek gesagt hat: Dass bei den Krankenkassen ein Überschuss von mehr als 17 Milliarden Euro im Topf ist, zeigt doch, dass der Beitragszahler überfordert worden ist. Richtig ist: Den Beitragszahlern ist viel zu viel Geld aus der Tasche gezogen worden.

(Beifall des Abgeordneten Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER))