Wir hatten im Innenausschuss eine Expertenanhörung mit dem Landesdatenschutzbeauftragten und mit Verfassungsjuristen.
Herr König, zuhören! Der Landesdatenschutzbeauftragte und die Mehrheit der anwesenden Juristen haben den Gesetzentwurf heftigst kritisiert.
Die nachträglich eingesetzte Kommission ist doch nicht irgendetwas anderes als das, was wir schon hatten. Ihre Kommission ist nichts anderes als ein billiger Versuch der Beruhigung und Beschwichtigung. Das akzeptieren wir nicht.
Außerdem wollen Sie plötzlich in einen Dialog mit Schülern und Studenten eintreten und für das Gesetz an Schulen und Universitäten werben. Die Polizei soll das auch tun. Ich sage Ihnen: Die Polizei ist nicht dafür da, für ein Gesetz zu werben, für das Sie als CSU-Politiker verantwortlich sind.
Finden Sie das witzig? Finden Sie es allen Ernstes witzig, wenn Sie mit der Jugend nicht sprechen und sich dann wundern, dass sich die Jugendlichen aufregen? – Mein lieber Mann, Sie hätten einmal mit den Jungen reden sollen, was sie davon halten, wenn Sie ihre Handys ohne konkrete Gefahr überwachen oder ihre Laptops ohne konkrete Gefahr durchsuchen. Das lassen sich diese Jungen nicht mehr bieten.
Hätten Sie Ihren Gesetzentwurf doch einmal mit den Fußballfans diskutiert! Nach dem neuen Gesetz darf die Polizei bereits Bildaufnahmen oder sogenannte Übersichtsaufzeichnungen machen und darüber hinaus auch noch personenbezogene Daten erheben, wenn dies – man höre! – allein wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Örtlichkeit erforderlich ist. Also: völlig ohne Anlass! Ob mit Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten bei der Veranstaltung oder Ansammlung zu rechnen ist, darauf kommt es künftig nicht mehr an. Dass diese neu gefasste Vorschrift insbesondere Fußballfans sprichwörtlich auf die Barrikaden treibt, wundert Sie das? – Deswegen haben auch am Donnerstag letzter Woche Bayern-Fans und Löwen-Fans in München friedlich und einträchtig gemeinsam demonstriert. Das kommt selten genug vor, aber es war so.
Ich sage Ihnen eines: Herr Ministerpräsident, da können Sie noch so viele Fußballtrikots anziehen – am besten aber richtig rum –,
das wird die Fans auch nicht überzeugen. Ich sage Ihnen eines: Hätten Sie mal Ihr Gesetz auch mit den Familien diskutiert! Nach dem neuen Gesetz dürfen Menschen mittels Bodycams in Wohnungen erfasst werden. Ein Richtervorbehalt ist für den Einsatz von Bodycams in Wohnungen nicht vorgesehen. Das Freiheitsgrundrecht der Menschen erfordert aber einen Freiraum, in dem sie sich ohne Beobachtung – und das heißt, auch ohne Bodycams – bewegen und entfalten können. Sie als Staatsregierung nehmen diesen Menschen diese Freiräume, und Sie schränken diese Freiräume immer mehr ein. Das ist Fakt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen im letzten Jahr haben Sie gesagt, dass der Begriff der drohenden Gefahr bei den Standardbefugnissen der Polizei eingeführt wird und dass nach entsprechenden Änderungen des Bundeskriminalamtgesetzes zur Bekämpfung von sogenannten Gefährdern neue Befugnisse in das PAG eingeführt werden. Dabei bleibt es jetzt aber nicht. Sie führen den schwammigen Begriff der drohenden Gefahr nun für fast alle Befugnisse der Polizei in das PAG ein. Es braucht keine konkrete Gefahr, um dein Handy zu überwachen, sich in deinen PC einzuloggen oder deine Dokumente zu lesen, zu verändern oder zu löschen. Damit sind Sie nach dem neuen PAG mit Ausnahme der Wohnraumüberwachung und der Rasterfahndung sämtlichen Befugnissen der Polizei ab der Schwelle einer drohenden Gefahr verfügbar. Das darf die Polizei dann einfach tun. Die konkrete Gefahr: Weg damit!
Ja, ja, weil ich es nicht verstehe. Zehntausende auf der Straße scheinen es nicht zu verstehen. Hoppla, da leben wir ja plötzlich in einem Land voller Frösche, die wir dann im Teich austrocknen, Herr Huber.
Und da sagen Sie, Herr Herrmann, als Innenminister, dass sich nichts ändert! Ich glaube, Sie haben Ihren eigenen Gesetzentwurf nicht gelesen. Wenn die Polizei früher einschreiten darf als bisher, wenn polizeili
che Einschreitschwellen herabgesetzt werden, ist das dann etwa keine Änderung? – Das ist doch eine ganz grundlegende Änderung! Das ist eine Änderung, die die Sicherheitsarchitektur in Bayern ganz entscheidend verändert. Der Polizei werden Befugnisse eingeräumt, die sie bisher nicht hatte, Herr Herrmann. Es geht im PAG-Neuordnungsgesetz sogar noch weiter mit neuen Befugnissen der Polizei. Bisher durften bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen deine Fingerabdrücke abgenommen werden, und es durfte deine Größe gemessen werden. Jetzt dürfen dann deine Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Musters untersucht werden.
Eines wird doch klar, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sie befinden sich auf einem Irrweg. Mit dem neuen PAG werden Sie nicht mehr Sicherheit gewinnen. Sie stellen unbescholtene Menschen in den Verdacht, Gefährder zu sein. Sie zielen mit Ihrem Gesetz auf die große Masse der Menschen in diesem Land und nicht auf die, die Sie treffen wollen.
Doch, so ist es. Das ist der falsche Weg, und das wissen die Menschen, die jetzt auf die Straße rausgehen. Sie haben keine Lust, sich ihre Freiheit scheibchenweise abnehmen zu lassen.
Ich habe vor einigen Stunden gesagt, Stärke besteht nicht darin, etwas mit der Brechstange durchzusetzen. Eine starke Regierung nimmt Kritik ernst. Eine starke Regierung hat Respekt, Herr Reiß, vor anderen Meinungen. Eine starke Regierung geht auf die Menschen zu, die Kritik üben und Zweifel äußern, und zwar vor der Entscheidung. Stärke und Souveränität heißt, andere Meinungen ernst zu nehmen und sich damit auseinanderzusetzen; aber Sie machen das Gegenteil. Sie beschimpfen und verunglimpfen im Moment alle, die nicht Ihrer Meinung als Regierung sind. Das seien Extremisten, Lügenpropagandisten oder, wie kürzlich in einer ähnlichen Debatte, Religionsfeinde; denn leider beschränkt sich dieser Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur auf die Diskussion, die wir heute über das PAG führen, sondern er zieht sich durch Ihre Regierungszeit, in die Sie jetzt als neuer Ministerpräsident hineingegangen sind.
Ich kann Ihnen zum Schluss eines sagen: Bayern braucht einen neuen politischen Stil, eine politische Auseinandersetzung, in der man sich gegensei
tig ernst nimmt und sich mit den Argumenten des anderen auseinandersetzt, eine politische Kultur, in der politische Konkurrenten tatsächlich, Herr Reiß, mit Respekt behandelt und nicht verunglimpft werden, eine politische Diskussion, die die Bürgerinnen und Bürger vor der Entscheidung einbezieht und ihre Anregungen ernst nimmt. Herr Kreuzer, wir brauchen dagegen kein Überwachungsgesetz, das ohne Respekt vor den Menschen einfach durchgepeitscht wird.
(Lang anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Bravo! – Dr. Simone Strohmayr (SPD): So ist es! – Abgeordneter Jürgen W. Heike (CSU) will eine Zwischenbemerkung machen)
Herr Kollege Heike, ich weiß nicht, die Meldung zu einer Zwischenbemerkung ist bei mir nicht angekommen.
(Florian von Brunn (SPD): Macht nichts! – Peter Winter (CSU): Das ist Demokratie, nicht Papierdrehen! – Zuruf des Abgeordneten Jürgen W. Heike (CSU))
Normalerweise durch Drücken am Mikrofon zum Anmelden. – Gut, so weit Kollegin Kohnen. Vielen Dank für den Wortbeitrag. – Die nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Gottstein für die FREIEN WÄHLER. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es? – Wir reden erstens über ein Polizeiaufgabengesetz, wie es in 15 anderen Bundesländern in anderen Formen ebenfalls vorhanden ist. In einem Polizeiaufgabengesetz wird geregelt, was die Polizei wann tun darf.
Zweitens geht es um die Richtlinie (EU) 2016/680, die bis Ende Mai Anpassungen unseres jetzigen Gesetzes erforderlich macht, und es geht um die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil zum BKA-Gesetz von 2016.
Drittens – das ist das Hauptsächliche – geht es darum, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf nicht nur die erforderliche Anpassung vorgenommen haben, die die Richtlinie erfordert, sondern die größte Änderung des Polizeiaufgabengesetzes in Bayern seit Bestehen des Freistaats. Bei der Anhörung haben alle Experten in großer Einmütigkeit festgestellt, dass das eine wesentliche Strukturveränderung bedeutet, wie sie bisher noch nicht da war, weil zahlreiche Ergänzungen polizeilicher Befugnisnormen neu eingebracht werden, weil der Charakter der Gefahrenabwehr erheblich verändert wird und weil die Polizei zusätzlich zu ihren Aufgaben Eingriffs- und Zugriffsrechte be
Letztendlich geht es aber über dieses Polizeiaufgabengesetz hinaus um einen bedenklichen und aus Sicht der FREIEN WÄHLER – und ich glaube, nicht nur aus unserer Sicht – bedauerlichen Politikstil, der inzwischen, seit wir ein neues Kabinett haben, deutlich verschärft ist und entweder den Personen des neuen Kabinetts mit dem Ministerpräsidenten oder auch dem Wahlkampf geschuldet ist. Das kann ich nicht beurteilen.
(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der SPD – Markus Rinderspacher (SPD): Sehr gut, Frau Gottstein!)
Was zeichnet diesen Politikstil aus? – Auch wir wagen, zu behaupten, Herr Fraktionsvorsitzender Kreuzer, dass das in einer bisher nicht gekannten Schnelle durchgepeitscht wird. Die Anhörung hat nur zwei Stunden gedauert, weil wir gehört haben, wir müssen das noch unterbringen. Der Zeitpunkt der Debatte, der ursprünglich heute angesetzt war, ist geändert worden, was auch die Presse angemahnt hat, wobei es eigentlich immer noch zu spät ist. Ursprünglich wären wir noch viel später müde gewesen.
(Thomas Kreuzer (CSU): Einstimmig beschlossen im Ältestenrat! – Zuruf von der CSU: Mit den FREIEN WÄHLERN!)
Wir haben in diesem Fall außerdem wirklich nicht die Möglichkeit genutzt, und diese Möglichkeit haben Sie gehabt. Diese hat man Ihnen zumindest in den Ausschussberatungen vorgeschlagen. Diese Möglichkeit wäre Ihnen vielleicht spätestens klar geworden, wenn Sie gemerkt hätten, die Bürger haben Ängste, die Bürger haben Sorge. Sie hätten es ohne Weiteres, weil der Termin der EU-Forderung natürlich eingehalten werden muss, ändern können. Sie hätten die nötigen Anpassungen, die die EU-Richtlinie erfordert, vornehmen können.
Die FREIEN WÄHLER stehen absolut dazu, dass wir sagen: Natürlich machen unsere Kriminellen Fortschritte, natürlich macht die Technik Fortschritte.
Natürlich muss dann auch die Polizei Fortschritte in ihren Befugnissen machen. Das muss allerdings diskutiert und nach wie vor überlegt werden.